Man glaubte das
Gros der NSA-Story bekannt, doch Anfang September dieses
Jahres ging die Geschichte um die Überwachungsmaßnahmen
der National Security Agency der USA in
eine neue Runde. In seiner Ausgabe vom 02. September 13
berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel
von Ausspähaktionen des US-Nachrichtendiensts gegen
französische Diplomaten auf dem Territorium der
Vereinigten Staaten sowie bei den Vereinten Nationen,
aber auch gegen Büros des in Qatar ansässigen
Fernsehsenders Al-Jazeera in den USA. Die
Ereignisse gehen auf das Jahr 2010 zurück, und es
handelte sich um die Korrespondentenbüros des arabischen
Senders in Nordamerika für die
Auslandsberichterstattung: Al-Jazeera
strahlt seit Ende August d.J. nun auch Programme in den
USA aus, aber damals war dies noch nicht der Fall.
Dass Frankreich eines der beliebten Zielländer für
Ausforschungen durch die NSA war, ist seit Beginn der
Enthüllungen im Zusammenhang mit der Snowden-Affäre
bekannt. Ende Juni 13 berichtete die britische
Tageszeitung The Guardian etwa, in der
Europäischen Union habe die NSA sich stark für
Frankreich, Italien sowie Griechenland interessiert,
„um eventuelle Divergenzen zwischen den EU-Ländern“
aufzuspüren.
Dennoch fielen
die Reaktionen zwischen Ärmelkanal und Pyrenäen dazu
relativ verhalten aus, verglichen mit dem übrigen
Europa. Jedenfalls von Seiten der politischen Klasse.
Staatspräsident François Hollande forderte natürlich,
Anfang Juli 13, pflichtgemäß
„rückhaltlose Aufklärung“ seitens der
US-Amerikaner. Aus unterschiedlichen politischen Motiven
und mit unterschiedlicher Begründung wurde von
verschiedenen Seiten gefordert, Edward Snowden
politisches Asyl in Frankreich zu gewähren – mal eher
aus bürgerrechtlichen, mal eher aus nationalistischen,
gegen die USA gerichteten Motiven heraus. Snowden hatte
einen Asylantrag an 21 Staaten gerichtet, darunter
Frankreich. Das Innenministerium erklärte in der ersten
Juliwoche 2013, es abzulehnen, weil „die USA ein
Partnerland und ein demokratischer Staat“ seien und
angeblich „über eine funktionierende unabhängige Justiz“
verfügen. Dagegen forderten das Bündnis aus Grünen und
Linksliberalen Europe Ecologie-Les Verts (EE-LV), der
Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon – das französische
Pendant zu Oskar Lafontaine -, aber auch die
Rechtsextreme Marine Le Pen die französischen Behörden
zur Asylgewährung an Snowden auf.
Am 04. Juli 13 konstatierte die
Pariser Abendzeitung Le Monde, wenn
ansonsten die politischen Reaktionen auf den NSA-Skandal
relativ schwach ausfielen, „dann aus zwei
hervorragenden Gründen: In Paris war man bereits auf dem
Laufenden. Und man tut dasselbe“, was auch die
NSU tut und was ihr vorgeworfen wird.
In derselben
Ausgabe präzisiert die liberale Zeitung näher, wie der
französische Auslandsgeheimdienst, die „Allgemeine
Direktion für Äußere
Sicherheit“ DGSE, die Überwachung von
Telefonverbindungen und Internet in Frankreich
praktiziert. Die Zeitung spricht, unter Anlehnung an die
Überwachungsprogramme der NSE, von einem „Prism à
la française“. Demnach werden alle
Informationsflüsse zwischen dem französischen
Staatsgebiet und dem Ausland gespeichert, aber auch
ansonsten „die von Computern und Mobiltelefonen in
Frankreich ausgesandten elektromagnetischen Signale“
– also das, was bei der NSA als „signal
intelligence“ oder „signit“
bezeichnet wird. Kommunikationen in sozialen Netzwerken,
bei Facebook und Twitter werden ebenfalls „über
Jahre hinaus gespeichert“. Und dies in einem
Rahmen, der theoretisch illegal ist – ein
Behördensprecher bezeichnet ihn gegenüber der Zeitung
höflich als „a-legal“, was nichts anderes
bedeutet als „ohne gesetzliche Grundlage“.
All diese Daten laufen über einen
Supercomputer, der drei Stockwerke in der Zentrale der
DGSE am Boulevard Mortier im Osten des Pariser
Stadtgebiets einnimmt. Der Riesenrechner entwickelt bei
seiner Tätigkeit eine derartige Wärmeabstrahlung, dass
die DGSE allein mit ihr ihre Gebäude im Winter beheizt.
Allerdings zählt die DGSE offiziell 4.500 Mitarbeiter,
das nordamerikanische NSA hingegen rund 800.000.
Abgespeichert wird deswegen nicht alles. Der
„techinische Direktor“ der DSGE, Bernard Barbier,
spricht gegenüber Le Monde von vier
Milliarden Kommunikationsdaten, die bis dahin im ersten
Halbjahr 2013 abgespeichert worden seien.
Von Interesse
sind dabei nicht primär die Inhalte der Kommunikation,
die zunächst einmal nicht registriert oder untersucht
werden, sondern die Verbindungsdaten an sich: Wer
spricht mit wem, wie oft und wie lange? Bei
Verdachtschöpfung werden dann andere, klassische
Überwachungsmaßnahmen
vom Telefonabhören bis zum Beschatten eingeleitet.
Was jedoch
verdächtig ist, entscheidet nicht die DGSE alleine, die
im Prinzip ausschließlich
für Spionageabwehr sowie Untersuchungen zum Thema
Wirtschaftsspionage zuständig ist. Zugang zu ihrem
Datenpool wird nämlich auch sechs anderen
Nachrichtendiensten gewährt: dem Inlandsgeheimdienst
DCRI, den Zollbehörden und Tracfin – einer gegen
Geldwäsche kämpfenden Einrichtung -, der kleinen
internen Nachrichtendienst der Pariser Polizeidirektion
sowie zwei Militärgeheimdiensten: DRM und DPSD. Alles
geschieht ohne gesetzliche Basis.
Theoretisch darf Fernemeldeverkehr in
Frankreich nur auf spezielle Anordnung des
Premierministers hin überwacht werden, und die Kontrolle
muss von einer speziellen Kommission unter dem Namen
CNCIS genehmigt werden. Und die Datenschutzkommission
CNIL, die den Aufgaben der Datenschutzbeauftragten in
Deutschland vergleichbare Kompetenzen hat, muss darüber
eingeweiht werden. Als Reaktion auf die Enthüllungen
über das „Prism à la française“ behauptete
die von einem konservativen Politiker geleitete CNIL,
die gesetzlichen Auflagen dazu würden eingehalten – um
im selben Atemzug einzuräumen, keinen Zugang zu den
Akten oder Datenbeständen der DSGE zu haben.
Von den
Kapazitäten her steht das französische Arsenal demnach
weltweit auf dem fünften Platz, hinter denen der USA,
Großbritanniens,
Israels und Chinas. Aber das abgeschöpfte Datenpotenziel
wird auch mit „befreundeten“ Diensten geteilt, wie dies
unter den „Sicherheits“apparaten auch sonst üblich ist.
Die französischen Dienste haben etwa einen erheblichen
Informations- und Wissensvorsprung über Vorgänge in
Ländern des französischsprachigen Afrika, an denen auch
US-Amerikaner und Briten heiß
interessiert sind.
Ein aktuelles Beispiel für das
Interesse der Verwendung solcher Verbindungsdaten
liefert die „Squarcini-Affäre“. Der frühere DCRI-Chef
unter Präsident Nicolas Sarkozy, Bernard Squarcini –
gegen ihn wurde seit Juni 2013 nun ein Strafverfahren
eingeleitet -, hatte sich im Hochsommer 2010 außergesetzlich
die Verbindungsdaten für das Mobiltelefon eines Le
Monde-Journalisten besorgt. Dadurch kam er dem
Ministerialbeamten David Sénat auf die Schliche, der die
Zeitung kurz zuvor aus dem Justizministerium über
illegale Ermittlungsmethoden unterrichtet hatten, die
zur Vertuschung eines Korruptionsskandals an der
Staatsspitze eingesetzt worden war. Sénat wurde umgehend
nach Französisch-Guyana strafversetzt. Squarcini erhielt
die Kommunikationsdaten für das Handy in dem Falle mutmaßlich
durch direkte Nachfrage beim Anbieter, der unter Druck
gesetzt wurde. Aber in anderen Fällen können die Dienste
sich direkt im Datenpool der DGSE bedienen.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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