Deutsche Zustände IV
Wenn eine Ex-Antideutsche zur Sarrazine wird

von Peter Nowak

10/10

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Die staats- und nationskritischen Biodeutschen im Neukölner Nordkiez  haben es schwer mit ihren deutschen Nachbarn mit Migrationshintergrund. Eben noch fühlten sie sich durch die schwarz-rot-goldenen Lappen, mit denen mache von ihnen ihre Wohnungen und Häuser schmückten, ästhetisch beleidigt, was zum amüsanten Nordneuköllner Fahnenstreit führte. Jetzt machen sich manche verdächtig, weil sie in den Schulen angeblich in Schulen und an anderen öffentlichen Einrichtungen mit antideutschen Beschimpfungen auffallen.

Nun müsste das doch einen Deutschlandkritiker freuen. Ein Antideutschtum in den migrantischen Unterschichten ist doch genau das, was alle Biodeutschen von Grünen bis Rechtsaußen auf die Palme bringt. Und einen autoritären deutschen Staatsbeamten als Kartoffel zu titulieren, ist lustig, abwechslungsreich und wahrscheinlich noch nicht einmal ein Straftatbestand.

Wer darf  Antideutsch sein?

Aber manche akademischen DeutschenkritikerInnen, die mit dem „Aber hier leben, nein danke“, aufgewachsen sind, machen einen klaren Unterschied. Gepflegte Deutschlandkritik in Seminaren und politischen Veranstaltungen ist okay. Wenn aber die migrantische Unterschicht, die diese Debatten nicht die Bohne interessiert,  eine Vulgärform des Antideutschtums im Alltag praktiziert, wird auch manche gelernte Antideutsche zur Sarrazine. Das wird an einen Beitrag von Birgit Schmidt in der Jungle World  sehr gut deutlich

„An etlichen Berliner Schulen sehen sich nicht-migrantische und nicht-muslimische Schüler Angriffen ausgesetzt. Der Zusammenhang mit der muslimischen Männerkultur ist offensichtlich“, lautet ihr Einstieg. Nun könnte man denken, dass die Autorin hier den ordinären  deutschen Mainstreamdiskurs referiert hat, um ihn  dann mit antideutscher Verve zu sezieren. Hermann L.  Gremliza hat es in der Konkret 10/2010 vorgemacht:

„Sarrazin und seines Volkes Gerede von den muslimischen Migranten suggeriert, es geht gegen den Islam, eine Religion so verblödend wie alle und so bösartig wie das Christentum, solange man es ließ (nämlich nicht bis zur Aufklärung im 18.Jahrhundert, sondern etwa bis zum Reichskonkordat des Vatikans mit Hitler, der Segnung des Vernichtungskrieges und die Fluchthilfe für deutsche Massenmörder über die päpstliche Rattenlinie nach Südamerika). Aber um Religion geht es nicht, es geht um „den Moslem“ als Rasse.“

Nun wird niemand Birgit Schmidt vorwerfen, dass sie zu einem solch erfrischenden Kommentar der deutschen Zustände nicht in der Lage ist. Gremliza ist da eben unübertroffen. Aber es gab selbst in liberalen, gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Milieu Stimmen, die  den  Sarrazin-Trip entlarvten. Ich erinnere nur an den Meinungsbeitrag „Unter Kartoffeln“ von den GEW-Mitgliedern Evelin Lubig Fohsel und Yasemin Shooman, abgedruckt in der Taz vom 8.10.2010.

„Mit dem Begriff der „Deutschenfeindlichkeit“ wird diese Form der Zugehörigkeitsverweigerung festgeschrieben – denn er besagt, dass diejenigen, deren Verhalten mit diesen Begriff problematisiert werden soll, keine Deutschen sind und auch nicht sein können. Das ist im Sinne von rechtspopulistischen Gruppierungen, die den Begriff „Deutschenfeindlichkeit“ als Kampfbegriff benutzten, um die „echten“ Deutschen als Opfer einer Minderheit  darzustellen, von denen angeblich ein „umgekehrter“ Rassismus gegen Weiße ausgeht“.

Damit haben die beiden Autorinnen in wenigen Sätzen geklärt, um was es in den Diskurs um Deutschfeindlichkeit geht. Und sie haben gleichzeitig  ein Diskursfeld eingegrenzt. Wer Menschen  mit migrantischen Hintergrund mit dem Begriff Deutschenfeindlichkeit bezeichnet, grenzt sie aus einen imaginierten deutschen Kollektiv aus.  Die Debatten um Rassismus- und Nationalismuskonstruktionen als Mittel der Ein- und Ausgrenzung scheinen an Birgit Schmidt vorbeigerauscht zu sein. Denn in ihren Beitrag stellt sie an keiner Stelle den Begriff der Deutschenfeindlichkeit in Frage. Sie problematisiert ihn nicht einmal sondern benutzt ihn ganz selbstverständlich. 

Ein Beispiel gefällig für die Autorin auf dem Sarrazin-Trip:

„ Für die Betroffenen ist der Zusammenhang zwischen muslimischer Männerkultur und Mobbing offensichtlich. Die besorgniserregende Entwicklung ist auch der Lehrergewerkschaft GEW nicht entgangen, die Anfang Oktober einen Workshop zu dem Thema anbot. Es geht um Rassismus an Berliner Schulen, um Angriffe auf nicht-migrantische und nicht-muslimische Kinder und Jugendliche, die an zahlreichen Schulen in Bezirken wie Neukölln mittlerweile die Minderheit stellen. Kreuzberg hat sich zwischenzeitlich hinzugesellt zu den Neuköllner Problemkiezen, zwei Lehrer der Hector-Petersen-Gesamtschule hatten ihre Beobachtungen in einem Brief an die Lehrerzeitung der GEW zur Diskussion gestellt.“

Berüchtigtste Schule

Merke. Die gelernte Antideutsche schlägt Alarm, weil die Biodeutschen in einigen Berliner Schulen in der Minderheit sind. Und die Rütli-Schule ist für Schmidt ganz im Diskurs der  Sarrazinsten aller Parteien „Deutschlands berüchtigtste Schule“. Da müssen sich die Rechten aber noch mächtig anstrengen, die in manchen nationalbefreiten Zonen allen Nichtdeutschen das Leben zur Hölle machen.

Nun muss man sich fragen, wie kurz ist der Weg von einer linken Nationalismus- und Deutschlandkritikerin zur deutschen Kartoffel war  und was hat ihn ausgelöst hat. Das letzte Kapitel von Schmidts Beitrag könnte  einige Fragen beantworten.

 „Nord-Neukölln ist auch schick geworden in den vergangenen zwei bis drei Jahren. Insbesondere Zuzügler aus deutschen Kleinstädten und europäischen Ländern wie Spanien oder Großbritannien haben den Bezirk entdeckt – der billigen Mieten wegen. Die entsprechende Infrastruktur – Kneipen, Bioläden, Galerien – ließ nicht lange auf sich warten. Eines aber ist auch den begeistertsten Neuköllnern klar: Wer Kinder hat, haut ab. Zum einen wegen der Sprache: Neuköllner Jugendliche kennen schon lange keine Artikel und Präpositionen mehr. Und wegen der Lage an den Schulen: »Die 35jährige«, heißt es auf Spiegel online in einer Rezension des jüngsten Romans (»Arabqueen«) der gebürtigen Neuköllnerin Güner Balci, »ist von Kreuzberg ins schicke Berlin-Mitte gezogen. Sie ist gerade Mutter geworden. ›Niemand opfert sein Kind für die Integration‹, sagt sie.« Manche tun es doch. Manche können nicht anders. Deren Kinder haben es ganz offensichtlich schwer.“

In Nordneukölln streitet das neu hinzugezogene biodeutsche akademische Prekariat um Wohnungen, Jobs, Praktikumsstellen, Kita- und Schulplätze mit den dort schon lebenden Deutschen mit migrantischen Hintergrund. In diesem Wettbewerb wird auch schon mal eine gelernte Antideutsche zu einer deutschen Kartoffel auf dem Sarrazin-Trip. 

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ANHANG:

Peter Nowak interviewt Sanem Kleff zur aktuellen Debatte über "Deutschenfeindlichkeit. Die Pädagogin Sanem Kleff (S.K.) leitet das Projekt Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage und hat zahlreiche Bücher zum Thema interkulturelles Lernen herausgegeben.

Waren Sie überrascht über die aktuelle Debatte zur Deutschenfeindlichkeit an manchen Schulen?

S.K. Die Debatte hat mich überrascht, weil es sich hier um ein altbekanntes Phänomen handelt, Überall, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt, können solche Diskriminierungserfahrungen beobachtet werden. Dabei ist die Zusammensetzung dieser Gruppen beliebig. Wenn beispielsweise in einer Schule sehr viele Dänen und die Deutschen in der Minderheit sind, kann es ebenso zu Mobbings kommen.

Hat man zulange Migranten nur als Opfer von Diskriminierung wahrgenommen?

S.K.: Nein, denn man darf bei das gesellschaftliche Umfeld nicht vergessen. Es gibt wenige Schulen, in denen Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in der Mehrheit sind. In den meisten Schulen sind sie in der Minderheit und oft selber Diskriminierungen ausgesetzt ist.

Was stört Sie an der aktuellen Debatte?

S.K.: Was mir nicht gefällt ist, dass sich ausgerechnet jetzt, wo das ganze Land scheinbar auf dem Sarrazin-Trip ist, Lehrer in dieser Weise zu Wort melden. Sie schreiben über altbekanntes mit dem Gestus, das wird man doch sagen dürfen. Sie verwenden den Begriff der Deutschenfeindlichkeit, der lange Zeit von der neuen Rechten gebraucht wird. Und sie verknüpfen das von ihnen kritisierte Verhalten mit dem angeblichen moslemischen Hintergrund der Schüler. Damit finden sie sich im Einklang mit einer veröffentlichten Meinung, wie sie von Sarrazin bis zu Alice Schwarzer und Hendrik M. Broder vertreten wird.

Warum sollte die Religion aus der Debatte keine Rolle spielen?

S.K.: Weil es keine empirischen Belege für eine besondere Gewalttätigkeit der Jugendlichen mit moslemischem Hintergrund gibt. Es wird oft fälschlich der Eindruck erweckt, als wenn sich Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in den Klauen von antiwestlichen, islamistische Gruppen befinden würden. Ich frage mich, welche Konsequenzen wir eigentlich daraus ableiten sollen, wenn eine Religion für ein bestimmtes FehlVerhalten verantwortlich gemacht wird.

Ist in der Debatte nicht auch eine besondere Empfindlichkeit der in Deutschland Geborenen festzustellen?

S.K.: Tatsächlich machen sich nicht nur Jugendliche sondern Migranten unterschiedlichen Alters auch über die Eigenheiten der in Deutschland Geborenen lustig. Dass sollten mit Humor die Deutschen auch ertragen können. Problematisch wird ein solches Verhalten doch nur, wenn es mit Diskriminierungen und Mobbing verbunden ist.

Wird die Schule wirklich immer mehr zur Kampfzone, wie manche Boulevardmedien suggerieren?

S.K.: Es trifft nicht zu, dass die Gewalt in den Schulen immer mehr um sich greift. Die Gewalt ist in den Schulen im letzten Jahrzehnt zurück gegangen, wie durch Polizeiberichte belegt werden kann. Zugenommen haben dagegen Mobbings und andere Diskriminierungen. So sind an manchen Schulen „Jude“ oder „du Opfer“ zu häufige Schimpfworten geworden. Eine Debatte über die angebliche Deutschenfeindlichkeit trifft das Problem dagegen nicht.

Wie können Pädagogen an den Schulen gegen solche Diskriminierungen von Minderheiten vorgehen?

S.K.: Indem wir alle Formen von Diskriminierung ernst nehmen und die Elemente in den Schulen stärken, die sich dagegen zur Wehr setzen, Das Projekt Schule gegen Rassismus hat es deshalb immer abgelehnt, einzelne Diskriminierungsphänomene wie Antisemitismus, Homophobie, Rassismus isoliert wahrzunehmen. Es gibt sehr viele pädagogische Instrumente um hier einzugreifen. Ich nenne hier nur stichwortartig den Einsatz von Streitschlichtern und Konfliktlotsen, aber auch den Aufbau von Räumen und Zeiten, in denen die Auseinandersetzung mit den Schülern und ihren Problemen möglich ist.

Wäre dazu nicht eine andere Bildungspolitik notwendig?

S.K.: Je mehr Probleme die Schüler und ihre Familien haben, umso besser muss die Schule ihre ausgestattet sein. Diese pädagogische Grundregel sollte in der Bildungspolitik mehr Beachtung finden.
 

Editorische Anmerkungen

Unter dem Titel "Deutsche Zustände" veröffentlicht Peter Nowak in unregelmäßigen Abständen bei TREND Kommentare zum Zeitgeschehen.

Sein letzter Kommentar erschien in der Aprilausgabe 2010.