Der FN zieht erstmals ins parlamentarische „Oberhaus“ ein. Dank
der Stimmen zahlreicher, wohl konservativer Lokalpolitiker. Und
die Pläne zur Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts sind
nun endgültig tot.
Am frühen Abend des Sonntag, den 28.
September 14 traf die Neuigkeit ein: Zum ersten Mal in seiner
bislang 42jährigen Geschichte wird der französische Front
National über Sitze im Senat, dem parlamentarischen „Oberhaus“
in Frankreich, verfügen. Die beiden seit März 2014 amtierenden
rechtsextremen Bürgermeister Stéphane Ravier –
Bezirksbürgermeister im „Siebten Sektor“ von Marseille, der die
beiden Nordbezirke des 13. und des 14. städtischen
Arrondissements umfasst – und David Rachline, Stadtoberhaupt in
Fréjus, sind nunmehr auch zu Senatoren gewählt worden.
Damit fällt ein weiterer Sperrriegel für die institutionelle
Präsenz der rechtsextremen Partei. Stéphane Ravier verkündete
noch am Sonntag Abend gleich großspurig:
„Wir haben alle Türen aufgestoßen!
Nun gilt es nur noch eine einzige Tür zu öffnen: die des
Elysée!“, also des französischen Präsidentenpalasts. Da
hatte er ein bisschen zu laute Töne gespuckt, denn hinter eine
ganze Reihe von Türen durften die französischen Neofaschisten
bislang noch nicht gucken: Weder hatten sie bislang in einem
Ministerium, noch in einem Staatssekretariat oder vergleichbaren
Regierungsinstitutionen Platz genommen. Es gäbe für ihn also
noch einige Zitadellen zu erklimmen.
Dennoch stellt die Überwindung der Außenmauern
des Pariser Senats eine neue Grenzüberschreitung dar. In der
französischen Nationalversammlung, dem Ton angebenden
parlamentarischen „Unterhaus“, sind bereits seit der letzten
Wahl im Juni 2012 insgesamt drei rechtsextreme Abgeordnete
vertreten. (Und zwar ein Mitglied des FN: Marion Maréchal-Le
Pen; ein parteiloser, jedoch mit Unterstützung des FN gewählter
Parlamentarier: der Anwalt Gilbert Collard; und ein Vertreter
der ebenfalls rechtsextremen Kleinpartei Ligue du Sud: Jacques
Bompard, Bürgermeister von Orange seit 1995, der 2005 den FN
verließ.)
Der Einzug in die Nationalversammlung wird einer Partei wie dem
FN durch die Anwendung des Mehrheitswahlrechts erschwert: In
jedem einzelnen Wahlkreis müssen die jeweiligen Bewerber/innen
in der Stichwahl mindestens eine relative Mehrheit erzielen,
also bei zwei Kandidaturen in der Stichwahl 50 % plus x, bei
drei aufrecht erhaltenen Kandidaturen mindestens 33,3 % plus x.
Beim Senat liegen die Dinge anders: Dessen
Mitglieder werden nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, jedoch
„indirekt“, also nicht durch die Bevölkerung, sondern durch
Wahlmänner und –frauen. Letztere werden offiziell als
,grands électeurs‘ („große
Wähler“) bezeichnet und repräsentieren die so genannten
„Gebietskörperschaften“ oder collectivités territoriales:
Regionen, Départements, Kommunen usw. In der Praxis sind 95 %
von ihnen Kommunalparlamentarier/innen. Die Aufgabe des Senats
besteht darin, einerseits für eine Berücksichtigung der
Interessen dieser „Gebietskörperschaften“ im Staat zu sorgen,
und andererseits zusammen mit der Nationalversammlung im
Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken. Im Konfliktfall, also bei
Uneinigkeit zwischen Nationalversammlung und Senat, hat – nach
einigen Vermittlungsversuchen, Hin- und Retourkutschen -
grundsätzlich die Erstgenannte das letzte Wort, und der Senat
geht notfalls leer aus. Mit einer Ausnahme, und zwar bei
verfassungsändernden Gesetzen. Übrigens, als Nebeneffekt der
Wahl von diesem Sonntag ist eine durch die sozialdemokratische
Regierung vorgeblich geplante Verfassungsänderung nun wohl
definitiv beerdigt, nämlich die (2012 durch François Hollande
versprochene) Einführung des kommunalen Wahlrechts für
Ausländer/innen.
Die Umsetzung dieser Reform, welche vor Hollande
bereits durch seinen „sozialistischen“ Amtsvorgänger François
Mitterrand 1981 in Aussicht gestellt worden war, würde eine
Verfassungsänderung benötigen. Dafür ist eine Mehrheit in beiden
Häusern des Parlaments, sowie insgesamt eine
Drei-Fünftel-Mehrheit unter den Mitgliedern beider Kammern
erforderlich. An der 60-Prozent-Marke klemmte es bislang
bereits, denn es fehlten der sozialdemokratischen Regierung
dafür an rund dreißig
Parlamentarier/inne/n, von insgesamt knapp 1.000 in beiden
Kammern. Diese fehlenden Stimmen hätte sie sich in der
politischen „Mitte“ zu besorgen versucht, wo bürgerliche
Abgeordnete (insbesondere jene der „Zentristen“) sitzen, deren
Ansichten zu vielen gesellschaftspolitischen Fragen gemäßigter
ausfallen als jene der stärksten Oppositionspartei UMP. François
Hollande hatte eine solche Reform bzw. den Versuch dazu vor
einigen Monaten für 2016, das letzte Jahr seiner Amtszeit, auf
den Kalender gesetzt. Daraus wird nun nichts: Seit diesem
Sonntag weist der Senat wieder eine konservative Mehrheit auf,
die davon definitiv nichts wissen will. Der Bürgerblock unter
Dominanz der UMP hat nun wieder 15 Sitze Vorsprung vor der
vormaligen „linken“ Mehrheit.
In Wirklichkeit
hat es allerdings überhaupt nur einmal in der Geschichte der
1958 gegründeten Fünften Republik eine „linke“ Senatsmehrheit
gegeben, und zwar seit der Wahl vom 25. September 2011. Bis
dahin hatten die Zusammensetzung des Senats und die Einteilung
der Wahlkreise, die vor allem ländlichen Zonen ein strukturelles
Übergewicht bei der Senatorenwahl verleiht, für eine
strukturelle konservative Mehrheit gesorgt. Das Bröckeln des in
der Krise befindlichen „politischen Modells Nicolas Sarkozy“, am
Ende der Amtszeit des rechten Präsidenten 2011/12 – im
Augenblick versucht Sarkozy nun intensiv sein Comeback,
besonders seit seinem TV-Auftritt am 22. September 14 – hatte
damals für eine Erosion der konservativen Mehrheit geführt.
Erstmals konnten die „Links“parteien mit oder ohne
Anführungsstriche im Senat den Ton angeben. Allerdings
funktionierte dies nur ein knappes Jahr lang. Denn nach der Wahl
François Hollandes zum Präsidenten, im Frühsommer 2012, zerfiel
das Stimmbündnis aus Sozialdemokraten und „Linksfront“ (ungefähr
vergleichbar mit der Partei DIE LINKE in Deutschland, eine
Allianz aus französischer KP und Linkssozialist/inn/en); es
hatte nur in der Opposition funktioniert. Angesichts der
Gesetzesvorlagen, die von der Regierung unter Hollande kamen,
stimmte die „Linksfront“ nun oftmals mit der bürgerlichen
Opposition gegen die Texte, allerdings in aller Regel aus
diametral entgegengesetzten Motiven. Die Sozialdemokratie war
damit im „Oberhaus“ nicht länger durchsetzungsfähig. Dass die
Mehrheitsverhältnisse im Senat bei der Wahl im September 2014
erneut umkippen würden, war im Übrigen vorauszusehen. Denn die
Kommunalwahlen im März dieses Jahres hatten dafür gesorgt, dass
die Sozialdemokratie zahllose Rathäuser und Mehrheiten in
Kommunalparlamenten verlor. Dies änderte wiederum die
Zusammensetzung des Wahlkörpers für die Senatswahl. Aus all
diesen Gründen wurde also allgemein damit gerechnet, dass das
Schwergewicht im Senat erneut zugunsten der politischen Rechten
kippen würde. Damit sind allerdings auch die Pläne für eine
Einführung des „Ausländerwahlrechts“ nunmehr definitiv tot und
begraben. Denn selbst wenn er es ernsthaft betreiben wollte,
wird François Hollande nicht im Traum daran denken können,
nunmehr eine mehrheitliche Unterstützung im Senat dafür zu
finden.
Der FN: über seine eigenen Kräfte
hinaus erstarkt
Überraschend,
jedenfalls relativ überraschend, ist hingegen das örtlich starke
Abschneiden des Front National. Es war von vielen
Beobachter/inne/n durchaus damit gerechnet worden, dass die
rechtsextreme Partei vor allem in den Verwaltungsbezirken von
Marseille (Bouches-du-Rhône), Avignon (Vaucluse) und Toulon
(Var) Zuspruch unter den Wahlmännern und –frauen erhalten und
eventuell Vertreter in den Senat entsenden könnte. Die
Anziehungskraft des FN auf Wahlleute, die nicht selbst der
Partei angehören, fiel jedoch höher aus, als vielfach erwartet
worden war.
Hätte der FN nur auf seine eigenen Wahlleute
bauen müssen, dann wäre es dennoch eng geworden für seine
Wahlchancen. Denn zwar werden die Senatoren nach dem
Verhältniswahlrecht bestimmt. Doch steht jedem Bezirk nur eine
begrenzte Anzahl von Sitzen zur Verfügung, dem Département Var
beispielsweise vier und dem Département Bouches-du-Rhône
insgesamt acht. Dies bedeutet, dass etwa im Bezirk Var einen
Sitz nur erhält, wer mindestens ein Viertel der Wahlleute auf
seine Seite ziehen kann – oder jedenfalls mindestens ein
Fünftel, denn eine Reihe von Stimmen fallen im Verfahren „unter
den Tisch“. Einen solchen Anteil zu erreichen, ist jedoch für
den Front National eher schwierig. Zwar verfügt er über einige
Kommunalparlamentarier (im Département Var regiert er drei
Rathäuser: Le Luc, Cogolin und Fréjus), doch nicht genügend, um
auf die erforderliche Anzahl von mehreren hundert Wahlleuten zu
kommen. In Kommunen, welche die Partei nicht regiert, kommt sie
in der Regel nur auf wenige Kommunalparlamentarier. Denn bei den
Rathauswahlen streicht jene Liste, die in Führungsposition
kommt, allein die Hälfte der Sitze ein, bevor der Rest auf alle
Listen (einschließlich
jener der Wahlgewinner/innen) verteilt wird. Und wer im ersten
Wahlgang unter zehn Prozent der Stimmen erhält, geht vollkommen
leer aus, falls es zu einer Stichwahl kommt. Im Übrigen stellte
der FN zu den Kommunalwahlen im März 2014 nicht überall, nicht
in allen Kommunen eigene Listen auf.
In konkreten
Zahlen: Es existieren in Frankreich insgesamt rund 187.000
Wahlleute, die einer Wahlpflicht unterliegen und bei
Stimmenthaltung eine Geldstrafe zahlen müssen. Unter ihnen
stimmten aber am vergangenen Sonntag „nur“ 87.534 ab, denn der
Senat wird jeweils nur (alle drei Jahre) teilerneuert: Es wird
je ein Drittel oder die Hälfte der Senatoren für ein Mandat von
neunjähriger Dauer gewählt. Dieses Mal standen 179 von insgesamt
348 Senatssitzen zur Neuwahl zur Verfügung. Allerdings fielen
einige der solcherart erneuerten Mandate in Bezirke, in denen
der FN überdurchschnittlich stark verankert ist, vor allem die
drei genannten Départements in Südostfrankreich.
Das Département
Var weist insgesamt ungefähr 1.800 Wahlleute auf. Unter ihnen
gehören 215 dem FN an. Doch am Sonntag erhielt dessen 26jähriger
Kandidat David Rachline, Bürgermeister in Fréjus an der Côte
d’Azur, 401 Stimmen. Und im Département Bouches-du-Rhône
(Marseille und Umland) gehören 210 Wahlleute dem FN an. Sein
Kandidat, der 44jährige Stéphane Ravier, strich jedoch insgesamt
431 Stimmen ein.
Die übrigen Voten kommen wohl überwiegend von
konservativen und rechtsbürgerlichen, sei es parteilosen oder
parteigebundenen, Kommunalverordneten. Ihre Stimmen konnten die
Rechtsextremen u.a. mit einer Agitation für „Lokalinteressen“
respektive den Appel an Lokalegoismen anlocken. Ravier führte
beispielsweise eine Kampagne gegen die Zusammenlegung von
Marseille und Aix-en-Provence zu einer gemeinsamen
kommunalpolitischen Konstruktion, der „Metropole Marseille/Aix“.
- Auch in Bezirken, die nicht zu den traditionellen Hochburgen
der extremen Rechten zählen wie Var, konnten FN-Bewerber
zahlreiche Stimmen von Wahlleuten außerhalb
der eigenen Reihen auf sich ziehen. Im Département Ain (bei
Lyon) verfügte die Partei über 3 Wahlleute, erzielte jedoch 68
Stimmen. Im Bezirk Aisne in der Picardie waren es 37 Wahlleute
des Front National und 167 Stimmen.
Nachdem der Front National bislang bereits
die jüngste Abgeordnete in der französischen Nationalversammlung
in seinen Reihen zählte, die 24jährige Jurastudentin Marion
Maréchal-Le Pen – die Enkelin von Jean-Marie Le Pen -, weist er
nun auch den mit Abstand jüngsten Senator auf, in Gestalt von
David Rachline. Traditionell gilt der Senat als Domäne
mittelalter bis älterer Männer, und als eine Art Rentenanstalt
für abgehalfterte und/oder in die Jahre gekommene
Berufspolitiker. David Rachline kündigte am Sonntag Abend an,
die Rolle seiner Partei werde darin bestehen, frischen Wind in
die Moder ausströmende Institution des „Oberhauses“
zu bringen, „indem wir die kontroverse Debatte
ermöglichen“, etwa „zu wirtschaftspolitischen
Themen“.
Auch wenn er im
Augenblick rechnerisch nur 0,57 der Senatsmitglieder stellt –
zwei Senatoren von 348 -, könnte er doch periodisch einige
Aufmerksamkeit dort erregen.
Editorische Hinweise
Wir erhielten
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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