Pressemitteilung
vom 22.10.2012 Zwangsräumung in Kreuzberg wurde
verhindert. Gerichtsvollzieherin musste unverrichteter Dinge wieder
abziehen.
10-2012
trend
onlinezeitung
Heute morgen um kurz nach 9 wurde in der Lausitzer
Straße 8 in Berlin-Kreuzberg die Zwangsräumung einer
5-köpfigen Familie aktiv verhindert. Mehr als 150
NachbarInnen, FreundInnen der Familie und Miet-AktivistInnen
verwehren mit Sitzblockaden der Gerichtsvollzieherin den
Zutritt zur Wohnung. Diese kündigte an, dass es einen
neuen Termin geben werde.
Die Familie, seit
nunmehr 16 Jahren wohnhaft in dieser Wohnung, hatte sich
juristisch gegen die Zwangsräumung gewehrt. Sie ist fest
entschlossen zu bleiben und rechnet auch weiterhin mit
Unterstützung aus der Nachbarschaft. Familienvater Ali:
„Wir wollen ein Zeichen setzen, dass sich Betroffene von
Räumungen wehren, damit die Leute nicht mehr unbemerkt
aus ihren Wohnungen geschoben werden. Wir lassen das
nicht mehr mit uns machen!“
Die heutige
Verhinderung der Räumung ist ein Zeichen praktischer
Solidarität mit von Verdrängung bedrohten MieterInnen in
Berlin. Seit Jahren steigen in der Stadt die Mieten
immer rasanter. Die Wohnungsnot spielt Vermietern wie
Andre Franell in die Hände: Er lässt die BewohnerInnen
seiner Häuser räumen, weil er auf höhere Mieten bei Neuvermietung spekuliert. Franell gibt sich das Image
des sozialen Wohltäters und betreibt eine gemeinnützige
Stiftung, die zwangsumgesiedelten Menschen in Thailand
hilft. Als Immobilienbesitzer zeigt er seine andere
Seite und verlangt von seinen MieterInnen Mieterhöhungen
und droht mit Räumungsklagen.
Die drohende
Zwangsräumung steht in einer Reihe mit vielen ähnlichen
Fällen, die unbekannt bleiben. Inzwischen gibt es aber
auch organisierten Widerstand: Am Kottbusser Tor
protestieren seit Monaten MieterInnen gegen ihre
drohende Vertreibung an den Stadtrand. Am Maybachufer in
Neukölln wehrt sich die schwerbehinderte Mieterin Nuriye
Cengiz gegen ihre Entmietung und Zwangsräumung. Immer
mehr Menschen sind von Zwangsräumungen betroffen, auch
wenn sie sich an den legalen rechtlichen Weg halten, wie
die betroffene Familie.
Am Abend findet um 19 Uhr
eine Demonstration statt, um die verhinderte
Zwangsräumung zu feiern – Startpunkt der Demonstration
ist der Spreewaldplatz in Berlin-Kreuzberg.
Zum Hintergrund das Interview mit Interview mit Ali Gülbol vom 22.10.2012 (geführt von der Unterstützer_innengruppe gegen
Zwangsräumungen)
Familie Gülbol aus der
Lausitzer Straße 8 ist akut von Zwangsräumung
bedroht. Eine Gerichtsvollzieherin hat sich für 9:00
Uhr angekündigt. begleitet von einem Schlosser und
zwei Mitarbeiter_innen des Ordnungsamtes. Die
Familie soll gezwungen werden, die Wohnung zu
verlassen, um diese anschließend mit einem neuen
Schloss auszustatten. Die Gübols haben sich bisher
geweigert auszuziehen, sie wollen bleiben. Zu der
Räumung kam es bislang nicht. In kürzester Zeit
haben sich vor dem Haus viele Menschen eingefunden,
die die Zwangsräumung der Gülbols verhindern wollen,
darunter Freund_innen der Familie, Nachbar_innen und
Aktivist_innen.
Über die aktuelle Situation
haben wir mit Ali Gülbol gesprochen. Der 41jährige
Malermeister wohnt mit seiner Frau, die als
Kindererzieherhelferin arbeitet, sowie den
gemeinsamen Kindern seit 35 Jahren in der Lausitzer
Str. Seit dem 31.08.2012 liegt ein Räumungstitel für
die Wohnung der Familie vor – die Familie sitzt
seitdem auf gepackten Koffern und lebt mit der
ständigern Unsicherheit. Sie hat sich aber
entschieden, in ihrer Wohnung zu bleiben und sich
der Zwangsräumung entgegen zu stellen.
Unterstützer_innengruppe: Ali, warum sollt ihr
heute geräumt werden? Ali Gülbol: Uns wurde
von unserem Vermieter André Franell gekündigt, weil
wir die von ihm eingeklagten Mieterhöhungen nicht
innerhalb von zwei Monate gezahlt haben.
Wie kam es dazu? Ich wohne hier seit 1976/77.
Zuerst mit meinen Eltern. Als ich dann selber eine
Familie bekommen habe, sind wir 1999 in unsere
jetzige Wohnung gezogen. Die Wohnung sah ziemlich
schlimm aus. Ich habe viele Wände rausgerissen, die
ganze Wohnung modernisiert, die Elektrik komplett
neu gemacht. Da hab ich mir gedacht: Wenn ich hier
schon alles neu machen muss, dann möchte ich auch,
dass diese Wohnung mir gehört später. Ich hab mit
dem damaligen Vermieter Poppinger vereinbart, dass
er mir die Miete nicht erhöht, bis ich abgezahlt
habe. Dass die Wohnung an mich verkauft werden soll,
hat er auch in den Mietvertrag reingeschrieben. In
die Modernisierung hab ich dann eine Menge Arbeit
und Geld reingesteckt, sechs Monate hat die ganze
Familie daran gearbeitet. Tja, und dann wurde 2006
das ganze Haus zwangsversteigert, an Herrn Andre
Franell.
Was hat sich dadurch geändert? Er hat erstmal direkt an alle Mieter im Haus eine
Kündigung geschrieben, die Wohnungen sei besenrein
zu verlassen innerhalb von 14 Tagen.
...was rechtlich keinen Bestand hat... Ja,
aber er soll wohl gesagt haben, man muss es
versuchen.Und dann wollte er mir die Miete erhöhen,
womit ich nicht einverstanden war, denn ich hatte ja
die Vereinbarung mit Poppinger. Wir gingen also vor
das Amtsgericht, wo Poppinger auch bestätigt hat,
dass wir diese Vereinbarung hatten. Aber der
Amtsrichterin hat es nicht gereicht, sie meinte im
Urteil, er habe sich widersprochen. Im
Landgerichtsprozess später wurde Poppinger von
seinem Sohn für dement erklärt, damit er nicht mehr
ständig zu Gerichten gehen muss. Denn immer wenn
irgendwer im Haus einen Prozess hatte, musste
Poppinger zum Gerichtstermin – und da in unserem
Haus fast alle Mieter vor Gericht gegangen sind
gegen den neuen Eigentümer Franell, waren das viele
Termine. Das war mein Pech, Poppinger hätte meine
Geschichte vor dem Landgericht ja nochmal bestätigen
können und dann wärs vielleicht anders ausgegangen.
Was ist stattdessen passiert? 2010
sind wir verurteilt worden, die bis dahin
angehäuften rückständigen Mieterhöhungen zu
bezahlen. Das waren 3.500 Euro. Ich habe gedacht:
Ach scheiße, das Landgericht hat auch gegen mich
geurteilt, ok, dann zahl ich eben mehr Miete. Und im
Februar hatten wir einen schlimmen Todesfall in der
Familie, der uns allen bis jetzt noch nahe geht.
Dadurch hab ich das dann ein bisschen aus den Augen
verloren. Da hat Franell eine Frist geltend gemacht,
die ich vorher nicht kannte. Man hat nach einem
Urteil zwei Monate Schonfrist um zu bezahlen. Ich
dachte, ich krieg dann eine Mahnung oder irgendwas,
aber dann kam direkt die Kündigung, fristlos und
ordnungsgemäß. Denn seit 2006 gibt es wohl dieses
neue Gesetz, wonach es keiner Mahnung bedarf, wenn
man zwei Monatsmieten im Rückstand ist. Man kann
ordnungsgemäß gekündigt werden. Und dieses Gesetz
ist ein Skandal, weil es ganz schnell passieren
kann, dass man zwei Monatsmieten im Rückstand ist,
und dann kann der Vermieter einfach eine Familie auf
die Straße setzen. Und das ist ungerecht.
Wie ging es dann weiter? Ich habe gegen
diese Kündigung geklagt, das war vor dem Amtsgericht
aber nicht erfolgreich, und dann hat Franell einen
Räumungstitel gehabt und hat auch versucht, uns zu
räumen. Kurz vor Weihnachten, um den 15. Dezember
herum, kam die Räumungsankündigung. Wir konnten noch
erreichen, dass die Räumung verschoben wird bis zur
Klärung vor dem Landgericht. Die Richter am
Landgericht meinten aber, es tue ihnen leid, aber
der Bundesgerichtshof hätte sie schonmal wegen einer
solchen Entscheidung für die Mieterseite gerügt.
Netterweise haben sie uns eine Schonfrist bis nach
den Schulferien gegeben. Nach dem Landgerichtsurteil
sind wir noch zum Bundesgerichtshof gegangen. Doch
der hat die Entscheidung des Landgerichts nur
nochmal bestätigt.
Der letzte Termin, zu
dem ihr die Wohnung hättet verlassen müssen, das war
der 31.08.2012? Ja, da hätten wir den
Schlüssel übergeben müssen. Aber vom Vermieter keine
Spur. Er hat auch gar nicht den Schlüssel verlangt,
was mich auch gewundert hat. Seitdem warten wir auf
die Zwangsräumung durch die Gerichtsvollzieherin.
Und von mir aus will ich ihm den Schlüssel nicht
geben. Das ist meine Wohnung. Wir haben ja sogar bis
heute weiter Miete gezahlt. Ich fühl mich gerade wie
ein Vertriebener, als wenn du aus deiner Heimat
vertrieben wirst, aus deiner Wohnung, aus deinem
Lebensumfeld. Und jetzt müssen wir Zuflucht bei den
Eltern finden.
Was bedeutet die drohende
Räumung für deine Kinder? Für die Kinder war
es letztes Jahr ganz schlimm, weil die mitten in der
Prüfungsvorbereitung waren. Meine Tochter hat Abitur
gemacht und die beiden Jungs hatten MSA (Mittlerer
Schulabschluss, Anm. Unterstützer_innengruppe), das
war eine Belastung für die. Immer ist unklar: Müssen
wir jetzt raus, müssen wir nicht raus? Das ging seit
einem Jahr so, und das macht einen fertig, die ganze
Familie. Wir trösten uns immer damit, dass wir
sagen, weil jetzt unser Verwandter gestorben ist,
einen Toten kannst du nicht zurückholen, aber eine
Wohnung kannst du finden, es gibt schlimmeres. Aber
das ist auch Quatsch, weil letztendlich wirst du
wirklich vertrieben aus deinem Umfeld, aus deinem
Leben, es ist ein Eingriff in unser Leben.
Deine Eltern haben ja weiterhin ihre Wohnung oben
im Haus, wie ist das bei denen? Die hatten
auch ein Gerichtsurteil erst dieses Jahr, dass sie
drinbleiben dürfen, obwohl sie nur 10 % die Miete
gemindert haben wegen Mängeln in der Wohnung. Also
das war auch nicht sicher, ob wir hier bleiben
können. Da war die Frage, kommt hier auch die
Räumung? Und das geht auch immer noch weiter, das
ist noch nicht vorbei.
Was habt ihr neben
der ganzen rechtlichen Auseinandersetzung mit dem
Hausbesitzer noch gemacht, habt ihr den direkten
Kontakt zu ihm gesucht? Ich hab ihm im
Gericht gefragt, was das jetzt hier sein soll. Und
da hat er sich aufgeregt. Er hat sich aufgeregt!
Dass wir uns noch nicht verpisst haben... Eigentlich
hätte ich mich aufregen müssen, weil er mich aus
meiner Umgebung rausreißt,, aber er regt sich auf.
Er wollte also nicht mit mir reden und es hat auch
keinen Sinn mit ihm. Er ist ein Geschäftsmann, der
nur auf Geld aus ist, ein unangenehmer Typ. Die
Menschen sind ihm scheißegal. Wir haben auch als
Mieter Interesse bekundet, das Haus von ihm zu
kaufen. Er hat das Haus ja für 750.000 Euro bei
einer Zwangsversteigerung gekauft, und dann wollte
er von uns Mietern 1,2 Millionen haben. Das hat
nicht funktioniert. Und deswegen haben wir jetzt
immer noch den Herrn Franell, der uns hier langsam
aber sicher alle rausschmeißt. Es sind schon einige
Mieter raus, manche freiwillig, manche sind auch
schon geräumt worden und jeder ist irgendwie vor
Gericht.
Wie sieht es denn im Haus aus?
Gibt es da Austausch, habt ihr euch abgesprochen,
wenn jetzt alle den gleichen Gegner Franell haben
und sich mit solchen Sachen rumplagen? Ja,
also am Anfang haben wir hier die Mietergemeinschaft
reingeholt, und haben eine komplette
Mieterversammlung gemacht. Aber jetzt ist es so, als
wenn jeder für sich kämpft vor den Gerichten, und
die Gerichte entscheiden meistens
vermieterfreundlich. Und der Mieter ist der
Angearschte. Und langsam aber sicher erhöht Franell
die Mieten, sodass die Leute das nicht mehr bezahlen
können und raus müssen. Also ich zahle gerade 715
Euro kalt, und mit Gasetagenheizung komme ich
insgesamt auf 1.000 Euro. Bei 122 Quadratmetern.
Würde ich rausgehen, würde er die Wohnung für 1.200
kalt vermieten bei den Preisen, die jetzt gerade in
Kreuzberg sind. Und bei diesem Hype hier gerade in
Kreuzberg oder Berlin überhaupt: Wer verdient so
viel Geld? Also die Berliner nicht.
Habt
ihr sonst noch versucht, euch zu wehren? Jetzt versuchen wir über die Öffentlichkeit und über
Politiker und Politik was zu bewegen. Dirk Behrendt,
ein Abgeordneter von den Grünen, hat ihm einen Brief
geschrieben, dass es unverhältnismäßig sei mit der
Kündigung. Und Schulz und der Stadtrat für Bauwesen
hat auch noch irgenwas versucht, aber was genau,
weiß ich jetzt auch nicht. Sonst bin ich jetzt auch
beim Gecekondlu (Das Protestcamp der
Mieter_inneninitiative Kotti&Co, Anm.
Unterstützer_innengruppe) dabei und bei den ganzen
Demonstrationen, zum Beispiel der „Wir bleiben
alle“-Demo letztens. Weil es ist ja nicht nur in
Kreuzberg so, das betrifft ja ganz Berlin, dass die
Berliner alle systematisch rausgeschmissen werden
aus ihren Kiezen.
Und jetzt habt ihr euch
entschieden, in der Wohnung zu bleiben. Ja,
das ist die Entscheidung: Ich will hier bleiben.
Den Termin zur Schlüsselübergabe habt ihr
verstreichen lassen, ihr seid in der Wohnung
geblieben, das ist ja durchaus ein krasser Schritt.
Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen? So krass ist der Schritt eigentlich nicht. Du bist
zu Hause, und da kommt einer mit Gewalt und nimmt
dich da raus. Da kannst du nicht einfach sagen:
Hier, hast du meinen Schlüssel von meinem Zuhause
und viel Spaß noch, und ich geh mal jetzt. Ich
finde, in ganz Berlin brodelts, da muss viel mehr
gemacht werden. Da möchte ich ein Zeichen setzen,
dass man das mit uns nicht machen kann. Dass die
Leute einfach aus ihren Wohnungen rausgeschoben
werden, ohne dass es jemand merkt. Man kann sich ja
ausmalen, wo die Leute dann hinkommen, in die
Randbezirke oder in Großsiedlungen. So wie es jetzt
aussieht, ist es ja so: Wer Geld hat, der kann sich
Wohnraum und alles leisten. Und das ist nicht Sinn
einer Gesellschaft, finde ich.
War dir das
schon länger klar, dass ihr den Schlüssel nicht
abgebt und in der Wohnung bleibt? Das war mir
nicht klar. Also ich habe nicht gedacht, dass ich
überhaupt den Schlüssel abgeben muss. Ich hab ja
immer noch die Hoffnung gehabt, das Amtsgericht hat
irgendwas falsch gemacht, das Landgericht hat
irgendwas falsch gemacht, aber der
Bundesgerichtshof, der wird das richten. Als ich
gemerkt habe, was für eine Ungerechtigkeit da
passiert, da hab ich gedacht, das kann doch nicht
sein. Dass die Gerichte einem, der dich obdachlos
macht, auch noch Recht geben. Es ist echt
unverhältnismäßig, wegen 100 Euro mehr Miete oder
was weiß ich wieviel Geld. Das ist ja nur Geld. Dass
man da eine Familie auf die Straße setzt, Menschen
auf die Straße setzt, vor allem wegen einer nicht
eingehaltenen Frist. Und was weiß ich, wo der wohnt,
also dem geht es gut, der hat bestimmt mehrere
Millionen auf dem Konto. Jetzt will er noch ein
bisschen mehr Geld haben, damit er sich daran
erfreuen kann.
Habt ihr während dieser
ganzen Entwicklung Unterstützung erfahren? Ja
von den Nachbarn, da gibt’s Unterstützung. Sie
fragen mich immer, wie es geht, was ich mache, wie
man mir helfen kann. Und im Stadtteilzentrum habe
ich Leute, die mir helfen. Und dann gibt es auch
einige Initiativen, mit denen wir uns regelmäßig
treffen. Ich finde das gut, dass da Unterstützung
organisiert wurde und dass heute so viele spontan
Leute gekommen sind, nachdem sie davon erfahren
haben. Dass Leute in meinem Fall und auch generell
versuchen, was dagegen zu tun. Das müsste noch mehr
werden. IDa sind viele, die wahrscheinlich schon
geräumt worden sind, und die haben nichts getan. Das
finde ich schade. Deswegen finde ich diese
Initiativen und diese Mobilisierung der Menschen,
die in den Kiezen wohnen und leben, sehr wichtig.
Weil sonst wird dieser Kiez nicht lange existieren.
Das gefällt mir jetzt schon nicht, wie sich alles
entwickelt.
Es scheint das erste Mal zu
sein, dass Leute wie ihr trotz einer Kündigung in
ihrer Wohnung bleiben und sich gleichzeitig viele
Leute spontan solidarisieren und versuchen, die
Zwangsräumung zu verhindern. Kann das ein Beispiel
für die zukünftigen Auseinandersetzungen um die
Entwicklung in der Stadt sein? Ja, natürlich.
Aber selbst wenn das heute nicht klappen würde, ist
ein Erfolg: Man hat was getan und es ist sichtbar
geworden. Es hat immer einen Sinn, zu kämpfen. Wenn
man nichts tut, hat man schon verloren. Und es geht
einem auch viel besser dabei, wenn man was tut. Es
ist auch ganz wichtig, dass die Medien dabei sind,
damit das noch sichtbarer wird. Nicht nur in dem
Kiez, auch darüber hinaus. Bei den Medien habe ich
auch schon das Gefühl, dass die sensibilisiert sind
für das Thema.
Wie wäre denn für euch ein
idealer Verlauf heute? Wie würdest du dir es jetzt
wünschen, dass es weitergeht in deinem Fall? Ein idealer Verlauf wäre, dass ich in meiner
Wohnung, in meinem Kiez bleiben kann und dass das
auch öffentlich gezeigt wird, dass man was dagegen
machen kann. Und dass das auch eine Ausstrahlung auf
andere hat. Dass sie nicht aufgeben sollen, nicht
einfach sich verdrängen lassen sollen. Dass sie für
ihre Wohnung, für ihr Zuhause, kämpfen sollen, um zu
bleiben.
Du verlässt ja mit der
Entscheidung, hier heute in der Wohnung zu bleiben
diesen rechtlichen Rahmen von Rechtsstreitigkeiten
und Gerichtsurteilen, der uns allen vorgegeben sein
soll. Fürchtest du eigentlich die Konsequenzen? Eigentlich nicht, nein. Weil das Gesetz hat uns ja
verlassen und nicht wir das Gesetz. Es ist schon
ungerecht, dass das überhaupt passiert. Ich bin ja
für das Gesetz. Es ist gut, dass man das
Zusammenleben damit irgendwie verbessert oder
gerechter macht, aber das hier hat nichts mehr damit
zu tun. Das ist schon ungerecht hoch 10, was mit uns
passiert. Das schockiert mich ja am meisten, das
macht mich wütend. Da wird so ein Typ, der nur Kohle
machen will, auch noch vom Gesetz unterstützt. Der
bekommt noch Recht von Richtern. Und wer macht diese
Gesetze? Die Politiker. Das ist Lobbyarbeit. Die
haben ja wieder ein neues Gesetz erlassen, mit den
Modernisierungsgeschichten, wo ein Mieter jetzt
nicht mal gefragt werden muss, und er kann noch
nicht mal die Miete mindern, kann was weiß ich wie
lange mit einer Baustelle belästigt werden. Und
danach soll er auch noch bezahlen, der Mieter
bezahlt alles zum Schluss.Und der Vermieter verdient
weiter auf dessen Kosten. Das ist ungerecht.
Du hast schon gesagt, dass ihr nicht die
einzigen Betroffenen seid. Wie beurteilst du die
Gesamtsituation in Berlin gerade? Ich hab das
Gefühl, dass Berlin verkauft wird. Berlin wird
verkauft, aber nicht an die Berliner. Die Stadt wird
vermarktet an die Meistbietenden, und die wollen
dann ihr Geld wieder reinholen und erhöhen dafür die
Mieten. Der Markt bietet es gerade: Wohnungen sind
knapp, dafür hat die Politik ja gesorgt in den
letzten Jahren. Und ich glaube, Berlin wird nicht
mehr Berlin sein, wenn das so weitergeht.
Was würdest du dir wünschen? Na, dass Berlin
wieder den Berlinern gehört. Dass, wenn sie schon
die Häuser und Wohnungen verkaufen, dann an die
Mieter verkaufen. Als Mietkauf oder sonstwas.
Beispielsweise sind ja an die GSW Häuser verschenkt
worden, mit der Auflage, sozialverträglich zu
modernisieren, sodass auch normalsterbliche Menschen
die Mieten bezahlen können. Das war die Auflage,
darum wurden denen Häuser geschenkt. Was macht die
GSW? Die GSW wird komplett verkauft und die 27
geschenkten Häuser werden jetzt vermarktet. Wenn sie
die schon verschenken, dann können sie die auch an
die Mieter verschenken, und nicht an irgendwelche
Leute, die damit noch Geld machen wollen und alle
rausekeln. Ich bin ja hier in Kreuzberg aufgewachsen
in den 80er Jahren, da wollten sie alle Altbauhäuser
plattmachen. Da haben die Menschen auch gekämpft,
haben Häuser besetzt und verhindert, dass sie
abgerissen werden, um Neubau hochzuziehen. Heute, 30
Jahre später, heißt es, die Altbauten seien das
Beste, was es gibt. Damals hat man dafür gekämpft,
jetzt kommen die Banken und die Leute mit Geld und
versuchen, daraus nochmal Geld zu machen. Und jetzt
wird es wieder Zeit, dass man man kämpfen muss.
Editorische Hinweise
Die PM erhielten
wir von der "Unterstützer_innengruppe
gegen Zwangsräumungen". Das Interview spiegelten wir
von Indymedia, wo es am 22.10.2012 erschien.