Das von Marx entdeckte allgemeine Gesetz der periodischen Krisen

von Guenther Sandleben

10-2013

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Unsere Kritik der gängigen Interpretation der großen Krise als bloße Finanzmarktkrise rückte bereits den realen Reproduktionsprozess des Kapitals in den Vordergrund. Wir wollen jetzt das allgemeine Gesetz der Krise herausfinden, das dazu führt, dass ökonomische Krisen keineswegs historisch singuläre Ereignisse sind, sondern dass sie regelmäßig auftreten, also die Periodizität als wichtiges Merkmal besitzen. Die Erörterung des allgemeinen Grundmechanismus der Krise ist zugleich die allgemeine Erklärung auch der heutigen Krise.

Jede Krise weist natürlich auch historische Besonderheiten auf. Sie unterscheidet sich nach Dauer und Intensität, sie trifft mal stärker dann wieder weniger stark den Kredit- und Bankensektor, sie treibt mit unterschiedlicher Macht eine große Masse Lohnabhängiger in die Arbeitslosigkeit, sie lässt sie mal mehr, mal weniger stark verelenden, je nachdem, wie tief die Krise ist und wie stark der Widerstand gegen die Folgen der Krise ausfallt. Die Krise tobt sich auf unterschiedlichen Feldern aus, sie ist eingebunden in längerfristige Akkumulationstendenzen mit unterschiedlicher Ausprägung(62).

Aber die Krise besitzt auch eine allgemeine Bewegungsform und wird durch ökonomische Gesetze gesteuert, die Gültigkeit besitzen für die gesamte Epoche des entwickelten Kapitalismus. Nur so lässt sich erklären, warum die Krise seit dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts bis hin zur großen Krise 2007ff mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgetreten ist.

Die aktuelle, fast nur auf die Finanzmärkte ausgerichtete Literatur ist für die Analyse der allgemeinen Natur der Krise nicht nur deshalb ungeeignet, weil sie die wirkliche kapitalistische Akkumulation als mögliche Krisenursache unberücksichtigt lässt, sondern auch, weil sie die gegenwärtige große Krise als historisch einmaliges Ereignis, gewissermaßen als eine Art Verkehrsunfall beschönigt.

Die bürgerliche Konjunkturforschung ist entweder theorielos ausschließlich auf die Registrierung und Bewertung aktueller Konjunkturindikatoren ausgerichtet, ohne die verschiedenen Phänomene der Krise in einen inneren Zusammenhang zu bringen, oder sie interpretiert die Krise in ein exogenes Ereignis um, wobei sie unterstellt, dass die Märkte stets zum Gleichgewicht drängen, also prinzipiell stabil sein würden.

Sowohl ihr Empirismus als auch ihr Dogma von der prinzipiellen Stabilität der Märkte verhindern, das Phänomen der Krise in seiner Tiefe und Regelmäßigkeit zu begreifen. Die Mischung aus Oberflächlichkeit und Schönfärberei führte dazu, dass sich die Ökonomen bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage regelmäßig blamierten. Zu unserem eigenen Entsetzen konnten wir solchen Beiträgen keine tiefer liegenden Erkenntnisse entlocken.

Völlig anders verhält es sich mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Wie kein anderer hat Marx die Widersprüche und Gegensätze der kapitalistischen Ökonomie rücksichtslos aufgedeckt, so dass er die Krise in ihrer ganzen Tiefe als eine Zusammenfassung und Zuspitzung aller Widersprüche der kapitalistischen Warenproduktion analysieren konnte.

Wenn aber die Krise eine Zusammenfassung all der Widersprüche ist, dann kann es keine separate Krisentheorie geben. Vielmehr geht die Krise aus der Warenproduktion selbst hervor, ist somit nur die besonders kritische Verlaufsform der kapitalistischen Produktion.

Indem Marx den Kapitalismus in seiner Kernstruktur analysierte, sein allgemeines Bewegungsgesetz und die Gesetze seiner Akkumulation aufdeckte, fand er den Schlüssel, um das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Krisen zu enthüllen. Zudem studierte Marx die Krisen seiner Zeit, vor allem die Wirtschaftskrisen von 1847 und 1857, und entdeckte dort deren allgemeine Bewegungs- und Erscheinungsformen. Im dritten Band des Kapitals finden wir eine tiefschürfende Analyse über den Zusammenhang von Überproduktionskrise, Kredit- und Zinszyklus.

Folgen wir im Eiltempo Marx in die Tiefen der kapitalistischen Warenproduktion, um dem allgemeinen Gesetz der Krise auf die Spur zu kommen, wie es noch heute wirkt und wie es auch die gegenwärtige Krise hervorbrachte.

1) Möglichkeit der Krisen

Produktion (Verkäufer) und Zirkulation bzw. Markt (Käufer), sind zwei zusammengehörende Phasen des Reproduktionsprozesses, die als Zufuhr (Angebot) und Nachfrage die beiden Momente der Warenmetamorphose(63) darstellen. Denn die Ware wird nicht für den Eigenbedarf sondern für den Verkauf produziert. Sie muss also angeboten werden. Die Realisierung ihres Preises ist Bedingung, dass der Verkäufer selbst nachfragen kann, wie zuvor ein anderer Verkauf Bedingung war, dass der Verkäufer einen Käufer finden konnte. Beide Prozesse, Verkauf und nachfolgender Kauf als Bedingung eines anderen Verkaufs, gehören zusammen. Sie bilden, wie Marx sagt, „eine innere Einheit", die sich aber notwendig in einem „äußeren Gegensatz bewegt". Dies unterscheidet die Warenzirkulation, den Tausch einer Ware gegen Geld und von Geld gegen Ware vom unmittelbaren Produktenaustausch. „Geht die äußerliche Verselbständigung der innerlich Unselbständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine - Krise."(64)

2) Notwendigkeit der Krise

Aber die kapitalistische Warenproduktion schafft nicht nur die Möglichkeit der Krise, sie bringt periodisch solche Krisen mit Notwendigkeit hervor. Finanzmärkte haben damit erst einmal gar nichts zu tun. Abstrakt formuliert kommt es zur Krise, wenn die Bewegung des Kapitals die zusammengehörenden, sich ergänzenden Phasen des Prozesses von Produktion und Markt nicht nur verselbständigt, sondern sie in ihrer Verselbständigung soweit auseinander treibt, bis die Metamorphosen des Warenkapitals nicht mehr flüssig ineinander übergehen.

Jede Krise ist zunächst nichts anderes als eine Überproduktionskrise; der Markt ist zu eng für die Produktion, er ist überfüllt. „Hätte", wie Marx kritisch gegen die Gleichgewichtstheorie der Klassik richtete, „die Erweiterung des Markts Schritt gehalten mit der Erweiterung der Produktion, there would be no glut of markets, no overproduction."(65)

In den Krisen wird dann die innere Einheit durch Kapitalvemichrung hergestellt; sie sind, worauf Marx häufig hinwies, „immer nur momentane gewaltsame Lösungen der vorhandenen Widersprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht für den Augenblick wiederherstellen."(66)

3) Warum die Krisen periodisch auftreten

Die Periodizität der Krise kann nichts anderes sein als die Periodizität des Auseinandertretens der zwei ergänzenden Phasen, die sich gegeneinander mehr und mehr verselbständigen, bis sich ihre innere Einheit in der Krise Geltung verschaffen muss. Für diese Periodizität gibt es eine „materielle Grundlage", die Marx im „Zyklus von zusammenhängenden Umschlägen", verursacht durch eine durchschnittliche Lebenszeit des fixen Kapitals, gesehen hatte. Das fixe Kapital charakterisierte Marx als dasjenige industrielle Kapital, das für längere Zeit dem Produktionsprozess vorgeschossen wird und erst nach Ablauf mehrerer Jahre, sagen wir im Durchschnitt zehn Jahre,(67) erneuert werden muss. Während dieser Zeit wirkt es als Arbeitsmittel im Produktionsprozess fort, gibt einen Teil des Werts an die zu produzierenden Waren fort, während der jeweilige Rest im Arbeitsmittel verbleibt, bis nichts mehr übrig ist und ein neues Arbeitsmittel an die Stelle des alten tritt. Demgegenüber muss beständig neues Kapital in Arbeitslohn, Roh- und Hilfsstoffe, also in Formen zirkulierenden Kapitals vorgeschossen werden.(68)

Die Einführung der Maschinerie bildete historisch einen Ausgangspunkt für eine große Neuanlage fixen Kapitals. Das Kapital warf mehr Geld in die Zirkulation, als es ihr entzog; d. h., es fragte Maschinen und andere damit verbundene Arten des fixen Kapitals nach, ohne ein entsprechendes Angebot zu liefern. Angebot und Nachfrage fielen auseinander, wobei die Produktion zunächst hinter der stark expandierenden Nachfrage zurückblieb. Von den Barrieren des Marktes zeitweise befreit, war die Produktion, wie Marx in einer anderen wichtigen Passage zur Notwendigkeit der Krise anmerkte, „nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft".(69)

Die Produktion verselbständigte sich. Maß ihrer Expansion waren vorübergehend nur die verfügbaren Produktivkräfte, nicht die vorhandenen Schranken des Marktes oder die zahlungsfähigen Bedürfnisse. Der Nachfrageschub änderte das Verhältnis der Produktionszweige zueinander und ließ die Zweige besonders wuchern, in denen sich die überschüssige Nachfrage konzentrierte.

Diese Phase überschüssiger Nachfrage verlängerte sich durch die bald mehr, bald weniger langen Perioden, die man für die Produktion des fixen Kapitals benötigte. Während solcher Arbeitsperioden trat solange Geld in die Zirkulation, teils in Zahlung von angewandten Arbeitskräften, teils in den Ankauf der zu verbrauchenden Produktionsmittel, bis das fixe Kapital produziert war.

Nach Abschluss der Investitionsphase zeigte sich schnell, wie sehr die Produktion über die „Konsumtionskraft der Gesellschaft" hinausgewachsen war, und wie sehr sie in ihrem Heißhunger nach Extraprofit die „Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige" verletzte.(70) Die überschüssige Nachfrage musste in überschüssiges Angebot umschlagen, da die neu zur Produktion eingesetzten Maschinen in Höhe ihres Verschleißes einen Wertteil zum Warenangebot leisteten, ohne dass sie durch eigene Erneuerung eine Nachfrage auslösten.

Hier war ein systemischer Grund gegeben für das zeitliche Auseinanderfallen von Nachfrage und Angebot.

Die innere Einheit der sich gegeneinander verselbständigten und so zueinander in Widerspruch geratenen Momente der Warenmetamorphose machten sich in Form einer Krise gewaltsam geltend, die ihre Funktion darin hatte, die widerstreitenden Elemente ins Gleichgewicht zu rücken. Die ruckartige Expansion der Produktion war zur Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion geworden.

Dieser industrielle Zyklus, wie er mit der Herausbildung einer auf maschineller Produktion beruhenden kapitalistischen Produktionsweise entstand, reproduziert sich stets von Neuem, auf gleicher oder technisch veränderter Grundlage, wobei andere zyklische Prozesse hinzutreten, auf die wir hier nicht eingehen können. „Ganz wie Himmelskörper, einmal in eine bestimmte Bewegung geschleudert, dieselbe stets wiederholen, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist", schrieb Marx mit Blick auf den sich stets wiedererzeugenden Zyklus. „Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen, und die Wechselfälle des ganzen Prozesses, der seine eigenen Bedingungen stets reproduziert, nehmen die Form der Periodizität an."(71) Und die Krise selbst wiederum bildet, wie Marx im zweiten Band des Kapitals schrieb, „den Ausgangspunkt einer großen Neuanlage. Also auch - die ganze Gesellschaft betrachtet - mehr oder minder eine neue materielle Grundlage für den nächsten Umschlagszyklus. "(72)

4) Krisenzyklus, Kredit- und Zinszyklus

Hier ist nur der Kernprozess eines Krisenzyklus dargestellt, wie er bis heute mit Notwendigkeit aus der kapitalistischen Warenproduktion und Warenzirkulation hervorgeht. Vom Kreditsystem war bislang keine Rede. Aber Marx wusste sehr genau, „dass die reale Krisis nur aus der realen Bewegung der kapitalistischen Produktion, Konkurrenz und Kredit, dargestellt werden (kann)".(73) Vor allem im dritten Band des Kapitals wies er nach, dass der Krisenzyklus eine entsprechende Bewegung beim Handelskredit („kommerzieller Kredit") hervorruft, und er zeigte, wie die Bewegung des Handelskredits mit der Expansion des Bankkredits zusammenhängt und wie schließlich durch Expansion und Kontraktion des Kreditsystems der Zinszyklus bestimmt wird.(74)

Es reicht nicht der Platz, um näher auf diesen sehr wichtigen Zusammenhang einzugehen. Eine grobe Skizze soll genügen, um zu zeigen, wie sehr die Bewegung des Kredits von der zyklischen Bewegung der Warenproduktion bestimmt wird und keineswegs deren Ursache bildet.

Während der aufwärtsgerichteten Konjunkturphasen existiert wegen der sich allmählich beschleunigenden Akkumulation (die Stagnation geht über in die Phase konjunktureller Belebung) größerer Kreditbedarf, der aber meist reibungslos gedeckt werden kann, da wieder größeres Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Geschäftsleute untereinander besteht. Der Kredit expandiert, sowohl der Kredit, den sich Käufer und Verkäufer von Waren untereinander geben („kommerzieller Kredit") als auch der Kredit, den sich die Geschäftsleute bei den Banken oder auf dem Kapitalmarkt holen. Zugleich wächst der Kreditbedarf von Privatkunden, die gerade während dieser Zeit von Banken mit Kreditangeboten bombardiert werden. Dies gilt sowohl für Konsumentenkredite als auch für Immobilienkredite. Der Zins ist anfangs noch niedrig, steigt aber im Zuge beschleunigter Akkumulation und erreicht in der Phase der Prosperität eine mittlere Höhe.

Die Produktion entkoppelte sich von den Schranken des Marktes. Sie führt vorübergehend ein Eigenleben. Es wird gemessen an den kaufkräftigen Bedürfnissen zuviel produziert. Es beginnt die Phase der Überproduktion.

Gegen Ende des Aufschwungs lässt die Dynamik der Nachfrage nach Waren (Ersatz/Erweiterung des fixen Kapitals sind weitgehend abgeschlossen) bei stark steigendem Angebot (neue Produktionsanlagen sind betriebsbereit) nach. Der Warenabsatz stockt, die Realisierung des Tauschwerts in Geld verzögert sich oder erweist sich gar als unmöglich. Damit verbunden ist erstens, dass die Verkäufer infolge des fehlenden Zahlungseingangs eine Zwischenfinanzierung benötigen. Kurzfristige Bankkredite sind gefragt.

Zweitens wächst das Misstrauen der Geschäftsleute untereinander. Es sinkt die Bereitschaft, Waren auf Kredit zu verkaufen. In unserer Analyse der vierten Phase der großen Krise war dies bereits ein wichtiger Punkt. Er wiederholt sich in jeder Krise, mal mehr, mal weniger dramatisch.

Bare Zahlung wird verlangt. Das Geld dient noch als wirkliches Tauschmittel, aber nur eingeschränkt als Zahlungsmittel, denn es kann wegen des allgemeinen Misstrauens der Geschäftsleute untereinander nicht mehr den Handelskredit vermitteln. Deshalb sinkt der kommerzielle Kredit (siehe Grafik 7). Auch dies löst Nachfrage nach Geld aus.

Liefe der Absatz normal, brauchte der Käufer häufig kein Geld vorstrecken, um die Ware zu kaufen, sondern er gäbe ein Zahlungsversprechen und löste dieses ein, sobald er durch den Verkauf der eigenen Ware über das nötige Geld verfügen würde. Aber selbst dann müsste das Geld nur körperlich anwesend sein, soweit sich die wechselseitigen Forderungen einer Zahlungskette nicht saldierten, also wirkliche Zahlung erforderlich wäre.

Nun kommt als eine notwendige Konsequenz der Absatzkrise noch ein dritter Punkt ins Spiel. Stockende Absätze mit fallenden Verkaufspreisen führen dazu, dass der Verkäufer seine eigenen Warenschulden nicht mehr begleichen kann. Solche Zahlungsschwierigkeiten treffen nicht nur ihn. Die gesamte Kette von Zahlungen zerreißt, die als Folge der Verkettung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner entstanden war. Nun ist auf jeder Stufe bare Zahlung erforderlich, während sonst, bei glattem Verlauf, nur die Schuldenbilanz zu saldieren gewesen wäre.(75) Das Kreditsystem schlägt plötzlich um in das Monetar-system.(76) Nun tritt, wie Marx bemerkt, „Zahlungsunfähigkeit nicht nur in einem, sondern vielen Punkten ein, daher Krise".(77) Wir haben es hier mit einer „Geldkrise" zu tun, die wie Marx an anderer Stelle bemerkte, als „besondere Phase jeder allgemeinen Produktions- und Handelskrise" auftritt.(78)

Die Zinsen vor allem für kurzfristige Kredite schießen wegen des spranghaft gestiegenen Bedarfs nach Zirkulations- und Zahlungsmitteln in die Höhe. Kredite platzen, Banken, die sie vergaben, werden erschüttert.

Soweit in Kurzform das von Marx enthüllte Gesetz und die allgemeine Bewegungsfbrm des Krisenzyklus'. Es ist dieser Grundmechanismus, der nun auch in der gegenwärtigen großen Krise gewirkt hat.

Anmerkungen

62) Das Marxsche Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate spielt dabei eine bedeutende Rolle. Wir können an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen, weil es uns hier um das allgemeine Gesetz zyklischer Krisen geht und nicht darum, ob die Krise durch einen Trend allgemein sinkender Profitraten intensiviert bzw. zeitlich verlängert wird. In welcher Weise ein längerfristiger Akkumulationstrend auf den Krisenzyklus einwirkt, wird die Leserin im nächsten Kapitel erfahren.

63) Marx symbolisiert die Gesamtmetamorphose einer Ware als W-G-W. Das erste W steht für eine Ware, die keinen Gebrauchswert für ihren Produzenten (Verkäufer) hat, G steht für das Geld, worin der Verkäufer den Wert der Ware für sich realisiert, W steht für die Ware des Bedarfs. Diese Form ist keineswegs nur eine Form der einfachen Warenproduktion sondern zugleich der kapitalistischen Warenproduktion. Sie kennzeichnet den Kreislauf des Warenkapitals, der Einheit seiner Zirkulations- und Produktionsphase ist. (Näheres dazu vergleiche Marx, Kapital II, MEW 24, S. 91 ff)

64) Marx, Kapital I, MEW 23, S. 127f; näher ausgeführt als Kritik an Ricardos Akkumulationstheorie in MEW 26.2., S. 500ff. / Diese Möglichkeit der Krise ist bereits in der Ware enthalten, in dem Widerspruch von Gebrauchswert und Wert. Die Ware muss ge-teuscht werden. Im Austauschprozess stellt sich der immanente Gegensatz von Gebrauchswert und Wert als ein äußerer Gegensatz von Ware und Geld dar. Hierdurch ist die Möglichkeit der Krise gegeben. Das bis heute gültige Dogma vom allgemeinen Marktgleichgewicht (Saysches Theorem) leugnet diese Möglichkeit. Keiner braucht unmittelbar zu kaufen, nur weil er selbst verkauft hat. Die zusammengehörenden Momente von Verkauf und Kauf, also auch von Zufuhr und Nachfrage, können zeitlich und örtlich auseinanderfallen.

65) „... gäbe es keine Übersättigung der Märkte, keine Überproduktion." Marx, Theorien über den Mehrwert [I, MEW 26.2., S. 525)

66)  Marx, Kapital III, MEW 25, S. 259; ähnlich MEW 26.2., S. 500, 512f, 535 /  Die Nachfrage kann für gewisse Zeit schneller expandieren als die Produktion, um dann von der Produktion eingeholt und überholt zu werden. Der Augenblick, wo der Markt zu eng wird für die Produktion, ist die Krise, worin dann die innere Einheit beider gewaltsam hergestellt wird. Deshalb kann die Krise nur wirklich bereinigt werden durch eine massenhafte Entwertung des Kapitals, also hauptsächlich durch Vernichtung von Produktion, die über die Grenzen des Marktes hinausgeschossen war.

67) Marx wies auf die empirischen Gegebenheiten hin, dass der Reproduktionstermin Rir verschiedene Bestandteile des fixen Kapitals verschieden ist. Zum Teil sei aber die Abnutzung des fixen Kapitals so, dass es „eine gewisse durchschnittliche Lebenszeit besitzt; für diese wird es ganz vorgeschossen; nach Ablauf derselben muss es ganz ersetzt werden." (MEW 24, S. 171) Das ökonomische Ende der Lebenszeit werde nicht nur durch den „physischen", sondern auch durch den „moralischen Verschleiß" bestimmt. Für die „entscheidenden Zweige der großen Industrie" nahm Marx für die damalige Zeit eine 10jährige Durchschnittslebenszeit an.

68) Marx analysiert diese Formunterschiede des produktiven Kapitals ausführlich im 8. Kapitel des zweiten Bandes des Kapitals (MEW 24, S. 158ff).

69) Marx, Kapital III, MEW 25, S. 254

70) Hier beziehen wir uns auf die von Marx (MEW 25, S. 254) hervorgehobenen Schranken für die Realisation. Es fehlt der Platz, diese Schranken im Einzelnen zu bestimmen.

71) Marx, Kapital I, MEW 23, S. 662

72) Marx, Kapital II, MEW 24, S. 186

73) MEW 26.2., S. 513, ähnlich S. 534: „Es gibt noch eine Masse Momente, Bedingungen, Möglichkeiten der Krise, die erst bei der Betrachtung der konkretem Verhältnisse, namentlich der Konkurrenz der Kapitalien und des Kredits betrachtet werden können."

74) MEW25, S. 413ff

75) Dieser Umschlag geht aus dem Widerspruch hervor, den das Zahlungsmittel einschließt: „Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerts, absolute Ware." (Marx, Kapital I, MEW 23, S. 152)

76) „Dies plötzliche Umschlagen des Kreditsystems in das Mo-netarsystem fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen panic, und die Zirkulationsagenten schauern vor dem undurchdringlichen Geheimnis ihrer eigenen Verhältnisse." (MEW 13. S. 123)

77) Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.2., S. 514

78) MEW 23, S. 152

Editorische Hinweise

Wir entnahmen den Text aus:Gunether Sandleben, Finanzmarktkrise  - Mythos und Wirklichkeit, Band 1 der proletarischen Texte, Norderstedt 2011, S.74-86

Guenther Sandleben lebt als Publizist in Berlin. Neben zahlreichen Aufsätzen erschien von ihm 2003 im VSA-Verlag das Buch: „Nationalökonomie & Staat. Zur Kritik der Theorie des Finanzkapitals". Aus seiner mehr als 20jährigen Berufspraxis als Finanzmarktanalyst kennt er das Innenleben des sogenann-ten Finanzkapitals und hat sich intensiv mit den Interaktionen zwischen den Finanzmärkten und der „ganz realen Wirtschaft" auseinandergesetzt.

Nach dem wirtschaftswissenschaftlichen Studium in Dortmund und Berlin war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem fachlichen Schwerpunkt Geschichte der ökonomischen Theorie tätig. Während dieser Zeit setzte er sich insbesondere mit der klassischen politischen Ökonomie und ihrer Marxschen Kritik auseinander.

Eine Auswahl seiner Veröffentlichungen findet sich unter: http://www.guenther-sandleben.de .