Texte
zur antikapitalistischen Organisations- und Programmdebatte

10/11

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Babylonisches Sprachgewirr
Ein Bericht vom SoKo-Arbeitstreffen am 15.10.11 in Köln mit Robert Schlosser
von Frank Braun (Sozialistische Koordination)

Da hat uns die Sozialistische Initiative Berlin (SIB) ja ein besonderes Ei ins Nest gelegt. Eine ‚Neue antikapitalistische Organisation’ soll es sein, die ‚Na-endlich!’ zu schaffen ist.

Das gleichnamige Papier von März 2011 zirkuliert seitdem durch die Republik und trifft offenbar auf den Nerv derer, die sich als AntikapitalistInnen sehen und die alt-reformistische Kasperei der Partei ‚Die Linke.’ (PDL) auf der einen und den unverbindlichen Aktionismus der Interventionistische Linken (IL) auf der anderen gerne durch ein planvolleres, gehaltvolleres und, im wahren Sinne des Wortes, radikaleres Angebot wenigstens ergänzt sehen möchten.
Zu jenen, die sich als solidarische Kritiker des genannten Berliner Papiers einbrachten, gehört Robert Schlosser (Bochum) 2, den die SoKo auf ihrem Arbeitstreffen am 15.10. im Kölner Autonomen Zentrum (AZ) als Referenten eingeladen hatte. Die SoKo gehört zu den Förderern der SIB-Initiative – was lag da näher als Schlosser einzuladen und dessen Thesen zur Diskussion zu stellen.

Noch fehlen programmatische Konturen …

Bei seinen Überlegungen zum Thema ‚Revolutionärer Bruch’ 1 betonte Schlosser mehrfach, sei es nicht sinnvoll, über Organisationsmodelle nachzudenken, wenn man keine Klarheit über die programmatischen Konturen habe, die man erarbeiten wolle. Und es sei daher kritisch zu beurteilen, daß im SIB-Papier von fünf unverhandelbaren Essentials, z.B. ‚Revolutionärer Bruch’, die Rede sei, aber unklar bliebe aufgrund welcher Programmatik.

Es mache es schon einen Unterschied, ob man für die hiesigen Verhältnisse eher die Erfahrungen der Pariser Commune oder die der Oktoberrevolution in den Vordergrund rücken möchte. Abgesehen davon, daß Form und Inhalt eines solchen revolutionären Umbruchs ohnehin nicht irgendwelchen Schablonen folge, kann als sicher angenommen werden, daß ein revolutionärer Umbruch mindestens die sichtbare Rückgabe zentralstaatlicher Verfügungsformen in die Hände der Kommunen gewährleisten muß. Und es reiche auch nicht aus, wenn ‚Enteignung’ der großen Kapitalien gefordert wird, ohne daß zeitgemäße Formen von ‚Aneignung’ entwickelt werden. Schließlich könne auch nicht darauf verzichtet werden, moderne Formen öffentlicher Politikgestaltung und Willensbildung in eine revolutionäre Strategie und Taktik einzuarbeiten. Man könne sich nicht einerseits über die ‚facebook-Proteste’ von Tunesien und Ägypten freuen, andererseits aber die neuen Medien und deren Möglichkeiten außen vor lassen.

Die anschließende Diskussion war von großer Unsicherheit geprägt, ob denn die antikapitalistische Organisationsdebatte infolge des SIB-Papiers überhaupt geführt werden solle, indem ‚revolutionärer Bruch’ als Essential festgeschrieben oder nicht besser darauf verzichtet wird. Und, so argumentierten einzelne, ein Kaderprogramm solle das nicht sein, was da entstehen muß. Eine Teilnehmerin äußerte sogar, es gäbe keinen linken Standpunkt, der nicht basisdemokratisch sein, was ihr einigen Widerspruch einbrachte.

Zur ‚Ehrenrettung’ der Berliner führte dagegen ein Teilnehmer ins Feld, daß deren erster Aufschlag ja ‚nur’ etwas sein könne, was eine Form von verdichteter und organisierter Verständigung unter denjenigen anbieten soll, die von der Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs bereits überzeugt seien. Zustimmend äußerte ein weiterer, käme es jetzt, angesichts der eklatanten Schwäche der antikapitalistischen Bewegung darauf an, die auch von Schlosser angestoßene Programmentwicklung zu forcieren und die Berliner Initiative u.a. dafür zu nutzen.

… und ein überzeugendes radikaldemokratisches Minimalprogramm

Mit dem Referenten des Nachmittags, Robert Schlosser, war ja auch einer der Autoren des kürzlich publizierten ‚Bochumer Programm’ 3 zugegen, welches sowohl im blog der SIB als auch im Autoren-blog und inzwischen auch anderweitig ganz gut besprochen wird.

Den zweiten Diskussionsblock eröffnete er mit dem Hinweis, daß diesem Vorschlag für ein revolutionäres bzw. radikaldemokratische Minimalprogramms eine intensive blog-Diskussion voranging. Er selbst, Schlosser, der über die Kritik der politischen Ökonomie Zugang zu den programmatischen Fragen suche, wies gleich zu Beginn darauf hin, daß im Fokus der Betrachtungen für ein Minimalprogramm nicht die allgemeine Kapitalismuskritik stehen solle, sondern v.a. die nüchterne Kapitalkritik und damit die Frage: „Was ist eigentlich möglich unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen und was nicht?“

Daraus wiederum ließen sich dann all jene Elemente eines Minimalprogramms ableiten, welche in der Konsequenz zusammen genommen das Kapitalverhältnis und damit den Kapitalismus in Frage stellen.

Von umfassender Kommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung bis zum Einfordern der bürgerlichen Freiheiten und der Abschaffung der Lohnarbeit mittels Selbstverwaltung der Unternehmen durch die Werktätigen müsse der radikaldemokratische Forderungskatalog reichen. Für sich genommen würde etwa ArbeiterInnenselbstverwaltung keine Abschaffung der Waren produzierenden Wirtschaft bedeuten, würde auch Kommunalisierung nicht schon den anarchischen Konkurrenzcharakter kapitalistische Produktion aufheben, aber es wären wichtige und zugleich verständliche Schritte in diese Richtung.

Die Diskussion danach unter den TeilnehmerInnen des Arbeitstreffens offenbarte neben einem Interesse an der Thematik eben auch den Mangel im Umgang damit. Natürlich gab es auch Einwände, ob denn das Begriffspaar ‚Kommunalisierung und Demokratisierung’ unter den herrschenden Verhältnisse nicht wieder direkt in den bürgerlichen Parlamentarismus führe, aus dem dann wieder mühselig herausgefunden werden müsse. Es gab auch Detailkritik, z.B. von einer Teilnehmerin, die eine sanktionsfreie Mindestsicherung sowie entsprechende ökologische Mindeststandards als notwendigen Teil eines Minimalprogramms sah, wovon im Bochumer Programm allerdings keine Rede sei.

Schlosser erwiderte sinngemäß, daß es sich bei diesem Programmentwurf um ein fort zu entwickelndes Arbeitspapier handelt und noch einige Erweiterungen denkbar seien; andererseits mit dem Hinweis darauf, daß nur geändert werden könne, was für die Menschen sichtbar sei und als erreichbar gelten könne. Man dürfe nicht vergessen, so Schlosser, daß ‚Revolution’ oft auch als bloßer Fetischbegriff gebraucht würde, hinter dem sich alles Mögliche an Widerspruch verberge, was, wenn nicht hinterfragt, mindestens ein babylonisches Sprachgewirr verursache. Auch ein mehr oder weniger gelungener Vortrag dieser Widersprüche reiche wohl nicht aus, das zeigt die Geschichte, um einen kommunistischen Standpunkt verallgemeinern zu helfen.

Resümee

Erste zaghafte Schritte unter der Überschrift ‚Neue antikapitalistische Organisation ? Na, endlich!’ sind vollzogen. Robert Schlosser und andere haben mit ihrer Kritik am SIB-Papier eine Akzentuierung der Initiative eingefordert, die mehr programmatisch orientiert ist. Der Nachmittag in Köln hat gezeigt, daß diese Forderung zu recht gestellt wird. Die SoKo wird sich dafür einsetzen, daß systematischer und planvoller an den Grundlagen antikapitalistischer Programmatik gearbeitet wird.

Gleichwohl gilt, ohne organisierte Verständigung unter den beteiligten lokalen Gruppen geht dies wohl kaum. Auch für diese sehr praktische Kärrnerarbeit ist schon eine Menge an Energie aufzubringen. Wer die Notwendigkeit dieser Kärrnerarbeit nicht erkennt, wird seine politische Programmatik nur als Privatier konsumieren können.

Frank Braun, Köln, Sozialistische Kooperation (SoKo), 17.10.11

Anmerkungen

1. siehe z.B. unter www.sozialistische-kooperation.de (‚Projekte-Neue antikapitalist.Organisation’) mit einer Dokumentation bisheriger Papiere zum Thema. Siehe auch unter dem SIB-blog http://arschhoch.blogsport.de/ mit allen Texten und Kommentaren dazu. [zurück]
2. Vgl. Robert Schlossers website unter http://www.rs002.de/Soziale_Emanzipation/Start.htm [zurück]
3. Das ‚Bochumer’ Programm wurde zuerst unter http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=5775 veröffentlich und hernach auch im SIB-Diskussionblog http://arschhoch.blogsport.de/ sowie in weiteren linken online-Portalen. [zurück]
 

 

Editorische Anmerkung

Wir spiegelten das Faltblatt vom Blog der SIB.