Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Woerthergate: Die französische Staatsspitze ist in den Skandal um die Bespitzelung eines Journalisten tief verwickelt
 

10/11

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In den ersten Septembertagen 2011 war es der augenblicklich größte Skandal der französischen Republik. Seit Sonntag, den 11. September 11 wird er inzwischen allerdings durch einen anderen, wohl noch größeren Skandal vorübergehend verdrängt: In der Sonntagszeitung JDD  von jenem Tag plauderte der Pariser Anwalt Robert Bourgi, der seit 25 Jahren als Mittelsmann zwischen der französischen Politik und diversen Autokraten in Frankreichs neokolonialer Einflusssphäre in Afrika diente, munter drauf los. Er berichtete über mit Bargeld gefüllte Koffer, die er bei Ex-Präsident Jacques Chirac und Ex-Premierminister Dominique de Villepin abgegeben habe, „20 Millionen Euro im Jahr“. Gelder, die den oft armen und Not leidenden afrikanischen Staaten gestohlen und zwischen französischen Politikern sowie örtlichen Potentaten aufgeteilt wurden. Die Geschichte war am darauffolgenden Montag auf vielen Titelseiten, die Pariser Abendzeitung Le Monde sah „Feuer an die Republik“ gelegt. 

Dies kann den anderen Megaskandal nicht vergessen machen, auf den dieselbe Zeitung seit dem 01. September 11 eindringlich – und mit neuen Beweisen ausgestattet - hinwies, nachdem er bereits im vergangenen Jahr die Geister der Republik beschäftigt hatte.  

Am Donnerstag, den 01. September 11 publizierte die liberale Zeitung den Nachweis dafür, dass ihre Redaktion vor nunmehr 14 Monaten sehr wohl von Staats wegen ausgespäht worden: Sie verfügte dank der Ermittlungen einer Untersuchungsrichterin – Sylvie Zimmermann -  über die Dokumente, welche belegten, dass der französische Inlandsgeheimdienst (die DCRI) der französischen Telekom angeordnet hatte, die persönlichen Kommunikationsdaten eines ihres Journalisten offenzulegen. Die DCRI, „Generaldirektion für inländisches Nachrichtenwesen“, entstand 2008 aus einer Fusion der bisherigen Spionageabwehr und der Renseignements Généraux, die faktisch als eine Art politische Polizei funktionieren. Theoretisch waren die RG für die „Überwachung von Extremisten“ zuständig – wie sie das auffassten, zeigte sich am vergangenen Wochen, als ihr langjährigerer früherer Chef Yves Bertrand an die Adresse der regierenden Rechten dafür plädierte, den rechtsextremen Front National (FN) in eine Koalition aufzunehmen… 

Im Juni/Juli 2010 hatten Enthüllungen der Internetzeitung Médiapart einen Skandal ausgelöst. Es handelte sich um eine Affäre rund um die Multimilliardärin Liliane Bettencourt (eine der Hauptaktionärinnen von Nestlé), die den damaligen Präsidentschaftskandidatin Nicolas Sarkozy mutmaßlich im Jahr 2007 mit dicken Briefumschlägen voller Bargeld auf illegale Weise finanzieren ließ. Vgl. dazu unseren damaligen ersten Artikel: Die Leiden des alten W. 

Ihre verdächtigen, engen Beziehungen unter anderem zum früheren Schatzmeister Sarkozys und späteren Arbeitsminister Eric Woerth kamen durch Mediapart ans Tageslicht: Die Internetzeitung publizierte Abschriften von Tonbandaufnahmen, welche- vor dem Hintergrund eines Familienstreits im Bettencourt-Clan - auf ungesetzliche Weise im Hause der Milliardärin angefertigt worden waren. Diese Veröffentlichung brachte den Stein ins Rollen und löste eine Lawine von Enthüllungen aus, die der politischen Karriere von Eric Woerth im November 2010 ein Ende setzten. Derselbe Woerth hatte als zeitweiliger Haushaltsminister Steuerhinterziehung der Bettencourt  in mehrfachen Milliardenhöhe gedeckt.  

Auch an der Staatsspitze interessierte man sich für diesen Skandal, aber unter anderen Gesichtspunkten: Wo waren die „lecken Stellen“, aus denen Informationen etwa über den Fortgang der Justizermittlungen zur Affäre an „feindlich gesonnenen“ oder „unzuverlässige“ Medien geflossen waren? In der zweiten Juliwoche 2010 hatte die konservative Tageszeitung Le Figaro aus internen Akten der Justiz zitiert, und zwar in einer Weise, die zur Verteidigung Bettencourts und Woerths beitragen und den Skandal abflauen lassen sollte. Verantwortlich dafür, dass der Zeitung – deren Redakteure dagegen protestierten, dass die Chefredaktion ihr Blatt zum puren „Propagandaorgan des Elysée-Palasts“ reduziere und die für die Affaire zuständigen Journalisten dafür ausgebootet habe  – Zugang zu den Akten gewährt wurde, war aller Wahrscheinlichkeit nach Claude Guéant. Daran störte man sich im Präsidentenamt nicht. (Vgl. dazu unseren Artikel: Korrupt bis zum Anschlag, besonders Fußnote 69) Als jedoch gut eine Woche später, am 17. Juli 11, auch die linksliberale und gegen Sarkozy opponierende Zeitung Le Monde aus Justizakten zitierte, dieses Mal im gegenläufigen Sinne, schrillten dort die Alarmglocken. 

Schnell wurden illegale Ermittlungen durchgeführt, indem man – unter Umgehung der für Abhöraktionen und Einblicke in Telefonverbindungsdaten erforderlichen Kontrolle durch eine besondere „unabhängige Kommission“, die CNCIS – sich von den Mobiltelefonanbietern eine Liste mit Verbindungsdaten der zuständigen Journalisten geben ließ. Dabei stellte sich heraus, dass der Verfasser des Le Monde-Artikels, Gérard Davet, in den Tagen vor Erscheinen des Artikels mit einem Berater von Justizministerin Marie Alliot-Marie („MAM“) telefoniert hatte: David Sénat. Daraufhin wurde Sénat noch Ende Juli 11, also noch bevor die Justiz zu der Angelegenheit eingeschaltet wurde - zu einem Zeitpunkt, da sämtliche Ermittlungen dazu illegal waren - strafversetzt. Und zwar nach Cayenne, in die Bezirkshauptstadt von Französisch-Guayana. Neben der geografischen Entfernung spielt dabei auch die symbolische Bedeutung dieser Versetzung eine wichtige Rolle: Cayenne, genauer die vorgelagerte „Teufelsinsel“ und ihr Zuchthaus, war bis 1947 ein berüchtigter Verbannungsort. Wäre Sénat einige Jahrzehnte früher dorthin gegangen, wäre er wohl mit einer Eisenkugel am Bein dort angekommen. 

Le Monde erfuhr von diesen Ausspähaktionen erst einige Wochen später, Anfang September d. J. In Leitartikeln und Kommentaren protestierte die Redaktion energisch, sie verglich das Vorgehen mit der Watergate-Affäre unter US-Präsident Richard Nixon von 1972 rund erstattete ferner Strafanzeige gegen Unbekannt. 

In den darauffolgenden Wochen erhielt der Skandal neue Nahrung. Nacheinander wurden zwischen dem 08. und dem 23. Oktober 2010 insgesamt vier Lap-tops aus Redaktionsräumen und Privatwohnungen gestohlen, deren Besitzer im Zusammenhang mit den Recherchen über die Bettencourt-Affäre stehen. Es handelt sich um zwei Rechner aus den Räumen von Médiapart, einen Computer aus dem Haus von Gérard Davet, und zuletzt einen aus dem Büro, das der zu Bettencourt recherchierende Journalist Hervé Gattaigno beim Wochenmagazin Le Point erst eine Woche zuvor bezogen hatte. In der Nähe der gestohlenen Rechner stehende Gegenstände, wie ein Fotoapparat in der Wohnung Davets, interessierten die Diebe hingegen nicht. 

Zunächst hatten die Zeitungen zwar an nichts Besonderes gedacht, da die beiden Rechner bei Mediapart nicht im Zusammenhang mit den Bettencourt-Recherchen standen. Zwei Wochen später fiel dort allerdings auf, dass neben den Computern unter anderem auch die CD-Rom mit den inzwischen berühmten Mitschnitten aus dem Hause Bettencourt aus einer Schublade entwendet worden war. Längst sind die Medienschaffenden und sehr viele Beobachter jedenfalls der Auffassung, dass es sich um ein bisschen viele Zufälle auf einmal handele. 

Dank der durch DCRI-Chef Bernard Squarcini unterzeichneten Anordnung an die französische Telekom, die Kommunikationsdaten des Le Monde- Journalisten Gérard Davet herauszugeben, hat man nun Gewissheit darüber, dass die Staatsspitze Medienschaffende in dieser Zusammenhang hat illegal aushorchen lassen. Der mit Squarcini in dieser Angelegenheit zusammenarbeitende Polizeichef Frédéric Péchanard hat diese Informationen ausdrücklich bestätigt. Innenminister Claude Guéant sieht jedoch keinerlei Anlass für Sanktionen (vgl. http://www.lefigaro.fr/ ), sondern spricht von zwei „verdienstvollen Mitarbeitern“. Eine für den 07. September 11 geplante ministerielle Ehrung für Péchenard, welchem an jenem Tag eine hohe Auszeichnung verliehen werden sollte, wurde jedoch vorsichtshalber doch lieber verschoben. Vgl. http://www.lemonde.fr  und http://www.arretsurimages.net 

Inzwischen wurden Squarcini & Péchenard bei der ermittelnden Untersuchungsrichterin vorgeladen. // Vgl. dazu http://www.lepoint.fr/ und http://www.marianne2.fr/ oder http://www.lefigaro.fr/sowie http://www.europe1.fr/ ; oder im Video:  http://www.dailymotion.com  // François Hollande, sozialdemokratischer Oppositionspolitiker und mutmaßlich aussichtsreichster Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei im Frühjahr 2012, forderte jüngste ihre Absetzung aus ihren Ämtern. // Vgl.  http://www.liberation.fr/ und http://www.lexpress.fr/a oder http://www.lemonde.fr/  // 

Allerjüngste Eskalation  

Unterdessen platzte bereits die nächste Bombe: In Nanterre (vor den Toren von Paris, nordwestlich der Hauptstadt) wurde in den letzten Septembertagen dieses Jahres die Eröffnung eines Strafverfahren gegen den Sarkozy-nahen Staatsanwalt u. früheren Untersuchungsrichter Pierre Courroye angekündigt. Dieser erhielt zu diesem Zweck eine richterliche Vorladung. Er wird verdächtigt, persönlich die Überwachung der Telefongespräche von drei, bei der Abendzeitung Le Monde tätigen JournalistInnen - Gérard Davet, Jacques Follorou und Raphaëlle Bacqué - geleitet zu haben. Auch wird ihm vorgeworfen, das Abhören seiner „Rivalin“ am Gericht von Nanterre angeordnet zu haben; es handelt sich um die Untersuchungsrichterin Isabelle Prevost-Desprez. // Vgl. dazu http://www.arretsurimages.net/ und http://www.lefigaro.fr/ //  

Die Rivalität zwischen beiden ist politischer Natur, denn Staatsanwalt Courroye betätigt sich als einer der wichtigsten Grenzträger der politischen Macht Nicolas Sarkozy: Er versuchte im Laufe der seit Juli 2010 anhaltenden „Bettencourt-Affäre“ aktiv und standhaft, die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens der Justiz in Sachen Steuerhinterziehung der Milliardärin & illegale Politikfinanzierung zu verhindern. Um ein solches zu hintertreiben, benutzte er die Feinheiten der juristischen Prozeduren; das Strafverfahrensrecht erlaubte es ihm, „Vorermittlungen“ einzuleiten und (künstlich) in Gang zu halten, während derer kein/e Untersuchungsrichter/in eingeschaltet werden kann. Um die stärker kritisch gegenüber dem politischen Machtzentrum eingestellte Untersuchungsrichterin Prevost-Desprez daran zu hindern, sich einschalten zu können, „vorermittelte“ Courroye also damals munter vor sich und blockierte so über Monate hinweg die Aufnahme eines „richtigen“ und ernsthaft betriebenen Verfahrens. 

Sein unverhohlener, politisch motivierter Aktionismus im Amt (zugunsten der Machtinteressen von Präsident Sarkozy & Co.) trug Courroye nun das drohende Heraufziehen eines Strafverfahrens ein. Aber auch der Untersuchungsrichterin Isabelle Prevost-Desprez drohen derzeit Disziplinarstrafen. Und zwar, weil sie als Interviewpartnerin im jüngst erschienenen Buch zweier Journalisten[1]  explizit Nicolas Sarkozy - als Empfänger illegaler Zahlungen im Zusammenhang mit der „Bettencourt-Affäre“ - benannte und angriff. Ihr drohen nun disziplinarrechtliche Sanktionen. // Vgl.  http://tempsreel.nouvelobs.com/   und http://tempsreel.nouvelobs.com/   //  

Das Strafverfahren betreffend die „Affaire Bettencourt“ war im Herbst 2010 der Untersuchungsrichterin Prévost-Desprez entzogen werden, blieb damals jedoch auch nicht in den Händen des umstrittenen Staatsanwalts Courroye. Vielmehr hatte dessen oberster Vorgesetzter, Jean-Louis Nadal, die Sache in die Hand genommen und - entgegen der Position Courroys, welcher bei staatsanwaltlichen „Voruntersuchungen“ bleiben wollte - die Einsetzung eines/r Untersuchungsrichter-s/-in für die Aufnahme von Ermittlungen angeordnet. Allerdings sollte es sich bei letztere-r/m nicht um Isabelle Prévost-Desprez handeln. // Vgl. http://www.liberation.fr/ //  

Unterdessen dauert auch der Erbfolgekrieg im Hause der alternden Milliardärin Liliane Bettencourt an. Dieser Streit, bei dem es im Kern um den Konflikt zwischen der 88jährigen (im Laufe dieses Monats 89jährigen) Milliardärin, L’Oréal-Erbin und Nestlé-Aktionärin Bettencourt und ihrer Tochter Françoise Bettencourt-Meyers geht, löste im Juni 2010 die skandalträchtigen Enthüllungen zum Thema aus: Aufgrund des schwelenden Streits im Hause Bettencourts hatten Hausbedienstete, die in dem Privatkrieg Position ergriffen hatten, Tonbandmitschnitte bei Tisch angefertigt und diese der Internetzeitung Médiapart zukommen lassen. Diese hatte Auszüge aus den ihr zugespielten Aufnahmen veröffentlicht und dadurch auf Tatbestände wie illegale Politikerfinanzierung und Steuerhinterziehung (in zweistelliger Millionenhöhe) aufmerksam gemacht. Nun geht der Erbschafts- und Familienstreit in eine neue Runde: Liliane Bettencourt erklärte soeben, notfalls sei sie zum „Atomkrieg“ (Sic!) gegen ihre Tochter bereit. // Vgl. http://www.lemonde.fr/l und http://tempsreel.nouvelobs.com/l  // Letztere möchte ihre Mutter aufgrund zu großzügigen Ausschüttens von Geldern für unzurechnungsfähig erklären und folglich entmündigen lassen.

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu http://www.lexpress.fr/a  und http://www.lefigaro.fr/ - Die beiden Autoren sind Gérard Davet von Le Monde, zu ihm siehe oben; und Fabrice Lhomme, der seit 2008 bei der Internetzeitung und Le Monde-Abspaltung Médiapart arbeitete, doch im April 2011 zu der Abendzeitung zurückkehrte.

 

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.