Zum Abschied von den ,Antifaschistischen Nachrichten’
(AN), welche mit ihrer Ausgabe vom 13. Oktober 16 ihr
Erscheinen erstellen. Sag’ beim Abgang leise
Servus....! Oder: Ein inhaltlicher Verlust ist es
trotzdem...
Zweiundzwanzig Jahre sind eine
lang Zeitraum. Ein Zeitraum, in dem Anhänglichkeiten
und liebgewonnene Gewohnheiten entstehen können, aber
auch einer, in dem man inhaltlich viel dazu lernt und
sich weiter entwickelt. 22 Jahre, das ist der
Zeitraum, während dem der Verfasser dieser Zeilen bei
den Antifaschistischen Nachrichten (AN) mitarbeitete,
deren – vorläufig? – Ausgabe Sie nun in den Hände
halten oder die Ihr in Händen haltet.
1994 war das Jahr, in welchem Alles anfing. Damals,
ja damals überbrachte man Artikel noch auf schlaffen
Drei-Zoll-Disketten in eine Redaktion, e-Mail und
Internet waren unbekannt. Der Autor dieser Zeilen war
damals Jurastudierender an der Universität von Köln,
nicht weit vom seinerzeitigen Sitz der Redaktion
entfernt. Ferner war ich ebenfalls in Kölner
Antifa-Kreisen aktiv. Eines Tages überbrachte ich
einem, von meinem Kommen überraschten
Verlagsmitarbeiter – Jörg D. _ einen Bericht über
eine rechte Veranstaltung, auf einer der damals in
Verwendung befindlichen Disketten.
In den folgenden Monaten knüpfte
ich mir - inhaltlich am Schrifttum der extremen
Rechten interessiert – einige Publikationen vor, aus
denen sich inhaltlich sehr viel herausholen ließ.
Eine Schlüsselrolle spielten dabei Veröffentlichungen
aus dem Dunstkreis der österreichischen FPÖ, die als
rechtsextreme Massenpartei zu jener Zeit viel stärker
verankert war als ihre deutschen
Möchte-Gerne-Pendants (das waren damals vor allem die
Partei ,Die Republikaner’ – REPs - sowie der ,Bund
freier Bürger’, BfB, unter dem ehemaligen
FDP-Mitglied Manfred Brunner).
Einer meiner längsten Artikel
enthielt eine gnadenlose Inhaltsanalyse der
„Jahrbücher für politische Erneuerung“, die damals im
Umfeld der FPÖ herausgegeben wurden. Dabei
kristallisierte sich als einflussreicher Autor ein
antisemitischer Ideologe heraus, der so dicht an der
„authentischen“ historischen Ideologie stand, dass
man glauben mochte, Alfred Rosenberg im Originaltext
zu lesen. Es handelte sich um einen Dozenten an einer
deutschen Fachhochschule, jener von Münster, einen
gewissen Werner Pfeifenberger. Die Textanalyse war
gründlich, und ich wage zu behaupten, sie könnte sich
auch heute noch sehen lesen. Mein größtes Bedauern
liegt darin, dass es, wie erwähnt, zu jener Zeit noch
kein Internet gab und der Artikel darum vor Ort (in
Münster) und im beruflichen Umfeld des Naziideologen
mutmaßlich keinerlei Verbreitung fand, sondern
unbekannt blieb. Das hinderte Pfeifenberger nicht
daran, doch noch von anderer Seite mächtig Ärger zu
bekommen, vor allem dank des Einsatzes des Wiener
Journalisten Karl Pfeiffer. Der braune Ideologe
Pfeifenberger zog es im Frühjahr 2000 vor, sich in
der Nähe von Salzburg aus 200 Meter Höhe von einem
Berg zu stürzen. Zwar sagten schon die alten Römer: De mortuis nihil nisi bene
(„Über die Toten nur Gutes“). Aber
das Beste, was sich über den Abgang dieses veritablen
Naziideologen sagen ließe, wäre, dass jegliche Trauer
fehl am Platz schien.
Zu dem Zeitpunkt lebte der
Verfasser dieser Zeilen bereits in Paris, wohin er –
planmäßig – im Rahmen seines Jurastudiums im Sommer
1995 zog. Und er blieb dort hängen, ebenfalls mehr
oder weniger planmäßig. Später trieb der Autor dieser
Zeilen die Juristerei weiter, bis zum bitteren Ende,
also bis zum Doktor (Schwerpunkt Arbeitsrecht), und
in naher Zukunft wohl zur Anwaltsniederlassung.
Auch in Frankreich machte der
Verfasser dieser Zeilen nähere Bekanntschaft mit der
extremen Rechten. Mein erster Artikel, vom September
1995, behandelte das jährliche Parteifest des Front
National, die Fête bleu-blanc-rouge
(BBR), die dann später - ab 2001 – dank des Agierens
der neuen rosa-rosa-grünen Rathausmehrheit
eingestellt werden musste. Der Anlass erlaubte mir
damals, 1995, zügig ein tiefes Eintauchen in die
extreme Rechte, die ich über die Jahre hinaus
weiterverfolgte.
22 Jahre schaffen, wie bereits erwähnt, auch
Gewohnheiten. Jeder zweite Sonntag ist ein Artikel
für die AN fällig – dies wurde über die Jahre hinaus
Bestandteil der festen Wochenendgestaltung, auch wenn
es in der Realität mitunter Montag früh („früh?“,
fragt da die geplagte Redaktion...) wurde. Es wird in
Zukunft wohl anders werden.
Doch antifaschistische Publizistik dient nicht nur
der eigenen privaten Lebensgestaltung, sondern in
allererster Linie einem inhaltlichen Zweck. Jener,
dem die AN dienten, hat sich keineswegs erschöpft. Im
Gegenteil. Im Rückblick auf die Anfänge – meine
Anfänge -, also 1994, hat sich Vieles verschoben.
Seit damals ist neu, dass eine rechtsextreme Partei
in Deutschland sich tatsächlich als Massenformation
auf Dauer etabliert zu haben scheint, in Gestalt der
AfD. Dies war damals noch nicht der Fall: Die REPs
hatten ihre Erfolgswelle der Jahre 1989 bis 1992
bereits hinter sich und befanden sich im Abschwung,
alsbald im Zerfall. Der BfB unter Manfred Brunner,
mit einem wirtschaftsliberalen und elitär geprägten
Profil und einer teilweise offenen rechtsextremen
Basis, nahm in gewisser Weise die AfD vorweg, nur
ohne ihren Erfolg. Der BfB kam nie über ein Dasein
als Splitterpartei hinaus.
In vielen Ländern droht eine
autoritäre Transformation der bürgerlichen
Demokratie, oder dieselbe findet bereits statt – mal
gestützt auf die extreme Rechte, mal in Konkurrenz
der Träger dieser Transformation zur (historischen)
extremen Rechten. Viktor Orban kontrolliert Medien
und Justiz, und seine konservativ-völkisch-autoritäre
Regierung ließ die Stimmbevölkerung am 02. Oktober
dieses Jahres an einem Plebiszit gegen Einwanderung
und EU-Politik teilnehmen – das nur aufgrund zu
geringer Referendumsbeteiligung kein gültiges
Ergebnis hervorbrachte. Der nächste Bundespräsident
in Österreich könnte Norbert Hofer (FPÖ) heißen, der
nächste US-Präsident vielleicht Donald Trump; auch
wenn es im Augenblick hiernach nicht wirklich
aussieht. In Frankreich geht alle Welt wie
selbstverständlich davon aus, dass Marine Le Pen in
den zweiten Durchgang der nächsten
Präsidentschaftswahl einzieht, und der Kandidat der
Konservativen könnte Nicolas Sarkozy sein – auch wenn
der wirtschaftsliberale Demokrat Alain Juppé gute
Karten gegen ihn zu haben scheint -, in welchem Falle
ein verbaler Wettlauf zwischen Bürgerblock und FN
drohen würde.
Zu tun, liebe Genossinnen und Genossen, bleibt also
wahrlich genug. Es gilt deswegen, auf keinen Fall die
Notwendigkeit antifaschistischer Informationsarbeit
zu vernachlässigen oder zu unterschätzen, ganz im
Gegenteil. In nächster Zeit gilt es also in erster
Linie, die bestehende – verbleibende –
antifaschistische Publizistik zu unterstützen. Viel
Arbeit wird sicherlich im Internet stattfinden.
A propos Internet: Die verbleibenden Akteurinnen und
Akteure des Projekts AN seien hiermit dazu
aufgerufen, sämtliche, ja wirklich sämtliche
Informationen und Archive auf möglichst gut und
einfach im Netz nutzbar zu machen. Nichts darf
verloren gehen, bitte!
Ansonsten, guten Wind an alle Mitkämpferinnen und
Mitstreiter, und lasst Euch nie unterkriegen...
Bern(h)ard Schmid
Paris, den 10. Oktober 2016
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