Betrieb & Gewerkschaft
Der große Eiertanz - Gewerkschaften und S 21

von Renate Röckenwies

10/10

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Erst hatten sie es mit Aussitzen versucht. Aber je größer die Bewegung gegen das Milliardengrab S21wurde, desto mehr nahm auch der Druck in den Gewerkschaften zu, sich gegen das Projekt zu positionieren.

Ver.di war da schnell dabei, die GdL hatte sich schon vor Jahren gegen das Projekt ausgesprochen. Der größte und bedeutsamste Widerstand eine Ablehnung von S21 kam und kommt von den Bürokraten der IG Metall-Bezirkschef Jörg Hofmann gab sich sogar für den „Kommunikationsbeirat“ des Projekts her - natürlich nur als „Privatperson“.

Bürokratie kommt ins Schwitzen

Die lokale Delegiertenkonferenz der IG Metall in Stuttgart hatte Ende Februar die Ablehnung des Projekts beschlossen, nachdem der Ortsvorstand vergeblich diese Abstimmung zu verhindern versucht hatte. Dafür hat er den Beschluss anschließend boykottiert, ja noch nicht einmal veröffentlicht. Aber die Bewegung wuchs weiter.

Nachdem im Sommer die Demonstrationen auf über 60.000 angewachsen waren, kamen die Gewerkschaftsfürsten ins Schwitzen. Mit den Großdemos war eine Marke gesetzt, an der auch IG Metall und DGB gemessen werden, wenn sie für den 13. November zu einer Massenkundgebung gegen die Regierungspolitik aufrufen.

Wie aber soll der 13. November aussehen? Die Sprecher der S21-Bündnisse hatten angeboten, an jenem Wochenende auf eine Großdemo zu verzichten, wenn sie einen Redner auf der Gewerkschaftskundgebung stellen können. Der DGB hat auf Druck der IG Metall abgelehnt. Dabei wird die Gefahr einer Spaltung der IG Metall beschworen, da doch so viele Funktionäre für S21 wären - die Hardcore-Sozis.

Die IG Metall-Führung spaltet durch diese Brüskierung die Bewegungen und riskiert die Niederlage. Sie verzichtet auf einen Kampf in den eigenen Reihen, um allen FunktionärInnen klarzumachen, dass sie am 13. November gegen Sozialabbau demonstrieren sollen - auch wenn sie für S21 sein sollten.

Sie verzichtet darauf, die ArbeiterInnen und Angestellten, die gegen S21 mobilisieren, auch für den Kampf mit und in den Gewerkschaften zu gewinnen.

Dagegen hat der Metallertreff, eine Gruppierung der Gewerkschaftslinken, formuliert:

„Eine Mehrheit im Land ist gegen die Rente 67, für Mindestlöhne, gegen Leiharbeit und für Atomausstieg. Eine Mehrheit ist gegen S21. Der Willen der Mehrheit muss siegen!

Wir wissen, dass auch in den Reihen der IG Metall noch etliche für das Projekt sind. Auch die Meinung dieser Minderheit soll respektiert werden. Aber die Zehntausenden, die sich gegen S21 - oft zum ersten Mal im Leben - auf die Strasse begeben haben, sind eine große Chance für die Gewerkschaften: Das sind Menschen, die wie wir gegen Ungerechtigkeit und Willkür, gegen Mappus und Merkel kämpfen. Gewinnen wir sie auch für den Kampf gegen Sozialabbau!

Zugleich können Gewerkschaften von dem Kampf gegen S21 lernen: Mitten in der Urlaubszeit jede Woche mehr Leute auf die Strasse zu bekommen, jede Provokation der Gegenseite mit noch größere Mobilisierung zu beantworten, dass schafft die Chance nicht nur zu protestieren, sondern den Sozialzerstörern in den Konzernetagen, in Stuttgart und Berlin wirklich in den Arm zu fallen und ihnen das Handwerk zu legen!“ (Flugblattauszug)

Dieses Flugblatt wurde auch mit Erfolg auf der Funktionärskonferenz der IG Metall verteilt, wo die Politik der Regierung von Atom bis Hartz IV angegriffen - S21 aber nicht erwähnt wurde!

Ordnungsfaktor um jeden Preis

Damit ist klar, dass die IG Metall-Bonzen keine wirkliche Mobilisierung wollen, ja wohl sogar Angst haben, dass eine Bewegung gegen Sozialabbau durch die Verbindung mit dem Kampf gegen S21 eine Dynamik erhält, die sie nicht mehr beherrschen.

Sie fühlen sich zuerst als „Ordnungsfaktor“ (Huber), dann erst als Interessenvertreter. Damit ist auch klar, dass alle, die wirklich gegen die Rente mit 67, gegen die Gesundheitsreform und gegen die Sparpakete kämpfen wollen, auch gegen diese Bonzen kämpfen müssen! Die Gewerkschaften müssen befreit werden von diesen Kräften, die gegen die Interessen der Beschäftigten handeln! Das ist nicht nur die Aufgabe von GewerkschafterInnen, das ist auch die Aufgabe derjenigen in der S21-Bewegung, die sehen, dass es nicht um Fehlentscheidungen beim Bahnhof geht, sondern dass der Bahnhof nur ein Ausdruck dessen ist, was alles stinkt in diesem Land!

Anhang: Positionen 

IG Metall

Die IG Metall-Bezirksleitung hat ein Positionspapier erstellt, das auf dichten zweieinhalb Seiten vor allem verkehrspolitische Aspekte diskutiert, eine Positionierung gegen S21 aber verweigert und ansonsten der SPD-Linie folgt, die Vermittlungsgespräche fordert, verbunden mit einem Stopp der Abrissarbeiten (Moratorium).

SPD

Hat bis vor wenigen Wochen S21 mit Zähnen und Klauen verteidigt. Inzwischen vollzieht sie eine Kehrtwende und verlangt eine Volksabstimmung. Unter Druck zieht sie sich aus der vordersten Front zurück und hat auch die Gallionsfigur Drechsler als Sprecher des Projekts geopfert.

Gewerkschafter gegen S21

Initiiert v.a. von Mitgliedern der Linkspartei, gibt es eigene Transparente, Buttons und Flugblätter. Einen echten Kampf gegen die Bürokratie gibt es nicht, das „Positionspapier“ der IG Metall (s.o.) wurde auch von führenden Leuten dieser Gruppierung wie Hamm, dem Bevollmächtigten von Aalen, mitgetragen. Ein echter Missgriff war eine Karte an „die Kollegen“ der Polizei mit dem Angebot, neben Problemen, die sie mit den Polizeibefehlen haben, sich auch über solche mit DemonstrantInnen beschweren zu können.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 511
10. Oktober 2010

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