Texte
zur antikapitalistischen Organisations- und Programmdebatte

10/11

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Eine neue antikapitalistische Organisation braucht nur ein Minimalprogramm

von G. Karfeld

Wenn eine Organisation sich als antikapitalistische Organisation bezeichnet, heißt das, sie hat sich das Ziel vorgenommen das herrschende kapitalistische System abzulösen und durch ein anderes, welches das auch immer sein mag, zu ersetzen.

Es muss auf jeden Fall im Gegenzug ein anderes alternatives Gesellschaftsmodell entwickelt werden. Es muss also für das Alte etwas neues angeboten werden. Dieses Neue muss gleichzeitig in der Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen, wenn es ein demokratisches System sein soll. Wenn das kapitalistische System durch ein sozialistisches ersetzt werden soll, stellt sich also die Frage durch welches sozialistische System?

Die vielen sozialistischen Gruppen, Grüppchen, und Parteien führen uns täglich vor Augen wie groß die Vielfalt der sozialistischen Theorien und der möglichen Gesellschaftsmodelle ist. Eine Einigung in dieser Frage erscheint eher aussichtslos. Aber nicht nur diese verschiedenen Theorien stehen einer Einigung im Wege. In jeder dieser Gruppe gibt es Hierarchien und Positionen die einen mehr oder weniger ausgeprägten Machtanspruch beinhalten, der eventuell im Zuge stärkeren Zusammenarbeit mit anderen Gruppen verloren gehen könnte.

Das Streben nach Macht und Einfluß ist keine ausschließlich auf das Kapital begrenzte Eigenschaft. Das streben nach Macht und Dominanz ist auf allen gesellschaftlichen Ebenen vorhanden. Die vielfältigen Gruppen der linke Szene sind davon nicht ausgeschlossen. Wenn also eine Einigung für einen Gegenentwurf zum kapitalistischen Modell nicht in Aussicht steht, sollte man vielleicht diesen Gegenentwurf Schritt für Schritt erarbeiten. Man sollte vielleicht die Diskussion vermehrt auf die technische Seite der Gründung dieser neuen Organisation verlegen.

Wenn man die angedachte neue Organisation mit einem Gebäude vergleicht, stellt sich bei der Planung die Frage, wie will man es nutzen? Welchen Zweck soll es erfüllen? Die Nutzungsansprüche sind also entscheidend für seine Größe und für die Organisation der Räume. Das gleiche gilt auch für eine Organisation. Für revolutionäre gesellschaftliche Veränderungen benötigt man eine sehr viel größere und mächtigere Organisation und andere Strukturen als für einen Verein zur Diskussion gesellschaftlicher Probleme.

Erst einmal klein planen und bauen und dann je nach Situation erweitern und anbauen, das funktioniert nicht so gut, wie die Existenz vieler kleiner linker Organisationen zeigt, die eigentlich nie über ihr begrenztes Nischendasein hinaus wuchsen. Wer also ein großes Gebäude planen will, muss sicherstellen, dass das Interesse, es zu nutzen, auch vorhanden ist. Dies ist Voraussetzung für einen Erfolg, Möglichkeiten des Scheiterns bleiben selbst dann noch sehr viele.

Das heißt bei der Planung einer großen politischen Organisation müssen zwangsweise die Interessen auch sehr vieler Menschen angesprochen werden. Dieser Zwang zur Masse, weil nur mit ihr die angestrebten Änderungen herbeigeführt werden können, führt wiederum zwangsweise dazu, das politische Programm sehr grob in Stichpunkten zu fassen, sprich sich auf ein bereits erwähntes Minimalprogramm zubeschränken. Es ist nun einmal eine Tatsache dass je detaillierter ein Programmentwurf gefaßt ist, desto mehr Meinungsverschiedenheiten entstehen, desto weniger Menschen können sich mit ihm identifizieren. Ein grober Programmentwurf, als Minimalprogramm, erlaubt auch fast allen Gruppen eine Teilnahme ohne dass die eigene Identität verloren ginge.

Was die Massen umtreibt, muss als Thema in diesem Minimalprogramm stehen. Dieser Zwang sich der Themen der Massen anzunehmen hat letztlich auch zwingende Auswirkung auf die Struktur der Organisation. Eine Organisation, die sich die politischen Themen, die die Massen umtreiben zum Programm macht, wäre populistisch, würde sie ihr Wirken nicht in den Dienst dieser Massen stellen. Dies erfordert wiederum basisdemokratische Strukturen.

Bei der Schaffung dieser Strukturen könnte man sich an der Rätedemokratie orientieren. Ein weiterer wichtiger Punkt für den Erfolg einer Organisation ist auch immer das geschlossene Auftreten in der Öffentlichkeit. Das beinhaltet nicht, dass eine Einebnung der Meinungen stattfinden muss. Es ist nur eine Diskussionskultur zu pflegen, die eben Ausdruck einer solidarischen Gesellschaft ist. Wenn bei Diskussionen sozusagen die Fetzen fliegen, ist das Ziel „solidarische Gesellschaft“ unglaubwürdig. Politische Ziele grob umrissen, hinter denen sich die Massen auch versammeln lassen, erleichtern auch ein geschlossenes auftreten der Organisation.

Diese zwei Punkte Größe und innere Struktur der Organisation haben also einen entscheidenden Einfluß auf die generelle Diskussion. Zur Gründung einer basisdemokratischen Organisation macht es keinen Sinn groß über detaillierte Programme zu diskutieren, wenn noch keine Basis existiert, die über diese Programme mit diskutieren, sie mit gestalten und über sie abstimmen könnte. Dieser Umstand erlaubt nun einmal nur ein Minimalprogramm.

Deren Programmpunkte müssen sich an den Interessen der Menschen ausrichten die man als Basis gewinnen will. Die Ansprechpartner sind vor allem die Masse der Lohnabhängigen, unabhängig davon ob Beschäftigte, Arbeitslose, oder Rentner. Man muss nicht die Enteignung des Kapitals propagieren um den kapitalistischen Staat herauszufordern. Das gelingt auch mit kleineren Zielen. Besser sucht man die Konfrontation mit Forderungen bei denen man die Moral in Form von Menschenrechten auf seiner Seite hat und gleichzeitig Themen anspricht, die die Lohnabhängigen und vor allem auch die Junge Generation beschäftigt. Alles was zur Grundversorgung der Menschen gehört, was für ein menschenwürdiges Leben in Freiheit notwendig ist, zählt dazu.

Das sind Themen wie Mindestlohn, Versorgung bei Arbeitslosigkeit, Recht auf Arbeit, Mindestrente, ein qualitativ gutes Gesundheitssystem, qualitativ gute Nahrungsmittel, eine gesunde und intakte Umwelt, Recht auf Wohnung, sofortige Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, u.s.w.. Vor allem der jungen Generation muss geholfen werden, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Diese elementaren Interessen der Menschen stellen gleichzeitig ihre Grundrechte dar. Für die Sicherstellung dieser Grundrechte der Bevölkerung müssen alle anderen Interessen zurück zu stehen. Es wäre schon als ein großer Erfolg anzusehen wenn in der Bevölkerung eine breite Diskussion über diese Themen stattfinden würde.

Das kapitalistische System ist keine heilige Kuh. Dort wo seine Spielregeln diese Grundversorgung der Bevölkerung verhindern, müssen diese Spielregeln geändert werden. Schritt für Schritt sollte so eine solidarische Gesellschaft geschaffen werden.

Die Menschen müssen aufgefordert werden sich diese gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur zu wünschen, sondern aktiv an ihrer Verwirklichung mitzuarbeiten und sich basisdemokratisch an der Gestaltung der eigenen Zukunft zu beteiligen. So wird verhindert, dass ihnen ein neues Gesellschaftssystem übergestülpt wird. Was man selbst mitgestaltet hat wird man auch verteidigen.

Die geforderte Sicherstellung dieser Grundrechte richtet sich direkt gegen die Interessen des Kapitals. Denn das Kapital braucht diese Unsicherheit der Grundversorgung um den Wettbewerbsdruck aufrecht zu erhalten, der notwendig ist, um die Ausbeutung der Massen erfolgreich fortsetzen zu können. Im Gegenteil, Auf Grund der in der Verfassung festgeschriebenen Verschuldungsgrenze werden weitere Angriffe auf die jetzt schon ungenügende Grundsicherung folgen. Eine gesicherte Grundversorgung rüttelt an der Macht des Kapitals und des bestehenden Systems, deshalb werden die kapitalistischen Parteien diese Forderungen mit allen zur Verfügbaren Mitteln zurückweisen.

Diese Rechte müssen sich die Lohnabhängigen erkämpfen. Ein altes Sprichwort heißt wer nicht kämpft hat schon verloren. Die kapitalistischen Parteien werden nur soweit Zugeständnisse an die Bevölkerung machen, wie der Druck aus der Bevölkerung es erfordert. Dieser Druck kann seine Wirkung nur entfalten wenn er gut koordiniert und organisiert zur Wirkung kommt. Dies sollte die Aufgabe dieser neuen Organisation sein.

Ob auch eine politische Partei aus der Bewegung hervorgeht, sollte ebenfalls erst eine vorhandene Basis entscheiden. Die Kontrolle dieser Partei durch die Basis ist auch hier ein wichtiger Bestandteil.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wenn irgendwo eine Revolution stattfindet, ist gewöhnlich der zweite Schritt nachdem dem Sturz der Regierung, die Kontrolle der Massenmedien. Wer diese Medien beherrscht, beherrscht die öffentliche Meinung. Die Monopolstellung der kapitalistischen Medien, ist ein sehr wichtiger Machtfaktor des kapitalistischen Systems. Dem kann zwar nichts gleichwertiges entgegengestellt werden, aber es gilt nicht nur eine eigene Informationsstrukturen aufzubauen, sondern auch bei jeder Gelegenheit auf die Lügen und Desinformation der Massenmedien hinzuweisen, ihre Glaubwürdigkeit so systematisch zu untergraben und ihre Macht zu schwächen.

Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein entscheidender Faktor auf dem Weg zum Erfolg. Es sollte ein Mediennetzwerk geschaffen werden mit möglichst vielen Partnern, die die Gründung der neuen Organisation fördern, begleiten und die Öffentlichkeit so weit wie möglich informieren. Auch hier gilt, für ein grob gefaßtes Programm mit den Grundrechten für ein Menschenwürdiges Leben, lassen sich leichter unterstützende Medien finden und somit mehr Menschen erreichen.

Was für die Programmpunkte gilt, trifft auch in der Kommunikation zu. Wer von den Massen verstanden und gelesen werden will muss ihre Sprache sprechen. Der Arbeiter an der Werkbank spricht eine andere Sprache als der Soziologe. Beide sollten sich verstehen sonst funktioniert die Kommunikation nicht. Ein weiterer wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit für die neuen Organisation sind die Mitglieder. Jedes neue Mitglied kann in seinem Umfeld die Organisation bekannt machen, über ihre Ziele informieren, Flugblätter verteilen und so den Bekanntheitsgrad erweitern. Mit jedem neuen Mitglied werden so mehr Menschen erreicht.

Dafür braucht es wiederum eine aktive Mitgliederbasis, die man nur erhält wenn die vorgegebenen Ziele aufrichtig und beharrlich verfolgt werden und die Mitglieder basisdemokratisch in die Entscheidungen der Organisation eingebunden werden.

Editorische Anmerkung

Wir spiegelten den Text von der Website SCHARF-LINKS, wo er am 6.10.2011 erschien.