Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

"Sechster Aktionstag im Jahr 2009"
oder: Wie Gewerkschaften sich auch in Frankreich lächerlich machen – und ihre Basis demobilisieren

10/09

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Die französische Regierung versucht seit einigen Monaten, ein Gesetz gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet durchzusetzen. Der Entwurf sieht für so genannte Raubkopierer Internetsperren vor, die Verfassungsrichter sehen darin die Verletzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit.

« Die Dinosaurier, wer’n immer trauriger, denn die armen Saurier, die dürfen niiiicht an Bord » (gemeint: an Bord der Arche Noah): So lautet ein „Ohrwurm“-Lied zu Zeiten, da der Autor dieser Zeilen seine Kindheitstage durchlebte.

Unwillkürlich erinnert fühlte mensch sich an diese Zeilen, als die französischen Gewerkschaften am Mittwoch dieser Woche (o7. Oktober) ihren „sechsten Aktionstag im Jahr 2009“ absolvierten. Absolvierten, ja, wie eine Pflichtübung.

Nicht, dass es unsereinem/r etwa in den Sinn käme, Gewerkschaften mit „Dinosauriern“ zu vergleichen – allzu sehr ist das eine Denkfigur des neoliberalen Diskurses, der Verbände von Lohnorganisationen gern als „schwerfällig“ und „überholt“, Ausbeuterorganisationen (pardon) hingegen ebenso gerne als schlank & rank hinstellt. Nein, darum geht es uns nicht. Aber betrachtet man sich das Innenleben dieser Beschäftigtenverbände und ihre inneren Widersprüche – ja, da ähneln die bürokratischen Apparate schon irgendwo, entfernt, den alten Saurierviechern. Etwas Schwerfälliges haftet ihnen an, fetter Leib und kleines Hirn. Nein, es müsste beileibe nicht so sein, Gewerkschaft ginge auch anders. Aber ach!, die Wirklichkeit, die ist DERZEIT halt nicht so.

Am o7. Oktober also fand der „sechste Aktionstag“ im Jahr 2009 statt, im Kontext von Krise, sozialer Regression und Anstieg der Erwerbslosigkeit. Sieben von acht gewerkschaftlichen Dachverbänden in Frankreich – alle einschlieblich des Bildungsgewerkschafts-Verbands FSU, aber ohne Force Ouvrière (FO) – riefen dazu auf. Der Aktionstag stand im Rahmen des weltweiten „Tages für menschenwürdige Arbeit“. Nichts gegen menschenwürdige Arbeit, sofern es solche im Rahmen von Lohnabhängigkeit und Kapitalismus geben kann, Aber... Aber die Mobilisierung von diesem Mittwoch verdient die Qualifikation „lächerlich“.

Von vornherein hatten die aufrufenden Gewerkschaften auf „quantitative Ziele“ hinsichtlich der Mobilisierung „verzichtet“ (vgl. Artikel 1: http://www.lemonde.fr/ und Artikel 2: http://www.lejdd.fr/. Agenturmeldungen und Zeitungsartikel sprachen von einem „Mobilisierungstag auf Sparflamme (en mode mineur)“.

Und so kam es auch: Sparflamme war angesagt. Insgesamt dürften frankreichweit maximal ein paar Zehntausend people - Lohnabhängige und gewerkschaftliche Hauptamtliche - gekommen sein. In Rouen, beispielsweise, hielten die veranstaltenden Gewerkschaften eine Kundgebung vor dem örtlichen Sitz der französischen Telekom ab. Zu diesem Unternehmen gäbe es reichlich viel zu sagen im Moment (vgl. den eigenständigen Artikel zum Thema „Selbstmordwelle bei France Télécom-Beschäftigten“, der in Bälde erscheinen wird). Und am Vortag noch hatte dort ein frankreichweiter Streik stattgefunden, der relativ gut befolgt war. (Die Direktion gibt dazu frankreichweit eine Streikbeteiligung von 15 % an, aber ihre Zahlen – die sämtliches Personal vom leitenden Manager bis hin zur Zeitarbeiterin umfassen – täuschen notwendig; und die Gewerkschaft SUD-PTT gibt eine Beteiligung von 30 bis 40 % im Landesdurchschnitt an.) Doch die Kundgebung dauerte geschlagene 45 Minuten, inklusive Aufstellungnehmen und Redenabhalten. Eine kleine Pflichtübung, locker absolviert.

Das Problem an diesen „Aktionstägchen“ ist, dass die Lohnabhängigen nicht mehr daran glauben. Anfänglich war dies noch anders: Am 29. Januar und 19. März 2009, zu den ersten beiden Aktionstagen seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, kamen noch jeweils rund zwei Millionen auf Frankreichs Straben zusammen. Doch dann verzettelten und verschleuderten die  bürokratischen Apparate der Gewerkschaften dieses Mobilisierungspotenzial. Sie verheizten es durch auseinandergezogene, in mehrwöchigem Abstand zueinander stattfindende Aktionstage ohne Perspektive (darauf abzielend, Druck zu entfalten und nicht nur so-zu-tun-als-ob) und ohne Aufruf zum Streik. Irgendwann bleiben die Leute, die Lohnabhängigen, dann weg.

Nicht, dass die Gewerkschaften nicht WÜSSTEN, dass – und wie – es auch anders geht. Dies stellten sie zuletzt im Februar/März/Anfang April 2006 unter Beweis, als sie zusammen mit Jugend und Studierendenverbänden reale Power gegen die drohende Schleifung des Kündigungsschutzes (in  Gestalt des Projekts CPE) entfalteten. Doch seit dem Frühjahr 2008 dauert der Zirkus an, dass man die Leute mit simulierten „Mobilisierungen“ und Scheingefechten bei Laune hält. Damals führte man zum ersten Mal das Spiel mit bewusst auseinander verzettelten Pseudo-Aktionstagen durch: Am 10. Juni 2008 ging es um ein Thema und am 17. Juni um ein anderes ((beim ersten Mal ging es um die Verteidigung der Beschäftigten in den öffentlichen Diensten, und beim zweiten Mal ging es gegen Arbeitszeitverlängerung und gegen die Anhebung der Lebensarbeitszeit durch Hinausschiebung der Renten, was man natürlich unbedingt thematisch auseinanderhalten musste, klaro). Und so ging es weiter undsofort.

Der Hintergrund dafür ist auch klar: Seit Januar 2008 (Abkommen der „Sozialpartner“) bzw. seit dem 20. August 2008 (Verabschiedung eines Gesetzes zum Thema) läuft die so genannte Reform der „Repräsentativität“ (oder Tariffähigkeit) der französischen Gewerkschaften. Kurz, der „Markt“ der französischen Gewerkschaftslandschaft wird gründlich neu aufgeteilt. Zugunsten der beiden gröbten Apparate, jenem der CGT – die es bis dahin durch den Gesetzgeber auszugrenzen galt, so lange sie noch „kommunistisch“ gewesen war – und der CFDT. (Wobei grundsätzlich eine Reform, die dazu führt, durch Anwendung eines Kriteriums zur Messung der Anhängerstärke – nämlich dem Stimmenanteil bei den Betriebsratswahlen – die besser verankerten Gewerkschaften als „tariffähig“, und die kleineren, oft rechten oder gelben Gewerkschaften als untaugliche Vertreter der Lohnabhängigen zu betrachten, nötig und legitim war/ist. Im Kern der Sache ist das nicht falsch. Nur dient die aktuell, seit Inkrafttreten der Gesetzesnovelle vom August 2008, durchgeführte bzw. anlaufende Reform dem Regierungslager natürlich auch und zuvörderst zu taktischen Zwecken: Es ging ihm um die bessere Einbindung der CGT. Bis dahin hatte die Tatsache, dass nicht der reale Einfluss einer Gewerkschaft unter den Lohnabhängigen berücksichtigt, sondern einzelne Betriebsgewerkschaften – unter ihnen kleinere „gelbe“ – künstlich am Leben erhalten wurden, zur Ausgrenzung der CGT gedient. Doch inzwischen ist die Berliner Mauer gefallen, und die CGT erschien den Konservativen bzw. ihrem Sarkozyflügel auch nicht länger so „bedrohlich“, wie es einmal der Fall war.)

Seitdem hält die CGT, die dabei nur gewinnen kann, bei diversen Regierungsvorhaben mehr oder minder still. Denn ihr Interesse ist es, dass die Reform weiterläuft und die Claims zu ihren Gunsten neu abgesteckt werden Auch die französische Regierungsrechte kann mitunter intelligent sein, und vergessen, dass die CGT einstmals ein „rotes Tuch“ für ihr Lager darstellte.

In der Boulevardzeitung ‚Le Parisien’ (Ausgabe vom Mittwoch) wird unterdessen CGT-Generalsekretär Bernard Thibault interviewt. Und erklärt dort: „Die Bewegungslosigkeit der abhängig Beschäftigten wäre selbstmörderisch“ (L’immobilisme des salariés serait suicidaire). Das bedeutet, kurz: Wenn es keine powerhaft wirkende Bewegung – pünktlich zu den „Aktionstagen“ der Apparate - gibt, dann sind die Lohnabhängigen selbst daran schuld, wenn sich nichts tut.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor zur Veröffentlichung.