75 Jahre Zweiter Weltkrieg 
DAS ENDE
Freiheitsaktion Bayern
Die Aufstände in Bayern gegen das NS-Regime und ihre Niederschlagung im April 1945

10-2014

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Vorbemerkung: In der Maiausgabe von 2005 berichteten wir in der Rubrik  "Ein anderer Blick auf den 8. Mai" über den Aufstand in München am 28.4.1945. Die diesjährige Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg haben wir zum Anlass genommen, uns noch einmal mit dem Münchner Aufstand zu befassen, und sind dabei auf weitere Aufstandversuche z. B. in Penzberg, Altötting usw. gestoßen, die durch den Münchner ausgelöst wurden. Die Behauptung in dem Artikel vom 2002: "Der Putsch wurde schon seit Hitlers Machtübernahme vorbereitet" ist allerdings nicht zutreffend, wie unsere jetzigen Recherchen ergaben. /khs

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München

Am frühen Morgen des 28. April 1945 verbreitete der Rundfunk über die Sender Erding und Freimann folgende Durchsage:

,Achtung, Achtung! Sie hören den Sender der Freiheitsaktion Bayern! Sie hören unsere Sendungen auch auf dem Wellenbereich des Senders Laibach. Achtung, Achtung! Hier spricht die Freiheitsaktion Bayern. Das Stichwort „Fasanenjagd" ist durchgegeben. Arbeiter schützt Eure Betriebe gegen Sabotage durch die Nazis! Sichert Arbeit und Brot für die Zukunft ... Verwehrt den Funktionären den Zugang zu Euren Anlagen."

Die FAB hat heute Nacht die Regierungsgewalt erstritten ... Die FAB hat das Joch der Nazis in München abgeschüttelt."

Kernpunkte der Durchsage waren:

  • Aufruf zur Beseitigung des Nationalsozialismus
  • Festnahme der Parteifunktionäre (= „Goldfasanen")
  • Vollzogene Beendigung des Krieges und Machtübernahme durch FAB
  • der Reichsstatthalter Ritter von Epp führt die Kapitulationsverhandlungen
  • die Bürgermeister von vor 1933 sollen in die Rathäuser zurückkehren und die friedliche Übergabe ihrer Stadt einleiten
  • alle Verantwortlichen sollen letzten Zerstörungen und Plünderungen entgegenwirken
  • Programm der Grundrechte und Entmilitarisierung
Oberleutnant Dr. Rupprecht Gerngroß von einer Dolmetscherkompanie in München sprach diese Durchsage und richtete sich damit sowohl an die bayerische Zivilbevölkerung, an die in Bayern kämpfenden Militärs aber ebenso an die Alliierten. Daher wurde die Botschaft auch in Englisch durchgegeben.

Die Durchsage war Teil eines bewaffneten Aufstandes mit dem Ziel, die Verteidigung Münchens zu verhindern, das Kriegsende zu beschleunigen und den Alliierten ein „anderes" Deutschland zu signalisieren.

Der promovierte Jurist Gerngroß, der einen Teil seiner Studienzeit in England verbracht hatte, war 1942 nach einer Verwundung in Rußland Chef der Dolmetscherkompanie des Wehrkreises VII (Oberbayern) geworden. Damit war er unmittelbar dem Generalkommando unterstellt und konnte eine unabhängige Personalpolitik betreiben und darin Regimegegner versammeln.

Die Organisation der Aktionen sowie die Ausarbeitung eines politischen Programms lagen bei Sonderführer Dr. Ottheinrich Leiling.

Gerngroß hatte außer bei seiner Kompanie für den Aufstand Rückhalt bei Major Braun vom Panzerbataillon 17 in Freising und bei Teilen der Infanterieregimenter 19 und 61. Auch die Wehrmachtskommandantur und das Luftgaukommando sympathisierten mit den Plänen der FAB, da auch sie die Absichten von Gauleiter Paul Giesler zur Verteidigung Münchens zu hintertreiben suchten.

Bei diesem schmalen Aufgebot bestand eine Chance für das Gelingen des Aufstandes nur in zeitlicher Nähe zum Eintreffen der Alliierten. Dieser Moment war gekommen, als die VII. US-Armee die Donaulinie durchbrach. Die Alliierten wurden also am 24. April von dem Plan der FAB verständigt: Die Übergabe Freisings wurde angeboten, der Weg nach München geöffnet. Die Amerikaner stellten die Bombardierung Münchens ein. Zudem hatte nur ein Putsch, eine schlagartige Überrumpelung und Entmachtung der Zentren des NS-Apparates eine gewisse Aussicht auf Erfolg.

Am Abend des 26. April begannen die ersten operativen Vorbereitungen, am Abend des 27. Aprils begann die Aktion. Einsatzbefehle wurden gegeben, Truppen setzten sich in Bewegung. Gerngroß und Leiling fuhren nach Starnberg, wo sich im Schornerhof der Reichsstatthalter, Ritter von Epp, zusammen mit seinem Verbindungsoffizier zur Wehrmacht, Major Caracciola-Delbrück, aufhielt. Sie rechneten darauf, daß sie Epp dafür gewinnen könnten, unter dem Eindruck der Aktionen der FAB den anrückenden Amerikanern Kapitulationsverhandlungen anzubieten. Er war einerseits ein legitimer Vertreter des Regimes, insofern ein möglicher Verhandlungspartner; andererseits hatte er durchaus seinen Abstand zu den Nazis deutlich gemacht und sich ein gewisses Ansehen einer bayerisch verwurzelten Souveränität in der Bevölkerung erhalten. - Caracciola war eingeweiht und versuchte Epp für den Plan zu gewinnen. Doch dieser zögerte und wollte sich dem Druck nicht beugen. - Da die kostbare Zeit verstrich, verlegte man weitere Gespräche zu Major Braun nach Freising.

Dieser hatte bereits den Sender in Erding besetzt, der Betrieb lief dort weiter. Es folgte die Besetzung in Freimann. Von dort her sprach nun Gerngroß selber ab 3.40 Uhr seine Botschaft, ab 5.00 Uhr wurde Erding zugeschaltet.

Die Dolmetscherkompagnie hatte in München den Völkischen Beobachter und die Münchner Neueste Nachrichten besetzt und man erstellte Sonderausgaben. Auch war es gelungen, das Münchner Rathaus einzunehmen. Dort wehte die weiße Fahne und es war sogar gelungen, den verhassten SS-Führer Christian Weber gefangenzunehmen.

Damit aber erschöpfte sich schon die Haben-Bilanz des Aufstandes. Die Ausschaltung der NS-Führung mißlang völlig. Weder gelang es, den Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Giesler im Zentralministerium festzusetzen, noch traf man den Oberbefehlshaber Süd, General Westphal, in Pullach an, noch das stellvertretende Generalkommando in Kempfenhausen.

Auch der Druck auf den Reichsstatthalter von Epp durch die Berichte im Radio, dass er bereits sich der FAB angeschlossen habe, bewirkte nichts bei ihm. Im Gegenteil beendete die Durchsage sogar seine Unentschlossenheit als die Rede auf die zukünftige Entmilitarisierung der Gesellschaft kam. Er entschied sich endgültig dagegen, seine Rolle im Rahmen der FAB zu spielen. Man ging ohne Einigung auseinander.

Die versprengten Trupps der FAB sammelten sich gegen 8.00 Uhr beim Aumeister im Englischen Garten und man zog mit den Gefangenen in Richtung Erding ab. Von der kriegsmüden Zivilbevölkerung kam ihnen viel Sympathie entgegen.

Doch der Gegenschlag der verbliebenen NS-Führung ließ nicht lange auf sich warten. Hatte die Wehrmachtskommandantur bisher zwar Betriebsamkeit gegen die Aufständischen vorgespielt, dennoch keine Gegenaktionen gestartet, so änderte sich das Bild schlagartig als General Hübner zum Kampfkommandanten von München ernannt wurde. Diese Ernennung erfolgte durch General Kesselring, der-ausgerechnet - im letzten Prozeß gegen die Täter in Penzberg vom 28. April als Zeuge der Verteidigung aussagen durfte. - Hübner war zuvor Kommandeur des Standgerichts West gewesen, das er aber nach Zusammenbruch der Front am 20. aufgelöst hatte. Er setzte sich - wie so viele - nach Süden in Richtung Alpenfestung ab und kam am Morgen des 28. nach München, wo er seine neue Aufgabe fand.

Ab 10 Uhr war im Rundfunk über Freimann der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler wieder zu hören -ein Lebenszeichen. Um 10.45 Uhr wandte sich dann Giesler persönlich an die Bevölkerung und an das Militär, um seine ungebrochene Macht zu demonstrieren.

Nachdem am Morgen das Stichwort „Fasanenjagd" ausgegeben worden war, begann jetzt die Jagd auf die Aufständischen der FAB. Die SS besetzte die Sender in Freimann und Erding und nahm die Verfolgung auf. Gerngroß konnte sich absetzen, ihm gelang die Flucht auf eine Berghütte. Familienangehörige aber wurden gefangengenommen. Epp und Caracciola wurden zu Giesler und Hübner ins Zentralministerium gebracht, dorthin, wo auch Ohm und Vonwerden aus Penzberg hingefahren waren. Caracciola und der Münchner Stadtinspektor Hans Scharrer, der die Besetzung des Rathauses unterstützt hatte, wurden hingerichtet.

Es hat nicht lange gedauert, bis der Aufstand zerschlagen war. Doch die Rundfunkaufrufe zeigten in vielen Gemeinden eine beachtliche Wirkung und Resonanz. Zwar kam es zu keiner allgemeinen Erhebung. Doch gab es zahlreiche Fälle, in denen Regimegegner im Vertrauen auf die Richtigkeit der Durchsage oder in der Hoffnung, wenigstens eine geringe Chance nutzen zu können, zur Entmachtung der Parteifunktionäre schritten. Sie wollten unter Hintansetzung ihrer persönlichen Sicherheit die Kampfhandlungen abkürzen und die Vernichtung ihrer Heimat, ihrer Lebensgrundlagen abwenden. So in Penzberg, so aber auch in manch anderer Gemeinde.

Die Bilanz für München lautete, daß bis auf wenige Ausnahmen die Brücken nicht gesprengt wurden, was zu einem Versorgungsnotstand der Bevölkerung geführt hätte. Auch hörten mit dem 26. April die Bombardements auf. - Wie auch Penzberg, so wurde auch München am 30. April von den Amerikanern besetzt.

Auch die Wirkung auf die Alliierten darf nicht unterschätzt werden: Deren Wertschätzung des „anderen" Deutschland, das des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten war auch für ein neues Selbstbild Deutschlands nach dem Krieg von entscheidender Bedeutung.

Penzberg, Altötting, Mühldorf, Iffeldorf, Weilheim, Dachau

Mit wenigen Ausnahmen verliefen die durch die FAB ausgelösten Erhebungen blutig. Verwaltung, Partei, Wehrmacht oder SS waren selbst in diesem allerletzten Kriegs­und Auflösungsstadium noch ausreichend präsent um die Macht nach einem kurzen Zwischenspiel wieder zu übernehmen und Vergeltung zu üben. Dennoch gelang manchmal die Bewahrung lebenswichtiger Einrichtungen, wie in Penzberg die Rettung des Bergwerks.

In München wurden in Berg am Laim und in Grünwald Aktionen ausgelöst. Ebenfalls in Allach und Dachau. Einen durchwegs positiven Ausgang fanden lediglich die Erhebungen in Starnberg und Augsburg. Wie in Penzberg so fanden auch die Aufstände im benachbarten Iffeldorf, in Altötting, Gotting (Rosenheim), Burghausen und Landshut ein blutiges Ende.

Als am Morgen des 28. April 1945 der Reichssender München meldete, dass der Krieg für Bayern beendet sei, da die Regierungsgewalt durch die Beseitigung der Nazimachthaber auf die 'Freiheitsaktion Bayern' übergegangen ist, ging  der ehemaliger Bürgermeister von Penzberg Hans Rummer mit Franz Biersack und Sebastian Reithofer zum Bergwerk um zu verhindern, dass die Existenzgrundlage Penzbergs der Strategie der "Verbrannten Erde" zum Opfer fällt. Er konnte erreichen, dass die Grube mitsamt den eingefahrenen Bergmännern nicht gesprengt wurde.

Anschließend eilte er zu den Lagern der sowjetischen und französischen Kriegsgefangenen und teilte ihnen das Ende des Krieges mit.

Im Rathaus setzte er dann den Nazibürgermeister Vonwerden ab. Auf dessen Frage, mit welchem Recht er ihn absetze, antwortete Bürgermeister Rummer: "Mit welchem Recht wurde ich von euch Faschisten 1933 abgesetzt und mit meinen Kameraden ins KZ Dachau verschleppt?

Nach der Übernahme des Amtes begannen unter Rummers Vorsitz Beratungen. Es wurde festgelegt eine Truppe von vierzig Mann aufzustellen, die als 'Polizei aus dem Volk' den Schutz übernehmen sollte.

Während der Beratung erschien ein Nazioffizier und erkundigte sich nach den neuesten Geschehnissen in Penzberg. Rummer teilte ihm mit, daß die demokratischen Parteien von 1933, bestehend aus SPD, KPD und BVP , die Macht wieder Übernommen hätten. Der faschistische Offizier erstattete daraufhin seinem Kommandeur, Oberstleutnant Ohm, Bericht. Dieser befahl die sofortige Festnahme der an dieser Aktion Beteiligten, um den früheren Zustand wieder herzustellen.

Einige Zeit später rief Reithofer Bürgermeister Rummer an und teilte ihm mit, dass das Rathaus von Wachen umstellt sei, um niemanden mehr hinein- oder hinauszulassen. Kurz darauf wurden Hans Rummer und seine Kameraden Ludwig März, Rupert Höck, Johann Dreher und Paul Badlehner von Nazisoldaten verhaftet. Anschließend fuhr Ohm nach München und erhielt von Gauleiter Giesler die Vollmacht, nach eigenem Ermessen Todesurteile zu verhängen. Zur Unterstützung des "Werferregiments" versprach Giesler eine SS-Werwolfkompanie nach Penzberg zu schicken, die sich mit dem Kennwwort 'Hans' melden sollte.

Nach der Rückkehr Ohms aus München stellte er sofort ein Exekutionskommando zusammen und ordnete die Erschießung der verhafteten Demokraten an. Die Begründung lautete auf "Hoch- und Landesverrat und Zersetzung der Wehrkraft".

Gegen achtzehn Uhr wurden Hans Rummer und seine Kameraden in der Nähe des Sportplatzes an der Bichler Straße erschossen.

Bald darauf traf der Werwolfführer Zöberlein mit einer ca. hundert Mann starken Truppe in Penzberg ein. Er erkundigte sich, welche Leute sonst noch am Aufstand beteiligt gewesen wären oder als "unzuverlässig" bekannt seien. Die mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Zila, Selbertinger, Weißenbach, Rebhahn und Kopp nannten die Namen ihnen bekannter Antifaschisten. Daraufhin bestimmten Vonwerden, Bauernfeind, Zöberlein und Rebhahn wahllos wer gehenkt werden soll. In der Zwischenzeit verteilten die auf der Straße verbliebenen Werwolfmörder Zettel mit folgendem Text:

"Warnung an alle Verräter und Liebesdiener des Feinde!

Der Oberbayerische Werwolf warnt vorsorglich alle diejenigen, die dem Feinde Vorschub leisten wollen oder Deutsche und deren Angehörige bedrohen oder schikanieren, die Adolf Hitler die Treue hielten. Wir warnen! Verräter und Verbrecher am Volke büßen mit dem Leben und ihrer ganzen Sippe. Dorfgemeinschaften die sich versündigen am Leben der Unseren oder die weiße Fahne zeigen, werden ein vernichtendes Haberfeldtreiben erleben, früher oder später. Unsere Rache ist tödlich!

Der Werwolf"

Unter Führung der Penzberger Peter, Marksteiner, Drexel und Gilcher wurden die auf der schwarzen Liste Aufgeführten aus ihren Häusern geholt und wurden im Stadtzentrum aufgehängt. Jeder der Erhängten, unter ihnen zwei Frauen, trug ein von den Mördern angefertigtes Schild mit der Aufschrift "Werwolf Oberbayern"

Als der Werwolfhaufen am nächsten Morgen die Stadt verließ, bot sich den Penzbergern ein grausiges Bild. Sechzehn Menschen hatten für ihr aufrechtes, mutiges Eintreten gegen faschistischen Zerstörungswahn ihr Leben lassen müssen.

Wie in Penzberg so gab es auch in Altötting während des dritten Reiches eine verbreitete Distanz zur Herrschaft der Nationalsozialisten; hier allerdings durch die katholische Prägung des Wallfahrtsortes. Bei den Wahlen 1933 erreichte die NSDAP ein ähnlich spärliches Ergebnis wie in Penzberg: Hier waren es 17.9%, die klerikale Bayerische Volkspartei hingegen erhielt 64,7%.

In Altötting war es der Landrat Dr. Josef Kehrer, der bereits am 27. mit Gerngroß telefoniert hatte und auf die Aktion der FAB vorbereitet war. Er wußte, dass ihm -anders als Gerngroß in München - in Altötting kein einziger Soldat beispringen würde, im Gegenteil ausdrücklich verteidigungswillige SS im Ort lag. Kehrer hatte sich mit einigen Vertrauten am 27. über die Möglichkeiten der Stadt beraten, der vom Kreisleiter Schwägerl von Mühldorf in einem Flugblatt angekündigten fanatischen Verteidigung zu entgehen.

Am Morgen nach dem Aufruf der FAB ergriff Kehrer die Initiative, setzte alles auf eine Karte - denn eine andere Wahl, eine nächste Gelegenheit würde er ohnehin nicht haben - und Hess eine Reihe bekannter Nationalsozialisten festnehmen. Der Bürgermeister, der zu Haus bereits im Radio das Stichwort „Fasanenjagd" gehört hatte, erschoss sich, um der drohenden Verhaftung zu entgehen.

Der Ortspolizist verständigte den Stadtkommandanten, Oberstleutnant Hans Hecht, der sich als nicht zuständig erklärte. Auch ihm war die Sinnlosigkeit einer weiteren Verteidigung klar, er wollte die Lazarettstadt Altötting schonen.

Von den Vorfällen hörte der sich im Lazarett Neu-Ötting in Behandlung befindliche Oberstleutnant Karl Kehne. Er entschloß sich, ohne irgendeine Befugnis hierzu zu haben, in Altötting nach dem rechten zu sehen. Mit zwei weiteren Offizieren drang er ins Dienstzimmer des Landrates ein. Dieser schoss auf sich selbst als er sein Scheitern eingestehen musste und verstarb am übernächsten Tag. - Danach begab sich Kehne zum dem Landratsamt gegenüberliegenden Arrestraum und setzte die gefangenen Nationalsozialisten frei. Diese erstellten nach ihren Beobachtungen eine Liste auf, die an der Aktion Beteiligte benannte.

Auch der Kreisleiter Schwägerl in Mühldorf erfuhr von dem Aufstand und schickte ein Hilfeersuchen an ein SS-Kommando, das um die Mittagszeit in Altötting eintraf. Auch hier gab es Verhaftungen, sogar ersatzweise von Familienangehörigen, wenn die Gesuchten nicht angetroffen wurden. Vier an der morgendlichen Aktion Beteiligte wurden im Hof des Landratsamtes erschossen, die in Sippenhaft ersatzweise verhafteten Angehörigen wurden auf die Intervention eines Polizisten hin knapp verschont. Erschossen wurde auch ein 70 Jahre alter Priester, der Administrator der Hl Kapelle, der lediglich sich im Landratsamt hatte erkundigen wollen, dennoch als Beteiligter denunziert wurde.

Zwei der Polizisten wurden nun von dem SS-Trupp mitgenommen und entgingen ebenfalls nur knapp ihrer Ermordung. Erst am 12. Mai kehrten sie nach Hause zurück. Weder sie selbst noch ihre Angehörigen hatten damit noch gerechnet.

Die Übergabe von Altötting an die Amerikaner verlief äußerst prekär. Zunächst gelang es am 1. Mai einem Pionieroffizier, die Brücke über den Inn trotz eines Sabotageaktes der Vorbereitungen hierzu zu sprengen. Die Amerikaner am jenseitigen Ufer verlangten zum Zeichen dafür, dass die Bevölkerung und die Führung eine friedliche Übergabe auch tatsächlich wollten, in der Nacht die Beleuchtung der Stadt. Das wurde daraufhin auf Befehl des Kampfkommandanten unmöglich gemacht, der das städtische Umspannwerk sprengen und damit die Stromversorgung unterbrechen ließ. Ein protestierender Arbeiter wurde erschossen.

Daraufhin ließ ein Kaufmann Kerzen verteilen - viele standen mit den brennenden Kerzen am Ufer und hofften auf das Verständnis der Amerikaner. Eine Delegation der Stadtführung mit dem Bürgermeister ließ sich in einem Kahn zu den Amerikanern übersetzen. Doch die Unterredung führte nur zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen dem Amerikanischen Kommandanten und einem Stadtrat, der die friedliche Einigung nicht näher brachte.

Inzwischen erschienen am Innufer nochmals Wehrmachtangehörige mit einem Kampfauftrag. Ein verwundeter Leutnant, der die Verhandlungen verfolgte, konnte sie vom Eingreifen abhalten. Nachts um 3 Uhr kam sogar noch einmal SS, die einen Terrorversuch gegen die Zivilbevölkerung versuchte, um die Kerzenbeleuchtung zu löschen.

Erst am Nachmittag des 2. Mai wagten sich einzelne amerikanische Trupps auf die Stadtseite. Die Bevölkerung lief auf sie zu und zeigte den Soldaten Möglichkeiten, sich bei einem noch immer möglich scheinenden Feuergefecht zu schützen.

Der zweite Bürgermeister der Stadt, der nach dem Selbstmord des ersten am 28. die Leitung übernommen hatte und bis dato selber Nazi war, erfaßte die neue Situation und führte die Verhandlungen mit den Amerikanern. Er wurde daraufhin in der Nacht zum 2. Mai von Wehrmachtangehörigen verhaftet und verschleppt. Von dem inzwischen selbst geflüchteten Kampfkommandanten der Stadt wurde der Bürgermeister in der folgenden Nacht vor ein Gericht gestellt und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein Gefängnis gab es nicht mehr, also mußte er schwer bewacht mit auf die Flucht dieser Truppe. Am 7. Mai gelang ihm aus Tirol die Flucht, am 11. Mai war er wieder zurück in Altötting.

Auch in Penzbergs Nachbargemeinde Iffeldorf kam es zu einem Versuch der Entmachtung der nationalsozialistischen Führung. Seit Januar 1945 lebte der ehemalige Hauptmann Erwin Steiger mit seiner Frau in Iffeldorf, da sie in München ausgebombt waren. Der beinamputierte Steiger galt als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, hatte eventuell sogar Verbindungen zu Widerstandskreisen in München.

Als er am Morgen des 28. April die Radiodurchsagen der FAB hörte, beteiligte er sich an spontanen Entwaffnungsaktionen. Zusammen mit dem Gastwirt Karl Fischer bemächtige er sich der im Staltacher Hof gelagerten Waffen des Volkssturms und brachte sie zum Bürgermeisteramt. Mit weiteren Helfern wurden mehrere bekannte Nationalsozialisten zu Hause oder auf der Straße entwaffnet. In keinem Fall gab es hiergegen Widerstand. Auch bei der Entwaffnung von Josef Brüderle, der in der Nähe des Staltacher Bahnhofs wohnte, erhob sich kein Widerstand. Ihm wurde aufgetragen das Haus nicht zu verlassen.

Danach gingen die Beteiligten erst einmal zum Mittagessen, wie üblich in das Gasthaus des Karl Fischer. Am Nachmittag wollte man mit der Entwaffnungsaktion fortfahren.

Schon vorher hatte Brüderle in Bad Tölz stationierte SS auf die Vorgänge in Penzberg telefonisch aufmerksam gemacht. Jetzt rief er in Penzberg bei seinem Vorgesetzten im motorisierten Volkssturm, dem NSKK-Sturmführer, an und bat um Entsendung eines Offiziers, um auch in Iffeldorf wieder „Ordnung" zu schaffen.

Als der von Hauptmann Bentrott entsandte Leutnant Schönberg in Iffeldorf bei der Gemeinde eintraf, berichtete ihm dort Oberst Willi Günther, daß er Steiger bereits im Gasthaus festgenommen und der SS übergeben habe. Die aus Penzberg kommenden Offiziere hatten einen Zettel bei sich mit Namen von politisch „Verdächtigen". Die Iffeldorfer Bürger gaben zwar die Adressen heraus, bezeichneten jedoch den Weg dorthin wissentlich falsch. Auch ein zufällig Hinzugekommener, dessen Namen auf der Liste stand, wurde nicht identifiziert. Vier SS-Offizieren kamen noch hinzu, doch ging man letztlich ohne weitere Aktionen auseinander.

Steiger wurde von den SS-Leuten im Auto zunächst zu einem Gutshof außerhalb gebracht, von dem man nach einer halben Stunde in Richtung Seeshaupt aufbrach. Am Nachmittag des 29. April Steiger wurde im Wald bei Seeshaupt tot aufgefunden. Nahe bei ihm lag die Leiche des Polen Kowalzik. Beide waren erschossen worden.

Eine andere Möglichkeit, mit der krisenhaften Situation zu Kriegsende umzugehen, zeigen die Vorgänge in Weilheim. Dort erschien am Vormittag ein Herr Schädl beim Bürgermeister Sprenger und erklärte diesen wegen der Radiomeldungen der FAB für abgesetzt. Sprenger wies dieses Ansinnen zurück, konnte jedoch den Haftbefehl des Landrats gegen Schädl durch Warnung und Verzögerung vereiteln. Ein herbeikommender SS- Führer, der die Herausgabe des Verhafteten verlangte, musste unverrichteter Dinge wieder gehen.

In der folgenden Nacht kam der Führer der Werwolftruppe Hans Zöberlein aus Penzberg nach Weilheim und erkundigte sich beim Kreisleiter Dennerl nach Aufständischen. Sprenger wurde in das Kreishaus zitiert, verweigerte Zöberlein aber die Zuarbeit. Der Kreisleiter Dennerl bemerkte zu einem Polizisten: „Hundert meiner Besten befinden sich im Kreishaus unter der Führung von Zöberlein. Wenn ich jetzt Namen nennen würde... ."

Der Dachauer Aufstand vom 28. April 1945

Am 28. April 1945 stürmten bewaffnete ArbeiterInnen und geflohene KZ  Häftlinge das Dachauer Rathaus und hielten es für mehrere Stunden besetzt. Das Ziel die Besetzung solange zu halten bis die US amerikanischen Truppen nach Dachau stoßen, schlug fehl. SS Hundertschaften aus der Kaserne am KZ schlugen den Aufstand blutig nieder. Einen Tag später, am Vormittag des 29. April, wurde Dachau von der US Armee befreit.

Die Geschichte des Dachauer Aufstands kann nicht erzählt werden ohne den Namen des Dachauer Arbeiters und Kommunisten Georg Scherer zu erwähnen. Scherer, Mitglied des Arbeiter Turn- & Sportvereins Dachau (ATSV), kam  1935 ins KZ Dachau, nachdem er an seinem Arbeitsplatz bei BMW antifaschistische Flugblätter verteilt hatte. Nach seiner Entlassung aus dem KZ 1941 hatte er bereits unter Mithilfe seines Kontaktmannes im  Lager, Walter Neff, ein System etabliert, dass Häftlingen zur Flucht  verhalf. Der letzte Ausbruch gelang am 25. April. Die 15 Ausgebrochenen, allesamt Kommunisten, die im spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus  kämpften, waren Beteiligte des Aufstands. Unter ihnen Erich Hubmann,  Toni Hackl, Fritz Dürr und Richard Tietze. Sie wurden von Dachauer Frauen in einer Scheune in Mitterndorf am Fuß des Giglbergs versteckt  und dort von diesen mit Lebensmitteln versorgt.

Die zweite Linie des Aufstands organisierte sich, ohne von den anderen zu wissen, zur selben Zeit um den ehemaligen Dachauer KZ Häftling und Sozialdemokraten Jakob Schmid und seinen Genossen Georg Andorfer vom Reichsbanner. Sie scharten eine vierzigköpfige Gruppe aus alten GenossInnen  des verbotenen Reichsbanner und den zerschlagenen Gewerkschaften um sich. Durch den Dachauer Kassier der Roten Hilfe, Matthias Höß, wurden einige Waffen besorgt. Man wartete auf die passende Gelegenheit.

Der Einmarsch der US Armee schien nur eine Frage der Zeit. Als  letztes Aufgebot zur Verteidigung der Nazi Herrschaft wurden im gesamten Reich Einheiten des Volkssturms zwangsrekrutiert. Als in den  Morgenstunden des 28. April ab 3.40 Uhr die "Freiheitsaktion Bayern" über Rundfunkstationen das Ende der Nazi Herrschaft verkündete, überschlugen sich in Dachau die Ereignisse.

Die untergetauchten Häftlinge, von Scherer unterrichtet -- "in München  ist Aufstand, wir müssen uns anschließen" -- , nahmen einigen jungen Infanteriesoldaten die Waffen ab und marschierten in KZ Kleidung mit  geschulterten Gewehren auf die Dachauer Altstadt zu.

Andorfer und Scherer nahmen um 6.30 Uhr Kontakt zum Kompaniechef des  Dachauer Volkssturms, Josef Lerchenberger, auf. Dieser war bereits durch einen Insider in das Vorhaben der Aufständischen eingeweiht, hatte auch versichert, dass der Volkssturm dem Vorhaben nicht im Wege stehen würde  und entband die Mitglieder des Volkssturms ihres Eides auf den "Führer", sammelte aber nicht deren Waffen ein. In der Turnhalle in der Brunngartenstraße wurden 130 bewaffnete Männer, hauptsächlich Arbeiter  und Kleinbauern aus dem Hinterland, den Aufständischen zugeteilt. Ob der Volkssturm nun Andorfer oder Scherer unterstellt wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Fest steht aber, dass die ehemaligen Häftlinge um  7 Uhr als erste das Rathaus betraten. Kurz darauf rückten der meuternde Volkssturm und die Sozialdemokraten um Andorfer von der Brunngartenstraße über den Karlsberg in die Altstadt und bezogen dort  Stellung.

Die örtliche Nazi-Elite um den Dachauer NSDAP Kreisleiter Hermann  Nafziger war durch die Rundfunksendungen der "Freiheitsaktion" in höchster Alarmbereitschaft. Sie konnten allerdings nicht wissen, dass  der Chef der Schutzpolizei Johann Engl ebenfalls eingeweiht war. Die  Polizei war auch im Rathaus stationiert. Sie ergab sich widerstandslos. Der Dachauer Bürgermeister und SS Mitglied Bäumler wurde von den  Aufständischen festgesetzt.  An diesem regnerischen Vormittag ging der Nazi und Angestellte im  Wirtschaftsamt der Stadt Dachau Heinrich Niederhoff auf das Rathaus zu, zog vor den Wachposten der Aufständischen eine Maschinenpistole und wurde von den Wachposten erschossen. Kurz darauf, gegen 9.30 Uhr, fielen die alarmierten SS-Einheiten in die Altstadt ein. Laut Scherers Schätzungen etwa 3 Kompanien mit Maschinengewehren und Gewehrgranaten. Sie kamen vom Karlsberg, der Augsburger Straße und der Freisinger Straße (heute Konrad Adenauer Straße). Kurzzeitig konnte die SS bis zur Amperbrücke zurückgeschlagen werden. Aber die SS war zahlenmäßig überlegen und besser bewaffnet, so dass um 11 Uhr der Aufstand niedergeschlagen war. Erich Hubmann wurde als erster im Feuergefecht erschossen. 4 Männer  wurden direkt vor dem Rathaus hingerichtet. Die Leichen mussten bis Sonnenuntergang dort liegen bleiben.  Etwa 40 Aufständische wurden im Amtsgefängnis (heute Amtsgericht) inhaftiert. Ihnen wurde, nach Rücksprache mit dem Landrat, ihre Erschießung angekündigt. Am späten Abend ließ man sie frei. Die US Armee  war schon bei Niederroth. Viele, die mit den Nazis paktiert hatten, flüchteten.

An die 100 Aufständische konnten in den Häusern von Dachauer BürgerInnen  Unterschlupf finden und sich der Verhaftung durch die SS entziehen.

Sechs Aufständische, sowie der Unbeteiligte Zimmerer Anton Decker, kamen ums  Leben:

Erich Hubmann / Bäcker aus Graz, geflohener Häftling des KZ Dachau
Toni Hackl / Fabrikarbeiter aus Graz, geflohener Häftling des KZ Dachau
Fritz Dürr / Maschinenschlosser aus Mannheim, geflohener Häftling des KZ Dachau
Hans Pflügler / Former aus Dachau
Lorenz Scherer / Schreiner, Bauer aus Schwabhausen
Anton Hechtl / Bauer aus Schönberg

Editorische Hinweise

Der Text wurde aus folgenden Quellen zusammengestellt:

Die Ausstellung im Stadtmuseum Penzberg "Aufstand und Mordnacht", Karlstr. 61
82377 Penzberg,  kann bis zum Frühjahr 2016 nicht besucht werden, da das Museum wegen Umbau geschlossen ist.