Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Sarkozy: Lieber Rom als Roma
Auf den Laizismus kacken – als Antwort auf die (u.a. auch kirchliche) Kritik an Staatsrassismus und Abschiebepolitik
 

10/10

trend
onlinezeitung

Frankreichs « nationaler Krieg gegen die Kriminalität », den Präsident Nicolas Sarkozy im Juli 2010 ausrief und zu dessen Hauptbestandteilen eine massive Abschiebewelle für Roma aus südosteuropäischen Ländern gehört, eskaliert seit dem Hochsommer. Aber auch die inländische und internationale Kritik daran nahm gleichzeitig massiv zu; von der Kirche bis zu Fidel Castro kamen kritische bis negative Reaktionen. Jetzt versucht Nicolas Sarkozy, durch freundliche Gesten an den Papst einen Teil der katholischen Amtskirche – vor allem ihre Spitze – für sich zu gewinnen, und so der Episode ein Ende zu setzen. Auf den französischen Laizismus, also die gesetzlich festgeschriebene Trennung zwischen Kirche & Staat, wird dabei von seiner Seite aus auch gerne geschissen...

Am Ende sollte es der Papst richten. Ihn besuchte das französische Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy am Freitag, den 08. Oktober 10. Und dies mit dem unverhüllten (d.h. durch die französische Presse offen verkündeten) Hintergedanken, von ihm eine Art indirekter oder faktischer Absolution nach den im August geäußerten Kritiken an seiner Politik zu erhalten.

Damals blieb Benedikt XVI. zwar noch ausgesprochen kryptisch, trug seine Mahnungen durch die Blume hindurch vor und forderte Frankreich zur, so wörtlich, „An-/Aufnahme der Menschheit in ihrer legitimen Diversität“ auf. Andere politische oder klerikale Persönlichkeiten hielten sich da weniger vornehm zurück: Der frühere kubanische Staatschef und „Revolutionsführer“ Fidel Castro warf Frankreich etwa (mit zweifellos verfehlter Wortwahl) einen „neuen rassischen Holocaust“ vor, den es an den Roma begehe. Auch Kirchenleute sprachen in der Sache teilweise erhebliche schärfere Kritiken aus, als Benedikt XVI. sie in den Mund nahm. Der Erzbischof von Toulouse etwa las am 27. August im Wallfahrtsort Lourdes vor 4.000 Pilgern einen Brief seines Amtsvorgängers Saliège aus dem Jahr 1942 vor, und betonte darin die Passage: „Auch sie gehören zur Menschheit.“ Im Original ging es damals um die verfolgten Juden, der aktuelle Erzbischof Robert Le Gall bezog diesen Satz jedoch auf die heute lebenden Roma. Drei Tage später präzisierte er infolge von Vorwürfen aus dem Regierungslager, er habe nicht das Mordprogramm der Nazis an den Juden mit dem Vorgehen gegen die Roma – denen heute natürlich nicht der Tod in den Gaskammern droht – verglichen. Aber er wolle zur Solidarität mit den jeweils am stärksten Bedrängten aufrufen.

Durchs einen Besuch beim obersten katholischen Kirchenboss in Rom versuchte Nicolas Sarkozy nun, den massiven Terrainverlust unter christlichen Wähler/inne/n infolge dieses Zerwürfnisses mit Teilen der Kirche wieder wettzumachen. Seit 2008 hatte Präsident Sarkozy bereits massiv an Sympathie unter denjenigen Französinnen und Franzosen, die „christliche Werte“ betonen, verloren. Dazu trug eine Mischung aus unterschiedlich zu bewertenden Faktoren bei: Die rassistischen Züge der Regierungspolitik spielen dabei ebenso eine Rolle wie das oft vulgäre, neureiche Schicki-Micki-Gebaren (französische << bling-bling >> genannt), das Sarkozy oft an den Tag legt. Und das heuchlerisch-bigotte Spiel, das er oft mit „christlichen Werten“ betreibt: Am Tag nach seiner Wahl im Mai 2007, als ihm noch zehn Tage bis zur Amtsübergabe verblieben, hatte Sarkozy in er Öffentlichkeit verlautbart, er ziehe sich nun für einige Tage an einen unbekannten Ort zurück – ließ aber durchblicken, er gehe „ins Kloster“, um dort „zu meditieren“. Fotografiert wurde er dann aber vor der Küste von Malta auf der Luxusyacht eines befreundeten Milliardärs, Vincent Bolloré, was nicht nur aufgrund des korrupten Charakters dieser innigen Beziehung zu einem der reichsten Herren Frankreichs für Befremden sorgte.

Auch wenn Nicolas Sarkozy zwischendurch ideologische Zeichen setzten, die den reaktionärsten Flügel unter den Katholiken beflügeln und gegen die laizistische Republik aufwerten sollten (vgl. dazu Nicolas Sarkozy, der Laizismus-Feind als Präsident der „laizistischen Republik“   und Nicolas Sarkozy Angriff auf den französischen Laizismus ), so blieb doch ein erhebliches Misstrauen gegenüber seiner Person & Politik zurück. Der Streit über die Abschiebepolitik gegen Roma hat nun endgültig einen Teil der gläubigen Katholiken in Frankreich empört gegen Sarkozy aufgebracht; oder jedenfalls die bei vielen von ihnen bestehenden Vorbehalte gegen diese Figur noch bestärkt.

Umso dicker trug der Präsident nun beim Papst auf, was wiederum neue Kritik hervorrief, da Sarkozy – nicht zum ersten Mal, vgl. die im vorigen Absatz angegebene Quellen – zu „vergessen“ schien, dass Frankreich eine laizistische Republik ist, Religion und Staat also gesetzlich getrennt sind. Anders als seine Amtsvorgänger ließ Sarkozy sich dabei beobachten, wie er unter den Augen der Öffentlichkeit Kreuzzeichen schlug, und ließ sich vom Papst einen Rosenkranz schenken („für seine kleine Nichte“). Auch nahm er als erster Präsident der Fünften Republik öffentlich an einem „Gebet für Frankreich“ bei der Statue der „heiligen Schutzpatronin Frankreichs“, Saint-Pétronille, teil. Und er schaffte es dieses Mal auch, sich nicht daneben zu benehmen, anders als im Winter 2007/08 – als der französische Speedy-Präsident noch in der Privataudienz beim Papst permanent auf dem Handy telefonierte und dazu auch noch den Vulgärkomiker Jean-Marie Bigard dorthin mitgeschleppt hatte...

Dies Alles hätte es in der Form bspw. unter seinem Amtsvorgänger Jacques Chirac – trotz dessen höchst bigotter Gattin Bernadette Chirac – mit Bestimmtheit nicht gegeben. Vielleicht kann Sarkozy dadurch nun wieder Boden unter dem konservativsten oder reaktionärsten Teil der französischen Katholiken, deren Glauben sich am stärksten an den kirchlichen Institutionen festmacht, gewinnen. (Auch wenn ihm aus diesen Kreisen manchmal auch noch vorgeworfen wird, dass er schon zum dritten Mal verheirat ist.)

Die Kritiken vom Sommer 2010 sind dadurch allerdings keinesfalls aus der Welt geschafft. Ebenso wenig jene aus den europäischen Institutionen, auch wenn die Einleitung eines Verfahrens gegen Frankreich wegen Verletzung der EU-Vorträge vorläufig aufgeschoben worden ist. Einen solchen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) hatte Mitte September die aus Luxemburg stammende europäische Kommissarin „für Justizwesen und Bürgerrechte“, Viviane Reding, angekündigt. Voller Empörung hielt sie am 14. September eine Pressekonferenz ab, auf der sie mit Hinblick auf die jüngste massive Abschiebepolitik Frankreichs ausrief: „Enough is enough!“ Viviane Reding erklärte ferner, erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs müsse sie Szenen beiwohnen, bei denen Menschen in Europa nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verhaftet und deportiert (freilich nicht ermordet) würden. Der zwei Tage später stattfindende EU-Gipfel in Brüssel war dann auch von heftigen Spannungen geprägt. In ihrem Mittelpunkt stand Nicolas Sarkozy, der in Italiens Premierminister Silvio Berlusconi an dem Tag seinen einzigen engeren Verbündeten fand. Die französische Abschiebepolitik wurde angegriffen, weil sie erstmals auch offen – statt, wie zuvor, als bereits Roma abgeschoben worden, nur beinahe klammheimlich und ohne Trara – in größerer Zahl auch EU-Bürger/innen (und nicht mehr „nur“ Angehörige von „Drittstaaten“) trifft. Sicherlich war die Kritik an ihr zum Teil unterschiedlich motiviert: Die deutsche Bundesregierung, die sich dabei auf die Seite der Frankreich kritisierenden EU-Kommission stellte, schiebt zwar ebenfalls Roma ab; aber nicht hauptsächlich in Mitgliedsländer der EU, sondern in das außerhalb der Union stehende Kosovo. Und die südosteuropäischen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien kritisieren die französische Politik u.a. auch, weil sie ihr Image gefährdet – aber auch, weil sie selbst die ausgewanderten Roma nicht gerne „zurücknehmen“ möchten.

Es bleibt, dass Frankreich mit seiner scharfen Abschiebepolitik gegen EU-Bürger/innen auf dem Gipfel weitgehend isoliert blieb. Und dass seine Politik aus Sicht der EU-Institutionen, deren Aufgabe es ist, „Wächter der Einhaltung der europäischen Verträge zu sein, gegen zwei fundamentale Prinzipien der europäischen Integration verstößt: die Freizügigkeit für Staatsbürger/innen von Mitgliedsländern der Union – und die Vorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Staats- oder „ethnischen“ Zugehörigkeit. Allerdings wurde die Eskalation in den Tagen nach dem Brüsseler Gipfel vom 16. September nun wieder heruntergekocht. Die Europäische Kommission möchte Frankreichs Politik nun vor dem EuGH nicht mehr wegen „Rassendiskriminierung“ verfolgen, sondern nur noch aufgrund „mangelhafter Umsetzung der Richtlinien von 2004 zur Freizügigkeit für die Bürger der neuen EU-Mitgliedsländer“. Aus dem schweren politischen Vorwurf wird so eine eher technisch klingende Kritik, zumal über einem Dutzend Mitgliedsländer Mängel bei der Durchsetzung der fraglichen Richtlinien vorgeworfen werden. Ferner wurde Frankreich Anfang Oktober noch eine Frist zur Prüfung seiner Politik eingeräumt, und am 20. Oktober d.J. soll definitiv über die Einleitung eines Verfahrens entschieden werden.

Neue Enthüllung: Illegale „ethnische“ Datei über Roma und, genauso gesetzwidrige, DNA-Tests

Neue Enthüllungen über Praktiken der französischen Politik, unter anderem gegenüber den Roma, werden der Kritik aus den europäischen Institutionen jedoch in Bälde zusätzliche Nahrung verleihen. Am 13. September hatte Paris in Windeseile ein Rundschreiben aus dem französischen Innenministerium vom 05. August dieses Jahres zurückgezogen – denn darin wurden die Polizeidienststellen offen aufgefordert, gezielt gegen Roma als solche vorzugehen und ihre „illegalen“ Baracken- oder Wohnwagensiedlungen zu räumen. Da unverhüllt auf eine „Volksgruppen“zugehörigkeit abgehoben wurde, wird der Tatbestand der Diskriminierung im Sinne des Anti-Diskriminierungs-Rechts der EU dadurch ohne Zweifel erfüllt. Wenige Stunden nach Bekanntwerden des ministeriellen Schreibens wurde es darum auch zurückgezogen und durch ein neues, unverfänglich (d.h. juristisch wasserdicht) formuliertes ersetzt. Gegen das Rundschreiben in der alten Fassung, vom o5. August 10, läuft hingegen noch eine Strafanzeige mehrerer antirassisistischer französischer NGOs.

Doch am Donnerstag, den enthüllten die liberaler Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ und mehrere antirassistische Vereinigungen, dass im Pariser Innenministerium eine illegale Datei zu „wandernder Kriminalität“ existiere, in welcher gezielt und systematisch Roma aufgrund ihrer „ethnischen“ Zugehörigkeit eingespeichert wurden – sortiert nach Herkunftsländern und tatsächlich oder vermeintlich bestehenden „Verwandtschaftsstrukturen“. Die Datei existierte unter dem Namen MENS, als Abkürzung für „Nicht sesshafte ethnische Minderheiten“, bei der französischen Gendarmerie. - Die Gendarmerie ist eine parallel zur Polizei existierende uniformierte Ordnungsbehörde, die jedoch nicht dem Innen-, sondern dem Verteidigungsministerium untersteht. Zwischen ihr und der Polizei herrscht Arbeitsteilung, die Gendarmen sind u.a. für den ländlichen Raum zuständig. Die aus Südosteuropa zuwandernden Roma waren in ihrer Herkunftsländern in aller Regel seit Jahrzehnten sesshaft, obwohl sie in Frankreich bei der Verwaltung als „Nomaden“ geführt werden. Aufgrund verschiedener Faktoren leben sie in Frankreich jedoch oft in prekären, „illegalen“ Siedlungen am Rande der Städte. So finden sie oft keine anderen Wohnungen: Es handelt sich um eine neue Zuwanderung, die vor 20 Jahren einsetzte - während etwa afrikanische Einwanderer, auch wenn sie „illegal“ kommen, i.d.R. über seit Jahrzehnten in Frankreich lebende „Communities“ verfügen. Als zuletzt neu ankommende Gruppe ist für sie der Arbeits- und Wohnungsmarkt mit am stärksten „dicht“. Zudem haben die Roma in der Gesellschaft im Allgemeinen keinen sonderlich guten Ruf. Ferner wollen sie oft – nicht immer – in kleineren oder größeren Gruppen zusammenleben, weil sie aus ihren Herkunftsländern Diskriminierung und z.T. Verfolgung gewohnt sind und aus Schutzgründen die Gruppennähe suchen. Diese Gesamtsituation sorgt für ihre (im Prinzip falsche!) Einstufung als „Nomaden“. Bei den Behörden wird da schnell eine Verbindung zu großflächig operierenden Autoknacker- oder Einbrecherbanden gezogen.

Am 08. Oktober 10 enthüllte zudem die Liga für Menschenrechte (LDH), dass an Teilen der sich in Frankreich aufhaltenden Romabevölkerung zudem systematische DNA-Tests durchgeführt worden seien. Diese Gentests sollten einer gesicherten Identitätsfeststellung dienen – und waren selbstverständlich total illegal. Gentests (durch Untersuchung von Speichelproben) sind gesetzlich allein bei Verdacht auf bestimmte, meistens „erhebliche“, Straftaten zulässig. Das Gesetz enthält eine Liste der dafür in Frage kommenden Verbrechen und Vergehen, die historisch (noch in den 1990er Jahren) einmal nur Sexualstraftaten umfasste, inzwischen jedoch bereits auch auf relativ harmlose Eigentumsdelikate ausgedehnt worden ist. Doch ohne konkreten, individuellen Verdacht auf eine Straftat, und zur reinen Identitätsfeststellung, ist ein solches Vorgehen in jedem Falle unzulässig. (Im Jahr 2007 wollte der Gesetzgeber DNA-Tests auch zur „Identitätssicherung“ bei Visums-Antragsteller/inne/n, im Rahmen der gesetzlichen Familienzusammenführung für Einwanderer, einführen. Dieses Vorhaben rief damals erheblichen Protest hervor. Der Paragraph dazu im Ausländergesetz wurde zwar vom November 07 verabschiedet, kam jedoch nie zur Anwendung; die erforderliche Verordnung zu den Ausführungsbestimmungen wurde nie erlassen, die Bestimmung später sang- und klanglos zurückgezogen.)

Ein juristisches Vorgehen gegen die französische Politik hätte also offenkundig solide Grundlagen.

Auch innerhalb Frankreichs gibt es jedoch massive Kritik an der rassistischen und repressiven Regierungskampagne, welche Nicolas Sarkozy seit einer Tagung im Elysée-Palast am 28. Juli sowie seiner Brandrede in Grenoble vom 30. Juli 2010 losgetreten hatte. Beispielsweise demonstrierten am 04. September dieses Jahres über 150.000 Menschen in rund 150 französischen Städten gegen „die staatliche Xenophobie“ und unter dem Motto: „Gegen eine Politik des Prangers“. Und am 12. September protestierten dann auch Hobby-Bergsteiger und professionelle Alpenführer gegen dieselbe Politik. Auf einem Gletscher am Bergmassiv des Mont-Blanc führten sie ein Spektakel – unter der Jakobinermütze - dazu auf, und auf drei Gipfeln der Alpen sowie der Pyrenäen wurden Transparente gehisst, die u.a. dazu aufforderten, den Slogan „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ernst zu nehmen und universell auszulegen.

 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.