Anfänge der Rassentheorie im 18. Jahrhundert

von Georg Lukács

10/11

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Der Biologismus ist in Philosophie und Soziologie stets die Basis von reaktionären Weltanschauungstendenzen gewesen. Das hat mit der Biologie als Wissenschaft selbstverständlich nichts zu tun. Es entsteht vielmehr aus den Bedingungen des Klassenkampfes, die für die reaktionären Tendenzen pseudo-biologische Begriffe, pseudo-biologische Methoden zu einem geeigneten Instrument des Kampfes gegen die Konzeption des Fortschritts gemacht haben. Eine solche Verwendung entstellter und verzerrter biologischer Begriffe in Philosophie und Soziologie geschieht im Laufe der Geschichte, je nach den Umständen, in naiver oder raffinierter Form. Jedoch die Anwendung der Analogie des Organismus auf Gesellschaft und Staat hat stets und nicht zufällig eine Tendenz gehabt, die jeweilig bestehende Struktur der Gesellschaft als „naturgemäß" nachzuweisen; schon in der alten anekdotischen Form der Fabel des Menenius Agrippa ist diese Tendenz klar sichtbar. Im reaktionären Kampf gegen die Französische Revolution erhält der Organismusvergleich, schon bei Burke, eine neue Nuance, indem er sich nicht nur auf den statischen Zustand, sondern auch auf die dynamische Entwicklung bezieht, indem nur das „organische Wachstum", also die Änderung durch allmähliche und kleine Reformen mit Einverständnis der herrschenden Klasse, als „naturgemäß" angesehen wird, während jede revolutionäre Umwälzung den verwerfenden Akzent des „Naturwidrigen" erhält. Eine besonders ausgebaute und verbreitete Form erhält diese Auffassung im Laufe der Entwicklung der reaktionären deutschen Romantik (Savigny, Historische Rechtsschule usw.). Hier wird der Gegensatz von „organischem Wachstum" und „mechanischem Machen" ausgearbeitet: es ist die Verteidigung der „gewachsenen" feudalen Privilegien gegen die Praxis der Französischen Revolution, gegen die auf ihrem Boden stehenden bürgerlichen Ideologien, die als mechanisch, intellektualistisch, abstrakt verworfen werden.

Dieser durch die Französische Revolution zuerst außerordentlich verschärfte Gegensatz reicht weit zurück. Die Ideologie der entstehenden bürgerlichen Klasse kämpft, den eigenen Klasseninteressen entsprechend für die Gleichheit aller Menschen (das heißt für ihre bürgerliche, formaljuristische Gleichberechtigung) und kritisiert heftig die bestehenden feudalen Privilegien, die feudale Standesungleichheit der Staatsbürger. Da nun zur Zeit der Verschärfung dieser Kämpfe die Herrschaft des Adels bereits ökonomisch wie politisch erschüttert war, wodurch er seine wirklichen mittelalterlichen sozialen Funktionen verlor und sich immer reiner zürn Parasitentum entwickelte, mußte in diesem das Bedürfnis nach ideologischer Verteidigung der Privilegien entstehen.

Aus diesen Kämpfen wächst die Rassentheorie heraus. Die Ideologen des Adels verteidigen die standesgemäße Ungleichheit der Menschen mit dem Argument, daß diese nur der juristische Ausdruck einer naturgemäß vorhandenen Ungleichheit der Menschenarten, der Rassen, sei und darum als „Naturtatsache" durch keinerlei Institutionen, ohne die höchsten Werte der Menschheit zu gefährden, aufzuheben sei. Schon am Anfang des 18. Jahrhunderts schreibt der Graf von Boulainvilliers (1727) ein Buch, in welchem er nachzuweisen versucht, daß in Frankreich der Adel die Nachkommen der alten herrschenden Rasse der Franken repräsentiert, während die übrige Bevölkerung Nachkommenschaft der unterworfenen Gallier sei (1). Es stünden also zwei qualitativ verschiedene Rassen einander gegenüber, und die Überlegenheit der Franken könne man nur durch eine Vernichtung der Zivilisation aus der Welt schaffen. Die Publizistik des 18. Jahrhunderts hat bereits diese These leidenschaftlich bekämpft. So erklärt unter anderem Dubos (1734) die Eroberung Frankreichs durch die Franken für eine Legende(2).

Besonders scharfe Formen erhält diese Polemik zur Zeit der Französischen Revolution. Volney verspottet in seinen „Ruinen" (3) den Anspruch des Adels, eine vornehme und reine Rasse vorzustellen. Er zeigt ironisch, ein wie großer Teil des vorhandenen Adels aus Neureichen besteht, aus gewesenen Kaufleuten, Handwerkern usw., die sich von der Monarchie durch bares Geld ihren Adel erkauft haben, die also der „Rasse" nach reine Plebejer sind. Und der führende Ideologe der französischen Bourgeoisie in den Anfängen der Revolution, Sieyes, bekämpft prinzipiell die Begründung des Rechts auf der Grundlage der Eroberungen. Der dritte Stand, sagt er, „braucht sich nur in das Jahr zurückzuversetzen, das der Eroberung vorherging, und weil er heute stark genug ist, um sich nicht erobern zu lassen, wird ohne Zweifel sein Widerstand wirksamer sein. Warum sollte er nicht alle diese Familien in die fränkischen Wälder zurückschicken, die den närrisehen Anspruch wagen, sie seien dem Stamme der Eroberer entsprossen und hätten deren Rechte geerbt?"(4)

Anmerkungen

1) A. Thierty: Considerations sut l'histoire de France, Werke, Paris, Garnier, Bd. VII„ S. 65 f.

2) Ebd., S. 71 f.

3) Volney: Les ruincs, Kapitel 15.

4) 1 Sieyès: Qu'est-ce-que le tiers état?, Kapitel 2.

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus : Georg Lukács: Die Zerstörung der Vernunft, Der Weg des Irrationalismus von Schelling zu Hitler,  Berlin und Weimar, 1984; S. 523ff

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