Neue Untersuchung der Todesnacht von Stammheim
Helge Lehmann: Die Todesnacht in Stammheim

besprochen von Peter Nowak

10/11

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Bald wird sich die Todesnacht von Stammheim zum 34ten Mal jähren, als drei RAF-Mitglieder in ihren Zellen starben. Mord oder Selbstmord, das war drei Jahrzehnte ein großer Streitpunkt. Mittlerweile interessiert sich nur noch ein kleiner Teil der Linken, für die Umstände im Hochsicherheitsgefängnis am Rande von Stuttgart. Vielleicht kann ein im Pahl-Rugenstein-Verlag erschienenes Buch wieder mehr Menschen dafür interessieren. Der IT-Spezialist und Betriebsrat Helge Lehmann hat eine akribische Untersuchung angestellt. Man merkt dem Buch an, dass viel Arbeit und eine naturwissenschaftliche Neugier dahinter steckt. Lehmann hat nichts am Hut, mit den alten Glaubenssätzen über den Tod der Gefangenen. Er orientiert sich an den Fakten und kommt zu dem Schluss, dass die staatliche Version der Todesumstände nicht stimmen kann.

So weist er im Selbstversuch nach, dass man in Gerichtsakten und in Plattenspielern unbemerkt keine Waffen ins Gefängnis schmuggeln und zwischen den Zellen hin- und her transportieren kann. Nebenbei erinnert Lehmann daran, dass im Abschlussbericht der Untersuchungskommission des Todes in Stammheim festgehalten ist: „Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme muss die Frage, wie die Gefangenen in den Besitz von Waffen und Sprengstoff gelangt sind, letztendlich offen bleiben“. Da dürften manche Linken staunen, die vom amtlich also nie bestätigten Waffenschmuggel ausgehen. So wird der Forscher Lehmann immer wieder fündig und achtet auf die kleinsten Details. So beschreibt der Autor, wie er die Todeszeit der Gefangenen berechnet und zu dem Schluss kommt, dass der Tod von Andreas Baader „nicht bereits vor der um 0.40 Uhr verbreiteten Radiomeldung über die Erstürmung der Landshut eingetreten sein kann, wie man aufgrund des ungenauen Gutachtens der Professoren annehmen könnte“. Hier haben wir eines von mehreren Beispielen, wo Lehmann auch Faktoren erwähnt, die die offizielle Version stützen könnten, wenn die Faktenlage es hergibt . Wenn Baaders Tod eingetreten wäre, bevor der Sturm auf die Landshut bekannt geworden war, würde die staatliche Version, die Gefangenen haben sich auf Reaktion darauf getötet, zusammenfallen. Auch bei der Untersuchung des Boxenkabels, an dem Gudrun Ensslin erhängt aufgefunden wurde, stellt Lehmann fest. „Einer Belastung durch das Körpergewicht von Gudrun Ensslin sollte das Boxenkabel stand gehalten haben. Auch bei einer maximalen Belastung während des Todeskampfes hätte das doppelt gelegte Boxenkabel gehalten.".
Diese Frage spielte in den 80er Jahren eine größere Rolle in Teilen der linken Szene. Dort wurde mit dem Argument, das Kabel hätte nicht gehalten, ein Selbstmord Ensslins ausgeschlossen. Diesem Argument schließt sich Lehmann nicht an. Er orientiert sich ausschließlich an den Fakten. Die aber wiederlegen in der Gesamtschau eben die offizielle Version an entscheidenden Punkten.. Lehmann kann daher formulieren, dass es so wie offiziell behauptet, nicht gewesen sein kann. Wie es wirklich war, kann auch er nicht wissen. Das würde ins Reich der Spekulationen und damit weg von den Fakten führen, die das Buch so interessant machen. Nur gelegentlich erliegt Lehmann zum Glück dieser Versuchung zu spekulieren.

Warum kein Histamin-Test

Dafür gelingt es die richtigen Fragen zu stellen, die den Leser zum Nachdenken anregen. “Warum wurde wie beim Tod von Ulrike Meinhof auch bei Gudrun Ensslin kein Histamintest durchgeführt? Dies war und ist eine international gängige forensische Untersuchungsmethode bei zweifelhaften Todesfällen durch Erhängen. Die Ergebnisse hätten alle Vermutungen und Spekulationen verstummen lassen?“ Solche und ähnliche Fragen sollten den Verantwortlichen gestellt werden. Doch ein Grossteil der Linken wollte in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Staat ankommen und verbot sich solche kritischen Fragen.

Da musste mit Helge Lehmann ein Mann kommen, der die Sonderausgabe von Analyse und Kritik mit dem Titel „Wir glauben immer noch nicht an Selbstmord“ gelesen hat, die 1987 herausgekommen ist. Er hat beschlossen, aus der Glaubenssache ein Forschungsprojekt zu machen. Es zeigt auch den Zustand der linken Bewegung, dass das Buch bisher auch medial kaum aufgegriffen wurde. Selbst, wenn sich heute jemand melden würde, der nachweisen kann, am Tod der Gefangenen beteiligt gewesen zu sein, bliebe der Aufschrei bei den deutschen Mandys und Michels aus. Trotzdem ist Lehmanns Arbeit verdienstvoll und sollte bei denen Beachtung finden, die die kritische Distanz zu Staat und Nation noch nicht ganz verloren haben. Der 34 Jahrestag der Todesnacht wäre eine gute Gelegenheit, das Buch zu erwerben.

 

Helge Lehmann
Die Todesnacht in Stammheim

Eine Untersuchung - Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren.

Mit Dokumenten-CD

Pahl-Rugenstein Verlag,
Bonn 2011, 237 Seiten, 19,90 Euro

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