Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

François Hollande ist Kandidat
Sozialdemokratie auf „Mitte“-Kurs
 

10/11

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Ein Personenwechsel im Präsidentenamt zeichnet sich ab; jedoch kein wirklicher Politikwechsel

Habemus candidatam: Am gestrigen Sonntag Abend (16. Oktober 11) stieg bei der größten Oppositionspartei in Frankreich weißer Rauch auf. Nunmehr steht fest, wer die französische Sozialdemokratie bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 als Herausforderer des Amtsinhabers Nicolas Sarkozy vertreten wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde dabei gleichzeitig auch über die Person des künftigen Präsidenten Frankreichs entschieden. Denn dass Sarkozy im kommenden Jahr wiedergewählt wird, gilt derzeit als äußerst unwahrscheinlich.  

Über diese Weichenstellung hatten - eine Premiere in Frankreich - nicht nur die Mitglieder, sondern auch die Sympathisanten und voraussichtlichen Wählerinnen der Partei in einer Urabstimmung nach dem Vorbild der primary élections in den USA entscheiden können. Deswegen wurde diese Urwahl auch, durch Import des US-Begriffs ins Französische, als élection primaire bezeichnet. Voraussetzung zum Abstimmen war, dass man einen Euro als symbolischen „Mitgliedsbetrag auf Zeit“ abdrückte und eine Charta mit den „Grundwerten“ der französischen Sozialdemokratie und der Linksparteien unterzeichnete. 

Aus Sicht der Partei wurde der historische Test zum Erfolg: Rund 2,6 Millionen Wahlberechtigte nahmen daran in der ersten Runde vor acht Tagen teil, fast drei Millionen wurden es gar an diesem Sonntag. Die konservativ-wirtschaftsliberale Regierungspartei UMP hatte vergeblich dagegen agitiert. Zuletzt hatte Präsident Sarkozy sich persönlich eingeschaltet mit dem Argument, der Gründer der stark als autoritäre Präsidialrepublik konzipierten Fünften Republik - Charles de Gaulle - habe eine Personenwahl gewünscht. In seinen Augen habe diese „keine Geisel der Parteien“ sein dürfen. Zuvor hatte sein Parteichef Jean-François Copé sich mit zum Teil abenteuerlichen Argumenten eher lächerlich gemacht. Da von den Teilnehmern ein symbolischer Euro verlangt wurde, hatte Copé behauptet, dies bedeute „eine Wiedereinfuhr des Zensuswahlrechts“ - also eines Votums, an dem nur Begüterte ab einem bestimmten Vermögensumfang teilnehmen dürfen. Das Argument klang allerdings nach Kabarett denn nach politischer Auseinandersetzung.

François Hollande heißt der Kandidat also. Am gestrigen Abend setzte er sich mit gut 56 Prozent der Stimmen gegen die Mitbewerberin Martine Aubry durch. Beide waren in die Stichwahl eingezogen, nachdem sie im ersten Wahlgang als die zwei bestplatzierten unter insgesamt sechs Bewerberinnen und Bewerbern abschneiden konnten: Hollande mit gut 39 %, Martine Aubry mit 32,4 %. Die nach der ersten Runde ausgeschiedenen Kandidaten - die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin von 2007 Ségolène Royal, der auf Law & Order und harte Sparpolitik setzende Parteirechte Manuel Valls, der stark schillernde Parteilinke und smarte Anwalt Arnaud Montebourg sowie der Liberale Jean-Michel Baylet - stimmten letztendlich in der Stichwahl alle für Hollande. Drei von ihnen riefen explizit zu seiner Wahl auf; Montebourg ließ sich etwas mehr Zeit und erklärte schließlich, „persönlich“ gäbe er denselben Stimmzettel ab, lasse aber seinen Anhängern die Entscheidung offen.  

Aber wer ist nun dieser François Hollande? Der 57jährige Berufspolitiker sowie Absolvent der Elite-Verwaltungshochschule und Politikerschmiede ENA hat mit seiner Herausforderin Martine Aubry gemeinsam, dass beide als Parteivorsitzende amtierten; Hollande ab 1997, als sein Vorgänger Lionel Jospin zum Premierminister wurde, und für elf Jahre. Aubry war ihm Ende 2008 nachgefolgt. Im Gegensatz zu Martine Aubry hat Hollande allerdings in der Vergangenheit keine Regierungsämter bekleidet. Mit seiner früheren Lebensgefährtin und Mutter seiner vier Kinder, Royal, hat François Hollande auch gemein, dass beide rechtsextreme Väter hatten. 

Inhaltlich stand Hollande in der Urwahlkampagne für ein „moderates“ Mitte-Links-Profil, das auch zum gemäßigt konservativen Spektrum hin offen blieb. Symptomatisch dafür war, dass Ex-Staatspräsident Jacques Chirac im Juni dieses Jahres erklärte, er würde bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr für Hollande stimmen, falls er kandidiere. Da er als folkloristische Note hinzufüge, er sage dies, weil „beide Landsleute aus der Corrèze seien“ - einem zentralfranzösischen Département, wo Chirac seine Karriere begann und Hollande bis 2008 als Bürgermeister von Tulle amtierte -, wurde dies durch Hollande damals als eine Art „ländlicher Humor“ abgetan. Aber nur, weil ihm dies im innerparteilichen Wettbewerb bei den Sozialisten hätte schaden können. Tatsächlich darf man damit rechnen, dass auch ein moderater Teil der Konservativen, der von den Exzessen des hyperaktiven und derzeit mit Skandalen - es geht u.a. um illegale Politikfinanzierung durch Rüstungsgeschäfte - eingedeckten Sarkozy genug hat, im nächsten Frühjahr für Hollande stimmen wird. 

Entsprechend gestaltet dieser sein Profil. Obwohl die Sozialdemokratie auch unter Hollande auf Bündnispartner in Gestalt der seit 2009 erstarkenden Grünen sowie der „Linksfront“ - welche mit der deutschen Partei DIE LINKE vergleichbar ist - angewiesen sein wird, zeigte Hollande Letzteren symbolisch bislang eher die kalte Schulter.  

Die wichtigste Komponente der aus mehreren Organisationen (französische KP, „Linkspartei“/eine Abspaltung von der Sozialdemokratie unter Jean-Luc Mélenchon, die ,Gauche Unitaire’ als reformistische Abspaltung vom NPA und die ex-maoistische/früher pro-albanische Partei PCOF) bestehenden „Linksfront“ ist also jene französische Partei, die noch die Bezeichnung „kommunistisch“ im Namen trägt, aber kaum noch ein Schatten ihrer selbst darstellt. Als diese im September d.J. ihr jährliches riesiges Pressefest Fête de l’Humanité abhielt, kamen mehrere  „sozialistische“ Bewerber/innen (d.h. Bewerber auf die Kandidatur ihrer Partei) vorbeigucken. Aubry, Royal und Montebourg bemühten sich so um gut’ Wetter bei ihren voraussichtlichen künftigen Mehrheitsbeschaffern. Hollandes Abwesenheit wurde in der Öffentlichkeit vermerkt. Dass auch der rigide Partei-Rechtsaußen Valls, welcher inhaltlich nicht sehr weit von Sarkozy steht, und der pro-europäische Linksbürgerliche Baylet (Chef einer Partei namens Parti radical de gauche, deren Name aber nicht etwa „linksradikal“ bedeutet, sondern auf die Radicaux genannten antiklerikalen Liberalen im 19. Jahrhundert - die deutsche Entsprechung zu den „Freisinnigen“ - verweist) dem Termin fernblieben, verwunderte dagegen nicht & niemanden. 

In der derzeit absolut entscheidenden Frage, jener der Sozial- und Wirtschaftspolitik in Krisenzeiten, setzt Hollande in allererster Linie auf „solide Haushaltsführung“ im bürgerlichen Sinne. Ab 2013 - dem Jahr nach der Wahl - schon sollen die in den letzten Jahren auch in Frankreich stark angewachsenen Staatsschulden unterhalb der einst vom Maastricht-Vertrag fixierten Grenzen (3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) sinken. Innerhalb von fünf Jahren sollen sie auf Null abgebaut werden. Auch in Paris waren sie unter anderem infolge der „Bankenrettung“ seit 2008 stark gestiegen. 

Die von linken oder keynesianischen Wirtschaftswissenschaftler vorgetragenen Argumente für einen Schuldenschnitt (zumindest jene Schulden, die als illegitim zu gelten hätte, weil die Kreditaufnahme bei Vermögensbesitzern und Spekulanten hauptsächlich Steuersenkungen für dieselben Milieus finanziert habe, sollen nicht bezahlt werden) macht Hollande sich nicht zu eigen.  

Die einzigen Ausreißer aus diesem Kurs des „soliden Sparkurses“ bildet Hollandes mitten im Urwahlkampf plötzlich abgegebenes Versprechen, „60.000 Stellen im Bildungswesen“ neu zu schaffen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei lediglich darum, das wiederherzustellen, was durch die Rechtsregierung unter Sarkozy in den letzten Jahren zerstört worden ist: Seit ihrem Amtsantritt 2007 hat diese bis in diesem Jahr 66.000 Stellen in den öffentlichen Schulen abgebaut, im laufenden Schuljahr 2011/12 werden weitere rund 15.000 folgen. Das Ziel besteht dabei - neben Sparmaßnahmen - auch darin, die katholischen und elitären Privatschulen faktisch zu fördern, indem ihnen aufgrund wachsender Probleme im öffentlichen und kostenlosen Schulwesen ein Publikum in die Arme getrieben wird. Hollande erklärte Anfang September zunächst, „alle gestrichenen“ Stellen binnen fünf Jahren wieder schaffen zu wollen. Vergangene Woche präzisierte er in Libération, es gehe nicht um die Wiederherstellung aller, aber „der meisten“ Stellen, wobei er nicht 60.000 LehrerInnen neu einstellen wolle, sondern die von ihm angegebene Zahl auch „Krankenschwestern, Schulpsychologen und Verwaltungspersonal“ mut umfasse. Logisch richtig ist, dass Hollande sich dabei darauf beruft, es gehe nur um die ungefähre - und nicht einmal vollständige - Wiederherstellung eines vorherigen Zustands..

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.