Betrieb & Gewerkschaft

Das Dilemma der „Gewerkschaftslinken“
„Wir stehen am Beginn einer Grundsatzdebatte.

Stellungnahme zum
Gewerkschaftspolitischen Ratschlag von strike!-Redaktion

10-2012

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Eine ermutigende Aussage, die dem Interview in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 21.9.12 mit dem Mitglied des Arbeitsausschusses der Initiative der Vernetzung der Gewerkschaftslinken, Hans Kroha, vorangestellt wurde. Die Enttäuschung kam allerdings prompt. Denn die „Grundsatzdebatte“, die da mit einem „Gewerkschaftspolitischen Ratschlag“ ausgelöst werden soll, bezieht sich in erster Linie darauf, den sozialdemokratisch-christlichdemokratischen Einheitsgewerkschaften die Notwendigkeit einer Arbeitszeitverkürzung mitzuteilen, damit „die gerechtere Verteilung von Arbeit“ und „die Schaffung von Räumen und Zeit für andere Formen demokratischer Beteiligung“ möglich werden können.

Beim ersten Überfliegen der Interview-Zeilen meint man, dass man sich verlesen haben muss, beim zweiten Draufschauen auf die Satzfolge weiß man, dass man schon beim ersten Hingucken richtig verstanden hat: den Gewerkschaften bzw. der Gewerkschaftsbürokratie soll verklickert werden, dass die Clique um Sommer, Huber, Bsirske & Co. wenigstens die ureigenen Positionen der Sozialpartnerschaft und des Klassenkompromisses wieder entdecken sollen.

Die Aufforderung der heutigen „Gewerkschaftslinken“ dockt an eine Idee an, die mit der Phrase vom „organisierten Kapitalismus“ und der „Wirtschaftsdemokratie“ verknüpft ist. Ab Mitte der 20er Jahre des 20. Jh. wurde dieser naive Vorschlag von Rudolf Hilferding und Fritz Naphtali vertreten. Der Kollege Karl Marx pflegte in solchen Fällen zu sagen, dass solche Versuche „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“ enden.
Es kann auch nicht unser Anliegen sein, die Restbestände an SozialdemokratInnen in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) oder im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ausfindig machen zu wollen. Ein Unterfangen, was nicht nur viel Mühsal bedeutet, sondern vor allem auch Ausdruck eines völlig fehlgeleiteten Engagements ist. Die unzählig gemachte Erfahrung lehrt: jedes Einbringen von Herzblut und Energie in ein solches Projekt ist vergebens.
Also sparen wir uns das Vorhaben, den DGB bzw. seine Gliederungen zu irgendetwas bewegen zu wollen. Das, was wir uns an dieser Stelle an Herzblut und Energie aufsparen, kann an anderen „Interventionsorten“ wesentlich sinnvoller eingebracht werden..

Der DGB ist in den letzten Jahrzehnten ein organisatorisches und – damit zusammenhängend – ein politisches Leichtgewicht geworden. Einen Faktor in der sozialen und politischen Konfrontation mit den Institutionen von Staat und Kapital stellte dieser noch nie da. Der DGB ist sprichwörtlich ein Auslaufmodell, dem seit mindestens zwei Jahrzehnten signifikant die Mitglieder abhanden kommen. Und das völlig zurecht…

Was wollen Linke in den Gewerkschaften?

Vor diesem Hintergrund ergeht die „links-gewerkschaftliche“ Aufforderung, Reanimierungsmaßnahmen für den DGB einzuleiten. Welch Scheiß-Arbeit aber auch!

Die Rolle des „linken Feigenblatts“ innerhalb und außerhalb des DGB oder in den relativ neu entstandenen „Spartengewerkschaften“ aufführen zu wollen, ist wahrlich kein Publikumsmagnet. Falls es noch nicht aufgefallen sein sollte, diese Aufführung hat bereits vor etlichen zurückliegenden Saisons keinen erfolgreichen Auftritt gehabt.
Bedenklich stimmt, dass es weiterhin – seit Jahrzehnten allerdings stets weniger werdend – KollegInnen gibt, die die etablierten Gewerkschaftsstrukturen als Katalysator für einen breiteren sozialen Protest umfunktionieren wollen. Als Lernerfolg sollte aber (schmerzlich) hängen geblieben sein, dass man den Bremsklotz DGB nicht als Motor anschmeißen kann – hier liegt ein Getriebeschaden vor!

Eine irrige Erwartungshaltung liegt auch vor, wenn mit der Einladung des noch recht frischen „Linke“-Vorsitzenden Bernd Rixinger zum „Ratschlag“ ein engerer Schulterschluss zwischen (linker) Gewerkschaftsbasis und den ParlamentarierInnen von der „Partei der Linken“ versucht wird. Es gehört zum Tagesgeschäft der sozialdemokratisierten „Linken“-Partei, sporadisch ein halb-offenes Ohr für gewerkschaftliche Belange zu haben, die vom „linken Rand“ des DGB formuliert werden.

Außerdem reicht der gewerkschaftsnahe Touch von Rixinger nicht aus, um in die Phalanx der mit SPD- und CDU-Mitgliedsbüchern ausgestatteten DGB-Bürokraten einzubrechen. Durch diese Betonwand konnte bislang kein Oppositionsgeist dringen…

Und außerdem: Was hätte es zur Folge, wenn bspw. mehr Lafontaine-Anhänger in den erlauchten Runden der DGB-Bosse Platz nehmen könnten?

Das Dilemma der Gewerkschaftslinken ist, dass sie keinen Einfluss auf die DGB-Politik nehmen kann. Es ist einerseits eine innerorganisatorische Unmöglichkeit, da die Zugänge zu hohen Entscheidungsgremien verschlossen sind, andererseits ist der DGB von seiner strukturellen Anlage her eine Stütze des kapitalistischen Klassenstaats; er bringt nichts an Aktivität mit, was auch nur in Ansätzen zu einem „Sprengmittel“ des zementierten gesellschaftlichen Unten und Oben werden könnte. Wer von Seiten der „gewerkschaftlichen Linken“ meint, einem sozialen Protestverlauf durch Gewerkschaftsunterstützung mehr Zugkraft geben zu können, ist komplett orientierungslos unterwegs. Weder bei dem Aufbegehren gegen die Schrödersche „Agenda 2010“ noch bei der Errichtung der Ockupy-Zeltlager-Städte haben die Gewerkschaften eine Pionierrolle gespielt. Selbst das Aufspringen auf fahrende Züge gelingt ihnen kaum mehr; wenn, dann wird der soziale Protest nicht beschleunigt, sondern an die Kandare genommen und abgebremst.
Der DGB fällt als Teil sozialer Protestbewegung jedenfalls aus.

Wenn‘ s um Grundsätzliches in der Gewerkschaftsfrage gehen soll, dann auch um die Frage nach der…

…„Zertrümmerung der Gewerkschaften!“ Diese Parole aus dem Beginn der unionistisch-rätekommunistischen Aufbauphase von Betriebsorganisationen, die in der Allgemeinen Arbeiter-Union (AAU) zusammengefasst waren, war nach dem Ersten Weltkrieg durchaus populär. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere die sog. Freien Gewerkschaften eine Stimmung von Sozialchauvinismus und Burgfrieden innerhalb der ArbeiterInnenbewegung angeheizt haben, konnten die herkömmlichen Gewerkschaften nur als Versager an der proletarischen Sache betrachtet werden.

Zur prinzipiellen Gewerkschaftskritik gehört spätestens seitdem, dass die am Gängelband der deutschen Sozialdemokratie hängenden gewerkschaftlichen Organisationen zu einer staatstragenden bürokratischen Institution mutiert sind, in der durch einen schroffen Zentralismus die Gewerkschaftsbasis von reellen Entscheidungsprozessen ausgehebelt ist.

Über die Beteiligung an gesetzlichen Betriebsräten und die reglementierte Form der Tarif“auseinandersetzungen“ bilden die Gewerkschaftsverhandler mit den Unterhändlern der Unternehmen und Konzerne eine Gemeinschaft, die über die Modalitäten der Ausbeutungsbedingungen der (prekär) Beschäftigten beschließen. Die Klasse sitzt draußen und bekommt das „Verhandlungsergebnis“ unter dem Drucke, dieses auch ja per Abstimmung anzunehmen, vorgelegt.
Zudem sind die herkömmlichen Gewerkschaften nichts weiter als „Unterstützungskassen“, die die Beschäftigten so lange zu schnell verpuffenden „Arbeitskampfmaßnahmen“ durch laue Aufrufe zu motivieren versuchen, so lange die (Streik-)Kasse Gelder hergibt. Die sonst demobilen Beschäftigten werden auf Knopfdruck zu „Protesten“ herbeizitiert und ebenso auf Knopfdruck wieder in das Großraumbüro, in die Werkhalle beordert. Eine selbstbewusste, auf Eigeninitiative setzende Klasse wird von solchen „Interessenvertretern“ selbstredend nicht befördert. Kann es auch nicht, wenn nicht an den Grundfesten des Aufbaus von Gewerkschaftsstrukturen gerüttelt werden soll.
Und nicht zuletzt sind prekär Beschäftigte und vor allem Beschäftigungslose nur Randerscheinungen in der Gewerkschaftspolitik, obwohl sie mehr und mehr das Gros derer bilden, die nichts weiter zu veräußern haben als ihre Körperkraft und Geistanstrengung.

Wir wissen, es reicht nicht aus, einfach auf die gute alte Traditionslinie der unionistisch-rätekommunistischen AkteurInnen und Organisationen zu verweisen, damit KollegInnen davon Abstand nehmen, den etablierten Gewerkschaften Aufmerksamkeit und Aktivität zu schenken. Die Wiedererlangung von kollektiver Eigeninitiative und nicht zuletzt eine breite Entfaltung einer partei- und gewerkschaftsunabhängigen Klassenautonomie stellen sich nicht im Handumdrehen ein. Aber Grundlagen für eine unionistisch-rätekommunistische Perspektive werden seit Jahrzehnten gelegt – eine unabdingliche Ausgangsbedingung, um in Wort und Tat sowie Schritt für Schritt fordernder und selbstbewusster als Klasse werden zu können…

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Artikel vom STRIKE!-Blog.