Eine Kommentar aus dem "Marxforum"
Zur Profitrate und Heinrichs Widerlegung
von Kim B.

10-2012

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Die formal-logische Beweisführung zur Widerlegung des tendenziellen Falls der Profitrate von Heinrich oder auch Okishio (Okishio-Theorem) hat m.E. keine Aussagekraft, weil die zugrundeliegende Prämisse nicht haltbar ist. Beide stützen sich bei ihrer Analyse auf eine Aussage von Marx, dass die Kapitalisten nur dann neue Techniken einführen, wenn der Preis für die neue Technik geringer ausfällt als der Arbeitslohn der durch die Technik eingesparten Arbeiter ( s. MEW 23, S. 414) Diese Aussage ist jedoch nur unter bestimmten Bedingungen gültig.

Als Marx das Kapital schrieb, war die Dampfmaschine noch die wohl wichtigste Technik zur Erhöhung der Produktivkraft. Die industrielle Produktion selbst war zu dieser Zeit - heute in Billiglohnländern - sehr arbeits- bzw. lohnintensiv. Durch den Einsatz einer Dampfmaschine oder eines halbautomatischen Webstuhls war es noch möglich die Einsparung von Lohnarbeitern durch den Einsatz der neuen Technik unmittelbar zu berechnen. Unter diesen Bedingungen stellten sich Kapitalisten natürlich die Frage, ob eine Maschine die, wie bei Marx (ebd.), 3000 Pf Sterling kostet, mindestens dem Wert der Einsparung 150 Arbeitern entspricht. Eine Maschine also wurde im Anfangsstadium des Kapitalismus im allgemeinen nur eingesetzt, wenn durch die eingesparten Arbeiter der Profit pro Produkt und damit auch die Profitrate gesteigert werden konnte. Auf diese Zeit – oder auch die Billiglohnländer – angewandt trifft die Prämisse zu. Ganz anders kalkulieren Kapitalisten im entwickelten Kapitalismus.

Man braucht nicht Betriebswirtschaft studiert zu haben, um zu wissen, dass im entwickelten Kapitalismus kein Kostenrechner die Anschaffung neuer Maschinen allein von der Einsparung der Arbeiter abhängig macht. Andere wichtige Voraussetzungen für die Anschaffung sind die Einsparung von Energie und Rohstoffen, die Effektivität der Maschine hinsichtlich der Arbeitsproduktivität und des Outputs, die höhere Zuverlässigkeit, Einsparung von Overheadkosten usw. . Hauptziel der Entscheidung ist nicht, ob die Anschaffung einer neuen Maschine unter den Kosten der eingesparten Arbeiter liegt, sondern ob am Ende eine höhere Arbeitsproduktivität zu niedrigeren Preisen der Produkte führt, darüber der Umsatz gesteigert wird schließlich ein höherer Gewinn bzw. eine höhere gesamte Profitmasse herauskommt.

Heinrich und Okishio verengen ihren Blick indes auf eine von Marx getroffene Aussage, die zwar richtig aber nur unter bestimmten historischen Voraussetzungen gültig ist. Diese Aussage als allgemeingültige Prämisse nehmend kommen sie nach ein paar schematischen Rechenkünsten zum Schluss, dass sich die organische Zusammensetzung des Kapitals tendenziell verringern müsse, statt zuzunehmen, wie Marx schloss. Unter den realen Verhältnissen eines entwickelten Kapitalismus trifft ihre Schlussfolgerung, wegen ihrer unhaltbaren Prämisse, wie oben gezeigt, jedoch nicht zu. Ihr als allgemeingültig geführter Beweis ist demnach zu verwerfen.

Kurt hat mit seinem Rechenbeispiel ja schön gezeigt hat, wie lächerlich es ist, Erscheinungsformen der kapitalistischen Produktionsweise mit Rechenkünsten widerlegen oder beweisen zu wollen. Es kann nicht gelingen, denn der ökonomische Prozess ist viel zu kompliziert und die Einflussfaktoren zu vielfältig. Mathematische Erfassungen oder Abbildungen des ökonomischen Prozesses, auch wenn sie in manchen Fällen zur Illustration komplizierter ökonomischer Zusammenhänge hilfreich sind, .können immer nur eine schematische ceteris paribus Abbildung ohne exakten wissenschaftlichen Aussagewert sein.

Marx hat das Gesetz vom Tendenziellen Fall der Profitrate zu seiner Zeit nachgewiesen. Dabei ist dieses Gesetz nur auf die Existenz der kapitalistischen Produktionsweise, also einen begrenzten Zeitraum, anwendbar und nicht, wie zum Beispiel Heinrich meint, ein im Grunde auf die Unendlichkeit angelegtes Gesetz, weil ja der Kapitalismus auch ewig dauern könnte, und damit so allgemeingültig, dass dafür ein Beweis für seine Gültigkeit von denen zu erbringen wäre, die es für richtig halten.

Ein allgemeines Gesetz ist der tendenzielle Fall der Profitrate insofern, als erkannt ist, dass die Methoden zur Steigerung der Produktivität des Kapitals, also die allgemeine Erhöhung der Effektivität der Produktionsmittel, dieser gleichermaßen entgegenwirken. Ein strenger, formal-logischer Beweis im Sinne von als wahr angenommenen Axiomen, Prämissen und Sätzen auf die Wahrheit einer Behauptung zu schließen, wie es zum Beispiel mit den Sätzen der euklidischen Geometrie geführt werden kann, ist im Fall des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate schon deshalb nicht möglich, weil es außer den (falsch interpretierten) Vermutungen von Smith und Ricardo weder Axiome, Prämissen noch Sätze vorliegen. um diesen Beweis formal-logisch führen zu können.

Das Gesetz vom Fall der Profitrate ist nur als empirische Regelmäßig unmittelbar plausibel zu erklären. Marx wollte mit dem Gesetz ja auch nicht den exakten ökonomischen Verlauf beschreiben oder vorhersagen, sondern die prinzipielle Notwendigkeit aufzeigen, dass das kapitalistische Produzieren in Krisen endet (aber nicht unbedingt im automatischen Zusammenbruch).

Beim tendenziellen Fall der Profitrate geht es um mehrere in der Realität zu beobachtende dynamische Vorgänge. Einmal um die Veränderung der organischen Zusammensetzung des Gesamtkapitals, dann um die Zunahme des konstanten Kapital und ferner um die Zunahme der Gesamtmehrwertmasse bzw. Gesamtprofitmasse. Schließlich aber ist es der Prozess des moralischen Verschleißes des konstanten Kapitals als grundlegende Systematik, die in die Krise führt. Denn während der Einsatz der Arbeitskraft immer weniger wird, geht immer mehr Wert durch den Verschleiß des konstanten Kapitals auf die Waren über, und zwar solange bis, theoretisch betrachtet, die Rendite des Kapitals null wird.

Auch wenn die Profitraten in den kapitalintensiven Ländern noch nicht gegen Null tendieren, kann schon jetzt gesagt werden, dass sie heute in den Branchen, die schon vor hundert Jahren existierten, niedriger sind als damals. So liegen die sog. Ebitmargen (Erträge vor Zinsen und Steuern) der gesamten Autobranche als eine Branche mit dem höchsten Automatisierungsgrad heute nur noch bei etwa 5% weltweit (Fachzeitschrift Automobilproduktion, 28.07.2011) während die Durchschnittsgewinnmarge in den 60 er Jahren noch bei 13% lag (Labournet, Die Amerikanische Automobilindustrie und ihre Gewerkschaftsstruktur…).

Das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate ist weder ein allgemeingültiges Gesetz noch ein auf den Kapitalismus bezogenes Zusammenbruchsgesetz, es ist vor allem ein qualitatives Argument gegen den Kapitalismus, das das Gelingen von Ausbeutung beschreibt, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die durch die Ausbeutung selbst hervorgerufene Krise mündet. Es zeigt an, dass die Produktivkraft der lebendigen Arbeit dem Prinzip nach grenzenlos gesteigert wird, bis die Mittel dieser Steigerung das Verhältnis von Produktivkraftsteigerung und Mitteleinsatz ruinieren und es einen Punkt gibt, wo die Steigerung der Ausbeutungsrate keinen zusätzlichen Profit mehr generiert, die Investitionsrate abnimmt, die Akkumulation stockt. Dabei werden ausnahmslos die Lohnarbeiter geschädigt, denn die Ausbeutung ruiniert ihre Gesundheit, ihre physische wie psychische Integrität und sie führt ins objektive Elend, in Lohndrückerei, Arbeitslosigkeit und dauerhafte Prekarisierung (s. Ofenschlot, Egal., 25.08.2011).

Um Krisen zu vermeiden müssten die Kapitalisten – wie das mit dem sog. Fordismus eine Weile versucht wurde – wegen der fortschreitenden Technologisierung entweder die Warenpreise ständig reduzieren oder wegen der Verkleinerung des variablen Kapitals ständig die Löhne erhöhen bzw. beides zusammen wirken lassen. Doch dieser Prozess würde die Realisierung von Profiten ad absurdum führen, weil es der Tendenz nach keine unbezahlte Arbeit mehr gäbe, womit sich der Kapitalismus sozusagen von selbst abschaffen würde.

Wie der tendenzielle Falls der Profitrate in die Krise führt, lässt an der aktuellen schwelenden (europäischen) Finanzkrise, die in ihr finales Stadium eingetreten ist, schematisch veranschaulichen (den Zwischenschritt über die EZB-Verschuldung nicht berücksichtigend) : Weil das Kapital wegen der niedrigen Profitraten keine rentablen Anlagemöglichkeiten findet, also unter den Bedingungen der durchschnittlichen Profitrate nicht mehr fließend in der Sphäre der Produktion und des Handels zirkulieren kann, wechselt es zunächst in die selbstständigen Finanzmärkte., wo es in der Spekulation fiktive Anlagemöglichkeiten findet und zugleich Geld schöpft, dem kein Wert zugrunde liegt. Das geht eine Weile gut, bis irgendwann die Finanzkapitalisten nervös werden, es zum Platzen des aufgeblähten fiktiven Kapitals kommt, womit schließlich das ganze marktwirtschaftliche System an den Rand des Zusammenbruchs gebracht wird.

Editorische Hinweise

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