Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Paris
Der Frauen-Jihad(ismus)

10/2016

trend
onlinezeitung

Artikel vom 12. September 16

Sarah H. hatte kein besonders glückliches Händchen mit ihren Männern. Zwei von dreien, denen sie „versprochen“ war, sind nicht mehr am Leben, und dem dritten ist vorläufig die Freiheit entzogen. Zunächst wollte die 23jährige salafistische Islamkonvertitin einen gewissen Larossi Abballa ehelichen. Dieser starb im Juni dieses Jahres, nachdem er ein Polizistenpaar in der Nähe von Versailles ermordet hatte, bei einem Schusswechsel mit den Einsatzkräften. Als nächster stand Adel Kermiche auf ihrer Liste. Doch auch er schied im Juli dieses Jahres beim Zusammentreffen mit einer Polizeikugel aus dem Leben. Zuvor hatte er als Mittäter an der Ermordung des 85jährigen Priesters Jacques Hamel in der Nähe von Rouen teilgenommen.

Hinter Schloss und Riegel sitzt derzeit nicht nur Sarah H.s letzter Verlobter, Mohamed Lamine Aberouz, sondern auch sie selbst. Am vorigen Donnerstag, den 08. September d.J. wurde sie zusammen mit zwei anderen Frauen, der 29jährigen Konvertitin und Mutter dreier Kinder Ornella Gilligmann sowie der 19jährigen Inès Madani, im südlichen Pariser Umland festgenommen. Sarah H. verletzte dabei einen Polizisten mit einem Messer an einer Schulter. Alle drei wurden am Montag Nachmittag dieser Woche (12. September 16) einem Ermittlungsrichter für Terrordelikte vorgeführt.

Gilligmann und Madani werden dringend verdächtigt, die beiden jungen Frauen zu sein, die in der Nacht vom 03. zum 04. September 2016 ein Auto mit fünf Gasflaschen im Kofferraum in der Nähe der Pariser Kathedrale von Notre-Dame abstellten. Neben der potenziell explosiven Ladung fanden sich im Kofferraum des Wagens auch ein mit Treibstoff getränkter Lappen sowie eine brennende Zigarette, die einen Brand und eine darauffolgende Explosion hätte auslösen sollen. Ein über ihm verdächtig vorkommende Bewegungen beunruhigter Anwohner hatte die Polizei verständigt.

Vier Tage später griff die Polizei dann in Boussy-Saint-Antoine, südlich von Paris, zu. Sie hatten in der Wohnung einer 39jährigen, Amel S., Unterschlupf gefunden. Doch zumindest bei Sarah H. wurde bereits zu dem Zeitpunkt das Telefon abgehört, denn sie war im Zusammenhang mit dem von Larossi Abballa begangenen Doppelmord in strafrechtliche Ermittlungen einbezogen worden. Ihr am letzten Donnerstag ebenfalls festgenommener Verlobter Aberouz gilt als einer von Abballas Komplizen.

Angaben der Ermittlungsbehörden planten die drei Jihadistinnen zum Zeitpunkt ihrer Ergreifung, binnen kurzer Zeit einen Terroranschlag durchzuführen. Erste Meldungen von Ende vergangener Woche, wonach ein Anschlag auf den Lyoner Bahnhof in Paris dicht bevor zu stehen schien, wurden am Montag, den 12.09.16 relativiert: Dem Pariser Staatsanwalt François Molins zufolge wurden demnach bislang nur sieben leere Flaschen sowie improvisierte Zünder in der Wohnung von Amel S. aufgefunden, jedoch kein Sprengstoff. An den Motiven der drei Frauen, die alle bereits wegen islamistisch-jihadistischer „Radikalisierung“ polizeibekannt waren, bestünde jedoch kein Zweifel: Demnach wurde in der Handtasche von Inès Madani ein von Hand verfasstes Schreiben gefunden, in welchem sie dem so genannten „Islamischen Staat“ (IS) die Treue schwöre.

Die apokalyptische Sekte hat, den bisherigen Angaben der Ermittlungsbehörden zufolge, den drei Frauen sogar direkte Vorgaben gemacht. Als Hintermann wird der französische Jihadist Rachid Kassim ausgegeben. Der 29jährige Kader hält sich im IS-Gebiet in Syrien auf und ist im Internet sehr aktiv. Dem bei Inès Madani gefundenen Schreiben zufolge sollen die Jihadistinnen zudem beabsichtigt haben, den Ende August bei einem Bombenangriff getöteten hochrangigen IS-Kader Abu Mohammed Al-Adnani „zu rächen“.

Alle drei sollen ferner darüber frustriert gewesen sein, dass es nicht ihnen gelungen war, ins syrische Kampfgebiet einzureisen. Sarah H. etwa wurde 2015 in der Türkei aufgegriffen und durch die dortigen Behörden nach Frankreich zurückschoben, dort wurde ihr Pass einbehalten. Aber trotz strafrechtlich relevanter Vorwürfe – der Versuch einer Einreise ins IS-Gebiet kann verfolgt werden – war sie weder in Polizeigewahrsam genommen noch inhaftiert worden. Bislang erweisen sich die Justizbehörden gegenüber weiblichen Jihadistinnen als wesentlich weniger streng als bei ihren männlichen Pendants. Denn bis jetzt wurden sie oft nur als „Frau von...“ betrachtet. Dies könnte sich nun ändern.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir von Autor für diese Ausgabe.