The same
procedure as every year....
Das
Wahljahr 2017 steht bevor und die Partei DIE LINKE
bereitet sich auf ihre Art darauf vor. Es werden
bizarre Debatten über „SpitzenkandidatInnen“ geführt
und die coolsten modernen Wahlkampfinstrumente
angepriesen. Es wird sich mit echter und
pseudo-wissenschaftlicher Akribie um „Die Wählerin
und der der Wähler, das unbekannte Wesen“
beschäftigt.
Nur das
Naheliegende wird nicht gemacht: Die politisch klare,
radikale und wahrnehmbare Einstellung und
Mobilisierung der eigenen Mitgliedschaft. Sie sind es
jedoch, die die gesellschaftliche Wahrnehmung der
LINKEN ausmachen, mehr als Hauptamtliche und
Mandatsträger. Letztere sollten sich deshalb im
Klaren darüber sein, dass es die lebendige linke
Partei ist, die ihnen ihre materielle Existenz
ermöglicht, nicht umgekehrt.
Ich
habe in drei längeren Facebook-Kommentaren zur
aktuellen Lage Stellung bezogen. Für
Nicht-FB-Beteiligte sind sie hier zusammengerafft zum
Nachlesen.
Köln
29.09.2016, Thies Gleiss
AUF, AUF ZUM KAMPF,
ZUM KAMPF....
Ich habe ein paar Tage
gezögert, ob vielleicht doch die Aufklärung kommt,
das Internetprojekt unter dem Namen "Team Sahra" sei
nur ein Fake, ein Probestück einer Webdesignerin mit
Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Aber es kam
nix.
Also scheint das ernst
gemeint zu sein. Ich wurde dazu auf jeden Fall nicht
gefragt. Nicht als Kenner der Materie noch als
Mitglied des Parteivorstandes der Partei, der Sahra
Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende im Bundestag
dient.
Also beschwert euch
nicht, dass ich meinen fair gekauften und ökologisch
gebrühten Kaffee über euer Designer-T-shirt ausleere:
Wir sind ja alle als
Original geboren, die meisten werden aber als Kopie
sterben. Wer gleich als Kopie anfängt, landet in der
Regel im Papierkorb. "Team Sahra" ist ein einziger
Urheberrechtsbruch, der einen Raubzug bei den
erfolgreichen Politikkampagnen der letzten Monate,
bei Bernie Sanders und Jeremy Corbyn klaut. Leider
wird nur die Verpackung geklaut. Man könnte glauben,
bei dieser Chose hat jemand Regie geführt, der bei
den deutschen Privatfernsehen gelernt hat.
Bernie Sanders hat in
den USA eine überaus erfolgreiche Kampagne geführt.
Er hat das historische Fehlen einer breit in der
Gesellschaft verankerten sozialistischen Partei
(selbst einer sozialdemokratischen) und die auf
Event- und kommerzielle Popkultur abfahrende Jugend
klug zusammengeführt und eine "sozialistische
Personality-Show mit Mitmachcharakter" aufgeführt.
Seine Verdienste, die sozialistische Idee
diskursfähig zu machen, sind dabei noch gar nicht
abzuschätzen. Von der organisatorischen Macht seiner
Kampagne wird nichts bleiben, aber dass er der
us-amerikanischen ArbeiterInnenklasse und Jugend
vorgeführt hat, dass der Sozialismus (ohne dass eine
irgendwie ausgearbeitete Version dieser Idee
vorgelegt wurde) endlich auf Massenebene als
Alternative diskutiert werden sollte, das könnte
bleiben - wenn die us-amerikanische Linke diese
Vorarbeit klug ausnutzt.
Das "Team Sahra"
kopiert die Kampagne, ohne ihren Inhalt. Ohne ihre
zentrale Vision einer "politischen Revolution für den
Sozialismus". Armes Deutschland, die erste....
Jeremy Corbyn hat eine
der ältesten und meist bürokratisierten
sozialdemokratischen Arbeiterparteien mit einer
grandiosen Revitalisierungskampagne aufgemischt. Die
durch die "Blairites" ähnlich wie die SPD durch die
Schröderianer fundamental zerstörte Labour Party lag
organisatorisch am Boden. Fast die gesamte britische
Linke wurde durch diese Partei geprägt und
verschlissen. Die vom nicht gerade charismatischen
Corbyn, der aber als einer der letzten glaubwürdigen
Sozialisten auftrat, geführte Kampagne, sich die
Labour Party zurückzuholen, hat ein alle
überraschendes (ich gebe zu: auch mich) Ergebnis
erreicht. Die Jugend strömte in diese Partei, die
ihre Mitgliedschaft mehr als verdoppelte. Heute ist
die Labour Party mit 550.000 Mitgliedern die größte
Partei Europas und mindestens Zweidrittel davon
unterstützen einen erklärten Sozialisten als
Parteivorsitzenden.
Das "Team Sahra"
kopiert diese Kampagne ohne die organisatorische
Perspektive. Macht mit, wird gerufen, ohne den
Beitritt bei irgendwas vorzuschlagen, noch nicht
einmal, was ja nicht das Schlechteste wäre, bei der
LINKEN. Armes Deutschland, die Zweite...
Es wird die
kommerzialisierte Event-Kultur kopiert; es wird die
heutige so schreckliche Verwechslung von
Individualität mit Individualismus kopiert; es wird
die unpolitische Promi-Verehrung kopiert; es wird
Stellvertreterpolitik im Designer-T-Shirt angeboten.
In Deutschland gibt es
gut 150 Jahre organisierte politische Macht der
Arbeiterklasse. Gerade Vorgestern habe ich am 168.
Geburtstag meiner IG Metall in Köln teilgenommen.
Deutschland ist die Geburtsstätte des visionären
ebenso wie des wissenschaftlichen Sozialismus. Diese
Wurzeln müssen freigelegt und revitalisiert werden.
Eine LINKE muss dabei Gärtner, Dünger und alternative
Organisationsform gleichzeitig sein.
Weiter weg als "Team Sahra" von diesen
Notwendigkeiten - das geht kaum....
EINE KANDIDATIN IN
SPITZEN - WENN'S SEIN MUSS,
EINE SPITZENKANDIDATIN BRAUCHT DIE LINKE NICHT
Ich will überhaupt
keine Spitzenkandidatin und schon gar nicht einen
Spitzenkandidaten. Ich will eine (wahl)kämpfende
60.000 köpfige Mitgliederpartei. Ich will eine
Wahlkampfstrategie, die ermöglicht, dass viele davon
ihren Arsch hoch bekommen und sich nicht von
irgendwelchen Spitzenleuten und Talkshowgästen
vorführen lassen, was ist.
Ich will einen
Wahlkampf nach dem Motto "Jetzt wählen wir uns
selbst", der all den Abgehängten und Deklassierten
sagt, wer im Mittelpunkt steht und gleichzeitig eine
wirkliche Möglichkeit des Mitmachens aufzeigt. Einen
Wahlkampf, der die Mainstreammedien nicht zufrieden
stellen, sondern verunsichern und auf die Palme
bringen will.
Ich will keine "Kampa"
als Vorabendprogramm und von Werbeagenturen
durchgestylt, sondern authentische Beiträge der
Genossinnen und Genossen, überall, selbstgemacht und
im engen Zusammenhang zu realen Kämpfen.
Ich will keinen
buntlackierten papiernen Wettkampf mit den anderen,
den Kapitalismus liebenden Parteien um den
aufgeklärten Wähler und die aufgeklärte Wählerin,
sondern eine Leistungsshow unserer Kreisverbände und
Mitgliederstrukturen.
Ich will keine passiven
Wähler, denen eingeredet wird, wenn sie uns wählen,
dass alles gut wird, sondern einen Wahlkampf, der
tatsächlich ein Mitmachwahlkampf ist und der nach dem
Wahlkampf in tausenden neuen Mitgliedern mündet.
Ich will keine von der
Werbeagentur ausgesuchten und aufgehübschten
Gesichter der Partei, die in Papierform an die Bäume
und Laternen gehängt werden, sondern eine
Präsentation der wirklichen, in Kämpfen und
Konflikten entstandenen, und nicht selbst ernannten,
sondern von uns im realen Leben erworbenen Gesichtern
und vor allem Aktionen.
Ich will keine Frieden,
Harmonie und Zuversicht ausstrahlenden KandidatInnen,
sondern Menschen, die sich und anderen Mut machen,
auf die eigenen Kräfte und nicht auf die Zauberkraft
eines durch Staatsknete ruhiggestellten
Parlamentsbetriebs zu vertrauen.
Ich will einen
Wahlkampf, der nicht Staatsversagen anprangert,
sondern Wege zur Selbstermächtigung und realer
Inanspruchnahme von mehr Demokratie aufzeigt und
damit diesen Staat nicht stärkt, sondern schwächt.
Der
Wahlkampf-Trilogie letzter Teil
GESICHTER UND
GELICHTER....
Erst die Lobpreisungen
auf "Teams" und "Spitzen", und nun
beenden wir die Wahlkampf-Trlogie vom Gleiss1
und geben ihr auch mal (m)ein Gesicht:
Keine Partei kommt ohne
"Gesichter" aus. Es gibt drei Sorten davon:
- Die von
Werbeagenturen und Parteiapparaten synthetischen,
einfallslosen und selbst produzierten Bilder. Die
braucht kein Mensch, kosten viel Geld und sind
mittelalterlicher Führungskult, der mehr mit Karl
May als mit Karl Marx zu tun hat. Sie werden heute
leider mit der "überkommenen Parteiform" in der
Politik gleichgesetzt, und sind zurecht verhasst.
- Die von den, der
LINKEN meist feindlichen gesinnten,
Mainstreammedien produzierten und in Talkshows
durchgewalkten Gesichter. Die können, wenn sie im
Brecht'schen Sinne der positiven Verunsicherung
benutzt werden, nützlich sein. Schlechte und
gehässige Medienbilder sind dabei nicht immer, aber
immer öfter die besseren Nutzbringer.
- Die bei den
sozialen Adressaten und subjektiven Trägern unseres
Programms durch Begegnung, Kämpfe, Mobilisierungen
erworbenen Gesichter, die braucht eine linke Partei
am nötigsten.
Die parlamentarischen
Gesichter einer Partei sind zu eigenem Leben unfähige
Hybride aus diesen drei Dingen. Niemand sollte sich
auf sie verlassen, sondern den parlamentarischen
Zustand als Durchgangsstadium ansehen, der deshalb
befristet und immer wieder mit neuen Menschen
ausgestattet werden muss....
Im Jahre 2002 war die
damalige PDS völlig unabhängig von ihren
Spitzenleuten, ob bekannt oder nicht, ob museale
Ikone im Rosa-Luxemburg-Outfit oder Jungtechnokrat im
gestriegelten Oberprimaneranzug, am politischen und
auch wahlpolitischen Ende ihrer Strategie "Im Westen
ankommen und akzeptiert werden" angelangt. Sie wäre
als politische Option im kapitalistischen Deutschland
baldigst versunken. Nur ein gutes Jahr später ist die
komplett im Westen angekommene und akzeptierte SPD
gerade dadurch in die tiefste Krise gestürzt, in
deren Verlauf sie die Hälfte ihrer Mitglieder und die
Hälfte ihrer WählerInnen verloren hat.
Dieses politische
Doppel-Loch und die für deutsche Verhältnisse
beachtliche gesellschaftliche Mobilisierung gegen die
kapitalistische Realpolitik und den neuen
Militarismus der SPD-Grünen-Regierung haben das
Potenzial für eine "neue soziale Idee" geboren.
Seitdem gibt es einen
ziemlich konstanten Anteil bei den Menschen in
Deutschland, der offen ist für eine radikale
politische neue Partei, der sich nach einer realen
Umsetzung des Prinzips Solidarität sehnt und der auch
sehr offen ist für einen neuen Diskurs über den
Sozialismus.
Die Partei DIE LINKE
hat mit ihrer Gründung nicht nur die PDS gerettet,
nicht nur den Zehntausenden, die sich von der SPD
abwandten, eine neue Perspektive gegeben, sondern sie
hatte vor allem die große Aufgabe, diese neue
Hoffnung bei den Menschen zu bedienen - bei Wahlen
und beim Aufbau der Partei.
Der Anteil der
Menschen, die offen für die LINKE sind, wird bis
heute konstant auf ca. 16 Prozent der
Wahlberechtigten geschätzt, bei den
Nichtwahlberechtigten ist die Unterstützung eher noch
ein wenig größer. Das sind - je nach Wahlbeteiligung
- real 7 bis 9 Millionen Menschen.
Die LINKE hat 2005 gut
4,1 Millionen, 2009 gut 5,1 Millionen und 2013 gut
3,7 Millionen WählerInnen gehabt.
SpitzenkandidatInnen, "Experten und Expertinnen",
superprofessionelle Wahlkampas und Agenturen und
Hochglanzpapiere haben einen verschwindend geringen
Anteil daran, wie stark die LINKE das Potenzial von
7-9 Millionen Menschen, die mit den Gesamtzuständen
unzufrieden sind, anspricht. Aber ein Ja an der
falschen Stelle, eine Orientierung auf die, die
gerade politisch verlassen worden sind, die
Kleinschreibung der großen politischen Idee in
angeblich nur realisierbare kleine Schritte - das ist
entscheidend, und die Glaubwürdigkeit ist schnell
futsch.
Die LINKE wurde, um es
provozierend zu sagen, nicht wegen, sondern trotz
ihrer Wahlkämpfe gewählt.
Ohne auch nur einem
oder einer unermüdlich Aktiven vor Ort, den
ParlamentarierInnen von allen Flügeln, dem
Rentenexperten und Abrüstungspolitischen Sprecher,
den GesetzesvorlagenschreiberInnen der LINKEN und all
den in kommunalen Parlamenten seit Jahren still
agierenden GenossInnen zu Nahe treten zu wollen: Die
LINKE wird überwiegend wegen ihrer allgemeinen
politischen Haltung im Konzert aller anderen gewählt.
Nicht für die konkrete Arbeit des Parlamentariers,
sondern für den Gesamteindruck der Partei als "neue
soziale Idee", als Hoffnungsträgerin wird sie
gewählt. Unsere Programme werden nicht gelesen,
unsere Gesetzesvorlagen nicht erkannt, sondern unsere
Glaubwürdigkeit, unsere Ablehnung des Herkömmlichen,
unsere Gesamthaltung, die wird zur Kenntnis genommen.
Diese Glaubwürdigkeit wird zu allererst in der
persönlichen Begegnung, im Alltag im Betrieb, im
Stadtteil, in der Schule aufgebaut. Alles andere
bestätigt oder erschüttert diese Wahrnehmung, erzeugt
sie aber nicht.
Aber je mehr sie am
Konzert der Experten, der "Gemeinschaft der
Krisenlöser" teilnimmt, desto größer wird die
Wahrnehmung, hier agiert eine neue Partei, die wie
die alten ist. Zuerst bleiben dann die eigenen
AnhängerInnen von 7-9 Millionen bei Wahlen zuhause.
Sie verlieren die Hoffnung, die ihnen die LINKE nicht
mehr gibt. Nicht wenige lassen sich sogar von den
Rechten einfangen.
Später - und in dieser
Phase sind wir heute - verschiebt sich innerhalb der
7-9 Millionen Menschen die Unterstützung auf den eher
kleinen Teil der städtischen bildungs- und
einkommensmäßig Bessergestellten. Sie treffen sich
unglücklicherweise in Sprache und materiellen
Möglichkeiten mit den politisch gut versorgten
ParlamentarierInnen und Hauptamtliche der LINKEN,
aber sie entrücken der eher mehr, denn weniger
notwendigen Radikalität des politischen Auftretens.
Ein sich selbst
bestätigender und verstärkender Kreislauf.
Jeder solcher
Kreisläufe kann aber durchbrochen werden, wenn es
gewollt wird.
Quelle: Zusendung durch "Nobby nobbytob@yahoo.de
[WASG-Infos]" <WASG-Infos@yahoogroups.de>
"Kommentare zum
Zeitgeschehen" geben nicht unbedingt die Meinung von Redaktion
und Herausgeber wieder. Sie dienen der freien Meinungsäußerung
und stehen in der Verantwortung des/der Verfasser/in.
|