Der Generalstreik
vom 2. September war mit bis zu 180 Millionen
ArbeiterInnen der Größte in der Geschichte des
Landes. Die rund eine halbe Milliarde Menschen große
ArbeiterInnenklasse Indiens ist zu einem wichtigen,
aktiven Faktor des internationalen Klassenkampfes
geworden ist.
Vor einem Jahre
Schon am 2. September 2015 brachte ein Generalstreik,
der von 150 Millionen ArbeiterInnen durchgeführt
wurde, Indien zum Stillstand. Zehn Gewerkschaften
riefen zum Streik auf und forderten die Einsetzung
eines 12-Punkte-Programms, worin Forderungen nach
bedeutenden Lohnanhebungen, einem Monatsmindestlohn
von 15000 Rupien, einer Rente von 3000 Rupien für
alle ArbeiterInnen sowie nach dem Ende von
Privatisierungen und gewerkschaftsfeindlicher
Gesetzgebung enthalten waren.
Der Streik war ein
klares und mächtiges Zeichen des Widerstands gegen
die hindu-chauvinistische Bharatiya Janata Partei
(BJP), die die indische Zentralregierung unter
Narendra Modi seit 2014 bildet. Der Streik erzwang
auch die Bildung eines Komitees von
Kabinettministern, darunter der Finanzminister Arun
Jaitley und der Arbeitsminister Bandaru Dattatreya,
und deren Verhandlung mit Gewerkschaftsführern.
Das Komitee trat gerade
einmal mit hochrangigen Gewerkschaftern des
Generalstreiks 2015 zusammen. Obgleich der Streik
auch die indische herrschende Klasse und deren
politische Parteien erschütterte und ihnen einige
Zugeständnisse abrang oder zumindest Angriffe auf
mehrere Sektoren hinausschieben konnte, reichte es
nicht aus, um die Regierung zur Zustimmung zu den
zentralen Forderungen der Charta zu zwingen.
Provokante Haltung der Regierung
Im Gegenteil: die Regierung nahm eine provokante
Haltung ein, indem sie sich mehrfach mit
Gewerkschaftsspitzen traf, die jedoch nicht am
Generalstreik beteiligt waren und nur von der
Gewerkschaft Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS) kamen.
Diese ist der gewerkschaftliche Arm der
paramilitärischen rechten Rashtriya Swayamsevak Sangh
(RSS), die eng mit der BJP-Regierung
zusammenarbeitet.
Preiserhöhungen und
ständige weitere Provokationen und Attacken seitens
der Regierung führten schließlich zum umfassenden
Generalstreik am 2. September 2016, ausgerufen und
organisiert von der gemeinsamen Plattform der
Zentralen Gewerkschaften CTU in Zusammenarbeit mit
der Unabhängigen Nationalen Föderation der
Beschäftigten in verschiedenen Industrien und
Dienstleistungsbereichen, darunter auch der
Konföderation der Angestellten und ArbeiterInnen der
Zentralregierung.
In einer Verlautbarung
vom 31. August versuchte der Finanzminister Jaitley
die Gewerkschaften zu beschwichtigen und sie zu
überreden, den Generalstreik abzublasen. Er
versprach, den Mindestlohn auf 350 Rupien am Tag
anzuheben und die Gewerkschaftsgesetze zu
reformieren. Doch an dem Lohnanstieg würden etliche
ArbeiterInnen nicht teilhaben, und das würde einen
Keil zwischen Streikende und Nichtstreikende treiben.
Letztlich läge die Erhöhung nur bei 9000 Rupien im
Monat, also gerade einmal der Hälfte von dem, was die
Gewerkschaften gefordert haben.
Ferner haben
Kabinettsmitglieder erklärt, dass mehrere Forderungen
seitens der Gewerkschaften nicht ihre Angelegenheit
wären, da sie politischer Natur seien. Dahinter steht
sicher die Furcht, dass nicht nur die
Kongress-Partei, die mehrere der streikenden
Gewerkschaften hinter sich hat, davon profitieren
könnte, sondern dass die Reihen der streikenden
ArbeiterInnen an Selbstvertrauen gewinnen und
allgemein sich stärker in politische Angelegenheiten
einmischen könnten.
Es überrascht nicht,
dass die BMS die Regierungsvorschläge unterstützte
und erklärte, dass sie nicht streiken wolle, was sie
jedoch sowieso nie vorhatte. Während die Äußerungen
der BMS-Führung offenbar der Regierung den Rücken
stärken und den Medien die Reihen der Streikenden
spalten helfen wollen, zeigt ihr Manöver auch noch
etwas anderes. Sie fürchten, dass ihre eigene Basis
mitstreiken will wie im letzten Jahr auf lokaler
Ebene.
Streikvorbereitungen
Glücklicherweise haben der Allindische
Gewerkschaftskongress AITUC und die Zentrale der
Indischen Gewerkschaften CITU den Streik nicht
abgesagt, sondern ihre Versuche bekräftigt, den
Streik noch größer als im letzten Jahr zu machen.
Ziel war es, 180 Millionen ArbeiterInnen in den
Streik zu bringen. Allein diese Größenordnung zeigt
klar, dass die indische ArbeiterInnenklasse in den
vergangenen Jahren die Bühne des internationalen
Klassenkampfs als bedeutender Akteur betreten und die
gewerkschaftliche Organisierung in Indien wichtige
Fortschritte gemacht hat.
Zugleich muss man aber
auch feststellen, dass es ein ganzes Jahr gedauert
hat, ehe die Gewerkschaften die ArbeiterInnen wieder
auf die Beine gebracht haben, um für ihre dringenden,
aber noch unerfüllten Forderungen einzutreten.
Politisch ist also noch eine gehörige Strecke
vorwärts zurückzulegen. Das wird erhellt durch den
Umstand, dass mehr als die Hälfte der
GewerkschaftsführerInnen am Gängelband der
Kongress-Partei hängt, die Indien seit mehr als einem
halben Jahrhundert beherrscht hat. Andere, linkere
FührerInnen sind mit der reformistischen
Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) CPI(M)
verbunden. Die
herrschende Klasse und die BJP fürchten sich zu Recht
vor dem Generalstreik in der Woche des 2. September,
aber noch mehr fürchten sie sich davor, die
Forderungen der Gewerkschaften zu erfüllen, weil dies
die ArbeiterInnen stärken und ermutigen könnte,
weitere Forderungen zu stellen, die dann ausländische
Investoren „entfremden“ könnten. Andererseits
scheinen auch einige Gewerkschaftsspitzen
unglücklicherweise Angst vor wirklich einschneidenden
Kampfmaßnahmen zu haben. Ihre Furcht liegt darin,
dass es sie in eine Lage manövrieren würde, in der
die normale Strategie der Kompromisse mit den
Regierungsvertretern nicht mehr wirken könnte, wenn
ArbeiterInnen von demokratischen Streikausschüssen
auf lokaler, regionaler oder sogar landesweiter Ebene
sich vernetzen und ihre Maßnahmen durchführen.
Es erstaunt, dass im
letzten Jahr einige Gewerkschaftsführer immer noch
„überrascht“ waren, dass die Regierung sich nicht mit
ihnen, sondern nur mit den BMS-Spitzen getroffen hat.
Eine der dringendsten Aufgaben ist deshalb, klar zu
machen, dass sie nicht wieder überrascht sein dürfen,
wenn die Regierung die Forderungen erneut nicht
erfüllt. SozialistInnen in Indien sollten fordern,
dass diese Führer die nächsten Kampfschritte nicht
bis zum 2. September 2017 hinausschieben, sondern
stattdessen die Verbindungen zwischen den
Gewerkschaften stärken und die Basisorganisation
ermutigen, die entscheidend sein wird, wenn mehr als
ein eintägiger Generalstreik notwendig ist, um die
Regierung auf die Knie zu zwingen.
Nichtsdestotrotz ist
der diesjährige Generalstreik ein ermunternder
Schritt nach vorn für die ArbeiterInnenbewegung auf
dem indischen Subkontinent wie auch international. Er
ist auch ein Schlag ins Gesicht der bürgerlichen
IdeologInnen, die den Unterdrückten weltweit einreden
wollen, dass es keine ArbeiterInnenklasse gäbe oder
dass sie, sollte sie doch existieren, nicht mehr das
handelnde Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen
wäre. Die mutigen indischen ArbeiterInnen zeigen
heute, dass dies eine himmelschreiende Lüge ist.
SozialistInnen auf dem indischen Subkontinent sollten
sicherstellen, dass jene ArbeiterInnen ihre eigene
Rolle als Triebkräfte des Wandels verstehen und ihren
Kampf für unmittelbare wirtschaftliche Forderungen
mit dem Kampf um Sozialismus und Freiheit unter dem
Banner einer neuen revolutionären Partei in Indien
verbinden.
per email
von ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL
Nummer 903, 16. September 2016 |