20 Jahre Einheit
Die deutsche Vereinigung und die Folgen


von Anne Seeck

10/10

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Nach 20 Jahren Mauerfall jetzt also 20 Jahre deutsche Vereinigung, die die Herrschenden feiern. Viele Bürger, gerade im Osten, können es nicht mehr hören: Wie heißt es oft: Was ’89 war, wissen wir! Beschäftigt euch mit dem, was jetzt ist!

Trotzdem meine ich, ist DDR-Aufarbeitung auch weiterhin wichtig. Die Linke hat allerdings damit noch nicht angefangen. Außer Wolfgang Wippermanns Buch „Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich“ und Bini Adamczaks Buch „Gestern Morgen“ liegt nichts Wesentliches vor. Nur die ddr-freundliche Edition Ost ist fleißig dabei, die DDR zu beschönigen. Wer aber über einen Systemwechsel und Alternativen nachdenkt, muß sich auch mit der realsozialistischen Vergangenheit beschäftigen. Aus den Fehlern lernen!

Die DDR

Die Staatsführung in der DDR bestand auf Anerkennung, das Staatsvolk auf Wohlstand. So bemühte sich der Staat. Er schuf soziale Sicherheit, konnte aber die Mangelwirtschaft nicht beseitigen. Das alles lag auch an dem Zustand der Betriebe. Mehr als die Hälfte der Industrieanlagen war Schrott und der Reparaturbedarf oft unvertretbar. Der Staat hatte kein Geld, um in die Anlagen zu investieren, auch weil der Lebensstandard subventioniert wurde. Die DDR-Bürger lebten über ihre Verhältnisse, weil gar nicht so viel erwirtschaftet werden konnte, wie vor allem für die Subventionen ausgegeben wurde. Dank der Arbeitsplatzsicherheit und der „zweiten Lohntüte“ (Subventionierung des Grundbedarfs) kannten die meisten DDR-Bürger keinen Existenzdruck.

Und wie dankte es die Mehrheit der DDR-Normalbürger, sie liefen dem Erzfeind Helmut Kohl in die Arme. Das Lebensniveau in der DDR reichte ihnen nicht, sie wollten den Wohlstand des Westens.

Großen Teilen der DDR-Opposition ging es dagegen um die bürgerlichen Freiheiten, wie Meinungs-, Versammlungs- und Informationsfreiheit sowie das Weiterbestehen einer sich wandelnden sozialistischen DDR. Die entstandenen Selbstorganisationskräfte des Herbstes 1989 wurden wieder lahmgelegt.

Die Opposition unterlag, das „Volk“ entschied sich anders, für den vermeintlich „Stärkeren“, nämlich Helmut Kohl. Sie glaubten, er könne ihre Interessen besser vertreten, wie dumm kann ein Volk im „nationalen Taumel“ sein.
Jetzt können die Ostdeutschen konsumieren, wenn sie noch das Geld und Arbeit haben. Der Osten war als Abnehmer, nicht als Produzent interessant. Die Arbeiter sind wieder einmal die Verlierer der Geschichte. Der Westen hat die Deindustrialisierung des Ostens billigend in Kauf genommen.

Mit der Globalisierung verändert sich aber auch der Westen. Auf der Suche nach billigen Arbeitskräften wandern die Kapitalisten um den Globus. Die Globalisierung wurde durch den Zusammenbruch des Realsozialismus nur beschleunigt.

Die deutsche Vereinigung war eine Etappe auf dem Siegeszug des Kapitalismus. Dieser befindet sich allerdings heute selbst in der Krise.

Die Wahlen 1990

Das Jahr 1990 mit zwei Wahlen war von einer „nationalen Besoffenheit“ gekennzeichnet. Die überwiegende Mehrheit der DDR- Bevölkerung lief dem Kapitalismus in die Arme, und hat damit dem gnadenlosen Spielregeln des freien Marktes die Tür geöffnet. Mit der Systemkonkurrenz brach auch der sozial gezähmte Kapitalismus weg, was sich aber schon in den 1980er Jahren in Westdeutschland ankündigte, als die globale Weltmarktkonkurrenz immer mehr auflebte. Die DDR-Bürger wollten am Wohlstand im Westen teilhaben und ahnten nicht, was mit dem Zusammenbruch der DDR auf sie zu kam.

Die Linke lief in diesem nationalen Taumel wie kopflos herum. Sie konnte es nicht fassen, was ihnen die „sozialistischen Menschen“ der DDR antaten. Dabei war das für kritische Beobachter der DDR vorhersehbar. Mit dem autoritätsgläubigen und untertänigen Volk war kein wirklicher Sozialismus aufzubauen. Mit Kohl hatten sie ihren Hero.
Westlinke verbündeten sich dann auch eher mit den ehemaligen DDR-Machthabern, als mit der linken DDR-Opposition. Sie liefen dem SED-Parteivolk auf der Luxemburg-Liebknecht-Demo hinterher und hofften auf die PDS. Eine seltsame Koalition zwischen ehemals Ost-Herrschenden und West-Marginalisierten.

Die PDS/Linkspartei hat auch die Westlinke verändert, die durch die Parlamentarisierung viel an Radikalität einbüßte. Heute liegt die radikale Linke fast am Boden. Neben dem zunehmendem individuellen Existenzkampf vieler Linker hat m.E. auch die politische Elite der DDR dazu viel beigetragen. „Die Partei“ hatte viele Kräfte aufgesogen und in parlamentarische Bahnen gezogen. Den Kampf um das DDR-Bild bei vielen Linken hat sie fast gewonnen. Einige linke DDR-Oppositionelle kämpfen noch dagegen an.

Der Wahlkampf zur Volkskammer 1990 dauerte nur fünf Wochen an. Dabei strömten Wahlhelfer aus dem Westen massiv in den Osten ein, obwohl noch der zentrale Runde Tisch gefordert hatte, dass keine Politiker aus der BRD am Wahlkampf in der DDR teilnehmen sollten. „Die Gastredner hatten ein leichtes Spiel. Hunderttausende jubelten ihnen zu. Enttäuscht von den Zuständen und der innerstaatlichen Entwicklung, die die Partei- und Staatsführung seit dem VIII. SED-Parteitag 1971 unverdrossen als die ‘erfolgreichste in der Entwicklung der DDR’ bezeichnete, jahrzehntelang entwöhnt paralamentarisch- demokratischer Gepflogenheiten und fasziniert von der Aussicht, nicht nur hundert DM Begrüßungsgeld, sondern künftig den ganzen Lohn in harter Westmark zu erhalten, lauschten sie hoffnungsvoll, ergeben und gläubig den Verheißungen der Politiker aus dem Westen. Die Fehler und das Versagen der Sozialistischen Einheitspartei hatten den Boden gedüngt, auf dem vor allem die antisozialistische CDU/CSU ihre Saat ausbringen und von dem sie wenige Wochen später reiche Ernte in die Scheuer fahren konnte.“ (Hartmann 2008, S.42)
Die CSU entsandte alle zwölf hauptamtlichen Wahlkreisgeschäftsführer in die DDR und 25 Tonnen Propagandamaterial. Henkel spendete zweieinhalb Tonnen Westkleister.

Helmut Kohl sagte am 20.2.1990 in Erfurt: „Ich habe heute früh in einer dreistündigen Konferenz mit mehr als fünfzig der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft aus der Bundesrepublik gesprochen...Wenn die Rahmenbedingungen gesetzt sind, wenn die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen getroffen sind, dann werden nicht nur Hunderte, sondern Tausende von investitionsbereiten Unternehmen...aus der Bundesrepublik hierher kommen, und gemeinsam mit Ihnen werden wir hier in kurzer Zeit ein blühendes Land schaffen.“ (Hartmann 2009, S.54)
Originalton Kohl: Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor- dafür vielen besser...

Egon Bahr in einer Stellungnahme: „Das waren die schmutzigsten Wahlen, die ich je in meinem Leben beobachtet habe...In kleineren Städten in Thüringen und Sachsen wurden vielen bekannten Mitgliedern der SPD und der PDS heimlich Drohbriefe bis hin zu physischer Abrechnung zugestellt. In Suhl wurden einem Jugendlichen, der dazu aufrief, die SPD zu wählen, beide Beine gebrochen, und er lag auf dem Platz, bis er Hilfe erhielt. Auch Kinder mussten herhalten. Man gab ihnen Westgeld, damit sie durch die Höfe laufen und Flugblätter der Deutschen Sozialen Union, der Tochterpartei der westdeutschen CSU, verteilen...“ (Hartmann 2009, S.57)

Bei den DDR-Wahlen am 18.3.1990 wählten dann 47,79% die „Allianz für Deutschland“.

Die Aktienkurse schnellten nach der Wahl in die Höhe, dort saßen die eigentlichen Gewinner. Für viele andere kam nach dem nationalen Taumel allerdings die Ernüchterung. Die schnelle Währungsunion und die Privatisierungs- und Abwicklungspolitik der Treuhandanstalt stürzten Ostdeutschland in die Katastrophe.

Die Folgen der Währungsunion

DDR-Bürger hatten zur D-Mark ein inniges Verhältnis. In der Wendezeit waren sie fasziniert, bald DM zu bekommen und nicht nur 100 DM Begrüßungsgeld. Eine Parole auf dem Montagsdemos vor den Volkskammerwahlen war: Kommt die DM nicht zu uns, gehen wir zu ihr. Dabei warnte sogar Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl, die Währungsunion sei eine Roßkur, die keine Wirtschaft aushält.

Oft wird behauptet, dass die überstürzte Währungsunion für die Ostdeutschen ein exellentes Geschäft gewesen sei. Die Löhne und Gehälter wurden auf 1:1 umgestellt, Renten neuberechnet und im Schnitt um 30% angehoben. Sparguthaben konnten je nach Alter bei einem Betrag von 2000 bis 6000 Ost-Mark 1:1 umgetauscht werden.
„Mit der Währungsumstellung waren die Ersparnisse und Bargeldbestände der DDR-Bürger von rund 198 Milliarden Ost-Mark satte 120 Milliarden D-Mark wert, was einen beachtlichen Anstieg der Kaufkraft bedeutete und den westdeutschen Unternehmen einen Boom bescherte. Dies nützte vor allem der Partei des Kanzlers. Mit dem schon am 7. Februar 1990 unterbreiteten Angebot, die D-Mark in den Osten zu exportieren, verbesserte die CDU schlagartig ihre eigentlich dürftigen Chancen bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990.“ (Müller, S.40)

Ulrich Busch meint aber, dass auch die ostdeutsche Bevölkerung Verlierer der Währungsunion war. Dabei sahen sich die DDR-Bürger angesichts der neuen Konsumfreiheit zunächst als Gewinner der Währungsunion. In den ersten Monaten nach der Währungsunion besaßen sie eine höhere Kaufkraft als im Westen. Die Mieten, Pachten, Tarife und Gebühren waren noch niedrig. Die Kohl-Wahl 1990 erlebten die Ostdeutschen noch im Konsumrausch. Aber schon 1991 stiegen die Lebenshaltungskosten der Ostdeutschen um 26,5 Prozent. Besonders die Wohn-, Strom- und Mobilitätskosten stiegen drastisch. 1993 war der Subventionsabbau im Wesentlichen vollzogen. Der Kaufkraftvorteil der Ostdeutschen schmolz dahin. Die Realeinkommen seit Mitte der 1990er Jahre stiegen oft nicht mehr. Dagegen erlebten die Ostdeutschen eine Entwertung ihrer Güter „Made in GDR“. Ganze Wohnungseinrichtungen hatten nur noch den Wert von Sperrmüll. Vieles wurde im Westen kostengünstiger produziert. Die Ostdeutschen gaben den westlichen Erzeugnissen den Vorzug.

Einzig Immobilienvermögen besaßen noch Wert. Durch das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ war das bald gefährdet, die Alteigentümer, häufig waren es auch Immobilienspekulanten, standen plötzlich vor der Tür. Zum Fristende am 31. Dezember 1992 gingen 2,17 Millionen Restitutionsanträge ein. Jahrelang waren die Bewohner verunsichert, letztlich konnte aber die überwiegende Mehrzahl in ihren Häusern bleiben.

Die ostdeutschen Betriebe waren ganz klar die Verlierer der Währungsunion.

Schon mit der Währungsunion wurde das Produktivvermögen massiv in Mitleidenschaft gezogen. Sämtliche Märkte wurden schlagartig zu Devisenmärkten, auch der Binnenmarkt und die Märkte in Osteuropa. Die Nachfrage nach ostdeutschen Produkten ging dramatisch zurück. Sie waren einem ungleichen Wettbewerb ausgesetzt, die westdeutsche Wirtschaft konkurrierte sie nieder.

In dem Augenblick, als die Währungsunion kam, sollen die DDR-Betriebe nicht mehr konkurrenzfähig gewesen sein. Sie hatten jetzt eine Marktwirtschaft ohne Markt.

„Demgegenüber wurden die ostdeutschen Unternehmen erst durch einzigartigen Aufwertungsschock nachhaltig geschwächt und anschließend schutzlos gegen übermächtige Wettbewerber in ein aussichtsloses Rennen geschickt. Sogar unnötige Zusatzlasten mussten sie schultern. Ihre Schulden wurden im Verhältnis 1:2 umgestellt, obwohl ökonomisch allenfalls ein Kurs 1:4 zu rechtfertigen gewesen wäre- die Ost-Betriebe hatten nicht den Hauch einer Chance...Das Aufwertungsdrama führte dazu, dass die meisten DDR-Produkte bald unverkäuflich waren. Damit verloren die Unternehmen ihre angestammten Absatzmärkte in Mittel- und Osteuropa. Ganze Industrien schrumpften auf klägliche Restbestände zusammen, in den meisten Branchen verschwanden neun von zehn Arbeitsplätzen“ (Müller, S.41)

Mit der Währungsunion wurde die ostdeutsche Wirtschaft in den Abgrund gestürzt. Der politische Druck sei zu groß gewesen, heißt es oft. Gewinner der Währungsunion war die westdeutsche Wirtschaft. Mit Hilfe der Treuhand gelang es jener, auch noch die Reste der DDR-Wirtschaft zu beseitigen oder einfach aufzukaufen.

Die Treuhandanstalt

Die ersten „Aufbauhelfer“ kamen, als die Mauer gefallen war, vor allem Geschäftemacher aller Art. Nach der Vereinigung kamen die Staatsdiener, die eine „Buschzulage“ erhielten, eine Aufwandsentschädigung bis zu 2500 DM netto im Monat zudem großzügige Regelungen bei den Reisekosten, Trennungsgelder, Heimfahrten, Familienbesuche, Zusagen schnellerer Beförderung und größere Rentenansprüche. Dann kamen die „Treuhänder“.

Am 1. März 1990 wurde das Treuhandgesetz beschlossen. Die Gesetze für die Treuhand wurden in Westdeutschland formuliert, die Volkskammer durfte es beschliessen. In dem Treuhandgesetz der Volkskammer hieß es, dass den DDR-Bürgern verbriefte Anteilsrechte an dem zu erzielenden Überschuss eingeräumt werden sollte, was von den Treuhandmitarbeitern nach der Wahl im März 1990 ignoriert wurde. Die vom Gesetzgeber geforderten Treuhandaktiengesellschaften wurden nie installiert. Am 10. Mai 1990 redeten Vertreter westdeutscher Banken mit DDR-Staatschef de Maiziére Tacheles. Sie wollten eine eindeutige Ausrichtung auf eine Privatisierung der Staatsbetriebe.

Jetzt war die Treuhandanstalt eine Privatisierungsanstalt und „Insolvenzverwalter“ des Volksvermögens. Dabei hätte die Treuhand die Wahl gehabt, z.B. hätte sie auch dem Prinzip „Sanierung vor Privatisierung“ folgen können. Treuhandchef Rohwedder vertrat eine „Feuerwehr-Privatisierungspolitik“.

Jörg Roesler betont, dass ausgerechnet das Prinzip „Direktverkauf nach informellen Verhandlungen mit ausgewählten externen Interessenten“ (discrete bargaining) gewählt wurde. Die potentiellen Käufer wurden dadurch unauffällig mit gewünschten Informationen versorgt, für die Belegschaften blieb das Prinzip undurchschaubar. Sie sahen nur, wie die Vertreter verschiedener westdeutscher Konzerne ein- und ausgingen.

Da die Treuhand Probleme hatte, ihre 8000 „Privatisierungsobjekte“ zu verkaufen, entschloss sie sich zur „Filetierung“. Sie löste Betriebsteile heraus, deren Überlebensfähigkeit damit noch weiter sank.

Der Treuhand „gelang“ es, in vier Jahren 3495 Betriebe mit einem „minimalen“ Kostenaufwand von 25 Milliarden DM zu liquidieren und 2,6 Millionen Arbeitsplätze zu beseitigen. Innerhalb von zwei Jahren wurde die Industrieproduktion in Ostdeutschland auf ein Drittel reduziert, weltweit einmalig. Das Wirtschaftsvermögen von 600 Milliarden wurde in einen Schuldenberg von 256 Milliarden DM umgewandelt. Bravo!

„...die größte Staatsholding im Osten (erweiterte) systematisch die Einflusssphäre der marktmächtigen West-Konzerne... Nicht selten wurden Ost-Unternehmen von West-Konkurrenten übernommen und nach dem Auslaufen von Bindungsfristen stillgelegt...“ (Müller, S.177)

Strategisch wichtige Ostbetriebe wurden an westdeutsche und internationale Konzerne verkauft. Sie wurden zum Anhängsel degradiert.

Bis zum 5. Juli 1994 bekamen die 132 Liquidatoren, die für die Treuhand-Zentrale tätig waren, 204 Millionen DM Honorare. Zehn der Liquidatoren teilten sich dabei allein 122 Millionen, so stellte der Treuhandausschuss fest. Sie hatten die Leistung erbracht, 2,6 Millionen Arbeitsplätze abzubauen. Dafür wurden Pensionäre und Westmanager, die wegen Unfähigkeit ihre Ämter verloren hatten, reaktiviert.

„Bis Mitte 1994 fielen 80 Prozent des von der THA verwalteten ehemals ostdeutschen Produktivvermögens an Westdeutsche, 14 Prozent an Ausländer und sechs Prozent an ehemalige DDR-Bürger.“ (Bahrmann, Links 2005, S. 102)

Auch die 100 Treuhanddirektoren gehörten zur Elite der bundesdeutschen Wirtschaft, niemand stammte aus Ostdeutschland. „Die Créme de la Créme des deutschen Kapitals hatte das Geschäft der Liquidierung des Volkseigentums in der Industrie und seiner Verwertung nach den eigenen Bedürfnissen in die eigenen Hände genommen.“ (Hartmann 2008, S. 78)

Die Sanierung der Betriebe war dabei nur Mittel zum Zweck. Es ging nicht um die Gesundung, sondern um die folgende Privatisierung der Betriebe. Die Betriebe mußten aber als „sanierungsfähig“ eingeschätzt werden, um dann „privatisierungsfähig“ zu sein. Betriebe, die kein im Westen absetzbares Produkt hatten, wurden als nicht sanierungsfähig eingestuft. Der osteuropäische Markt galt nichts. Die Sanierungsaufwendungen waren ein „Zubrot“ zu einem häufig symbolischen Preis. So kaufte die Kvaerner Deutschland GmbH die Warnow-Werft für 1 Millionen DM und erhielt eine Sanierungshilfe von 1,528 Millionen DM. Ein Überblick über die „Sanierungshilfen“ gab es nicht. Ralph Hartmann schreibt: „Es war ein teures Geschäft, das die ‘Sanierer’ als Wegbereiter für die Privatisierung der volkseigenen Unternehmen betrieben- zu Lasten des ehemaligen Eigentümers, der ostdeutschen Bevölkerung, und der Steuerzahler in ganz Deutschland.“ (Hartmann 2008, S. 89)

Die Privatisierer erledigten dann das eigentliche Geschäft. „Laut dem Bericht des THA- Untersuchungsausschusses wurden, abgesehen von geringfügigen Restbeständen, die Energiewirtschaft und die Bergbaubetriebe für 1. 946 Millionen DM, die Chemieindustrie für 4. 752 Millionen DM, die Stahlindustrie und der Maschinenbau für 2.059 Millionen DM und die Elektronik und Feinmechanik für 1.872 Millionen DM verkauft, die Immobilien stets eingeschlossen. Berücksichtigt man, daß die Aufwendungen der Treuhand 332.000 Millionen DM betrugen, dann schloß sie mit einem Defizit von 256.000 Millionen DM ab. Wahrlich ein einmaliges Verkaufsergebnis eines Treuhänders, das dem Treugeber, der ostdeutschen Bevölkerung und dem Steuerzahler in Ost und West, zudem als großartiger Erfolg präsentiert wurde!“ (Hartmann 2008, S.90)

Es ging vor allem um den politischen Auftrag, wie Ralph Hartmann betont: „Dieser zwang sie, in kürzester Frist eine komplette Volkswirtschaft zu verkaufen, auf einem Markt, der nicht vorhanden war, und zu Preisen, die statt vom tatsächlichen Substanzwert von dem nach der Währungsunion de facto auf Null gesenkten Ertragswert bestimmt wurden.“ (Hartmann 2008, S. 91) Die THA- Manager wurden zudem von der Haftung freigestellt. Die Treuhand konnte wirtschaften, wie sie wollten, die Steuerzahler mußten die Kosten tragen.

In diesem lukrativen Geschäftsbereich tummelten sich folglich auch viele Wirtschaftskriminelle. Nach einer Definition von Sutherland sind Menschen, die ein „white-collar-Delikt“ begehen, oft „ehrbare Personen, mit hohem sozialen Ansehen, im Rahmen ihres Berufs und unter Verletzung des Vertrauens“, das man ihnen entgegenbringt. „Wirtschaftskriminelle und Berufsdiebe unterscheiden sich lediglich darin, daß erstere ein größeres Interesse an sozialem Status und Ansehen besitzen, sich selbst nicht als Kriminelle, sondern als Ehrenmänner betrachten...“ (Hartmann 2008, S.99)

Dabei ließ sich bei der Treuhand oft nicht definieren, was schon Kriminalität waren. So kassierten externe Berater seit 1991 Honorare in Höhe von 1.331.081.056,29 DM. Eine Anwaltskanzlei bekam von der Treuhand vom 1. Juli 1992 bis zum 31. Dezember 1993 die Summe von 161 Millionen DM. Eine genaue Verteilung der Gesamthonorarsumme ist Verschlußsache (VS-Vertraulich).

Bei der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen lief es dagegen umgekehrt. Betriebsfremde hatten jederzeit Zugang zu den Geschäftsgeheimnissen der ostdeutschen Betriebe. Viele Kaufinteressenten waren in Wirklichkeit Konkurrenten und verschafften sich Kenntnisse über Produktions-, Forschungs- und Technologieplanungen, Absatz- und Marktstrategien. „Die ‘schutzwürdigen’ Interessen der zumeist westdeutschen Käufer wurden gewahrt, die der ostdeutschen Betriebe und ihrer Belegschaften mißachtet, sträflich, ob in dieser Hinsicht auch strafwürdig, hat noch niemand geprüft.“ (Hartmann 2008, S.113)

So beschreibt also Ralph Hartmann in seinem Buch „Die Liquidatoren“ die Arbeit der Treuhand. Dafür nutzte er Ergebnisse des Treuhanduntersuchungsausschuss, der 54mal zusammengetreten war. Der Bericht umfasste 600 Seiten. CDU/CSU und FDP formulierten den Bericht um und verabschiedeten einen geschönten Bericht am 21.September 1994 im Parlament. 80% der Akten der Treuhand wurden zuvor vom Finanzministerium als geheimzuhaltende Verschlußsachen eingestuft, so Ralph Hartmann. Die Treuhand hatte einen politischen Auftrag der Bundesregierung (und natürlich der westdeutschen Wirtschaft und des Kapitals) erfüllt und war daher nur ein Instrument.

„Zwischen dem 600-Milliarden-Reichtum von Rohwedder und dem 256-Milliarden- Schuldenberg der Frau Breuel besteht eine Differenz von 856 Milliarden, in Ziffern: 856.000.000.000. Doch das ist bei weitem noch nicht die ganze Minusbilanz. Die massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen hat Millionen Menschen ihrer selbstbestimmten Existenzgrundlagen beraubt.“ (Hartmann 2008, S.133)

Wie das Staatsvermögen der DDR enteignet und Ostdeutsche in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden, beschreibt auch Klaus Huhn in seinem Buch „Raubzug Ost“. Interflug, Werften, Zirkusse, Seerederei und vieles mehr. Und zum Beispiel wie Bischofferode vom BASF-Konkurrenten aus dem Westen aus dem Wege geräumt wurde. Die westdeutsche Konkurrenz sorgte dafür, dass seit 1990 kein ostdeutsches Kali mehr auf den westdeutschen Kalimarkt gelangte.

Die Schauspielerin Käthe Reichel schrieb in Bischofferode an die Treuhandchefin Birgit Breuel, die „den Treuhandauftrag...im Sinne eines hemmungslosen Privatisierungsradikalismus“ interpretiert und verfälscht habe. „Warum war die Krise des Ostens ausschließlich durch Fehler des staatssozialistischen Systems bedingt, während die jetzt sichtbar werdende Krise des Westens mit Abermillionen von Arbeitslosen, mit neuer Massenarmut, brutalem Systemabbau, Strangulierung der kulturellen Leistungen usw. plötzlich gar nichts mehr mit den Systemfehlern zu tun haben soll...Warum soll es unmöglich sein, dass nach der Krise des Ostens jetzt die Krise des Westens kommt, dass beide Systeme sich als gleichermaßen untauglich für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben herausstellen können?“. (Huhn 2009, S. 64f.)

Was sind nun die Folgen dieser Politik?

Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute

Im Dezember 2004 waren 18,5% im Osten arbeitslos. 44% aller Arbeitslosen im Osten waren 2004 Langzeitarbeitslose. Im Osten lebte jeder 5. Deutsche, aber 40% aller registrierten Arbeitslosen.

1989 waren laut Statistischem Bundesamt in den Industriebetrieben 3,21 Millionen Beschäftigte tätig. Im September 2001 waren es einschließlich aller Klein- und Kleinstbetriebe 673 062 Beschäftigte in der ostdeutschen Industrie.

In der DDR gab es neun Kombinate mit mehr als 50 000 Beschäftigten, 90 Kombinate beschäftigten damals 10 000 bis 50 000 Menschen. Ende 2003 hatten nur Vattenfall (20 437 Mitarbeiter) und Jenoptik (10 500 Mitarbeiter) diese Größe. 46 DDR-Großbetriebe hatten 5000 bis 10 000 Beschäftigte. 2005 waren es nur der Berliner Waggonbauer Bombadier (9500 Mitarbeiter), die VW-Sachsen-Gruppe (6977 Mitarbeiter) und der Dresdner Chip-Hersteller Infineon (5500 Mitarbeiter). Geblieben sind also fünf mittelgroße Unternehmen von einstmals 145 DDR-Kombinaten. Zudem ist der Osten nur verlängerte Werkbank des Westens, es gibt keine mittleren und großen Unternehmenssitze im Osten.

„Ende 1991 erreichte die Industrieproduktion nur noch ein Drittel des Vorwendestandes. Knapp anderthalb Jahrzehnte später nähert sie sich mühselig dem DDR-Niveau von 1989.“  (Hartmann 2009, S.64)

Ostdeutschland wurde ein Entwicklungsgebiet in der EU.

„Der Westen spielt mit dem Osten nicht in der gleichen Liga. Es ist, als ob die Nationalmannschaft in der Kreisliga aufläuft.“ (Müller, S.171)

Nur Versorger (Strom-, Gas- und Wasserwirtschaft) sind im Osten präsent, weil die Versorgung nur vor Ort erledigt werden kann. Diese konnte man 1990 nicht schließen. Und sie hatten genügend Kunden.

„Insgesamt gibt es in Ostdeutschland knapp 30 Börsenfirmen, von denen mittlerweile ein Drittel pleite ist. Demgegenüber sind in Westdeutschland 800 Gesellschaften gelistet.“ (Müller, S.172f.)

Ostdeutsche Firmen kommen auch mit dem internationalen Wettbewerb kaum in Berührung. Sie sind zu klein, um im Ausland Geschäfte zu machen. Meistens nur Töchter westdeutscher oder internationaler Unternehmen setzen auf dem Weltmarkt Produkte ab.  Auch bei kleineren Unternehmen ist der Osten hoffnungslos unterlegen.

Während 1991 und 1997/98 ein Gründungsboom war, erlosch der Gründungseifer ab Ende der 1990er Jahre. Gleichzeitig sind viele Ostdeutsche prekär beschäftigt.

Niedriglöhne

Laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) verdienten 2006 fast 20 Prozent der Angestellten in Ostdeutschland weniger als 7,50 Euro die Stunde.

Ralph Hartmann schrieb im Oktober 2006: „Ein Nachtwächter verdient in Baden-Württemberg 8,23 bis 8,69 und in Thüringen 4,15 bis 4,60 Euro, eine Verkäuferin in Hamburg 9,88 und in Rostock 6,71 Euro, ein Fleischer in Nordrhein-Westfalen 8,87 und in Sachsen 4,50 Euro, eine Friseuse in Hessen 7,99 und in Brandenburg 2,75 bis 3,05 Euro die Stunde....Einkommensdiskriminierung der Ostdeutschen ist gang und gäbe.“ (Hartmann 2009, S. 101) Trotzdem können die neuen Bundesländer mit den Niedriglöhnen in Osteuropa und der Peripherie nicht konkurrieren. Das führt zu einem Druck auf die Beschäftigten, deren Situation prekär ist.

Dabei muß auch die Rolle der Gewerkschaften betrachtet werden. Der betriebliche Aufbruch 1989/90 und die Selbstorganisation ging verloren, als neben westdeutschen Arbeitgebervertretern auch die ersten DGB-Funktionäre auftauchten und mit ihrem Korporatismus, also Sozialpartnerschaft, die Selbstorganisierungskräfte der Beschäftigten brachen. So arbeiten viele Betriebsräte in Ostdeutschland mit dem Management eng zusammen, um so zu retten, was noch zu retten sei.

Weil sich die neuen Bundesländer wirtschaftlich nicht tragen, sind sie auf Geldtransfers von außen angewiesen.

Zufluss von Geld

Das Geld fließt in die neuen Bundesländer, vor allem um die sozialen Folgen der katastrophalen Wirtschaftspolitik zu mildern.

Ostdeutschland ist heute wie ein Faß ohne Boden.

Die neuen Bundesländer wurden zu einem industriellen Notstandsgebiet, das alimentiert werden muß. Das Gebiet ist von einem Geldstrom aus anderen Regionen abhängig.

Der „Aufschwung“ Ost ist eine Illusion. Noch von 1992-1995 hatte die Bauindustrie ein durchschnittliches Wachstum von 18,4%. Es entstanden Büroräume und Wohnungen, die jetzt aber leer stehen. Viele Orte im Osten veröden. Leerstand führt zu Abriß. Überall wurden Gewerbegebiete erschloßen, es wurde häufig sinnlos in eine überflüssige Infrastruktur investiert. Gleichzeitig floß Geld auch in die Verbesserung der Infrastruktur (z.B. für Straßen, Abwassersysteme, das Telefonnetz), die notwendig war. Im Gegenzug wurden aber oft die soziale und kulturelle Infrastruktur abgebaut.

Der Solidarpakt I umfasste 210 Milliarden D-Mark. Im Jahr 2000 war die Zwischenbilanz 1 Billionen Kosten der Einheit. Ende 2005 wurden seit der Wiedervereinigung 100 000 Euro Netto pro Einwohner in Ostdeutschland aufgebracht. Nach 15 Jahren waren das fast 1,4 Billionen Euro.

Der Osten ist ein Zuschussbetrieb und eigentlich zahlungsunfähig. Oft wird Ostdeutschland auch Verschwendungssucht unterstellt, viele hätten gelernt, Staatsknete abzuschöpfen. Da es viele Fördertöpfe gibt, existieren mittlerweile im Osten viele Experten, die sich im Förderdschungel auskennen.

„In Ostdeutschland werden wissentlich, systematisch und massiv Aufbaugelder verschleudert...So wurde der Aufbau Ost zu einem gigantischen Geldvernichtungsprogramm.“ (Müller, S.149ff.) So Uwe Müller, der für die „Welt“ schreibt. Dass der Osten zuerst platt gemacht wurde, vergisst er an dieser Stelle zu betonen.

Da viele Ostdeutsche trotz Geldtransfers und aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit keine Perspektive sehen, wandern viele ab.

Der Bevölkerungsschwund

Von Kriegsende bis zum 31.12.1990 verließen fast fünf Millionen Menschen Ostdeutschland. Wie schon zu DDR-Zeiten ist Ostdeutschland eine Auswanderungsgesellschaft. „In Ostdeutschland wütet ein demographisches Beben, das die Gesellschaft heftig erschüttert.“ (Müller, S.103) Viele Landstriche vergreisen und veröden.

Der Westen deckt einen Teil seines Arbeitskräftebedarfes mit Ostdeutschen. Vor allem gut ausgebildete junge Frauen verlassen den Osten, das führt auch zu einem Geburtenrückgang.

„In keinem anderen Staat der Welt sind nach 1990 so wenige Kinder geboren worden wie in den neuen Ländern, kaum anderswo altert die Bevölkerung deshalb so rasant.“ (Müller, S.97)

„Mit 0,7 Kindern pro Frau weist Ostdeutschland gegenwärtig die niedrigste Geburtenrate auf, die jemals weltweit gemessen wurde. Vor der Vereinigung war die Geburtenrate dort wesentlich höher gewesen als in Westdeutschland.“ (Hartmann 2009, S. 83)

Es verlassen also mehr weibliche als männliche Bewohner die neuen Bundesländer, viele schlecht ausgebildete männliche Jugendliche bleiben zurück In wirtschaftsschwachen Regionen gibt es einen Männerüberschuß von 25 und mehr Prozent.  Die zurückgebliebenen jungen Männer haben oft keine Ausbildung und keine Arbeit. Sie sind besonders anfällig für rechtsradikales Gedankengut.

Statt blühender Landschaften „national befreite Zonen“

Nach dem nationalen Vereinigungstaumel hatten viele Ostdeutsche die Lektion verstanden. Die Grenzen zwischen den Systemen waren offen und es drängten auch Migranten aus ihrem Elend nach Deutschland. Die Hatz begann („Das Boot ist voll“). Es gab Pogrome in Hoyerswerda (1991) und Rostock (1992). Schließlich wurde das Asylgesetz 1993 verschärft. Seit 1990 hat es 144 Tote durch neofaschistische Gewalt gegeben.

Schon in der DDR waren rechtsextreme Tendenzen bekannt, aufgrund der politischen und sozialen Situation nach der Vereinigung erstarkten diese erheblich. Rechtsextreme Infrastruktur aus Westdeutschland wurde in den Osten importiert und auch der heutige soziale Boden stärkt in den neuen Bundesländern den Rechtsextremismus. Obwohl es bis heute in den neuen Bundesländern kaum Migranten gibt, ist die Ausländerfeindlichkeit dort besonders hoch. Gerade strukturschwache Gegenden in Ostdeutschland sind Rekrutierungsgebiete fremdenfeindlicher und rechtsextremer Stimmungen.

Autoritarismus und Rechtspopulismus

„Der Rechtspopulismus spielt...für die Entstehung und Legitimation rechtsextremer Aktivitäten eine bedeutende Rolle.....Im Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit definieren wir Rechtspopulismus als Einstellungsmuster, das autoritäre Law-and-Order-Haltungen, Fremdenfeindlichkeit und Antisemistismus umfaßt.“, so die Autoren in dem Buch „Deutsch-deutsche Zustände“ von Wilhelm Heitmeyer.

Die Vereinigung hat dabei einen nährreichen Boden für Rechtspopulismus geschaffen. Die Rechtspopulisten nutzen die Ohnmachtsgefühle und die Unzufriedenheit der Menschen und fordern mit ihren Parolen ein härteres Durchgreifen. Ostdeutsche stimmten in der Studie den rechtspopulistischen Einstellungen eher zu, die Unterschiede zwischen Ost und West sind trotzdem gering. Die Ostdeutschen fühlen sich eher benachteiligt, weil viele mit der „Wende“ einen Statusverlust erlebten. „Wer sich als Verlierer der Einheit und Bürger zweiter Klasse fühlt, sucht Sündenböcke und ist anfällig für die Logik des Ressentiments: Aus Unwertgefühlen heraus an Schwächeren sein Mütchen kühlen.“ (Heitmeyer 2009, S: 98)

Es können jedoch nicht nur Ohnmachtsgefühle, Unzufriedenheit mit der Demokratie, Statusverlust und Benachteiligungen sein, die zu rechtspopulistischen Einstellungen führen, denn es gibt auch in Folge dessen linke Einstellungen.

Meines Erachtens spielt auch der Autoritarismus eine große Rolle. Der Autoritarismus sei eine tiefsitzende Sozialisationsfolge der DDR-Gesellschaft, so wird oft behauptet. Autoritäre Strukturen würden autoritäre Menschen erzeugen. In der Studie von Heitmeyer stimmten dann auch Ostdeutsche allen Autoritarismus-Items häufiger zu. Der Autoritarismus geht einerseits mit Orientierungslosigkeit einher. Andererseits tendiert, wer autoritär eingestellt ist, eher zu rechten Sichtweisen. Allerdings, wie die DDR bewiesen hat, sind auch Linke vor Autoritarismus nicht gefeit.
Hierarchien zwischen gesellschaftlichen Gruppen werden mit einer ökonomistischen Wertorientierung gerechtferigt. Die Gesellschaft könne sich keine Schwachen leisten. „Menschen, die soziale Veränderungen als Bedrohung wahrnehmen und darauf reagieren, indem sie autoritäre Denk- und Verhaltensmuster aufrufen, tendieren leider dazu, die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft abzuwerten.“ (Heitmeyer 2009, S.202)

„Personen in abwärtsdriftenden Regionen sehen mit der Zeit...immer weniger politische Einflußmöglichkeiten.“ (Heitmeyer 2009, S.67) Das Ausmaß der politischen Entfremdung sei groß. Die Wahlbeteiligung sei niedrig und die rechtsextremen Parteien hätten Wahlerfolge. Die Menschen fühlen sich machtlos und die Feindseligkeit gegenüber schwachen Gruppen nimmt zu.

Wenn die Gesellschaft als sozial gespalten wahrgenommen wird, wie bei vielen Linken, die gegenüber der sozialen Ungleichheit kritisch sind, dann werden schwache Gruppen nicht abgewertet.

Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer nimmt nach dieser Studie die soziale Spaltung (auch zwischen Ost und West) zu und Ostdeutsche haben „Gefühle der Desintegration und Benachteiligung“, sie sehen sich als „Bürger zweiter Klasse“. Auch die Fremdheit zwischen den Menschen in den neuen und alten Bundesländern ist geblieben.

In dieser Gemengelage wird eine andere Verarbeitungsform in den neuen Bundesländern wichtig, die Ostalgie. Oftmals sind Ostalgie, Law-and-Order-Denken und Fremdenfeindlichkeit miteinander gepaart. Die Enttäuschung über den sozialen Abstieg führt oft in die Flucht in eine beschönigte Vergangenheit.

Ostalgie

„Laut dem ‘Datenreport 2004’ des Statistischen Bundesamtes halten 76 Prozent der Ostdeutschen den Sozialismus für eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt wurde.“ (Hartmann 2009, S.83)

Das wäre nun für Linke ein gutes Ergebnis. Aber wie wird der Sozialismus erinnert? Wenn die autoritäre Seite der DDR und die Ausgrenzung von Andersdenkenden, anders sein und Randständigen vergessen wird, dann ist die selektive Erinnerung eben nicht emanzipativ.

Viele Ostdeutsche wehren eine Kritik der DDR massiv ab, weil sie sich selbst angegriffen fühlen. Im Nachhin wird die DDR verklärt und nur noch das Positive selektiv erinnert.

Über die DDR-Aufarbeitung wird heftig gestritten. Für die einen war die DDR die „zweite deutsche Diktatur“, die anderen betonen ständig die soziale Seite der DDR und haben Umfrageergebnisse auf ihrer Seite. Mehr als 70% der Schüler aus Brandenburg fänden es gut, dass in der DDR jeder einen Arbeitsplatz hatte und würdigen die Arbeitsplatzsicherheit. Die Gegner dieses Ergebnisses betonen wiederum, dass die Schüler von Eltern und Verwandten beeinflußt würden, die die DDR romantisieren. Sie fordern eine Wissensvermittlung in der Schule.

Während die einen ständig die Repression thematisieren, betonen die anderen den Alltag der Normalbürger. Dabei sollte man beide Komponenten, Repression und Alltag, zusammenführen. Natürlich war die Arbeitsplatzsicherheit für den Normalbürger vorteilhaft, aber es wurden auch sogenannte „Arbeitsscheue“ inhaftiert und von den Normalbürgern oft ausgegrenzt. Daran wollen sich jene Bürger natürlich nicht erinnern. Die Erinnerung ist oft lückenhaft. Sie dachten, mit Anpassung erreichen sie im Westen ein gutes Leben, aber im Westen zählt nur der Profit, viele Menschen in Ostdeutschland sind nach dieser Rechnung einfach nur „überflüssig“.

Nicht nur die soziale Situation ist es, die Menschen in die Ostalgie treibt.

Auch die ehemalige DDR-Elite, die in Ostdeutschland immer noch über erhebliche Netzwerke verfügt, hat es geschafft, ein beschönigendes DDR-Bild zu produzieren. Fatal ist dabei die Ost-West-Spaltung. Oft werden Unterschiede in Kultur und Mentalität bei Ost- und Westdeutschen herbeigeredet. Dabei ist es wohl eher das Wohlstandsgefälle, also die sozialen Unterschiede. Inzwischen gibt es aber auch in Ostdeutschland Menschen, die wohlhabend sind. Und es gibt reichlich Armut im Westen.

Unterschiede gibt es aber immer noch beim Vermögen, gerade die Oberschicht bleibt in Westdeutschland unter sich. Millionäre und Milliardäre sind fast alle in Westdeutschland zu Hause. Nichts trennt Ost- und Westdeutschland so wie die Vermögensverteilung.

Demgegenüber ist die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern doppelt so hoch, wie im Westdurchschnitt.
Den Ostdeutschen wird vorgeworfen, sie hätten den falschen Maßstab. Sie würden ihre Lebenssituation nicht mit der in der ehemaligen DDR vergleichen, sondern mit der in Westdeutschland, damit ist wohl eher Süddeutschland gemeint, der Westberliner Stadtbezirk Neukölln kann es wohl nicht sein.

Es bestehen aber nicht nur soziale Unterschiede zwischen Ost und West, wie bei der Vermögensverteilung und der Arbeitslosenquote, die auch die Ostalgie befördern.

Vor allem ist es die Degradierung der DDR-Intelligenz, die in Ostdeutschland eine Stimmung geschaffen hat, die ihre Benachteiligung immer wieder betont. Dabei sind nicht sie die wirklich Bedauernswerten, sondern die Arbeiter sind die Verlierer der Einheit. Die Akademiker und Funktionäre haben oftmals hohe Renten (es gab für sie in der DDR Sonderrenten, für viele andere dagegen Altersarmut) oder sie haben durch ihre Seilschaften (besonders wenn sie jünger waren) doch wieder gute Jobs in den neuen Bundesländern erhalten, in vielen Vereinen, Bildungs- und Beschäftigungsträgern, im Öffentlichen Dienst, in den sozialen Diensten, in der Wirtschaft oder zum Beispiel in der Linkspartei. Der Verbleib der Funktionäre des Staatsapparates und der staatsloyalen DDR-Intelligenz nach der Einheit ist nach meiner Kenntnis nicht erforscht, weil daran kein Interesse besteht. Die Herrschenden wollen den sozialen Frieden und sind sich des Elitentransfers aus dem Westen sehr bewußt.

So gab es 2004 keinen ostdeutschen Intendanten und Chefredakteur beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Ostdeutschland, 26,2% ostdeutsche Rektoren und Kanzler an den Universitäten in den neuen Bundesländern und Ostberlin oder 7,9% ostdeutsche Richter an den Gerichten Ostdeutschlands.

Viele wissenschaftliche Berufsbiographien wurden im Osten beendet. Besonders stark war der Austausch des Personals bei den Sozial- und Geisteswissenschaften. Sie haben Ausweichstrategien entwickelt, z.B. eigene Vereine gegründet, um weiterhin Forschung betreiben zu können. Es entstand eine postsozialistische Wissenschaftssubkultur, mit Einrichtungen wie die Helle Panke. Gemeinsam haben sie die Ablehnung der Delegitimierung der DDR, damit würden ihre eigenen Lebensleistungen abgewertet.

Aufgrund der Arbeitslosigkeit und der politischen DDR- Karriere vieler Betroffenen entstanden Vereine, sowie Bildungs- und Beschäftigungsträger nach der Vereinigung.

So gründete sich am 31.3.1990 der Arbeitslosenverband. Der Vorsitzende war Klaus Grehn, er hatte bis 1990 an einer FDGB-Hochschule gearbeitet, von 1970-74 war er IM. 1992/93 gehörten dem Verband 190 Arbeitslosenzentren und -intiativen an. Sie hatten ein großes Leistungsangebot, Beschäftigungsprojekte waren mit angeschlossen. Sie arbeiteten mit Arbeitsämtern und Landesregierungen zusammen.

Aus Betrieben heraus entstanden Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften. Wer qualifiziert war und seine Seilschaften hatte, sicherte sich dort Jobs. Die einfachen Arbeitslosen wurden dagegen in Maßnahmen beschäftigt. Häufig mußten öffentliche Aufträge ABM-Kräfte erledigen. Im ostdeutschen Garten- und Landschaftsbau standen Mitte der 1990er Jahre nur 13 600 gewerblich Beschäftigte einer Truppe von 110 000 subventionierten Arbeitern gegenüber. Mitte der 1990er Jahre gab es 400 Beschäftigungsgesellschaften in Ostdeutschland. Die „Beschäftigungsmafia“ in Ost und West ist kaum aufgearbeitet, bei google finden sich zu dem Begriff neun Treffer...

Aber wer noch schlauer war und nicht gerade ein IM, tauchte im öffentlichen Dienst ab. Jene, die gute Seilschaften hatten, sicherten sich dort ihre Jobs. So wechselten viele Mitarbeiter der Abteilung Inneres, die zu DDR-Zeiten „Asoziale“ und Ausreisewillige „bearbeitet“ hatten, in die Arbeitsämter. Die öffentlichen Verwaltungen und sozialen Dienste wurden neu aufgebaut, da gab es viel zu tun. Wer Bildungsprivilegien (Akademikerkinder in der 1980er Jahren) mitbrachte, bereits gut qualifiziert war und noch unbelastet, weil zu jung, hatte sehr gute Chancen im öffentlichen Dienst. So wurden die Eltern zwar in den Vorruhestand geschickt und stiegen damit ab, ihre gut qualifizierten Kinder hatten dagegen beste Chancen aufzusteigen. Den ehemaligen DDR-Privilegierten und ihren Familien geht es also meistens nicht schlecht.

Vielen Arbeitern dagegen schon, ob sie nun einen Job haben oder arbeitslos sind. Während die einen aus politischer Überzeugung der DDR nachtrauern, ist es bei den anderen die soziale Enttäuschung. Und so braut sich ein nostalgisches DDR-Bild zusammen.

Aber der Gegner ist stark, der die DDR als „zweite deutsche Diktatur“ in die Köpfe bringen will. Die Mittel der ehemaligen DDR-Elite, um Öffentlichkeit zu schaffen, sind dagegen relativ bescheiden, vergleicht man sie mit der bundesdeutschen Medienlandschaft. Die auflagenstärksten Blätter in der DDR waren die Junge Welt (Freie Deutsche Jugend) mit etwa 1,6 Millionen Tagesauflage und das Neue Deutschland (SED) mit 1,2 Millionen. Heute sind sie schätzungsweise bei unter 20 000 bzw. ca. 50 000 Exemplaren. Immerhin haben sie überlebt. Die Westverlage rangelten vor allem um die Regionalzeitungen in Ostdeutschland.

„Die überregionalen Blätter sind in ihrem Horizont bis heute knallhart westdeutsch geblieben. Und die ostdeutschen Regionalzeitungen- fast alle von westdeutschen Chefs geführt- blicken auf ihre Leser wie mit Kinderaugen: Beißhemmungen, Kumpeleien und Schwamm-drüber-Haltungen. Der Ostler gilt als Patient, dem wie zu DDR-Zeiten etwas geimpft werden soll: Idenitität, Geschäftssinn, Glücksgefühl.“, so 2004 der Kulturredakteur der Mitteldeutschen Zeitung. ( Bahrmann, Links 2005, S. 259) Auch beim Fernsehen bevorzugen die Ostdeutschen die Regionalsender und natürlich die Privatsender, denn viele sehen sich als „Volk der kleinen Leute“. Auch die Verlagslandschaft hat sich verändert. Zu DDR-Zeiten gab es 78 Verlage, davon wurden 54 von Editionshäusern der alten Bundesländer übernommen, zehn Verlage gingen an branchenfremde Unternehmer aus dem Westen, zehn Verlage gingen in Konkurs bzw. wurden geschlossen. Ganze zwei DDR-Verlage wurden von der PDS (Karl-Dietz-Verlag) bzw. einer sorbischen Stiftung, also Ostdeutschen, übernommen. Heute existieren 100 Verlage in Ostdeutschland, deren Ausstoß allerdings gering ist. Drei Prozent der gesamtdeutschen Buchproduktion kommen aus Ostdeutschland, so von der Edition Ost und dem Christoph Links Verlag. Auch in linken Buchläden ist das bemerkbar, das Thema DDR und Ostdeutschland ist dort stark unterrepräsentiert.

Das hat auch mit dem hegemonialen Diskurs über DDR, Mauerfall und Vereinigung zu tun.

Ein Problem ist die Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus. Mit der Totalitarismustheorie wird an „zwei deutsche Diktaturen“ erinnert, wogegen sich die Gegenseite vehement wehrt, was auch berechtigt ist. Nicht berechtigt ist dagegen die Beschönigung der DDR.

Ich möchte an dieser Stelle einige Merkmale der Beschönigung der DDR darstellen. Dabei habe ich mir den Autor Ralph Hartmann ausgesucht, der sich intelligent nicht der Schwarz-Weiß-Malerei bedient, aber immer wieder einiges „vergißt“, d.h. die Erklärungsmuster gleichen sich.

Ralph Hartmann konnte aus einer privilegierten Position auf die DDR schauen. Er gehörte zur Aufbaugeneration. 1935 geboren, damit Kriegskind, konnte er 1954 bis 1960 in Moskau Außenpolitik studieren. Er war im Diplomatischen Dienst tätig, so war er von 1982 bis 1988 Botschafter in Jugoslawien. In den 1990er Jahren war er dann wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. Danach war er publizistisch tätig.

Er ist nicht dumm, er gibt einiges zu.

Ralph Hartmann schreibt in seinem Buch „DDR-Legenden“:  „Mit Häme wird auf äußerlich ähnliche politische Rituale, auf Fahnenkult und -appelle, Gelöbnisse jeglicher Art, inszenierte Parteitage, lange Ansprachen und donnernde Sprechchöre, Massenveranstaltungen und -aufmärsche, Militärparaden und preußischen Stechschritt, reichen Ordens- und Medaillensegen verwiesen. Wer wollte diese Ähnlichkeiten leugnen? Dass es die gesellschaftsstrukturellen und antidemokratischen gab, ist unverzeihlich und hat dem Realsozialismus gewaltigen Schaden zugefügt. Dieses schwere Versagen wird auch durch die Feststellung um kein Jota leichter, dass es auch im Realkapitalismus mit der Demokratie nicht gerade zum besten steht. Dass es die Ähnlichkeiten im Brauchtum gab, ist im hohen Maße peinlich.“ (Hartmann 2009, S.16)

Aber!!! Er vergleicht mit der BRD:

Die BRD beließ das politische und wirtschaftliche Personal des NS-Regimes in ihren Ämtern und begann im Kalten Krieg mit einer Hatz gegen Kommunisten, so gab es von 1954 bis 1964 150 000 Ermittlungsverfahren gegen Linke.
„So, wie man, um ein häufig gebrauchtes Bild zu wiederholen, die Leichenberge der Nazis nicht mit den Aktenbergen der Staatssicherheit gleichsetzen kann, kann man die Kommunistenverfolgungen in der Bundesrepublik nicht mit der Menschenvernichtung im Dritten Reich gleichsetzen. Auschwitz bleibt tatsächlich singulär, und es ist die Aufgabe aller Demokraten, eine Wiederholung unmöglich zu machen. Das aber setzt auch voraus, die Nazi-Herrschaft nicht durch eine Gleichsetzung mit der DDR schön- und kleinzureden und mit der geschichtsfälschenden These von den ‘zwei Diktaturen in Deutschland’ aufzuhören.“ (Hartmann 2009, S.23)

Und er bedient sich des „antifaschistischen Mythos“ der DDR:

Die DDR enteignete die Wirtschaftsbosse des NS-Regimes und verfolgte Naziverbrecher. Die zentralen Führungspositionen in der DDR wurden von Antifaschisten eingenommen.

Und er vergißt die Systemmängel:

„Das Braunbuch DDR. Nazis in der DDR“ stellte auch NSDAP-Mitglieder in Führungspositionen fest, wie Manfred Ewald, der einflussreichste Sport- Funktionär der DDR oder Funktionäre der NDPD.

Die Führung der DDR redete von ihrem antifaschistischen Staat, das war quasi für die vielen Nazi-Mitläufer in Ostdeutschland ein Freispruch. Sie bekannten sich zur „antifaschistischen Ordnung“ und brauchten nicht mehr ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Den „Zumutungen“ einer kritischen Vergangenheitsbefragung mußten sie sich nicht aussetzen.

Der Schriftsteller Stephan Hermlin: „Die Mehrheit der Bevölkerung war sich darüber im Klaren, daß sie den Faschismus auf irgendeine Weise unterstützt hatte, und fühlte sich schuldig. Und dann ist den Propagandisten bei uns eingefallen, diese seltsame Formel vom ‘Sieger der Geschichte’ zu verwenden.[...] Diese Formel breitete sich sofort aus, wie ein Kreis im Wasser, in das man einen Stein geworfen hat. Jeder Bürger der DDR konnte sich nun als Sieger der Geschichte fühlen. Dadurch, daß man dem Volk diese Schmeichelei sagte und es entlastete, war es dann leichter es zu regieren. Es ist schwer, auf die Dauer Leute zu regieren, die sich irgendwie schuldig fühlen. Mit dieser Formel erlangte die DDR gleichzeitig auch eine gewisse politische Autorität.“ (Großbölting 2009, S. 214f.)
Überall gab es jetzt antifaschistische Parolen, Treffen mit antifaschistischen Widerstandskämpfern, Ausflüge in Gedenkstätten, öffentliche Heldengedenken und Totenehrung. Straßen und Plätze wurden nach Antifaschisten benannt. Mit Fahnen, Urkunden, Fotos und Medaillen wurden „verdiente Kämpfer“ geehrt. Literatur und Filme zeigten das antifaschistische Erbe. „Doch gerade weil die permanente Antifaschismus-Erinnerung im öffentlichen Raum schließlich über Jahrzehnte hinweg mit einer ‘sakralen Textur überzogen’ war und gerade weil es diese unablässige Didaktisierung der Bevölkerung bis in die letzten Winkel der Alltagskultur gab, schienen sich die Gedenkrituale allmählich verschlissen zu haben und wurden ‘leer’...Sofern man sich mit der Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand konfrontiert sah, verursachte die stereotyp vorgenommene Abbildung des immer Gleichen wahrscheinlich nur noch Überdruss und den Eindruck der Übersättigung... Der antifaschistische Gründungsmythos der DDR hatte seine prägende Kraft längst verloren“ (Großbölting 2009, S. 222)

1953 wurde noch vom „faschistischen Putsch“, 1961 vom „antifaschistischen Schutzwall“ gesprochen. 1989 bemühten die SED-Eliten nicht mehr die Vergangenheit.

Auch in der DDR konnten abweichende Jugendliche den Spruch hören: „Unter Hitler hätten sie euch vergast.“ Zu allen Zeiten gab es in der DDR rechtsextreme Vorfälle, z.B. das Beschmieren mit Nazi-Symbolen, wie Harry Waibel nachweist. In den 1980er Jahren entstand dann eine Skinhead-Szene in der DDR. Das war der härteste Protest, den Jugendliche in dem „antifaschistischen“ Staat ausdrücken konnten. Manche Punks liefen zum Beispiel zu den Skins über. In der Kirche von unten bildeten sich daher schon zu DDR-Zeiten Antifa-Gruppen heraus.
Woher der Fremdenhaß in den neuen Bundesländern nach 1990 kam, fragten sich viele, das Ursachenbündel ist breit. Die DDR-Systemträger bestreiten, dass das auch nur im Geringsten etwas mit der DDR zu tun hätte.

Und er gibt die Mauertoten zu:  „Was nützt es heute darauf hinzuweisen, dass es keinen ‘Schießbefehl’ gab...die Toten werden davon nicht wieder lebendig, das menschliche Leid nicht ungeschehen.“ (Hartmann 2009, S.32)

Der Preis der Mauer sei zu hoch gewesen. Aber!!!  Die äußeren Umstände. Der Westen....

An der deutsch-deutschen Grenze standen sich hochgerüstet die Nato und der Waschauer Vertrag gegenüber. Das konnte jederzeit zu einer militärischen Konfrontation führen. Ein Anlass, den Linke oft nicht eingestehen wollen, wie Ralph Hartmann schreibt, war die Abwanderung von DDR-Bürgern. Es gab einen unaufhörlichen Bevölkerungsschwund und es drohte ein Staatskollaps. Das ökonomische Gefälle zwischen Ost und West war beträchtlich.
„Die Mauer hatte der DDR und ihrer Führung Zeit verschafft, den Sozialismus demokratischer, attraktiver und damit das Bauwerk durchlässiger und letztlich überflüssig machen zu können. Diese Zeit wurde vertan. 1961 hatte die Mauer die DDR gerettet, 1989 ging sie an ihr zugrunde. Die ‘aus der Not geborene Maßnahme’ stabilisierte die DDR und verhinderte ‘kriegerische Verwicklungen’, doch der Preis dafür war hoch, zu hoch, wie viele meinen....“ (Hartmann 2009, S.32)

Und er vergißt die Systemmängel!

Nicht nur der Tod von Menschen an der Mauer ist zu beklagen, sondern auch das Leben von Menschen in der Mauer. Viele Lebenschancen, wie Reisefreiheit, wurden ihnen genommen. Gerade ein Grund für viele junge DDR-Bürger Ende der 1980er Jahre das Land zu verlassen. Und nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, wie es aus der Ecke immer wieder tönt. Die Motivation war vielfältig. Es ging auch um bürgerliche Freiheiten. Die Ausreise- und Fluchtbewegung aufgrund der Mauer bereitete der DDR das Ende.

Und er gibt die desolate wirtschaftliche Lage zu:

Hartmann schreibt: „Kein ernsthafter Ökonom wird die wirtschaftliche Lage der DDR von 1989 schönreden. Nach der Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) lag das Produktionsergebnis je Einwohner um etwa ein Drittel unter dem der BRD, nach späteren Berechnungen sogar um etwa fünfzig Prozent. Zugunsten der ‘Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik’ war die dringliche Erneuerung der Infrastruktur (Straßenverkehr, Post- und Fernmeldewesen, Trink- und Abwasserversorgung) sowie des zum Teil überalterten Maschinenparks von Jahr zu Jahr hinausgeschoben worden...Die Aufrechterhaltung niedriger Mieten, Tarife und Preise für den sogenannten Grundbedarf erforderten ständig größere Subventionen aus dem Staatshaushalt. Die DDR lebte am Schluss ihrer Existenz über ihre Verhältnisse. Seriöse Wirtschaftswissenschaftler stimmen allerdings auch darin überein, dass die Ökonomie der DDR trotz gravierender Misstände und Disproportionen 1989/90 keinesfalls vor einem baldigen Zusammenbruch stand...Selbst die beträchtliche Auslandsverschuldung, ein Bleigewicht am Hals der DDR-Wirtschaft, ließ keinen unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch erkennen. Die DDR war an keinem Tag ihrer Existenz zahlungsunfähig...Nach einem Bericht der Deutschen Bundesbank betrug die Auslandsverschuldung zum 1. Juli 1990, dem Stichtag der Währungsunion, 24,7 Milliarden DM...Grund für einen Staatsbankrott gab sie nicht.“ (Hartmann 2009, S.41f.)

Die Pro-Kopf-Verschuldung (also Auslands- und Innlandsverschuldung zusammen) betrug im Osten 5 298 DM, im Westen über 15 000 DM.

Aber!!! Die äußeren Umstände. Der Westen...

Wie kam es zu dem Ost-West-Gefälle in der Wirtschaft nach Hartmann? Westdeutschland bekam durch den Marshall-Plan Hilfe. Für die DDR waren dagegen nicht wirtschaftsstarke Länder sondern die zurückgebliebenen Länder Osteuropas die Wirtschaftspartner. Zugleich leistete die DDR 97% der gesamtdeutschen Reparationslast, im Werte von 99,1 Milliarden DM, zu Preisen von 1953. Der Westen warb auch qualifiziertes Personal, das im Osten ausgebildet wurde, ab. Durch die Embargopolitik wiederum mußte die DDR 50% des Weltsortiments an Maschinen und Anlagen selbst produzieren. Die BRD-Bürger konsumierten Waren aus der DDR in den Kaufhäusern und Versandhandel. (weil die DDR ein Niedriglohnland für den Westen war- Anm.)

Und immer wieder wird mit der heutigen Situation verglichen:

Die DDR lag beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung vor Spanien, Griechenland und Portugal, heute ist es in Ostdeutschland niedriger als in jeder anderen Region der EU.

„Der ökonomische Wettbewerb zwischen Kapitalismus und Realsozialismus fand auf deutschem Boden unter höchst ungleichen Bedingungen statt, die im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf als unlauter und im Sport schlicht und einfach als unfair bezeichnet werden würden. Der Umstand, dass die kapitalistische Marktwirtschaft über jahrhundertelange Erfahrungen verfügt, die realsozialistische Planwirtschaft dagegen häufig über ein Experimentalstadium nicht hinauskam und wiederholte Reformversuche im Gestrüpp ideologischer Doktrinen und Bündnispflichten hängenblieben, hat diese Ungleichheit zusätzlich vertieft. So bleibt auch die These, dass der Kapitalismus dem Sozialismus ökonomisch ‘haushoch überlegen’ ist, anfechtbar.“ (Hartmann 2009, S.46f.)

Und er vergißt die Systemmängel:

Die Mängel im System, wie z.B. das fehlende Eigentümerbewußtsein der Beschäftigten in der DDR und der Zentralismus, bleiben bei Hartmann unberücksichtigt.

Die zentralistische Planwirtschaft war schwerfällig, so reagierte sie langsam auf Bewegungen auf dem Weltmarkt, z.B. auf Preisveränderungen. Höhere Ölpreise hatten auch Auswirkungen auf die DDR. Aber die Preise in der DDR wurden stabil gehalten, man nannte sie auch „politische Preise“. Die DDR war aber nicht wirtschaftlich autark, das führte schließlich in die wirtschaftliche Schieflage. Um auf dem Weltmarkt einzukaufen, brauchte die DDR zudem Dollar oder D-Mark. Um die Devisen zu erwirtschaften, nahm sie Kredite auf oder verkaufte DDR-Produkte auf dem Weltmarkt. Die DDR war für den Westen ein Billiglohnland. Viele Waren der Versandhäuser von Quelle oder Otto kamen aus der DDR. Der Wohlstand im Westen wurde im Osten billig erarbeitet.

Die Lebenshaltungskosten waren in der DDR gering und so auch die Löhne und Gehälter. Handarbeiter verdienten oft mehr als Kopfarbeiter. Eine höhere Qualifikation und eine längere Ausbildung schlugen sich nicht in einem höheren Lohn nieder. Das Einkommen eines Staatssekretärs in einem Industrieministeriums betrug das 2,8fache des Durchschnittslohnes eines Arbeiters oder Angestellten in der DDR. Auch eine höhere Leistung wurde nicht belohnt, es wurde nur die Planstelle bezahlt. Das war nicht gerade motivierend und Engagement blieb so aus, auch weil die Beschäftigten kein Eigentümerbewußtsein, von wegen Volkseigentum, hatten. Das Eigentum hätte nicht verstaatlicht, sondern vergesellschaftet müssen. Die Arbeitsproduktivität war in der DDR gering, so beim Autobau. Die „sozialistischen“ Menschen begehrten Autos, die Wirtschaft konnte die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigen. Die DDR produzierte zwei Automarken und die Bestellisten wurden immer länger. Wer 18 war, meldete sich oft für ein Auto an. Die Wartezeit betrug fast 15 Jahre. In den 1970er Jahren kostete ein neuer Trabant 8000 DDR-Mark, ein gebrauchter das Doppelte...

Und er gibt die „Informationssammelleidenschaft“ der Stasi zu.

Aber!!! Der Westen. Er vergleicht mit der heutigen Situation:

Sarkastisch stellt Ralph Hartmann im Juli 2007 fest, dass die Birthler-Behörde ein Computerprogramm entwickelt habe, mit dessen Hilfe 600 Millionen Schnipsel in 16 000 Säcken rekonstruiert werden könne. Wenn das Werk in fünf Jahren vollbracht sei, werde die Welt mit Bewunderung diese Leistung würdigen. Allerdings sei es doch merkwürdig, dass in der Bundesrepublik viele Akten verschwinden. So liegen Geheimdienstinformationen über Auslandseinsätze der Bundeswehr aus den Jahren 1999 bis 2003 nicht mehr vor, wie das Verteidigungsministerium im Verteidigungsausschuss des Bundestages eingestand. Auch die Unterlagen über die „Sekretärin für Agitation und Propaganda“ Angelika Merkel und ihre Pflicht-Arbeiten in Marxismus-Leninismus sind wundersamerweise nicht mehr auffindbar.

Und er vergisst die Systemmängel:

Im fällt nicht auf, wie viele Menschen durch die Stasi geschädigt wurden, durch Kriminalisierung oder Zersetzung. Es geht nicht nur um Sammelwut, sondern um handfeste Repression und die Beschädigung von Biographien. Nichts davon, dass die Stasi Menschen in den Knast brachte bzw. das Leben von Menschen auch draußen zerstörte. Da nur zwanzig Stasimitarbeiter verurteilt wurden, nur einer kam in den Knast wegen Totschlag, sei ihnen also nichts vorzuwerfen?
In der DDR gab es 91 000 hauptamtliche Stasimitarbeiter und insgesamt 624 000 Inoffizielle Mitarbeiter (IM), 1989 waren 173 000 registriert. Ein hauptamtlicher Mitarbeiter war für 180 Personen zuständig, um eine flächendeckende Überwachung zu garantieren. Das ist durchaus zu schaffen, wie die heutige Jobcenterrealität beweist. Laut Vorgabe der Papiertiger des Arbeitsministeriums soll ein Beschäftigter der Jobcenter 170 Fälle bearbeiten. Die Realität sieht anders aus, oft mehr als 300 zu bearbeitende Fälle. Die Jobcentermitarbeiter schaffen es auch, obwohl sie nur am Schreibtisch sitzen. Da war die Arbeit der Stasi aufreibender, denn sie mußten auch noch Wohnungen verwanzen, Häuser von „Staatsfeinden“ beobachten, Geruchsproben anfertigen, Gruppen bespitzeln, Nachbarn befragen und vieles mehr.
Damals wartete der Knast, heute der Entzug der Existenzgrundlage bei Nichtbefolgung der „Mitwirkungspflicht“. Aber auch wenn der Kapitalismus schlimm ist, macht das die realsozialistische DDR kein Stück besser. Viele ehemalige politische Gefangene der DDR leben heute in Armut. Ihre Biographien sind zerstört.
Diese Menschen würdigt Ralph Hartmann mit keiner Zeile und allein das ist menschenverachtend.

Dabei denkt er und andere immer wieder an die „soziale“ Seite der DDR. Immer wieder werden die sozialen Errungenschaften der DDR gewürdigt. Er betont immer wieder die soziale Sicherheit in der DDR, bei „Asozialen“, die im Knast landeten, wurde die Sicherheit eben im Gefängnis gewährleistet. Auch zur Arbeitspflicht kein Wort. Und er betont die geringere soziale Spaltung in der DDR.

Die „soziale“ DDR und der Westen:

„Ein Hochschulabsolvent in leitender Tätigkeit konnte kaum mehr als das Dreifache eines Facharbeiters verdienen. Die Spanne zwischen niedrigstem und höchsten Einkommen betrug, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eins zu sieben. In der Bundesrepublik beträgt sie eins zu sechshundert, Sozialhilfeempfänger noch nicht einmal mitgerechnet. Letztere erhalten im Monat 354 und in Ostdeutschland 331 Euro. Herr Ackermann verdient das in nicht einmal sechs Minuten...Was für ein Staat, was für eine Gesellschaft, die solche Einkommensunterschiede zuläßt. Selbst wenn man die 800 000 Vermögensmillionäre und die 33 Milliardäre außerhalb der Betrachtung lässt, ist schwerlich zu bestreiten, dass die DDR eine ganze historische Etappe voraus war.“(Hartmann 2009, S. 194) Das schrieb Hartmann im April 2004.

Sie wissen, wo sie ansetzen müssen, um DDR-Bürger und Westlinke auf ihre Seite zu ziehen. Auch mir ist vieles symphatisch, was er schreibt. Wenn er nicht immer vieles vergessen hätte.

Inzwischen sind die Einkommens- und Vermögensunterschiede noch größer geworden. Diese soziale Spaltung ist es, die viele DDR-Bürger nicht begreifen, wenn sie nicht gerade selbst davon profitieren. Wie kümmerlich war dagegen das Sparguthaben von Hermann Axen (Mitglied des Politbüros des ZK der SED) von fast 235 000 Mark, dass ihm genommen wurde, weil er sein „Wohlleben auf dem Rücken des Volkes“ gesichert hätte. Mitglieder des Politbüros verdienten im Monat ca. 4600 Mark, Minister 4500 Mark, einschließlich 1200 bis 1500 Mark Aufwandsentschädigung. Der Generaldirektor des VEB Schiffbau Rostock verdiente z.B. zwischen 2850 und 3500 Mark. Ralph Hartmann schreibt im April 2004: „Der Chef der Deutschen Bank verdient jährlich elf Millionen, die Mitglieder seines Vorstandes je 2,05 Millionen Euro.“ (Hartmann 2005, S.193)

Das Kapital im Westen muß sich totgelacht haben, als sich die aufgebrachten DDR-Bürger über das „Spießerelend“, pardon die Privilegien in der Funktionärssiedlung Wandlitz empört haben.

Es ist natürlich wichtig, die soziale Spaltung in dieser Gesellschaft wahrzunehmen und sich dagegen zu wehren.

Nur leider vergessen die ehemaligen DDR-Systemträger ihre eigenen Fehler, die sie absichtlich oder unabsichtlich gemacht haben. Auch sie haben Menschen unterdrückt. So gab es in der DDR ca. 200 000 politische Gefangene. Das darf nicht vergessen werden.

Deshalb geht es auch darum, die Argumente der Ostalgiker zu durchschauen.

Sie berufen sich auf den Alltag. Sie berufen sich auf die soziale Sicherheit. Sie berufen sich auf den antifaschistischen Staat. Schuld seien äußere Umstände, wie der Kalte Krieg. Schuld sei die BRD, in der Faschisten weiter das Sagen hatten. Dabei vergleichen sie nicht den Lebensstandard der Bevölkerung der damaligen DDR und BRD, sondern die DDR mit der gegenwärtigen Situation des Sozialabbaus und Ausbau des Überwachungsstaates. Und vor allem „vergessen“ sie die Fehler im System.

Und gerade darum geht es, nämlich um die Aufarbeitung der Fehler im Realsozialismus jener, die immer noch eine sozialistische Perspektive haben. Die Linke hat es bisher nicht geschafft, ihre Geschichte aufzuarbeiten, daher rennt sie auch mitten in der Krise des Kapitalismus kopf- und alternativlos durch die Gegend. Die Mehrheit der Westdeutschen wollte 1990, dass alles so bleibt, wie es ist. Und die Mehrheit der Ostdeutschen, dass es so wird, wie es im Westen ist. Die Linke kritisierte schon immer den Kapitalismus, der sich aber seit 1990 drastisch verändert hat. Die Gesellschaft wird autoritärer, militaristischer, rassistischer, unsozialer und damit für viele immer unerträglicher. Bei der Unzufriedenheit großer Bevölkerungsteile gilt es anzudocken, aber dafür muss die Linke glaubwürdig sein.

Dabei hat die Linke, die die Systemfrage stellt, mit einem starken Gegner zu tun, der behauptet, wenn also die DDR mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen sei, dann könne man auch den heutigen Links- und Rechtsextremismus gleichsetzen.

So mündet die Totalitarismustheorie in die Extremismustheorie.

Die Elite in Deutschland, die ihre Privilegien durch politischen Protest bedroht sieht, brandmarkt so ihre politischen Feinde. Dafür hat sie ihre Helfershelfer in der Wissenschaft, in Medien, Politik und im Staatsapparat. Die Totalitarismus- und Extremismustheorie gehören also als Kampfmittel der Herrschenden zusammen.

Mit der Totalitarismus- und Extremismustheorie sollen antikapitalistische Positionen isoliert werden.
Dabei gibt es einen Extremismus der Mitte, nichts anderes ist die Abgrenzung der Mittelschicht von der Unterschicht und die sozialdarwinistische Trennung von Leistungsträgern und Kostenfaktoren (Parasiten, Sozialschmarotzer), die das Strafbedürfnis der „Mitte“ zu spüren bekommen sollen. Beispiele für den „Extremismus der Mitte“ sind Westerwelle und Sarrazin, letzterer bedient sich sogar wieder der Rassentheorie und erzielt damit Massenauflagen seines Buches. Mit ihren Steuern will die Mitte nicht die „Arbeitsunwilligen“ alimentieren. Die Mitte begreift nicht, dass sie nicht von der Unter- sondern der Oberschicht ausgeplündert wird. Sie will oben dazu gehören, hat eine Riesenangst, abzusteigen, und stimmt z.B. der Entrechtung der „faulen“ Hartz IV-Bezieher oftmals zu. Der Sozialdarwinismus, also das „Recht des Stärkeren“ bereitete dem Nationalsozialismus den ideologischen Boden. Die Behauptung der Ungleichwertigkeit der Menschen erstarkt auch heute, die „Mitte der Gesellschaft“ ist für rechtsextreme und vor allem rechtspopulistische Einstellungen anfällig.

Dagegen stand immer der Klassenkampf der Linken. Und nicht nur der Druck auf „Leistungsempfänger“ wächst, sondern auch auf Linke, die in die extremistische Ecke geschoben werden und so von der Bevölkerung, die zunehmend unzufriedener wird, isoliert werden soll.

Beliebtetes Mittel der Herrschenden ist, die Linke zu spalten, die „guten“ Linken sollen sich von „verfassungsfeindlichen Elementen“ abgrenzen. Es gibt inmitten des Krise des Kapitalismus gesellschaftliche Spannungen, kritische Stimmen sollen mundtot gemacht werden, indem man sie in die totalitäre Ecke schiebt. Das versucht man mit einer Propagandaoffensive gegen links zu erreichen. Die braven Demokraten sollen sich von der Linken distanzieren. Dabei wehrt die Linke sich gegen den Abbau demokratischer Rechte und den Aufbau eines Überwachungsstaates.
Es ist die Ironie der Geschichte, dass Ostdeutsche, die in der DDR ihrer demokratischen Rechte, wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit beraubt waren, jetzt erleben, wie in einer immer unsozialeren Gesellschaft auch die Freiheitsrechte wieder abgebaut werden. Wer keine sozialen Rechte hat, für den ist das Wort „Freiheit“, mit dem die Politiker immer hantieren, eine Luftnummer. Darum Sozialismus und Freiheit.

Und genau darum ist eine kritische DDR- Aufarbeitung von links so wichtig, die sich sowohl von der Totalitarismustheorie aber auch der Verklärung abhebt. Solange Linke die DDR beschönigen, bleiben sie angreifbar und unglaubwürdig. Und sie sind für autoritäre Lösungen anfällig. Das schadet der Idee des Sozialismus, der das Paradies der Freiheit sein sollte.

Literatur:

Hannes Bahrmann, Christoph Links, Am Ziel vorbei, Christoph Links Verlag Berlin 2005
Ralph Hartmann, Die Liquidatoren, Edition Ost Berlin 2008
Ralph Hartmann, DDR-Legenden, Edition Ost Berlin 2009
Klaus Huhn, Raubzug Ost, Edition Ost Berlin 2009
Uwe Müller, Supergau Deutsche Einheit, Rowohlt Berlin 2005 („Die Welt“ -Reporter mit Kritik an der Einheit, aber vielen neoliberalen Ansichten)
Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche-deutsche Zustände, 20 Jahre nach dem Mauerfall, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn 2009
Thomas Großbölting (Hg.), Friedensstaat, Leseland, Sportnation?, Ch.Links Verlag Berlin 2009

Editorische Anmerkungen

Dieser Vortrag wurde gekürzt in dem Seminar „Was tun, wenn ich die Ostalgie nicht ertrage?“ am 24./25.9.2010 im Mehringhof in Berlin gehalten. Wir erhielten ihn von der Autorin zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.

Weitere Infos zur DDR von Anne Seeck unter: http://www.freiheitpur.i-networx.de/ddr.html

Bei Infoparzisan: Materialiensammlung: DDR 1989 - "Löcher in der Mauer"
http://www.infopartisan.net/archive/1989/index.html

Bei TREND 11/2009