Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Tagträumereien nach der Bundestagswahl

10/09

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I.

Repräsentative Meinungsumfragen haben ergeben, dass eine Mehrheit der BundesbürgerInnen gegen den neoliberalen Privatisierungswahn öffentlicher Dienste und öffentlichen Eigentums ist. Eine Mehrheit ist ebenfalls für einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde, für eine Erhöhung des Eckregelsatzes auf 500 Euro und gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Privatisierung, Sozialraub durch die Agenda 2010 und der grandiose Wiedereintritt in den Kreis der Krieg führenden imperialistischen Mächte, das waren die politischen Schwerpunkte von Rot-Grün und danach der großen Koalition. Die Ergebnisse repräsentativer Meinungsumfragen zeigen, dass sich eine solche Politik nicht auf eine Mehrheit der Bevölkerung berufen kann.

Soweit sich die von Politik und Medienmeinung abweichenden eigenen Positionen der Menschen in den Ergebnissen der Bundestagswahlen wiederfinden lassen, kommt das vor allem in dem respektablen Ergebnis der Partei „die Linke“ zum Ausdruck.
Trotz dieser großen Unterstützung gegen die Privatisierung „öffentlicher Dienste“ etc., für einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde und Anhebung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro wurde jedoch eine Schwarz-Gelbe Mehrheit in den Bundestag gewählt.

Meiner Meinung nach drückt das zunächst zweierlei aus:

1. Die Agitation und Aufklärungsarbeit von sozialen und politischen Initiativen im außerparlamentarischen Bereich (z. B. Attac oder Klartext und das Rhein-Mainbündnis gegen Sozialabbau), wie auch der Partei „die Linke“, gegen Privatisierung und für elementare soziale Interessen der Lohnabhängigen war sehr erfolgreich.
2. Sobald der Blick sich aufs „Ganze“ richtet und eine Wahlentscheidung ansteht, dominiert die Hoffnung der Menschen auf ökonomisches Wachstum des Kapitals. Soziale Reformen ja, aber nicht in schroffer Konfrontation mit dem Kapital. Soziale Interessen werden der „ökonomischen Vernunft“ untergeordnet. Diese Unterordnung wirkt umso stärker, je bedrohlicher die kapitalistische Krise und je gebrochener die Kontinuität von Klassenkämpfen ist. Je stärker durch die Verhältnisse selbst die Systemfrage gestellt wird, desto schwieriger wird der Kampf um Reformen, wo starke sozialistische/kommunistische Kräfte fehlen. So besinnt sich die Mehrheit der aktiven WahlbürgerInnen (NichtwählerInnen sind mittlerweile wohl die Mehrheit) auf die bürgerlichen Parteien. Die selbstverständliche Erkenntnis, wonach sich der Sozialismus/Kommunismus nicht durch Wahlen einführen lässt, muss erweitert werden durch die Erkenntnis, dass selbst eher mickrige soziale Reformen sich kaum mit Wahlen durchsetzen lassen.

Die Partei „die Linke“ stellt die genannten gegen Privatisierung, Sozialraub und Krieg gewandten Positionen in den Kontext ihrer reformistischen Strategie. Es handelt sich nicht um eine Partei, die das Kapitalverhältnis grundsätzlich attackiert und dem Privateigentum an Produktionsmitteln das Gemeineigentum als Ziel gegenüberstellt. Sofern diese Partei eine Vorstellung von Gemeineigentum hat, endet das bei der Verstaatlichung. Das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft ohne staatlichen Repressionsapparat erscheint ihr allenfalls „utopisch“. Sie hat keine Systemalternative zu bieten und kann daher auch nicht für diese gewählt werden.

Im Übrigen kann sich Zustimmung zu einer sozialistischen/kommunistischen Zielsetzung nur im Kontext von Klassenkämpfen herausbilden, die sich „naturgemäß“ auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft abspielen und dem Kapital im einzelnen, wie im Ganzen (gesellschaftliches Gesamtkapital) Zugeständnisse abringen wollen. Von einer Politik, die sich die Entfaltung von Klassenkämpfen zum Ziel setzt, ist die Partei „die Linke“ meilenweit entfernt. Allein darum ist auch ihr Reformismus, der auf parlamentarische Erfolge setzt, unglaubwürdig (was sich bereits heute in realen Regierungsbeteiligungen etwa in Berlin zeigt) und obendrein perspektivlos.

II.

Die repräsentativen Meinungsumfragen zeigen, wie erfolgreich eine bestimmte Aufklärungsarbeit im Kontext der Aufstellung und Begründung elementarer sozialer Forderungen sein kann. Die breite Unterstützung solcher Forderungen demonstriert, dass Verständigung über grundlegende gemeinsame Ziele unter den Lohnabhängigen nach wie vor möglich ist. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Forderungen reformistisch begründet werden (z.B. Attac gegen die Privatisierung) oder mit einer grundsätzlich antikapitalistischen Argumentation, wie das bei Klartext und Rainer Roth der Fall ist. (die Arbeit von Klartext war wesentlich für die Verbreitung der Forderungen nach 10 Euro Mindestlohn und 500 Euro Eckregelsatz.)

Sozialrevolutionäre können viele mehr oder weniger gute Gründe etwa gegen die letztgenannten Forderungen anführen, denn 10 Euro Mindestlohn und ein Eckregelsatz von 500 Euro sind in der Tat ein erbärmliches Existenzminimum in Anbetracht des tatsächlichen Reichtums, der in der bürgerlichen Gesellschaft produziert wird. Die Leute, die diese Forderungen entwickelt und aus der konkreten, scharfen Kritik an den aktuellen Zuständen begründet haben, beweisen jedoch Gespür für das, was gegenwärtig mehrheitsfähig ist und zur Verständigung gegen das Kapital beiträgt.

Wenn beispielsweise gegenwärtig bei Opel eine solche Friedhofsruhe herrscht, dann liegt das nicht zuletzt daran, dass es in der Belegschaft an Verständigung über gemeinsame Ziele mangelt, die soziale Interessen der Lohnabhängigen ausdrücken und gegen das Kapital durchgesetzt werden müssen. Selbst wenn alle Lohnabhängigen bei Opel jetzt Kommunisten wären und sie hätten keine konkreten Ziele, die sie jetzt und hier durchsetzten wollten, gäbe es die gleiche Lähmung, wie sie jetzt besteht. Denn zumindest eins dürfte unumstritten sein: bei Opel allein lässt sich der Kommunismus schlecht einführen.

Was die sozialrevolutionäre Bewegung (wenn man von einer solchen Bewegung momentan überhaupt sprechen kann) anbetrifft, so wird Verständigung über gemeinsame Ziele nicht besonders geschätzt. Abrenzung untereinander steht dagegen hoch im Kurs. Die Organisationen und Zirkel sind ein wirklich „leuchtendes Vorbild“ für die soziale Klasse, auf die sie ihre Aktivitäten irgendwie beziehen, die sie aber vor allem „führen“ möchten. Die Aufgabe von KommunistInnen wäre es, einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, dass aus der objektiv existierenden Klasse der LohnarbeiterInnen ein handlungsfähiges Subjekt wird, das bestimmte soziale Ziele durchsetzen will. Das ist vor allem eine unterstützende, dienende Funktion. Kommunistische Organisationen verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich bereits als Inbegriff der Subjektivität der Klasse sehen und daraus einen penetranten Führungsanspruch gegenüber der bloß objektiv existierenden Klasse ableiten.

III.

Rund 30 Jahre lang habe ich mich als Kommunist in verschiedenen Industriebetrieben „herumgetrieben“. Meine praktische Erfahrung und theoretische Reflexion besagt kurz zusammen gefasst folgendes:

1. In Anbetracht des „Werttotalitarismus“ (der funktionierenden Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens durch die Reproduktion von Kapital) und der insgesamt verheerenden und nicht genügend kritisch aufgearbeiteten Erfahrungen des „Realsozialismus“ lassen sich unmittelbar auf den Kommunismus abzielende Argumentationen kaum vermitteln. (Es bedurfte nicht des offenen Bruches mit den Theorien über Partei und Diktatur des Proletariats, wie sie in der Komintern von Anfang an vorherrschten, um den „Realsozialismus“ zu einem Repressionsmonster werden zu lassen. Was ein bezeichnendes Licht auf diese Theorien wirft.) Die vorhandenen, sich kommunistisch nennenden Sekten, können in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht zur Verständigung unter den Lohnabhängigen und damit zur Polarisierung zwischen Lohnarbeit und Kapital beitragen. Ohne diese zunehmende, auch subjektive Polarisierung, kann mensch aber jede Hoffnung auf die Erkämpfung eines klassenlosen gesellschaftlichen Zustandes sozialer Freiheit begraben. Die erwähnten Sekten schwimmen jedenfalls wie kleine Fettperlen auf dem Ozean.
2. Zur Verständigung unter den Lohnabhängigen und zur daraus resultierenden Konfrontation mit dem Kapital führen nur soziale (Teil-)Forderungen, sei es im Betrieb, in einer Branche, national oder international. Aus meinem begrenzten Erfahrungshorizont heraus weiß ich, wie wichtig die Agitation linksradikaler Kräfte (für Festgeldforderungen) vor und in der Streikbewegung 1973 war. Ebenso wichtig war die Agitation für die 35 Stundenwoche für die entsprechenden Streiks und die Durchsetzung der Forderung in der Metallindustrie.

Das gleiche gilt für die betriebliche Ebene.

Die geduldige Agitation und zähe Argumentation z.B. für die Forderungen nach einer Begrenzung der Schichtzeit von 6-14 und von 14-22 Uhr bei Opel in Bochum war wesentlich für die Verständigung in der Belegschaft über gemeinsame soziale Interessen gegenüber dem Opel-Kapital. Auf dieser Grundlage konnten die Lohnabhängigen zu einem wenigstens partiell handlungsfähigen kollektiven Subjekt werden. Im funktionierenden Getriebe der Kapitalreproduktion reproduziert Lohnarbeit als solche nur Konkurrenz! Allein die Verständigung über bestimmte soziale Ziele, die ohne die aufklärende und aufrüttelnde Agitation von Minderheiten nicht läuft, hebt diese Konkurrenz mehr oder weniger dauerhaft auf.

Gleiches gilt selbst noch für ungleich „reformistischere“ Ziele. (Es kommt halt immer auf die konkreten Umstände an!). Vor mehreren Jahren arbeitete ich als Maschinenschlosser in einem mittelständischen Betrieb des Maschinenbaus. Es gab keinen Betriebsrat, und der (Manchester-)Kapitalist unterlief das Lohnfortzahlungsgesetz mit einer Anwesenheitsprämie.

Man hätte das einfach durch eine individuelle Klage beheben können. Ich habe einen anderen Weg gewählt und das Ziel der vollen Auszahlung des Lohnes im Krankheitsfall mit einer „Kampagne“ für einen Betriebsrat bzw. die Legalität von Gewerkschaft und Belegschaftsvertretung im Betrieb gemacht. Um es kurz zu machen: Es gelang mir eine Konfrontation zwischen Lohnarbeit und Kapital in diesem reaktionären Laden. Eine Minderheit beteiligte sich aktiv an meiner „Kampagne“ und über 80% unterstützten sie. Wir bekamen auch den Betriebsrat. Daraufhin stellte „Bigboss“ auf seine Weise die „Systemfrage“, indem er damit drohte, den Laden dicht zu machen, wenn ich Betriebsratsvorsitzender bliebe. Auf einer Belegschaftsversammlung in schroffster Konfrontation wurde das ausgetragen und ich stellte als Betriebsratsvorsitzender die Vertrauensfrage. Das neue Ergebnis: ebenfalls rund 80% stellten sich gegen meine „Strategie“, wollten aber das ich Betriebsratsvorsitzender bleibe. Den Gefallen habe ich ihnen nicht getan. Die volle Lohnfortzahlung hat „Bigboss“ nach dem Schreck aber „freiwillig“ gezahlt.

Das Ganze will sagen: Unterhalb der Systemfrage kann und muss eine kleine radikale Minderheit eine ganze Menge tun, je nach den konkreten Bedingungen. Die jeweiligen Forderungen, also Ziele auf die man sich verständigen kann, erscheinen dem Außenstehenden oft als beliebig und so werden sie schon hin und wieder von besonders „radikalen Revolutionären“ prinzipiell in Frage gestellt. Wer „in der Materie“ steckt, also sich konkret mit den sozialen Umständen (theoretisch!) beschäftigt und sie kritisiert, der kann auch Forderungen/soziale Ziele formulieren, unter denen sich Lohnabhängige im Betrieb, in der Branche, national oder auch international gegenüber dem Kapital zusammenschließen können. Eine solche Agitation erfordert allerdings intensive Untersuchungsarbeit und jedes Flugblatt sollte eine Stück Enthüllungsliteratur sein. Weniger wäre, wie so oft, besser. Dies wäre aber nur eine der wichtigen Aufgaben von Sozialrevolutionären, deren Bearbeitung sie z. B. bei Rainer Roth und Klartext lernen können.

IV.

Bei den Bundestagswahlen stand eine Systemalternative nicht zur Wahl. Die Partei „die Linke“ ist eine sozialdemokratische Partei mit (vielleicht) ein paar geduldeten sozialistischen Zirkeln. Trotzkistische und maoistische Parteien und Parteiaufbauorganisationen sind allein durch ihr „prinzipielles“ Festhalten an der Leninschen Parteikonzeption „wenig vertrauenswürdig“, um es mal vorsichtig auszudrücken. Sie sind in aller Regel mit ihrem Latein am Ende, wenn sie – ganz und gar unduldsam - auf der führenden Rolle dieser Partei als dominanter Klassenorganisation beharren. Das muss mensch nicht nochmal haben! (Womit ich nicht die Notwendigkeit herunterspielen will, diesen Parteimythos gründlich zu demontieren, aber weniger in Abgrenzung zu diesen hierzulande unbedeutenden Sekten, sondern in Abgrenzung zum Realsozialismus!)

Wie diese Wahl unter dem Zeichen einer tiefen ökonomischen Krise auch zeigt, ist der theoretische Aufschein einer überzeugenden sozialistischen/kommunistischen Alternative dringend nötig! Wer es ernst meint mit einer solchen Alternative, muss nicht nur das Kapital grundlegend kritisieren, sondern auch den „realen Sozialismus“. Er muss sich mit der Geschichte des Sozialismus/Kommunismus beschäftigen, wie es beispielsweise in der Prokla unter dem Titel „Sozialismus?“ passiert ist und Antworten auf die hier aufgeworfenen Fragen geben können. (Partei- und Staatsfrage müssen in deutlicher und überzeugender Abrenzung zu allen bisherigen Formen des Realsozialismus beantwortet werden. Gelingt dies nicht, bleiben kommunistische Überzeugungen Makulatur und die Aussichten düster.) Es geht um die Neubegründung eines modernen Kommunismus in offener und solidarischer Debatte! Auch hier ist Verständigung ein wichtiges Ziel, das nur möglich wird, wenn man sich auf praktische, soziale Ziele, wie etwa Gemeineigentum, Selbstverwaltung und demokratische Planung, einigt. (Wie diese theoretisch untermauert und begründet werden, ist zweitrangig und sollte unter KommunistInnen in gegenseitigem Respekt voreinander ausgetragen werden.) Eine Neubegründung des Kommunismus dient nicht primär dazu, um heute die „Massen“ zu begeistern, sondern damit sich jene Kräfte zusammenschließen und organisieren können, die im Sinne des Kommunistischen Manifests ihren Beitrag zu sozialen Befreiung der Klasse der LohnarbeiterInnen leisten können. Das würde dann sicherlich auf etwas größere Kreise der Lohnabhängigen ausstrahlen.

(Die Sache der sozialen Revolution ist aus meiner Sicht vorrangig weder eine Frage der „Aufklärung der Massen“, noch eine Frage der „Kunst des Aufstandes“, sondern wesentlich eine Sache des Kapitals selbst, dass in seiner Entwicklung eine Situation erzeugt, in der die soziale Revolution eine praktische Notwendigkeit wird. Wir werden erfahren, wenn es soweit ist!

V.

Die Sozialdemokratie hat eine verheerende Niederlage erlitten! Gut so!
Die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ hat es leider nicht erwischt. Schade!
Schwarz-Gelb bildet die neue Regierung! Gut so!
Warum?

1. In der Schröder-Ära hat die Sozialdemokratie mit jeder „sozialistischen Tradition“ (also auch mit dem einem bestimmten Sozialreformismus) gebrochen. Die Agenda 2010 ist die größte soziale Schweinerei seit Gründung der Bundesrepublik! Sie ist das Werk von SPD und Grünen, ebenso wie Deutschlands Rückkehr in den Kreis der Krieg führenden imperialistischen Mächte. Dass den Grünen weder Agenda-Politik noch Kriegspolitik das Rückgrat gebrochen haben, ist ein Skandal und wirft ein bezeichnendes Licht auf die Wählerschaft dieser Partei. Soweit sich das um sogenannte „Alt-68er“ handelt, verschlägt es einem schon fast die Sprache.

In der großen Koalition hat die SPD die Politik der Agenda fortgesetzt und sich zum „Vorkämpfer“ der Rente ab 67 gemacht! Für wie blöd halten die Macher dieser Politik eigentlich die Mitgliedschaft ihrer Partei und den wehrten „Wähler“? Meinen sie, das ihre dämliche Propaganda alle soziale Erfahrung übertönen kann? Etwas über 20% waren durchaus angemessen. Weniger hätte auch nicht geschadet.

2. Die Politik der neoliberal gewendeten SPD war Wegbereiter von Schwarz-Gelb. Die Leute sind fern geblieben oder haben schwarz gewählt. Dass Schwarz-Gelb jetzt im Sattel sitzt, ist auch gut so! Das ist eine echte Herausforderung, wenn das Original der „Marktgläubigen“ jetzt dran ist. In Anbetracht der tiefen Krise und der verbleibenden Perspektiven für Kapitalakkumulation, können sie eigentlich nur verlieren! (Das wird eine Probe aufs Exempel radikaler Kapitalkritik!

Der prokapitalistische Reformismus der SPD hat restlos abgewirtschaftet und jetzt darf Schwarz-Gelb sich an der Misere des Kapitals die Zähne ausbeißen. Es reicht nicht, dass das Privateigentum versagt, die „politischen Ordner“ seiner Verwertungsbedingungen müssen auch restlos abgewirtschaftet haben, bevor die Fragen einer sozialen Revolution für mehr Menschen von Interesse sein werden.

Ich gehöre nicht zu denen, die jetzt schon ganz sicher sind, dass die jetzige Krise bereits eine soziale Katastrophe bisher unbekannten Ausmaßes (nach 1945) in den hoch entwickelten Ländern produzieren wird. Es mag einen Aufschwung geben, aber wenn er kommt, wird er nicht lange dauern. Wachstum durch staatliche Verschuldung ist nicht bedeutend besser und dauerhafter als Wachstum durch private Verschuldung. (Keynesianismus-Neoliberalismus). Das aber ist der einzige Wechsel der stattgefunden hat .... man freut sich über den ökonomischen Erfolg von Abwrackprämien, die Banken genießen die Senkung der Leitzinsen auf Null etc. Gönnen wir es den Priestern der scheiternden Marktökonomie für einen Moment. Das dicke Ende kommt so sicher wie das Amen in dieser Kirche der „Volkswirtschaft“.

VI.

Wie die erwähnte Prokla im Editorial richtig vermerkt, hat der Sozialismus notwendig auch eine systemimmanente Variante. Er drückt sich nicht zuletzt aus in den bestehenden Sozialversicherungen. Die Kritik daran ist hierzulande in sozialrevolutionären Kreisen wohlfeil, solange man nicht unter amerikanischen Verhältnissen leidet oder in Schwellen- oder Entwicklungsländern lebt!

In Deutschland ist beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eine Selbstverständlichkeit. „Normalo“ weiß sowieso nicht, woher die kam, es sei denn von wohlmeinender bürgerlicher Politik (tatsächlich:langer, erbitterter Streik). Ich kenne praktisch keinen Artikel von Sozialrevolutionären, der diese Errungenschaft des Reformismus preist als ein Stück sozialer Emanzipation im Kapitalismus. (Das Kapital muss aus dem Profit auf Zeit alle Kosten für den „Arbeitsausfall“ von LohnarbeiterInnen zahlen!!) Es sind nicht die sozialen Reformen des Kapitalismus, die die soziale Revolution verhindern können, auch wenn sie in dieser Absicht zugestanden werden. Wie man mittlerweile aus der Geschichte des Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg lernen kann, verhindern solche zugestandenen Reformen nicht den Prozess einer sich verschärfenden Krisendynamik und geraten unweigerlich unter den Hammer, wo nicht große Klassenkämpfe das verhindern. Wo aber große Klassenkämpfe geführt werden, ist alles möglich, sogar der Umschlag in eine soziale Revolution.

Bei mir kommt eine verbreitete Kritik am Reformismus, die den Kampf um soziale Reformen gering schätzt, mittlerweile so an:

Die soziale Lage der Klasse der Lohnabhängigen geht auch vielen Sozialrevolutionären am Arsch vorbei. Was sie interessiert, ist die Zustimmung zu ihrem Konzept „sozialer Befreiung“. Viel Zustimmung erhalten sie nicht, was sie aber nicht dazu veranlasst, über ihre Konzepte nach- zudenken, sondern eher über manipulative, reformistische Kräfte, die die massenhafte Zustimmung zu ihrem je einzig revolutionären Konzept von sozialer Befreiung, verhindern. Derweil ist größte Zersplitterung bei größter „Prinzipientreue“ angesagt. Doch bei aller Kritik am bürgerlichen Staat, wollen wir mal festhalten, dass KommunistInnen zu keiner Zeit des entwickelten Kapitalismus eine solche Freiheit genossen haben, ihre Auffassungen zu artikulieren und zu verbreiten, wie in der parlamentarischen Republik eines hochentwickelten kapitalistischen Landes unserer Tage. Und da leben wir... ohne Zustimmung durch die Mehrheit der Lohnabhängigen, trotz der sich dramatisch zuspitzenden ökonomischen und sozialen Widersprüchen. Wem das nicht Anlass ist, alle existierenden Organisationsansätze mit „Führungsanspruch“ in Frage zu stellen, dem kann eigentlich nicht mehr geholfen werden.
 

  • Peter Trotzig schreibt ab der TREND Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.