Kapitalistischer Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Die Reihen bröckeln nicht, wir werden immer mehr.
Ein Interview mit einem "Kotti"-Aktivisten

von Karl-Mueller

10-2012

trend
onlinezeitung

Sogar die bürgerliche Stadtzeitung TIP (1) ließ es sich nicht nehmen,  sich an dem Reigen der bürgerlichen Presse zu beteiligen, die über Kotti und Co. berichten. Und es sind immer die gleichen Aktivistinnen, denen Gehör geschenkt wird, wodurch diese fast einen kleinen Promi-Status in den letzten Monaten erlangt haben: TREND sprach stattdessen mit einem "Kotti"-Aktivisten, der seit Juni 2012 in der "zweiten Reihe" am Miet- und Stadtteilkampf beteiligt ist.

TREND: Du bist kein GSW-Mieter und wohnst in einem anderen Teil von Kreuzberg. Warum wurdest Du trotzdem Kotti-Aktivist?

R.-D.: Ich besuchte im letzten Juni Detlev. K., den ich vom AKKA her kenne, im Gecekondu. Dadurch bekam ich mit, was da so lief. Besonders gefiel mir das Klima der Solidarität, man fühlte richtig, die halten  zusammen. Ich selber hatte ja schon früher an Auseinandersetzungen in meinem Haus teilgenommen, als dort die Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden. Aber das lief damals anders. Die meisten waren Akademiker oder aus der Mittelschicht und dachten nur an ihren persönlichen Vorteil. So brach die Gegenwehr schnell zusammen. Bei Kotti & Co. ist dasanders. Die hielten schon seit vier Wochen das Gecekondu tag und Nacht besetzt, als ich im Juni dazu kam. Und die Reihen bröckeln nicht, sondern wir werden immer mehr.

TREND: Wie unterstützt Du seitdem den Mieterkampf am Kotti?

R.-D: Ich leiste dort praktische Hilfe, wo ich gebraucht werde. Da die Kotti-AktivistInnen fast alles Mieterinnen mit Familien sind, können sie nicht rund um die Uhr im Gecekondu sein. Ich springe dann regelmäßig bei  Nachtwachen zwischen 24 und 8 Uhr morgens ein. Na und dann helfe ich noch bei allem, was so anfällt: Müll entsorgen, Wasser holen, Saubermachen und bei den regelmäßig stattfinden Lärmdemos übernehme ich  Ordnerfunktion zum Demo-Schutz.

TREND: Wir haben in der TREND Nr. 9/2012 ein Interview der RSO mit der  Kotti-Aktivistin "Ulli" veröffentlicht, die meinte, dass durch die Kämpfe die Mieterinnen direkt Einblicke in die Funktionsweise der  kapitalistischen Ausbeutungszusammenhänge von Miete und Wohnen bekämen,  so dass auf eine entsprechende - sie nennt es "lehrerhafte" - Aufklärung verzichtet werden sollte. Wie siehst Du das?

R.-D.: Die meisten der Mieterinnen stammen aus muslimischen migrantischen Zusammenhängen, so dass ich nicht einfach so aus dem Nichts heraus mit einer Kapitalismuskritik anfangen kann, gerade weil sie oft sehr religiös denken. Außerdem war es mir zunächst wichtiger, sich durch gemeinsames praktischesTun besser kennen zu lernen. Zu einigen habe ich inzwischen einen ganz guten Kontakt entwickelt und die wissen mittlerweile, dass ich Kommunist bin. Was die Einsicht in kapitalistische Zusammenhänge anbelangt, so teile ich ganz und gar nicht die Ansicht, dass aus dem Kampf um die Miethöhe selber ein Durchblick durch die kapitalistischen Verwertungsverhältnisse von Wohnraum entstehen kann. Was die Leute im Kampf lernen können ist, dass diese  Regierung in Sachen Miete nicht ihre Interessen vertritt. Das ist dann zwar eine wichtige Erkenntnis, die aber nichts über den Kapitalismus  aussagt, geschweige denn, was wir an die Stelle des Privateigentums an Produktions- und Reproduktionsmittel stellen werden, wenn wir den Kapitalismus abschaffen.

TREND: Hast Du denn selber erlebt, dass politischen Gruppen von außen an Kotti & CoKapitalismuskritik belehrend herantragen?

R.-D.: Nein. Es liegen zwar jede Menge Flugblätter und Flyer von linken  Gruppen im Gecekondu aus, aber eine klassische linke Agitation und Propaganda von außen findet nicht statt. Doch halt - ich erinnere mich an einen Auftritt der Gruppe Fels. Die wollte für eine Fragebogenaktion Reklame machen(2). Sie nannten das "militante Untersuchung". Mit Aufklärung über kapitalistische  Verwertungsverhältnisse hatte das aber nach meiner Ansicht nach eigentlich nichts zu tun. Es wirkte auf mich eher wie der Versuch, einzelne Leute kennen zu lernen und dann vielleicht für die eigene Organisation zu gewinnen.Jedenfalls um praktische Solidarität ging es ihnen nicht. Sie zeigten einen Film im Gecekondu, der die  Wohnungsfrage überhaupt nicht berührte, es ging nur darum, was ihr Untersuchungsergebnis über Hartz IV im Jobcenter Neukölln erbracht hat, sie mussten selber zugeben, dass keiner bzw. relativ wenige Leute an ihren Fragebogen Interesse hatten, und ihre Untersuchung gescheitert ist, weil ich denke, dass ihr politischer Ansatz falsch ist.

TREND: Wie stellt Du Dir denn vor, dass in so ein Projekt wie das Kotti/Gecekondu Aufklärung über kapitalistische Verwertungsstrukturen eingebracht werden könnten, was ja bitter nötig erscheint, wenn man sieht, dass als zentrale Forderung nur die Mietobergrenze im Raum steht? Eine Forderung die völlig kompatibel zum kapitalistischen Geschäftsbetrieb ist.

R.-D.: Also mit einem Konzept kann ich nicht dienen. Ich kann nur Punkte  angeben, wo ich finde, dass damit angefangen werden müsste. Mir fällt jedenfalls auf, dass viele Aktivistinnen selber nicht richtig durchblicken, wie die Kapitalisten mit Immobilien Profit machen, d.h. wo sie auf diesem Gebietder Wirtschaft fremde Arbeit ausbeuten, indem sie sich den Mehrwert der dort Lohnarbeitenden aneignen. Dadurch sind sie  auch nicht in der Lage - ich im Augenblick auch nicht - überhaupt einzuschätzen, welches heute die strategisch richtigen Forderungen im Kampf um Miete und Wohnraum sind. Oder anders: Wir brauchen heute eine polit-ökonomische Qualifizierung - nenn es meinetwegen Schulung - wenn wir aus der Defensive herauskommen wollen. Im Übrigen würde dies auch gegen die ständigen Versuche immunisieren, unseren Kampf in staatsverträglichen Bahnen zu halten.

TREND: Was meinst Du mit "staatsverträglich"?

R.-D.: Indem die Forderungenvor allem auf den Staat, d.h. die Regierung fixiert werden und das Kapitalverhältnis, dem Wohnraum unterworfen ist, weitgehend ausgeblendet und unbegriffen bleibt, bleibt die Eigentumsfrage außen vor und damit die Alternative einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Umgekehrt nährt sich die Hoffnung, dass ein "sozialer" Staat den Kapitalismus bändigen könnte. Um diesen Schein aufrecht zu erhalten, setzen die bürgerlichen Politiker alles daran, sich als Menschen mit offnen Ohr für die Sorgen und Nöte zu  inszenieren. Und oft klappt dies leider auch, wenn ich nur daran denke, wie der Ströbele hier rumschwadronierte und den Hoffnungen nach bezahlbaren Wohnraum auf seine olive-grüne Partei lenkte. Hier sind übrigens auch die bürgerlichen Medien nicht zu unterschätzen, die für solche Inszenierungen gerne die Plattform bieten.

TREND: Wie könnte gegen solche mächtigen Informations- und Meinungsapparate überhaupt Front gemacht werden?

R.-D.: Na die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Wir beginnen, uns unsere eigene Öffentlichkeit zu schaffen, indem wir als erstes die vielen lokalen Stadtteilinitiativen auf einer gemeinsamen wohnungspolitischen Plattform zusammenschließen, die dann als geballte Kraft in der Lage ist, mit der Schaffung einer eigenen Öffentlichkeit -  und zwar nicht nur virtuell - sondern draußen im Hier und Jetzt zu beginnen. Ich bin mir sehr wohl im klaren darüber, dass das Arbeit ohne Ende bedeutet. Aber wir haben als LohnarbeiterInnen, Hartz IVer und  Prekäre zusammen keine andere Alternative.

Anmerkungen

1) Ulrike Hamann über das Camp am südlichen Kotti , http://www.tip-berlin.de (5.7.2012) und in der neuesten Ausgabe Nr. 21-2012, S.24: Kotti & Co

2) Gemeint ist hier die FelS-Veranstaltung am 3.8.2012

Bereits im Jahre 2010 veröffentlichten wir zahlreiche  Artikel zum Stadtumbau im Kapitalismus