„Alain de Benoist und die Nouvelle Droite“
von Michael Böhm

Ein Gefälligkeitswerk, das vom Niveau her niemandem einen Gefallen tut

besprochen von Bernard Schmid

10/09

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Frage an Radio Eriwan: Ist es zulässig, eine Monographie - mit wissenschaftlichem Anspruch - über einen „Denker“ zu verfassen, wenn man sich mit dessen Ideen insgesamt doch sehr eng identifiziert? Radio Eriwan antwortet: Im Prinzip ja. Aber...

Auch im so genannten richtigen Leben, und auberhalb des sowjetischen Herrschaftsbereichs, müsste die Antwort lauten: Im Prinzip ja, aber... Aber intellektuell statthaft ist es nur dann, wenn man – erste Voraussetzung – doch noch genügend eigene Vernunft besitzt, um die nötige Distanz zu seinem personifizierten „Forschungsgegenstand“ wahren zu können. Zum Zweiten sollte man vom Wissens- und Kenntnisstand und vom kritischen Analysevermögen her ein genügend hohes Niveau aufweisen, um der Aufgabe auch gewachsen zu sein. Und schlieblich sollte man, drittens, sofern es sich um einen fremdsprachigen „Denker“ handelt,  auch dessen Sprache in genügendem Ausmab beherrschen – oder aber zumindest über hinreichend gut übersetztes Quellenmaterial verfügen, um nicht immer wieder über Sprachbarrieren zu stolpern.

All diese Voraussetzungen sind -  sagen wir es getrost vorneweg - bei dem Autor Michael Böhm im Groben und Ganzen nicht erfüllt, wo er sich dem politischen Denken Alain de Benoists widmet. Er tut dies in Gestalt einer Doktorarbeit, die im Februar 2006 an der Technischen Universität Chemnitz vorgelegt wurde und in der zweiten Jahreshälfte 2008 im LIT-Verlag als Buch erschien. (Diese Fassung liegt der vorliegenden Besprechung zugrunde; eine popularisierte Kurzfassung davon erschien im Winter 2008/09 im „neu-rechten“ Verlag Antaois. Letzter Erscheinungsort ist dabei kein Zufall, sondern ein kleiner Hinweis auf den eigenen politischen Standort des Autors. Letzterer Umstand war dem Verfasser der vorliegenden Rezension allerdings bei Abfassen dieser Besprechung zunächst noch gar nicht bekannt. Insofern entstanden die nachfolgenden Ausführungen und Bemerkungen noch in Unkenntnis dieses unübersehbaren kleinen Indiz’.)

Es sei zu Anfang kurz auf die doch nicht unerheblichen Sprachprobleme des Autors, Michael Böhm, mit dem Französischen hingewiesen. Mehrere Dutzende, wenn nicht Hunderte von französischen Schreibfehlern durchziehen sein Buch. Ziehen wir nur, willkürlich und zufällig ausgewählt, als Beispiel vielleicht die Seite 118 heran: Da taucht die Zeitschrift Nouvel Observateur (Neuer Beobachter) als „Nouvelle Observateur“ – männliche und weibliche Form bunt durchmischt – auf. Da fehlt den habits neufs de la droite française (den „neuen Kleidern der französischen Rechten“) ein Plural-s. Und da wird das droit de vivre, also „Lebensrecht“ oder „Recht auf Leben“, zum eher missverständlichen „droite de vivre“ – merke: le droit ist „das Recht“, la droite hingegen „die Rechte“ (auch politisch betrachtet, ebenso wie der rechte Arm etc.). Unangenehm für die oder den sprachkundige/n Leser/in. Ärgerlich für den (Erst-)Verlag, der normalerweise einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt. Aber bei in diesem Falle offenkundig jegliches ernsthafte Lektorat unterblieb, denn sonst hätte er vielfach in den Text eingreifen und französische, aber auch deutsche sprachliche Korrekturen durchführen müssen. Aber all dies ist, für sich allein genommen, noch „kein Drama“.

Wirklich ernsthafte Problem tauchen dann auf, wenn mangelhafte Sprachbeherrschung in Kombination mit fehlender inhaltlicher, kritischer Distanz des Autors zum „Objekt“ zu schweren Sinn entstellenden Fehlern führen. Dies tritt insbesondere dort ein, wo der Verfasser die Entwicklung Alain de Benoists von einem eher „klassischen“ Rassismus hin zu einem mabgeblich von ihm konzipierten „Ethnopluralismus“ darstellt.  

Eine falsche Übersetzung an entscheidender Stelle 

Vom Ansatz her schildert er diese Entwicklung in der Vorstellungswelt de Benoists durchaus richtig: Vergröbert ausgedrückt, postuliert der „klassische“ Rassismus die jeweilige Über- und Unterlegenheit bestimmter „Völker“, „Rassen“ oder Abstammungsgruppen zueinander. Hingegen proklamiert der „Ethnopluralismus“, sie stünden einander „gleichwertig“ gegenüber – er beharrt aber auf der Notwendigkeit ihrer getrennten Entwicklung, da eine Vermischung den jeweiligen Eigenwert jeder dieser Gruppen herabzusetzen drohe. (Also müsse, in der Konsequenz, bspw. Einwanderung „auch im Interesse der Migranten, die sonst ihre kulturelle Identität zu verlieren drohen“, abgelehnt werden.)

Alain de Benoist ist im Laufe der siebziger Jahre von der älteren zu der neueren, durch ihn weitgehend mit entwickelten Konzeption übergegangen. Jedoch, und dies ist nicht unwichtig, glaubt de Benoist auch weiterhin an die Existenz biologischer „Rassen“. Nur nimmt er erstens nicht länger die Idee ihrer jeweiligen Über- oder Unterlegenheit in den Mund; und zweitens glaubt er auch nicht länger an eine absolute oder vorwiegende Determiniertheit der Menschen durch „Rasse“ im biologischen Sinne (Chromosomen, Blut..). Vielmehr hält er die Prägung durch „Kultur“, die wiederum eng an einen „natürlichen Lebensraum“ eines Volkes verknüpft sei, für sehr wesentlich.

An dieser Stelle spielt nun ein erheblicher Übersetzungsfehler bei Michal Böhm seiner Darstellung einen Streich. Der Autor versteht nämlich die französische Präposition ,si’ im konkreten Kontext grundlegend falsch: Dieses kleine Wörtchen bedeutet zwar oft, vor allem in Fragesätzen, so viel wie „wenn“ oder „ob“ im Deutschen. Aber in zwei aufeinander folgenden Aussagesätzen hat es eine andere Funktion: Es leitet eine Relativierung ein, die man im Deutschen mit „Zwar... Aber“...“ wiedergeben musste. (Ein derzeit in der französischen Presse häufig gelesener ,Si’-Satz lautet so etwa: „Zwar hat Angela Merkel die Wahl gewonnen, aber sie ist nunmehr auf die FDP angewiesen.“)

Auf dem falschen Verständnis dieser grammatikalischen Konstruktion beruht jedoch eine ganze inhaltliche Ausführung des Autors, die darauf hinausläuft zu behaupten, dass ein „Rasse“-Verständnis bei de Benoist im Jahr 2000 schlicht überhaupt keine Rolle mehr spiele. So liest Michael Böhm einen ,Si’-Satz entsprechend inhaltlich falsch in dem Sinne, „dass Alain de Benoist nicht mehr so ohne weiteres davon ausging, dass Rassen existieren, sondern allenfalls von einer solchen Möglichkeit sprach.“ (S. 183. Dort, wo de Benoist ausführte, „zwar“ gebe es Rassen, „aber“ auch die Prägung  durch Kultur sei entscheidend, hatte Böhm ihn so verstanden, als erwähne der Vordenker der intellektuellen „Neuen Rechten“ lediglich eine spekulative Hypothese. Und übersetzte ihn wörtlich: „Wenn die Rassen existieren...“) In Wirklichkeit hat Alain de Benoist sich nicht so weit von traditionellen rechten Sichtweisen auf menschliche Abstammungsgruppen entfernt, wie Böhm an der Stelle suggeriert; er hat sie lediglich fortentwickelt. Seine wichtigste Modernisierungsleistung besteht wohl darin, seine grundlegende Forderung nach Wahrung der „Identität“ jeder Volks-, Kultur- oder eben auch Rassengruppe dergestalt zu präsentieren, dass sie dem Interesse jeder Gruppe (und nicht mehr nur „der weiben Völker“) entspreche. 

Unzureichende Perspektive 

Und was gibt es ansonsten zu Michael Böhms Ausführungen über Alain de Benoist zu sagen? Grundsätzlich hat er, erstens, eine tatsächliche Fleibarbeit in Gestalt der Lektüre eines Gutteils seines sehr umfassenden Schriftwerks  (Alain de Benoist hat über 40 Bücher verfasst) durchgeführt. Diese hat er, zweitens, durch ein einziges! (jedenfalls ein einziges von ihm verwendetes) Interview mit dem Chefideologen der „Neuen Rechten“ – das er am 8. November 2004 in Paris aufnahm, und in dessen Verlauf de Benoist über einige wichtige Ereignisse in seinem Leben erzählte – ergänzt.

Beide Elemente können nun aber, für eine Forschungsarbeit und eine Buchveröffentlichung mit wissenschaftlichem Anspruch, wirklich nicht genügen. Es ist nicht hinreichend, de Benoist einfach reden zu lassen und an seinen Ausführungen zu „hängen“. Es wäre vielmehr nötig gewesen, den Philosophen und Chefideologen der „Neuen Rechten“ mit einer Infragestellung, einer Hinterfragung und kritischen Kontextualisierung seiner ideologischen Konzepte und Denkfiguren zu konfrontieren. Ein Abfrageinterview mit hinterher erfolgender braver Nacherzählung sind an dieser Stelle völlig uninteressant.

Und ferner war de Benoist über Jahrzehnte hinweg auch ein, zumindest mittelbarer, politischer Akteur (nicht in Gestalt parteiförmigen Aktivismus, den er seit langem mied). Er nahm und nimmt an Kolloquien teil, äubert sich zum Zeitgeschehen, veröffentlicht kurze Artikel zu aktuellen Themen – in jüngerer Zeit u.a. auf seinem Blog (und in der 2008 gegründeten nationalrevolutionären, hochgradig antisemitischen Zeitung ‚Flash Magazine’). Seine aktuellen Auslassungen fallen dabei oft sehr viel „realpolitischer“, „pragmatischer“ – sehr oft auch unvergleichlich viel flacher und platter aus, als seine mit grobem Abstand zum Tagesgeschehen und zur Gesellschaft verfassten Grundsatzschriften. Hochinteressant wäre es gewesen, diese unterschiedlichen Ebene in de Benoists Denken & Wirken in einer Analyse miteinander zu kombinieren. Böhm tut genau dies nicht.

Ein paar interessante Stränge in de Benoists Grundsatzwerken fördert er dennoch zu Tage. So spürt er den – intellektuellen wie auch familiären, vom Einfluss Friedrich Nietzsches bis zur Auseinandersetzung mit einer in die Bigotterie abgleitenden Grobmutter reichenden – Hintergründen seiner Kritik am Christentum nach. Die Abrechnung mit dem (verderblichen, weil egalitären und universalistischen) Monotheismus der christlichen Lehre bzw. des „Juden-Christentums“ zählt tatsächlich zu den wichtigsten Grundlagen der Doktrin der „Neuen Rechten“. Teilweise aus dem familiären Hintergrund abgeleitet wird auch eine Verbundenheit des jungen de Benoist mit aristokratischen (und bäuerlichen) Wurzeln & Werten, die er gegen jene des Bürgertums in Stellung bringt. Dies ist alles richtig und insofern sogar hilfreich, als es hülfe, manche Weichenstellungen in der Jugend und im jungen Erwachsenenleben de Benoists zu erklären. Um eine politische Ideologie – wie de Benoist sie als entscheidender Akteur mit prägte und prägt - als solche zu charakterisieren, ist es aber vollkommen unzureichend.

Letztere bringt Böhm, bei de Benoist, auf den Punkt, dass es sich um eine „ästhetische Revolte“ gegen die Moderne handele. Dies mag in manchen Teilaspekten zutreffen, aber erklärt noch mitnichten, was die durch de Benoist mit entwickelte Ideologie und ihre Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext ausmacht.

An vielen Stellen bleibt Böhm auch, sträflich, bei den abstrakten Denkfiguren Alain de Benoists einfach stehen. So lehnt de Benoist die Idee, dass unveräuberliche und allen Personen eigene „Menschenrechte“ bestehen, schroff ab: Aufgrund ihres qua Definition universellen Charakters seien diese von Natur aus „Völker und Kulturen zerstörend“. Was bedeutet dies nun aber in seinen konkreten Auswirkungen in einer konkreten Gesellschaft – de Benoist liebt es, das (gute) Konkrete, da „kulturell Eingewurzelte“, dem (üblen) Abstrakten und Universellen gegenüber zu stellen, also wird man doch einmal so „konkret“ fragen dürfen? Was bedeutet dies etwa für eine Position zu Todes- und Züchtigungsstrafen im Iran, in anderen muslimisch geprägten Ländern oder in Ostasien, die durch die jeweiligen Regimes „kulturell“ legitimiert werden? Dazu findet sich kein Sterbenswörtchen – Böhm bleibt lieber dabei stehen, de Benoists vollkommen abstrakt bleibende intellektuelle Konstruktion zum Thema, unkritisch und unhinterfragt, zu präsentieren. (Vgl. S. 174 ff.) 

Lumperei: Ausführungen zu Auschwitzleugnern 

Eine letzte Anmerkung sei zum Schluss gestattet: Eine absolute Lumperei, historischer und politischer Betrug an den Leser/inne/n ist es, was Böhm dem Publikum auf St. 100 bezüglich Holocaustleugnern weis machen möchte.

In Frankreich wurde im Jahr 1987 der Begriff des „Negationnisten“ (Leugners, Abstreitenden) in die politische und intellektuelle Debatte eingeführt. Es war der Historiker Henry Rousso, der damals diese Begriffs-Neuschöpfung vorschlug - und zwar ganz bewusst, um den bis dahin gebräuchlichen Begriff des „Revisionismus“ zu ersetzen. Letzterer Begriff war ursprünglich durch die Anhänger der Auschwitzlüge für sich benutzt, und danach durch viele Beobachter zunächst zu ihrer Bezeichnung übernommen worden. Dies wurde jedoch durch französische Intellektuelle, zu Recht, als verfehlt betrachtet: Im Begriff des „Revisionismus“ steckt im Kern der Anspruch, die Geschichtsschreibung an einer bestimmten Stelle zu „revidieren“. An und für sich ist ein solches Anliegen keinesfalls skandalös; denn vielmehr besteht die legitime Aufgabe eines jeden Historikers ja gerade darin, das geschichtliche Urteil über bestimmte Ereignisse immer wieder (dank des Vorliegens neuer Erkenntnisse) zu revidieren, zu verbessern und zu schärfen. Untauglich sei der Begriff des „Revisionismus“ also vor diesem Hintergrund, um die Auschwitzleugner zu bezeichnen, meinten viele Beobachter/innen. Denn ihnen gehe es nicht um die Verbesserung der Geschichtsschreibung (durch ihre Abänderung aufgrund neuer Informationen), sondern um die schlichte und bewusste Leugnung eines wahren historischen Tatbestands. „Negationnisten“ bedeutet in der französischen Diskussion, von Anfang an, nichts anderes als „Holocaustleugner“.

Hier nun aber die Definition dieses Begriffs, die Michael Böhm auf St. 100 seines Buchs über Alain de Benoist anbietet, im Originalton: „Maurice Bardèche“ (Anm.: ein unverblümt neofaschistischer Publizist, dem der junge Benoist in den frühen sechziger Jahren kurzzeitig zuarbeitete) „...gilt in Frankreich als geistiger Vater der sogenannten Négationnistes, einer politischen Strömung,  die sich darum bemüht, das offizielle Geschichtsbild zu revidieren.“ (Sic.) Punkt, Aus, Ende der Fahnenstange und Ende der „Definition“, Übergang zu einem anderen Thema.

Naivität? Ahnungslosigkeit, und Nachbeterei der Äuberungen rechtsextremer Kontaktleute und „Vordenker“ in Frankreich ? Bewusste (pardon:) Verarschung des Publikums durch den Autor? Rechte Propaganda aus seiner Feder? Alles auf einmal? Die Leser/innen mögen sich aussuchen, was zutrifft.

Michael Böhm
Alain de Benoist und die Nouvelle Droite
Ein Beitrag zur Ideengeschichte im 20. Jahrhundert
mit einem Vorwort von Frank-Lothar Kroll.

LIT Verlag, Reihe Geschichte, Band 86. Berlin 2008. Preis 29,90 Euro.