Bernard Schmid berichtet aus Frankreich  

Muslime und Andere protestieren gegen jihadistischen Terror

10-2014

trend
onlinezeitung

„Wir sind alle schmutzige Franzosen“ lautete ihre Parole. Unter diesem Motto versammelten sich am Freitag, den 26. September 14 einige Tausend französische Muslime sowie ein paar sonstige Unterstützer vor der 1926 eingeweihten Pariser Zentralmoschee. Ihr Anliegen war es, den Terror des so genannten Kalifatsstaats in Syrien und im Nordirak, der sich selbst seit dem Hochsommer als den „Islamischen Staat“ (IS) bezeichnet, zu verurteilen.

Konkreter Anlass dafür war die Ermordung der französischen Geisel Hervé Gourdel, die am Mittwoch, den 24. September d.J. bekannt wurde. Der 55jährige Profibergsteiger aus Nizza war am Sonntag zuvor bei einer Bergtour im Djurdjura-Hochland, in der algerischen Berberregion Kabylei, entführt worden. Die Geiselnehmer gehören der Gruppierung Dschunud al-khilafa („Soldaten des Kalifats“) an, der zeitlich jüngsten der bewaffneten islamistischen Organisationen in Algerien, die vor kurzem dem selbsternannten Kalifen des IS Treue schwor. Sie hatte sich von AQMI, „Al-Qaida im Lande des islamischen Maghreb“ abgespalten, wie die wichtigste übrig gebliebene bewaffnete Islamistenorganisation in Algerien sich seit 2007 nennt. Nach der Niederlage der Islamisten im algerischen Bürgerkrieg der neunziger Jahre, infolge derer sich die meisten ihrer Untergrundorganisationen auflösten, war dies Gruppe als Hauptlinie übriggeblieben. Ihre Namensänderung von 2007 bezeichnete eine Art von Flucht nach vorn: Nachdem jede Aussicht auf Eroberung der politischen Macht im nationalstaatlichen Rahmen in unerreichbare Ferne gerückt und die Bevölkerung zu den radikalen Islamisten auf Distanz gegangen war, sollte es die Internationalisierung des Kampfes richten. Dadurch sollten neue scheinbare Perspektiven eröffnet werden.

Die Ausrichtung auf den im Mittleren Osten aktiven IS bildet eine neue Stufe in diesem Orientierungswechsel. Mit dem Übergang von einer Ausrichtung auf Al-Qaida zu jener auf den Kalifatsstaat ging auch eine Veränderung der Methoden mit sich. AQMI hätte die Geisel wahrscheinlich für längere Zeit – eventuell Jahre – festgehalten und nach Zahlung eines Lösegelds mutmaßlich lebend wieder freigelassen. Doch die neue Terrorgruppe tritt anders auf. Nach nur drei Tagen schnitt sie ihrer Geisel, vor laufenden Kameras, die Kehle durch und stellte den Videofilm davon ins Internet. Zuvor hatte ihr Chef, Abdelmalek Gouri, der französischen Regierung die Bedingung gestellt, diese müsse ihre Politik im Iraq (eingedeutscht Irak) ändern, wenn die Geisel überleben solle. Doch die Forderung nach direkter Einflussnahme auf die Außen- und Militärpolitik war durch die Pariser Regierung als unerfüllbar bezeichnet und abgelehnt worden. Zugleich intensivierte man die Kooperation mit den algerischen Behörden, um die Geiselnehmer aufzugreifen, doch gelang dies nicht rechtzeitig.

Französische Militärs flogen am 19. September 2014 ihre ersten Luftangriffe auf Ziele des IS im Irak, wo die USA ihre Operationen am 08. August 14 gestartet hatten. Während die Vereinigten Staaten ihre Attacken auf Stellungen der Jihadisten seit dem 23. September d.J. auch auf Syrien ausweiteten, schlossen die französischen Behörden bisher – wie alle anderen beteiligten europäischen Nationen, Belgier, Dänen und andere – bislang ein militärisches Eingreifen in Syrien aus. Mitte September hatten in Umfragen 53 Prozent der befragten Franzosen die Eingriffe gegen den IS im Irak unterstützt. Nach der Ermordung von Hervé Gourdel stieg dieser Anteil in der vorletzten Septemberwoche dieses Jahres jedoch sprungartig auf 69 Prozent.

Ähnlich der britischen Not in my name-Kampagne von Muslimen begann auch in Frankreich eine vergleichbare Meinungskampagne. Ihr Titel spielt auf einen Ausspruch des selbsternannten Kalifen ’Abu Baker Al-Baghdadi an, der seine Anhänger aufforderte, „schmutzige Franzosen und Amerikaner“ überall in der Welt zu töten – „mit einem Auto, mit einem Stein, was immer Ihr gerade zu Hand habt“. In Paris und weiteren Städten kamen am Freitag, den 26. September daraufhin Tausende Demonstranten zusammen. Unter Muslimen, Linken und Antirassisten ist der Aufruf nur insofern umstritten, als manche kritisieren, er erwecke den Eindruck, als müssten Muslime sich für den IS entschuldigen. Was es fälschlich so aussehen lasse, als habe man etwas mit ihm zu tun, obwohl es keinerlei Zusammenhang mit ihm gebe.

Marine Le Pen, die am selben Freitag die französischen Muslime ultimativ zur Distanzierung vom IS aufforderte, und ein ähnliche Töne anschlagender Text in der konservativen Zeitung Le Figaro – ihre Redaktion hat sich inzwischen dafür entschuldigt – verleihen dieser Kritik Nahrung. Stärker umstritten war hingegen eine Demonstration am Sonntag, den 28. September 14, die auch von mehreren antirassistischen Organisationen, der französischen KP und der CGT unterstützt wurde. Dazu kamen jedoch nur rund 1.000 Personen zusammen. Ihr Aufruf kam jedoch maßgeblich von liberalen, „antitotalitären“ Intellektuellen, und er insistierte stark auf die Notwendigkeit einer „nationalen Einheit“, unter dem Titel: „Wir lassen uns nicht auseinander dividieren.“

Der verwendete Begriff der Union nationale wird auch für die verhängnisvolle Burgfriedenpolitik der Sozialdemokratie von 1914 benutzt, und stößt deswegen viele Kritiker ab. Zudem hat der Appel an das Zusammenstehen der Franzosen wenig positive Auswirkungen auf das reale Geschehen; die radikale Linke favorisiert eher eine aktive Unterstützung für die vor Ort kämpfenden kurdischen Kräfte, einschließlich Waffenlieferungen an dieselben. Eine Demonstration für die Unterstützung der kämpfenden kurdischen Kräfte am Sonntag, den 05. Oktober hatte wiederum fast 10.000 Teilnehmer/innen.

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.