Nach ihrem guten Abschneiden bei der Bundestagswahl wird
die Alternative für Deutschland (AfD) versuchen, sich
dauerhaft als Partei rechts der Union zu etablieren.
Zuvor stehen aber noch diverse programmatische Klärungen
an – vor allem ein Richtungsstreit zwischen einem
rückwärtsgewandten Konservatismus und einem
Islamhass-Flügel.
Programmatisch ist viel zu tun, denn zu etlichen
wesentlichen Themen hat die Partei bislang keine oder
nur oberflächliche Aussagen getroffen. Wie steht sie zu
Gewerkschaften, zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik?
Hier gibt der „Hamburger Appell“, den Bernd Lucke
mitinitiiert hatte, hinweise: Wenn die Wirtschaft
kriselt, wird bei Löhnen und Sozialleistungen der
Rotstift angesetzt. Mindestlöhne lehnt die Partei ab,
was die AnhängerInnen erst via Wahl-O-Mat erfuhren (0).
Auch zur Außenpolitik gibt es nur dürre Worte. Die Liste
ließe sich noch fortführen. Entscheidend wird sein, ob
die Partei sich auf gemeinsame Positionen wird einigen
können, oder ob es bereits hier zu Abspaltungen kommt.
Für Außenstehende ist die Gemengelage schwer
durchschaubar, es hat aber den Anschein, dass es eine
Anzahl Mitglieder gibt, die eine marktradikale
Wirtschaftspolitik ablehnen.
Die
wichtigste Auseinandersetzung aber wird darum gehen, ob
sich die AfD offen rassistisch positionieren wird. Aus
rechtsextremen Kreisen gibt es Hinweise darauf, dass
jetzt, nach der Wahl, dieser Streit ausgefochten werden
soll. Die der „Identitären Bewegung“ nahe stehende
„Blaue Narzisse“ nimmt in „der äußerst bürgerlichen AfD
durchaus patriotische Anklänge wahr“. Parteimitglieder
hätten „berichtet, daß in den derzeitigen
Führungspositionen auf Landesebene und bei den sich
bewerbenden Mandataren eher die liberaleren Kreise
dominierten, an der Basis aber gesunde ´konservative und
rechte Meinungen´ vertreten würden“. Und weiter: „Ich
erfahre von Insidern, daß es gerade in Hessen einen
starken internen Richtungsstreit gäbe, der aus
zahlreichen ´rechtskonservativen Köpfen in Reihen der
AfD` resultiere.“ (1)
Auf
einer „Pro Deutschland“ nahe stehenden Webseite schreibt
ein User, der die Verhältnisse in der AfD offenbar gut
kennt: „Die islamkritischen Kräfte in der AfD, die es
allerorts gibt, werden sich spätestens nach dem 22.09.
Gehör verschaffen. Dessen bin ich mir sicher, ebenso wie
es Konsens in den LV Hessen u.a. und auch im
Bundesvorstand ist, dass der schleichenden Islamisierung
langsam Einhalt geboten werden muss.” (2)
Die Äußerungen der letzten
Wochen des Wahlkampfs lassen ebenfalls nichts Gutes
erahnen. Zunächst wollte sich das Führungspersonal nicht
so recht darauf einlassen, dem Wahlvolk mit
Simpel-Parolen nach dem Mund zu reden und alles zu
versprechen, was gern gehört wird. Je näher aber der
Wahlsonntag rückte, desto mehr wich die Parteileitung
von dieser Linie ab und ging dazu über, gern vernommene
Klischees und Ressentiments zu verbreiten.
„Im Bundestag sitzen
Jasager und Abnicker und vor allem Diätenkassierer, aber
keine Opposition und keine Abgeordneten, die das Volk
vertreten“, so Lucke (3). Mit derselben Intention hat
die AfD im Gefolge einer Attacke auf Lucke bei einer
Wahlkampfveranstaltung in Bremen (er wurde von der Bühne
geschubst) eine härtere Gangart gegen Kriminelle
gefordert (4). Den „harten Hund“ bei der
Kriminalitätsbekämpfung zu mimen, kommt immer gut an.
Außenpolitik mit Pickelhaube
Erst im September erschien
ein von Alexander Gauland verfasstes Thesenpapier zur
Außenpolitik der AfD. Aus der Weltpolitik solle sich die
EU ´raushalten, es sei denn, „deutsche() oder
europäische() Interessen“ wären bedroht; die aber solle
die EU „auch mit militärischen Mitteln in angrenzenden
Gebieten von vitalem Interesse, also zum Beispiel im
Mittelmeerraum, gemeinsam wahr()nehmen. Deutschland wird
bestimmt nicht am Hindukusch verteidigt, es kann aber
durchaus die Notwendigkeit bestehen, es vor Bengasi oder
Tunis zu verteidigen.“ (5)
Ganz in diesem Sinne war
die zwei Wochen vorher formulierte AfD-Ablehnung eines
Militärschlags gegen Syrien verfasst worden. Die
Erklärung über den Bürgerkrieg wurde kulturrassistisch
als „Kampf zwischen Schiiten, Aleviten und Sunniten“
interpretiert. (Nebenbei: es handelt sich nicht um
Aleviten, sondern um Alawiten.) „`Dieser Bürgerkrieg ist
nicht die Knochen eines bayerischen, hessischen oder
sächsischen Soldaten wert`, um Bismarck zu zitieren.“
(6)
Gauland ist ein Militarist alter Schule. Vor einem Jahr
regte er an, dass das deutsche „gestörte() Verhältnis
zur militärischen Gewalt“ einer politischeren
Betrachtung weiche: „Das aber setzt voraus, dass die
Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte
akzeptieren lernen, die Bismarck … in die berühmten
Worte fasste: ´Nicht durch Reden und
Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit
entschieden … sondern durch Eisen und Blut.´“ (7)
Selektive Schulpolitik
Lucke behauptet die
„Pisastudien zeigen eindeutig, dass in Deutschland das
dreigliedrige Schulsystem mit Hauptschule, Realschule
und Gymnasium die besten Ergebnisse hervorbringt.“ (8)
Nun haben die Pisa-Studien das glatte Gegenteil
bewiesen: Die besten Ergebnisse wurden von Staaten
erzielt, die auf ein sozial selektives Schulsystem
verzichtet haben.
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Kommentar
So erfreulich es ist, dass
die AfD knapp an der 5%-Hürde gescheitert ist und damit
keine Gelegenheit erhält, den Bundestag als Tribüne zu
nutzen und mittels einer finanziell und personell üppig
ausgestatteten Fraktion die Partei weiter aufzubauen, so
heißt das noch lange nicht, dass das Projekt, eine
Partei rechts von CDU/CSU zu etablieren, gescheitert
ist. Im Gegenteil.Auf Anhieb 4,7 % - das
wird zum Weitermachen motivieren. Die im Mai nächsten
Jahres anstehende Europawahl bietet große Chancen in
dreierlei Hinsicht: Es geht um das AfD-Schwerpunktthema;
bei diesen als unwichtig wahrgenommenen Wahlen sind mehr
Menschen als sonst zu Experimenten bereit und es gilt
lediglich eine 3 %-Hürde.
Noch ist aber nicht einmal
der Charakter dieser Partei klar. Die AfD könnte sich
programmatisch als rechtskonservative und marktradikale
Partei aufstellen, die um WählerInnen in erster Linie
mit harscher Kritik an EU und Euro wirbt und der die
Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik Wasser auf
die Mühlen spült. Sie könnte sich aber auch zu einer
rechtspopulistischen Partei mit rassistischen,
islamfeindlichen Parolen entwickeln. Ein Teil der Basis
fordert das. Dieser Parteiflügel war auf der AfD-Seite
bei Facebook dominant, bis er etwa zwei Wochen vor der
Wahl kalt gestellt wurde, wohl aus Sorge, zu
aggressiv-rassistische Ausfälle könnten das Wahlergebnis
verhageln.
Für die erste Variante
spricht die Verankerung wichtiger Führungspersonen im
bürgerlichen Milieu. Hier wird die Chance gesehen,
weitere Einbrüche in die CDU- und FDP-Wählerschaft zu
erzielen. Ein Zusammengehen mit dem euroskeptischen und
marktradikalen Flügel der FDP ist durchaus denkbar, da
die FDP künftig an Bindekraft verlieren wird. Der
Vorzeigepolitiker dieses FDP-Flügels, Frank Schäffler,
distanzierte sich bereits von Teilen seiner Partei, ihr
„Ruf nach mitfühlendem Liberalismus“ werde nicht
benötigt (FAZ, 24.9.13).
Für die zweite Variante
spricht, dass der rassistische Parteiflügel
wahrscheinlich deutlich größer ist, als man in den
Medien einzugestehen bereit ist. Er speist sich auch
nicht nur aus den 350 ehemaligen „Die
Freiheit“-Mitgliedern, die laut Partei-Gründer Rene
Stadtkewitz übergetreten sind, sondern v.a. aus
zahlreichen IslamophobikerInnen, die bislang keiner
Partei angehörten. Zudem würde es schwer fallen, der
populistischen Versuchung zu widerstehen, die in den
letzten Wochen vor der Wahl der Partei neue Stimmen
brachte.
Natürlich gibt es auch die
Möglichkeit eines Kompromisses zwischen diesen beiden
Optionen. Die AfD könnte versuchen, ein Sammelbecken für
alle Kräfte zwischen Union und offenem Faschismus zu
werden.
Obwohl noch vieles unklar
ist, hat die AfD eine große Chance sich zu festigen. Die
innerparteilichen Widersprüche lassen aber auch auf ein
Scheitern dieses Projektes hoffen.
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„Ich sehe mit großer
Sorge, dass in vielen Bundesländern die Hauptschule mit
der Realschule zusammengelegt wird zu einer Art
Oberschule. Wir haben auf der Hauptschule viele Probleme
mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen, aus
zerfallenden Familien, die für die Bildung ihrer Kinder
Defizite aufweisen, oder mit Kindern aus
Migrantenfamilien ohne starke Bildungstradition.“ (8)
Die Chancen gemeinsamen Schulunterrichts für alle, wie
„Pisa“ sie nahe legt, interessieren den
Elitenbefürworter nicht. Auch die Frage, was die AfD
denn vorschlägt, damit HauptschülerInnen eine solide
Schulausbildung bekommen, wird nicht beantwortet.
Dass Schulen auch die
Aufgabe haben könnten, Nachteile auszugleichen, die
SchülerInnen haben, deren Elternhaus sie nicht
wirkungsvoll unterstützen kann, steht für die AfD nicht
zur Debatte. Im Gegenteil, diese Unterschiede sollen
zementiert werden, denn, so die Bundessprecherin Frauke
Petry, „in erster Linie sind die Eltern für die Bildung
und Erziehung ihrer Kinder verantwortlich“. (9)
Ressentimentgeladene Migrationspolitik
Zunächst hatte die AfD
wert auf ihre bedingte Befürwortung von Einwanderung und
Asylrecht gelegt, um damit Vorwürfen der
Rechtslastigkeit zu begegnen: „Deutschland braucht
qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung. …
Ernsthaft politisch Verfolgte müssen in Deutschland Asyl
finden können.“ (10) Damit schlossen sie sich der ganz
großen Koalition an, die Einwanderer daran misst, ob sie
nützlich sind oder Kosten verursachen.
Das hatte sich zuletzt
deutlich geändert. Ein andere Forderung aus dem
Wahlprogramm stand nun im Mittelpunkt der
Wahlkampfreden: „eine ungeordnete Zuwanderung in unsere
Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden“ (10).
Lucke begann diese Wende mit einem Lob auf den Rassisten
Thilo Sarrazin, dem „das große Verdienst (gebührt), mit
seinem Buch auf wichtige Missstände in Deutschland
hingewiesen zu haben: Unsere Bildungsmisere,
Integrationsprobleme von Zuwanderern, unser enormes
demographisches Problem“ (11).
Lucke hat in den letzten
Wochen häufiger das Thema MigrantInnen bemüht, weil er
merkte, dass er damit beim Publikum punktet. Immer
wieder tauchen jetzt Roma-Familien bei seinen Reden auf,
die, wenn sie schon nach Deutschland kämen, ihre
Sozialhilfe weiterhin vom rumänischen Staat beziehen
sollten (12). Und Frauke Petry behauptet, es gebe
„Viertel, in die sich die Polizei nicht traut…“ (13)
Die „Süddeutsche Zeitung“
berichtet von einem Wahlkampfauftritt: „Lucke erklärt,
dass es Menschen gebe, die ins Land kämen, ohne Deutsch
zu können, überhaupt ohne Bildung … Für sie bliebe nur
ein Leben in Hartz IV. ´Dann bilden sie eine Art
sozialen Bodensatz - einen Bodensatz, der lebenslang in
unseren Sozialsystemen verharrt.` Ein dauerhaftes Leben
in Hartz IV aber wäre nicht menschenwürdig … Er bekommt
jetzt heftig Applaus. Das ist jeden Abend so. Das Thema
Zuwanderung komme sehr, sehr gut an, hat Lucke vorher in
einem Gespräch berichtet.“ (14)
Die Sprache ist
menschenverachtend. Die Rede vom „sozialen Bodensatz“
ist ein deutlicher Hinweis, wie weit zu gehen Lucke
bereit ist, um politische Zustimmung zu gewinnen.
Ich
rede, was Du gerne hörst…
Weil das Projekt einer
rechtskonservativen Partei mit neoliberaler
Wirtschaftsauffassung gestützt allein auf eine
Anti-Euro-Politik an der 5%-Hürde zu scheitern drohte,
ist die Führung der AfD auf einen populistischeren Kurs
eingeschwenkt. Beim Thema
Migrationspolitik spielt die AfD mit dem Feuer. Begriffe
wie „Bodensatz“ werden von RassistInnen als Zustimmung
verstanden.
Das langsame Ansteigen der
AfD in den repräsentativen Umfragen von zwei bis drei
auf vier und das Wahlergebnis von 4,7 Prozent belegen,
dass ein rechtspopulistisches Auftreten Anklang findet.
Erbrachten Befragungen Monate vor der Wahl einen
Schwerpunkt bei älteren, westdeutschen Männern, so
ergeben erste Analysen der Wahl eine Hochburg bei
jüngeren, ostdeutschen Männern (15) – dieses
Wählerreservoir fühlte sich offenkundig von dem
lautstarken AfD-Wahlkampf der letzten Wochen
angesprochen.
War bisher die
Anti-Euro-Politik „der Angelhaken, den wir auswerfen“
(16),
so hat die Parteiführung inzwischen ihr Repertoire um
weitere Themen erweitert, mit denen Ressentiments
bedient werden. Und schon zappeln weitere WählerInnen am
Angelhaken.
Anmerkungen
(0) Bundeszentrale für
Politische Bildung: Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2013
(1) Blaue Narzisse,
17.9.13
(2) freiheitlich.me, Mitte
August 2013
(3) Bernd Lucke,
AfD-Facebook(FB)-Seite, 18.8.13
(4) u.a. Welt, 26.8.13
(5) Alexander Gauland,
AfD-FB-Seite, 11.9.13
(6) Alexander Gauland,
AfD-FB-Seite, 27.8.13
(7) Alexander Gauland,
Tagesspiegel, 23.7.12
(8) Bernd Lucke,
AfD-FB-Seite, 12.9.13
(9) Frauke Petry,
AfD-FB-Seite, 31.8.13
(10) Wahlprogramm der AfD
(11) Bernd Lucke,
AfD-FB-Seite, 5.9.13
(12) u.a. ARD
„Tagesschaum“, 5.9.13
(13) Zeit online, 13.9.13
(14) Süddeutsche Zeitung,
13.9.13
(15) FAZ, 24.9.13
(16) Martin Renner,
stellvertretender Vorstandssprecher der AfD in NRW, in
WDR „eins zu eins“, 13.5.13
Editorische Hinweise
Den Text
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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