Perspektiven feministischen Organisierung nach dem Slutwalk
Bericht über eine Veranstaltung von Interkomm

von Anne Seeck

10/11

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Am Montag, d. 3.10. hatte die Gruppe Internationale KommunistInnen zu der Veranstaltung „Perspektiven feministischer Organisierung nach dem Slutwalk“ ins Tristeza in Berlin-Neukölln eingeladen.

Im Rahmen des SlutWalkUnited Grrrlmany waren am 13. August 2011 3500 Menschen auf die Straßen gegangen. Der Begriff Slutwalk (engl. für Schlampenmarsch) benennt Demonstrationen, bei denen Frauen, Männer und Transgender auf die Straße gehen und fordern, sich selbstbestimmt kleiden zu dürfen, ohne im Falle von sexualisierter Gewalt eine Schuldzuweisung zu erfahren. Die Proteste wenden sich gegen die Perspektive der Täter-Opfer-Umkehr in Vergewaltigungsmythen, der zufolge den Opfern sexueller Gewalt aufgrund der Art ihrer Kleidung eine Mitverantwortung an Übergriffen gegeben wird. ( http://slutwalkberlin.de/ )

ReferentInnen waren Heike von der FrauenLesben-Gruppe AMIGA Hamburg, Nadine Lantzsch, die Mitorganisatorin des Slutwalks und Bloggerin sowie sehr kurzfristig in Vertretung von Barbara Suhr- Bartsch Detlef Georgia Schulze, die in der Sozialistischen Initiative Berlin aktiv ist.

Zunächst berichtete Heike über die Entstehung und Aktivitäten der antimilitaristischen-feministischen Gruppe AMIGA. (Hier ein Positionspapier der Gruppe: http://radikalrl.wordpress.com/2010/06/02/wir-mussen-uns-mehr-einmischen/ ) Es ginge darum, feministische Aspekte herauszuarbeiten und in gemischte Verhältnisse hineinzutragen. Die Organisierung sei dabei sehr wichtig, sie macht handlungsfähiger und schafft einen roten Faden für politisches Handeln. Bedeutsam sei eine Strategie, diese kann kurz-, mittel- und langfristige Ziele haben. Viele sehen ihre Arbeit als unverhältnismäßig an und verfallen in Aktionismus, deshalb seien Strategien zu entwickeln. Die Strategie sollte Schwachstellen und Angriffspunkte des Systems herausarbeiten und eine Alternative haben. Der Widerstand solle auch international sein und es ginge immer wieder darum, nach BündnispartnerInnen zu suchen. Ihr sei nicht Masse wichtig, sondern dass wir überhaupt aktiv werden, was machen.

Nadine ist über die Berichterstattung und Facebook zum Slutwalk gekommen. Die Vorbereitungsgruppe des Slutwalk war sehr unterschiedlich zusammengesetzt, sie bestand aus Menschen, die nicht organisiert waren, und Menschen aus linksradikalen und radikal-feministischen Gruppen. Sie haben versucht, die radikal- feministischen Forderungen so zu verpacken, dass sie ein größeres Publikum ansprechen. Für manche Feministinnen waren sie nicht radikal genug. Es wurde darüber diskutiert, wer angesprochen werden und auch wer nicht teilnehmen sollte, zudem welche Themen zu setzen seien.

Detlef Georgia war kurzfristig für Barbara eingesprungen, die das Papier „Eine wirklich ‚Neue Linke’ muss emanzipatorisch sein- oder sie wird nicht sein“ verfasst hatte. Hier der Artikel: http://www.netzwerk-linke-opposition.de/cms/content/view/296/163/

Sie bezog sich auf Notizen von Barbara. Zunächst auf die Lageanalyse innerhalb der Linken, gekennzeichnet durch ein doppeltes Unbehagen. Ein Unbehagen in gemischten Strukturen, wo sich Hierarchien und „normale“ Umgangsweisen reproduzieren. Frauengruppen wiederum verstecken sich in feministischen Nischen und positionieren sich nicht zu kapitalistischen Strukturen. Dann sprach sie kurz die Analyse der Gesellschaft an. Der gegenwärtige Kapitalismus sei durch prekarisierte Beschäftigungsverhältnisse, vor allem Frauenjobs, und eine zunehmende Individualisierung und Vereinzelung der Gesellschaft gekennzeichnet. Zur Frage der Organisierung betonte sie, dass viele emanzipatorische Kräfte zusammenwirken müssen, so sollten die traditionellen Unterschiede zwischen den marxistischen und trotzkistischen GenossInnen überwunden werden.

Nach dieser Podiumsrunde wurden drei Fragen zur Diskussion gestellt.

Soll eine feministische Organisierung mit oder ohne Männer erfolgen?

Für Heike ist es notwendig, in FrauenLesben- Gruppen aktiv zu sein, weil wir immer noch im Patriarchat leben. In allen gemischten Gruppen, in denen sie gearbeitet hat, gab es sexistische und patriarchale Verhaltensweisen. Aus dem Publikum kam dann, dass die spannendere Frage sei: Was könnten Kriterien oder Ausschlusskriterien sein? Ein sensibler Umgang sei bedeutsam. Wenn es um Systemkritik ginge, sei auch die Zusammenarbeit mit Genossen wichtig. Die Doppelbelastung sei aber auch ein Problem, nämlich antikapitalistische und feministische Perspektiven in die gemischten Gruppen hineinzutragen. Eine Teilnehmerin berichtete, dass beim Ladyfest die Workshops geschlossen und die Partys offen waren. Es sei wichtig gewesen, es teilweise offen und teilweise geschlossen zu halten. Sie würden sich freuen, wenn Männer etwas machen, viele seien auch solidarisch gewesen. Es wurde auch festgestellt, dass es oft die Frauen in gemischten Gruppen sind, die auf bestimmte Strukturen, z.B. Hierarchien, Dominanz im Redeverhalten hinweisen. Zudem wurde auf das Problem aufmerksam gemacht, dass Frauen nicht die gleichen Positionen haben müssen, nur weil sie Frauen sind. So gehen auch Frauengruppen auseinander. Die Frage am Schluß „Was sind Bedingungen für gemischte Politikzusammenhänge?“ blieb offen.

Um welche Themen geht es denn?

Linksradikale Gruppen in Berlin, wie Interkomm, Avanti, FelS oder auch Antifa- Gruppen, fangen immer mehr an, sich mit Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen. Aber es werden immer ähnliche Themen bedient:

- 1000 Kreuze in die Spree: feministische Mobilisierung anhand der Abtreibungsfrage
- feministische Organisierung in Folge von Slutwalk zur Vergewaltigung
- Arbeitsteilung, Care Work, Familienarbeit, Reproduktionsarbeit

Die feministische Perspektive muß aber in allen Themen präsent sein. Heike führte das anhand des Themas Antimilitarismus aus. Es wird zunehmend Krieg geführt. Auch wenn diese Kriege nicht hier geführt werden, macht das etwas mit der Gesellschaft. Der Krieg wirkt auf Geschlechterverhältnisse, er produziert z.B. „Helden“. Die Geschlechtszuordnung wird durch die zunehmende Militarisierung verschärft. Die Bundeswehr rekrutiert z.B. Frauen, weil damit „die Atmosphäre besser wird“. Wer auf youtube „Bundeswehr und Frauen“ eingebe, bekäme „das Kotzen“.
Aus dem Publikum kam, dass das Patriarchat nicht das einzige Unterdrückungsverhältnis sei. Sexismus könne nicht von anderen Unterdrückungsverhältnissen getrennt werden.

In welcher Form soll eine feministische Organisierung erfolgen?

Es gebe viele feministische Haltungen. Es kann nicht eine Lösung und eine Antwort geben. Es ginge nicht darum, einen Feminismus oder eine Bewegung zu kreieren. Das war ein Fehler bei der Frauenbewegung. Eine feministische Bewegung sollte vielfältig sein. Es sei unglaublich wichtig, die Verschiedenheit in der Bewegung anzuerkennen.
Privilegierte Diskussion?

Es wurde betont, dass die feministische Theorie sehr voraussetzungsvoll sei. Viele verstehen Judith Butler nicht und meinen dann, sie bräuchten sich damit nicht auseinander zu setzen. Zudem hätten auch Frauen sehr unterschiedliche soziale Lagen, so würden sie auch das Thema Prekarisierung aus unterschiedlichen Perspektiven angehen. Aus dem Publikum kam dann: „Ich kann hier kaum folgen. Die Sprache in diesem Raum ist sehr universitär, ich habe keine Zeit, zu lesen, weil ich arbeiten muß. Auch in diesem Raum existieren Unterdrückungsverhältnisse.“ Eine andere Frau schlug vor, sich auch mal mit prekären Schleckerverkäuferinnen zu unterhalten, auch andere Identitäten anzuerkennen. Nele sagte, dass es darum ginge, dass Menschen, die nicht gehört werden, eine Stimme bekommen.

Zum Schluß der Veranstaltung führte der Satz „Frauen werden schwanger“ zu einem längeren Streit. Wer die Debatte um Begriffe und ihre Geschichte nicht kennt, hatte Schwierigkeiten, dem überhaupt zu folgen.

Die Moderatorin fasste abschließend ihre wichtigsten Punkte zusammen:
1. Wir sollten uns trauen, uns zu streiten, uns miteinander auseinander zu setzen.
2. Wichtig ist aber auch, uns strategisch zusammenzusetzen, um „in die Krise reinzurocken“.
3. Wir müssen uns mit Prekarisierung auf feministische Art und Weise auseinandersetzen, z.B. dieses Thema beim Slut Walk einbringen.

Ich denke, das Thema Prekarisierung betrifft in diesen Zeiten viele Frauen und ist daher sehr wichtig. Daher ein Tipp. Ein paar junge Historikerinnen haben im Rahmen und mit Unterstützung des Arbeitskreises Geschichte sozialer Bewegungen Ost West eine Veranstaltung für den 24. November d.J. vorbereitet, in der es um die Frage nach einem neuen Ansatz für Frauenemanzipation angesichts der prekären Arbeits- und Lebenslagen gehen soll. Sie haben in den derzeit angebotenen feministischen Lösungen, aber auch in den von Gewerkschaften traditionell erhobenen Forderungen, keine sie befriedigenden Antworten auf die Frage gefunden, wie mensch aus dem Widerspruch zwischen Anspruch und neoliberaler Wirklichkeit raus kommen kann, gefunden.

Ein Treffen findet am 20. Oktober um 18 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Vorderhaus, Raum 06, 1. Etage, Greifswalder Str.4, statt. Interessierte Frauen sind herzlich eingeladen.

Prekarisierung allgemein bei Labournet
Hier ein Artikel von Detlef Georgia Schulze:
Mal wieder: Queere Identitätspolitik contra revolutionär-dekonstruktivistischem Feminismus

Aus Anlaß der Veranstaltung vom vergangenen Montag wurde im übrigen eine Broschüre mit dem Titel "Feminismus und antikapitalistische Organisierung" erstellt.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text von der Autorin.