Die sich nicht brechen ließen
Horst Gobrecht: Und gingen aufrecht doch


besprochen von Peter Nowak

10/11

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„Sie hätten ruhig klar und deutlich schreiben müssen, dass Noetzel als Nazi-Opfer verstorben ist. ... Es hieß damals Noetzel hätte sich aufgehängt. Leute, die es noch besser wissen müssen wie ich, behaupten allerdings, er sei ermodert worden“. Diesen Leserbrief schrieb der ehemalige SPD-Oberbürgermeister von Wiesbaden Georg Buch am 30. Dezember 1980 an den Wiesbadener Kurier. Das konservative Lokalblatt hatte über eine Ausstellung des Malers Adolf Noetzel berichtet und seinen Kampf den Nationalsozialismus verschwiegen. Er sei 1941 in Wiesbaden gestorben, hieß es in dem Blatt. Von der Folter, der er sich in den letzten Wochen seines Lebens in den Händen der Gestapo ausgesetzt war, kein Wort. Denn Adolf und Grete Noetzel waren Kommunisten. Sie warnten schon in der Endphase der Weimarer Republik, dass Hitler Krieg bedeutet und kamen deswegen schon vor 1933 mit der Justiz in Konflikt. So wurde Grete Noetzel schon im Mai 1931 zu einer zur Bewährung ausgesetzten dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie dafür verantwortlich gemacht wurde, dass eine Gruppe von Kindern im Alter von 5- bis 13 Jahren ohne Demonstrationserlaubnis vom Parteilokal der KPD zu einem Versammlungssaal hat marschieren lassen. Adolf Noetzel wurde 1931 aus dem SPD-nahen Zentralverband der Angestellten ausgeschlossen, weil er für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik eingetreten ist.

Die Dokumente finden sich in einem Buch, dass in der Reihe „Bibliothek des Widerstands“ im Pahl-Rugenstein Verlag erschienen ist und das Leben von Grete und Adolf Noetzel anhand des Nachlasses aufarbeitet, den die Tochter des Ehepaars aufbewahrt hat. Der Journalist Horst Gobrecht rekonstruierte aus amtlichen Dokumenten und Briefen das bisher unbekannte Leben der bedien Wiesbadener Kommunisten. Die Noetzels waren auf der regionalen Ebene in der KPD und ihnen nahestehenden Organisationen engagiert. Hauptamtliche Funktionen hatten sie keine. Das bedeutete, dass für sie neben der politischen Arbeit immer der Kampfs ums Überleben eine große Rolle spielte. Wie viele Kommunisten wurde auch Adolf Noetzel im März 1933 in „Schutzhaft“ genommen und verlor seine Arbeit als Reklamechef eines Wiesbadner Kaufhauses. Vom Polizeigefängnis Wiesbaden wurde er in das Konzentrationslager Sonnenburg verlegt, wo er an Tuberkulose erkrankte. Seit dieser Zeit war er mit Unterbrechungen immer wieder in Haft. Auch Gretel Noetzel war bald im Visier von Gestapo und SA. Im Herbst 1933 wurde sie ins Konzentrationslager Moringen verschleppt. Ein Teil der Gefängnisbriefe, die sich die Eheleute geschrieben haben, blieb erhalten und bildet die Grundlage für das Buch.

Anfangs verbreitete Adolf noch Optimismus, um seine Frau auf andere Gedanken zu bringen. Immer wieder schrieb er über seine Pläne sich als Maler zu etablieren. Einige Galerien hatten Interesse an seinen Bildern, eine französische Zeitung widmete ihm sogar einen Artikel. Unter den Augen der Zensoren konnte natürlich über Politik nur verschlüsselt geschrieben werden. „Du schreibst, ich würde staunen, was und wie sich draußen alles geändert hat. Ich kann mir das von hier durchaus vorstellen,“ schreibt Noetzel am 21.Mai 1933. Die Hilflosigkeit angesichts der schnellen Zerschlagung von KPD, SPD und Gewerkschaften und der Zerstörung der linken Infrastruktur, ist aus diesen Sätzen deutlich rauszulesen. Sobald sie wieder in Freiheit waren, setzten die Noetzels ihre Widerstandsarbeit fort. Im November 1941 wurden die Eheleute und einige Freunde als Mitglieder der Hoevel-Noetzel-Widerstandsgruppe verhaftet. Vorgeworfen wurde ihnen das Abhören ausländischer Radiosendungen und das Verbreiten von Witzen gegen die Nazis. Neben Adolf Noetzel überlebten auch Andreas und Anneliese Hoevel die Nazizeit nicht. Sie wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Unter den Überlebenden der Gruppe war auch Rudolf Steinwand, der spätere Minister für Berg- und Hüttenwesen in der DDR. Auch Grete Noetzel überlebte und starb 1983 in Hessen. Geehrt wurde sie für ihre Widerstandsarbeit nicht von staatlichen Stellen, sondern von der VVN/Bund der Antifaschisten. Im Zündschnüre-Song von Franz Josef Degenhardt, der in dem Buch abgedruckt ist, heißt es: „Und die von den Faschisten, sich nicht zerbrechen ließen, die waren es nicht mehr viel“. Die Noetzels gehörten dazu. Es ist Autor und Verlag zu danken, dass sie ihr Leben dem Vergessen entrissen haben.

Ungeklärte Fragen

Einige Fragen bleiben nach der Lektüre, die auch der Herausgeber, der sonst sehr akribisch die historischen Daten zu den in den Briefen genannten Personen ermittelt hat, nicht ansprach. Warum dachten die Noetzels nie an die Möglichkeit der Emigration? Diese Frage stellt sich schon deshalb, weil es von Wiesbaden nicht weit ins Saarland war, wo zumindest in den ersten Jahren der NS-Herrschaft viele Antifaschisten Exil suchten weil es ja nicht zu Deutschland gehörte. Da Adolf Noetzel als Maler nicht ganz unbekannt war und sogar französische Medien für ihn Interesse hatten, stellte sich die Fragen noch einmal besonders. Den Kontakt zur französischen Kunstzeitung musste Grete Noetzel mühsam erhalten, während ihr Mann im Konzentrationslager sass. Davon wiederum sollte die französische Zeitung nichts erfahren? Auch hier stellt sich die Frage nach dem Warum? Wäre es nicht für die Noetzels eine Unterstützung gewesen, wenn publik geworden wäre, dass der Künstler inhaftiert wurde. Hätte daraus nicht sogar eine Solidaritätskampagne entstehen können? Die Leser bleiben im hier Unklaren. Auch die Formulierung der Briefe, wo sich Noetzel politisch zumindest indifferent zeigte, bleibt offen Der Herausgeber hat diese Formulierungen, die eine Abkehr von der kommunistischen Partei und eine Einordnung in den nationalen Staat zumindest nahelegen, als Tarnung interpretiert. Welche Beweise gibt es dafür, außer dem tatsächlichen Verhalten der Noetzels, die ja ihre Widerstandsarbeit fortsetzten. Könnten diese Briefe nicht auch ein einzigartiges Dokument der Schwankungen sein, denen sich auch politisch aktive Linke in dieser Zeit zu kämpfen hatten, dass also solche Überlegungen, den Kampf einzustellen durchaus vorhanden waren, aber eben durch die reale Entwicklung in NS-Deutschland und auch durch den Einfluss von Freuden und Genossen konterkariert wurden. Zumindest regt die Lektüre der Briefe auch an, vorsichtiger mit solchen Zeugnissen umzugehen. Wer sie liest, könnte an mehreren Stellen denken, der Autor wolle sich an die NS-Zeit anpassen. So müssen es auch manche von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gelesen haben, die in der Nachkriegszeit zunächst an der Widerstandsarbeit zweifelten. Es ist also gerade für heutige Leser immer wichtig, solche schriftlichen Zeugnisse in den historsichen Kontext zu stellen und das reale Wirken der Autoren zu untersuchen. Das ist in dem Buch gut gelungen und so erhalten wir das Bild von Menschen, die nicht , wie es immer pathetisch und verlogen heißt, dass bessere Deutschland waren. Nein, sie waren Menschen, die im braunen Terror noch ein Minimum von Zivilisation gelebt haben. Deshalb ist es wichtig, sich ihrer zu erinnern.

Horst Gobrecht
Und gingen aufrecht doch
Grete und Adolf Noetzel, Antifaschistischer Widerstand und Briefe aus der Haft,

Pahl-Rugenstein Verlag, 2011
351 Seiten,
ISBN 978-3-89144-444-3
19,90 Euro