Der Biologismus
ist in Philosophie und Soziologie stets die Basis von
reaktionären Weltanschauungstendenzen gewesen. Das hat mit der
Biologie als Wissenschaft selbstverständlich nichts zu tun. Es
entsteht vielmehr aus den Bedingungen des Klassenkampfes, die
für die reaktionären Tendenzen pseudo-biologische Begriffe,
pseudo-biologische Methoden zu einem geeigneten Instrument des
Kampfes gegen die Konzeption des Fortschritts gemacht haben.
Eine solche Verwendung entstellter und verzerrter biologischer
Begriffe in Philosophie und Soziologie geschieht im Laufe der
Geschichte, je nach den Umständen, in naiver oder raffinierter
Form. Jedoch die Anwendung der Analogie des Organismus auf
Gesellschaft und Staat hat stets und nicht zufällig eine Tendenz
gehabt, die jeweilig bestehende Struktur der Gesellschaft als
„naturgemäß" nachzuweisen; schon in der alten anekdotischen Form
der Fabel des Menenius Agrippa ist diese Tendenz klar sichtbar.
Im reaktionären Kampf gegen die Französische Revolution erhält
der Organismusvergleich, schon bei Burke, eine neue Nuance,
indem er sich nicht nur auf den statischen Zustand, sondern auch
auf die dynamische Entwicklung bezieht, indem nur das
„organische Wachstum", also die Änderung durch allmähliche und
kleine Reformen mit Einverständnis der herrschenden Klasse, als
„naturgemäß" angesehen wird, während jede revolutionäre
Umwälzung den verwerfenden Akzent des „Naturwidrigen" erhält.
Eine besonders ausgebaute und verbreitete Form erhält diese
Auffassung im Laufe der Entwicklung der reaktionären deutschen
Romantik (Savigny, Historische Rechtsschule usw.). Hier wird der
Gegensatz von „organischem Wachstum" und „mechanischem Machen"
ausgearbeitet: es ist die Verteidigung der „gewachsenen"
feudalen Privilegien gegen die Praxis der Französischen
Revolution, gegen die auf ihrem Boden stehenden bürgerlichen
Ideologien, die als mechanisch, intellektualistisch, abstrakt
verworfen werden.
Dieser durch die
Französische Revolution zuerst außerordentlich verschärfte
Gegensatz reicht weit zurück. Die Ideologie der entstehenden
bürgerlichen Klasse kämpft, den eigenen Klasseninteressen
entsprechend für die Gleichheit aller Menschen (das heißt für
ihre bürgerliche, formaljuristische Gleichberechtigung) und
kritisiert heftig die bestehenden feudalen Privilegien, die
feudale Standesungleichheit der Staatsbürger. Da nun zur Zeit
der Verschärfung dieser Kämpfe die Herrschaft des Adels bereits
ökonomisch wie politisch erschüttert war, wodurch er seine
wirklichen mittelalterlichen sozialen Funktionen verlor und sich
immer reiner zürn Parasitentum entwickelte, mußte in diesem das
Bedürfnis nach ideologischer Verteidigung der Privilegien
entstehen.
Aus diesen Kämpfen wächst die Rassentheorie heraus. Die
Ideologen des Adels verteidigen die standesgemäße Ungleichheit
der Menschen mit dem Argument, daß diese nur der juristische
Ausdruck einer naturgemäß vorhandenen Ungleichheit der
Menschenarten, der Rassen, sei und darum als „Naturtatsache"
durch keinerlei Institutionen, ohne die höchsten Werte der
Menschheit zu gefährden, aufzuheben sei. Schon am Anfang des 18.
Jahrhunderts schreibt der Graf von Boulainvilliers (1727) ein
Buch, in welchem er nachzuweisen versucht, daß in Frankreich der
Adel die Nachkommen der alten herrschenden Rasse der Franken
repräsentiert, während die übrige Bevölkerung Nachkommenschaft
der unterworfenen Gallier sei (1).
Es stünden also zwei qualitativ verschiedene Rassen einander
gegenüber, und die Überlegenheit der Franken könne man nur durch
eine Vernichtung der Zivilisation aus der Welt schaffen. Die
Publizistik des 18. Jahrhunderts hat bereits diese These
leidenschaftlich bekämpft. So erklärt unter anderem Dubos (1734)
die Eroberung Frankreichs durch die Franken für eine Legende(2).
Besonders scharfe Formen erhält diese Polemik zur Zeit der
Französischen Revolution. Volney verspottet in seinen „Ruinen"
(3) den Anspruch des Adels, eine vornehme und reine Rasse
vorzustellen. Er zeigt ironisch, ein wie großer Teil des
vorhandenen Adels aus Neureichen besteht, aus gewesenen
Kaufleuten, Handwerkern usw., die sich von der Monarchie durch
bares Geld ihren Adel erkauft haben, die also der „Rasse" nach
reine Plebejer sind. Und der führende Ideologe der französischen
Bourgeoisie in den Anfängen der Revolution, Sieyes, bekämpft
prinzipiell die Begründung des Rechts auf der Grundlage der
Eroberungen. Der dritte Stand, sagt er, „braucht sich nur in das
Jahr zurückzuversetzen, das der Eroberung vorherging, und weil
er heute stark genug ist, um sich nicht erobern zu lassen, wird
ohne Zweifel sein Widerstand wirksamer sein. Warum sollte er
nicht alle diese Familien in die fränkischen Wälder
zurückschicken, die den närrisehen Anspruch wagen, sie seien dem
Stamme der Eroberer entsprossen und hätten deren Rechte geerbt?"(4)
Anmerkungen
1) A. Thierty: Considerations sut
l'histoire de France, Werke, Paris, Garnier, Bd. VII„ S. 65 f.
2) Ebd., S. 71 f.
3) Volney: Les ruincs, Kapitel 15.
4) 1 Sieyès: Qu'est-ce-que le tiers état?,
Kapitel 2.
Editorische Hinweise
Der Text wurde entnommen aus : Georg
Lukács: Die Zerstörung der Vernunft, Der Weg des
Irrationalismus von Schelling zu Hitler, Berlin und
Weimar, 1984; S. 523ff
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