Ali Bongo und die 40 Räuber
"
Wahl"putsch in Frankreichs Neokolonie Gabun

von Bernard Schmid

10/09

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Seit vorgestern (29. September) zählt das Verfassungsgericht der Erdölrepublik Gabun, „Kronjuwel“ der französischen neokolonialen Einflusszone in (Nord-, West- und Zentral-)Afrika, die Stimmen nach, um den umstrittenen Ausgang der Präsidentschaftswahl vom 30. August 2009 zu überprüfen. Ein „Risiko“, dass die Opposition doch noch gewinnt, besteht dabei real keines. Frankreich dürfte seinen Einfluss über das an Bodenschätze reiche Land wahren und noch festigen können. Unterdessen wurden die Symbole „französischer Interessen“ zum Ziel wütender Proteste im Land. Bei Unruhen starben im September dieses Jahres mindestens 15 Menschen

Es war nicht fünf Minuten vor zwölf, wie im Sprichwort, sondern genau 11.57 Uhr. Um diese Zeit gab die Wahlkommission der afrikanischen Erdölrepublik Gabun am Donnerstag, den o3. September das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 30. August 2009 bekannt. Punkt Mittag an jenem Tag war es, als erste Rauchsäulen in den Himmel der Hauptstadt Libreville aufstiegen: Der Protest von Anhänger/inne/n der Opposition schaffte sich gewaltsam Luft. Eine größere Anzahl von Autoreifen und auch einige Fahrzeuge gingen prompt in Flammen auf.

Daraufhin folgten drei Tage heftigen Protests, bevor zu Anfang der darauffolgenden Woche wieder eine prekäre und angespannte Ruhe herrschte. Im Verlauf der Unruhen wurde über die zweitgrößte Stadt des Landes - den Ölhafen Port-Gentil, seit langen Jahren eine Hochburg der Opposition - - eine Ausgangssperre verhängt. Dort waren am Freitag, o4. September auch zwei „offiziell anerkannte“ Tote bei der polizeilichen Niederschlagung der Rebellion zu beklagen. (Die Opposition und auch unabhängige Beobachter/innen gehen davon aus, dass es in Wirklichkeit noch wesentlich mehr Tote gegeben hat. Die organisierte gabunische Opposition spricht inzwischen von circa 15 Toten in Port-Gentil.)

Der heftige Protest entlud sich zum Teil auch als Riot, und in der halben Stadt (Port-Gentil) fanden intensive Plünderungsaktionen statt. Aber es kam daneben zu sehr gezielten Attacken. Auf das französische Konsulat etwa, das in Flammen aufging und zerstört wurde, auf Gebäude und mindestens drei Tankstellen des französischen Erdölkonzerns TOTAL. Nicht zufällig waren diese Angriffsziele ausgewählt worden: Frankreich ist seit 50 Jahren die Hauptstütze des autokratischen Regimes in Libreville. TOTAL ist auf das Engste mit der Diktatur liiert: Präsidenten seiner gabunischen Filiale ist niemand anders als Pascaline Bongo, ihres Zeichens Tochter und Finanzexpertin von Omar Bongo. Er hatte seit 1967 und bis zu seinem Tod am 8. Juni dieses Jahres 42 Jahre lang ununterbrochen über das Land geherrscht. Pascaline Bongo, die einen Zeit des Jahres in der französischen Hauptstadt verbringt und dort Luxusautos und -appartements besitzt, ist auch eng mit Nicolas Sarkozy liiert.

Als der jetzige französische Präsident im Januar 2007 seine Kandidatur zur Wahl offiziell bekannt gab und ein Riesenspektakel dazu in den Pariser Messehallen veranstaltete, saß Pascaline Bongo als Ehrengast in der ersten Reihe. Und ihr Vater zählte zu den ersten ausländischen Staatsoberhäuptern, mit denen Sarkozy noch im Mai 2007 - dem Monat seiner Wahl zum französischen Präsidenten - im Elysée-Palast zusammentraf, bevor er im Juli 2007 desselben Jahres seinen ersten Auslandsbesuch als Staatspräsident in den drei Ländern Libyen, Senegal und Gabun (und damit auch bei Omar Bongo) abstattete. Die an Bodenschätzen reiche und bevölkerungsarme afrikanische Republik hat für Frankreichs Eliten schon immer eine zentrale Rolle gespielt, als „Kronjuwel“ ihrer neokolonialen Einflusszone. Und alle größeren Parteien Frankreichs, inklusive des rechtsextremen Front National aber mit Ausnahme der KP und der Grünen, wurden in der Vergangenheit über Gabun finanziert.

Ein Teil der Extraprofite, die etwa TOTAL dort einstreicht - unter anderem, weil das Regime beide Augen zudrückt, wenn die Mengen geförderten Rohöls gegenüber dem gabunischen Staat zu niedrig angegeben und berechnet werden - landet in den Kassen des Bongo-Clans. Letztgenannte Familie ist die offizielle Eigentümerin einer Bank, die in Wirklichkeit vom TOTAL-Konzern wirtschaftlich kontrolliert wird. Der Profit, den beide Seiten aus diesen Beziehungen schlagen, auf Kosten des gabunischen Staats und vor allem seiner mehrheitlich in Armut gehaltenen Bevölkerung, wird im Nachhinein „brüderlich“ verteilt: Ein Teil fließt nach Frankreich zurück, korrumpiert Politiker und Journalisten.

Vier Tage lang hatte es gedauert, bis die offiziellen Wahlergebnisse publik wurden. Obwohl das an Bodenschätze reiche Land nur gut eine Million (offiziell circa 1,2 Millionen) Einwohner/innen zählt, von denen laut amtlichen Angaben 44 Prozent wählen gegangen sind - so dass man hätte annehmen dürfen, dass es schnell geht mit der Auszählung. Dabei war die Anzahl der Abstimmenden auch noch allem Anschein nach künstlich aufgebläht worden, zugunsten des Regimekandidaten Ali Bongo, Sohn des verblichenen langjährigen Präsidenten - bislang Verteidigungsminister und Oberbefehlshaber der Armee. wurde bei den Wählerinnen und Wählern der Daumen mit Tinte markiert, die angeblich unabwaschbar ist und dafür sorgen sollte, dass jede Person garantiert nur ein mal abstimmen kann. Es wurde jedoch berichtet, diese Tinte sei durch einfaches Waschen mit kaltem Wasser leicht zu entfernen. (Vgl. http://www.flickr.com/ ) In der Provinz Haut-Ogooué, wo Ali Bongo seine politische Hausmacht hat, lag die Wahlbeteiligung angeblich doppelt so hoch wie landesweit. Ein Gutteil dieser phänomenalen, rund 90prozentigen Beteiligung dürfte jedoch auf Phantomwähler zurückzuführen sein. - In der Botschaft Gabuns in der französischen Hauptstadt Paris - „dem“ internationalen Schaufenster des Landes wurde die Botschafter am Wahltag von Wahlbeobachter/inne/n persönlich dabei ertappt, wie sie einen gefüllten Sack mit gefälschten Wahlkarten transportierte. Diese sollten es Anhängern des Regimes ermöglichen, doppelt und mehrfach abzustimmen. Zu dem Zeitpunkt, als die Botschafterin mit dem Sack angetroffen wurde (gegen 18.30 Uhr an jenem Sonntag Abend), enthielt er noch 143 Wahlkarten. Wahlbeobachter/innen der Oppositionsparteien machten im fünften Stockwerk des Botschaftsgebäudes ein - höflich ausgedrücktes - informelles Wahlzentrum ausfindig, wo die manipulierten Wahlergebnisse (dank Doppelt- und Vielfachstimmern) fabriziert wurden.

Ursprünglich hätten in Gabun die Ergebnisse vom Sonntag, 30. August bereits am darauf folgenden Dienstag Abend bekannt gegeben werden sollen. Doch dann kam es nochmals zu erheblichen Verzögerungen - Hinweis nicht nur auf erhebliche Unstimmigkeiten innerhalb der Kommission, sondern auch auf mutmaßliche Manipulationen. Die Vertreter der Oppositionsparteien in dem Ausschuss weigerten sich, die Protokolle zu unterzeichnen. Obwohl die Geschäftsordnung der CENAP - „Unabhängigen und ständigen nationalen Wahlkommission“ - vorschreibt, dass die Resultate nur im Konsens der unterschiedlichen dort repräsentierten Parteien bekannt gegeben werden dürfen, kam es keinerlei Einigung zwischen Regierung und Opposition. Das Regime der früheren Einheits- und noch immer dominierenden Partei PDG, „Gabunische demokratische Partei“, trat daraufhin die Flucht nach vorne an - und verkündete den „Wahlsieg“ des 50jährigen Präsidentensohns, und nunmehrigen Präsidenten.

Aufgrund der zeitweiligen heftigen Proteste sah sich das Regime nun doch noch veranlasst, eine nachträgliche Überprüfung des „Wahlergebnisses“ durch Neu-Auszählung der Stimmen zu veranlassen. Diese sollte am Dienstag, 29. September anfangen. Die Operation verzögert sich jedoch aufgrund von  (gelinde ausgedrückt) Unstimmigkeiten zwischen Wahlbeobachtern des Regimes und der Oppositionsparteien.

Im Kern der Sache läuft das Regime jedoch keinerlei Risiko, dass die abermalige Auszählung doch noch zu einem Sieg der Opposition führen könnte. Angeleitet wird die Zähloperation durch den gabunischen Verfassungsgerichtshof. Dessen Vorsitzende ist Madame Marie-Madeleine Mburantsuo, die - absolut illegal - bereits ihr drittes Mandat absolviert. („Absolut illegal“, da die Verfassung der Republik Gabun schwarz auf weiß eine Begrenzung der Amtszeiten auf höchstens zwei vorsieht.) Mit M.-M. Mburantsuo riskiert das Regime nicht, dass irgendetwas anbrennen könnte: Die Frau, die im Alter von 36 Jahre an die Spitze des Verfassungsgerichts gehievt wurde - und keine Juristin, sondern in Frankreich ausgebildete Steuerexpertin ist - hat zwei Kinder mit dem verstorbenen Mafia-, pardon, Regimechef Omar Bongo in die Welt gesetzt. Keine Gefahr im Verzug also für Präsidentensohn und -Nachfolger Ali Bongo: Der Clan ist gut geschützt. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, und die (Wahl-)Kontrolleure fest in der Hand zu haben ist noch viel besser… 

Eine Marionette Frankreichs 

Ali Bongo, noch mehr als vor ihm dessen Vater Omar Bongo, gilt in weiten Kreisen als Marionette Frankreichs. Und dies nicht unbegründet. „Ihr Land hat uns diesen Präsidenten aufgezwungen“, mit diesen Worten zitiert ein Sonderberichterstatter der Pariser Abendzeitung Le Monde die Stimmung auf den Straßen in Libreville. Seine gesamte Ausbildung hat Ali Bongo - der seine Karriere als verwöhntes Präsidentensöhnchen ohne Interesse für die Politik begann, bevor er vom Herrn Papa zur Ordnung gerufen und mit 30 Jahren zum Minister bestellt wurde - in Frankreich absolviert. Doch er sei „Afrikaner in der Seele“, fügte Anfang September o9 einer seiner Berater gegenüber Le Monde treuherzig hinzu - ein Dementi, das tief blicken lässt.

Offiziell erhielt er knapp 42 % der Stimmen, und damit eine relative, aber zum Wahlsieg ausreichende Mehrheit. Neben ihm reklamierten aber auch zwei andere  Kandidaten am Montag, nach erfolgter Auszählung der Stimmen auf lokaler Ebene, den Sieg für sich: der frühere Innenminister André Mba Obame und der langjährige Oppositionspolitiker Pierre Mamboundou. – Am Freitag, o4. September wurde bekannt, dass Mamboundou am Vortag durch Schüsse der Armee am Kopf verletzt worden ist. Entgegen ersten Meldungen und Befürchtungen seiner Anhänger schwebt er jedoch nicht in Lebensgefahr.

Aufgrund der ökonomischen Bedeutung des Landes spielte und spielt Gabun eine zentrale Rolle für Frankreich und seine neokoloniale Afrikapolitik. Schon Ende Juli 2009 hatte das Magazin Jeune Afrique vermeldet, französische Nachrichtendienstler drückten sich - im Vorgriff auf die Wahl - in Gabun die Klinke in die Hand. Und fügte hinzu, das offizielle Paris habe sich zugunsten der dynastischen Nachfolgeregelung an der Spitze der Republik Gabun entschieden.

Aber Libreville ist nicht die einzige afrikanische Hauptstadt, in der in jüngster Zeit mehr oder minder „unsaubere“ Wahlen stattgefunden haben. Höchstwahrscheinlich hätte Ali Bongo in einer freien und unverfälschten Wahl verloren. Absolut sicher ist dies für den Präsidenten des ebenfalls Erdöl fördernden Nachbarlands Congo-Brazzaville - den früheren Schwiegervater des 73jährig verstorbenen Omar Bongo, mit dem er seine Tochter Edith vermählt hatte, wie früher europäische Monarchen ihre Töchter untereinander verheirateten. Denis Sassou-Ngessou, 66, hatte sich 1997 auf äußerst blutige Weise an die Macht geputscht. Sein Amtsvorgänger Pascal Lissabou war zuvor bei ELF, den Vorläuferkonzern von TOTAL, in Ungnade gefallen. Sassou-Ngessou hatte schon in den 70er Jahren das Land regiert, damals mit marxistischer Rhetorik und zeitweiliger sowjetischer Unterstützung, was seinen Ruf als treuer Interessenwahrer in Paris allerdings nicht ruinieren konnte.

Am 12. Juli dieses Jahres ließ er sich von den Wählern im Amt bestätigen. Der Urnengang zeichnete sich schon im Vorfeld als derart „unsauber“ ab, dass der Vertreter der EU-Kommission in dem zentralafrikanischen Staat - Miguel Amado - von vornherein erklärte, die Europäische Union verzichte darauf, Wahlbeobachter zu entsenden. Seiner Beobachtung nach war die Anzahl der Stimmkarten gegenüber jener der Wahlberechtigten um 60 Prozent aufgebläht worden; die überzähligen Stimmkarten wurden an „unechte“ Wähler vergeben, dienten also Anhängern  oder Funktionären des Regimes dazu, doppelt oder mehrfach abzustimmen.. Die Äußerungen des EU-Repräsentanten wurden durch eine Kommission aus französischen „Persönlichkeiten“, die ihrerseits vor Ort eilte und den Wahlen ihren „korrekten“ Ablauf bescheinigte, als „parteiisch“ angegriffen. Zu den prominentesten Mitgliedern dieser Reisegruppe zählten Ex-Justizminister Jacques Toubon, der Europaparlamentarier Patrick Gaubert sowie Jean-François Mancel, ein abgehalfterter Politiker der französischen Konservativen. Mancel musste vor nunmehr zehn Jahren seinen Hut nehmen, aufgrund eines Korruptionsskandals und weil er aktiv versucht hatte, Bündnisse mit der extremen Rechten anzubahnen. Die französischen Rechtsextremen haben übrigens ihrerseits ein Faible für Sassou Ngessou. Dessen Präsidentengarde wurde ab 1999 zeitweilig durch Bernard Courcelle geleitet, der kurz zuvor noch den paramilitärische Ordnerdienst des Front National (FN) anführte. Ähnliche Söldnerdienste von französischen Ex-Militärs oder Rechtsradikalen sind in der Region keine Seltenheit.

Umstrittener ist der Ablauf der Präsidentschaftswahl in Mauretanien, wo am 18. Juli 2009 ebenfalls gewählt wurde. Zum Sieger wurde der General- Präsident Mohamed Ould Abdelaziz erklärt, der knapp ein Jahr zuvor - am 06. August 2008 - die Macht auf gewaltsamem Wege ergriffen hatte. Auch aus dem nordwestafrikanischen Land wurden Unregelmäßigkeiten vermeldet. Ob diese allerdings den Ausschlag dafür gegeben haben, dass der Putschgeneral mit 50,6 Prozent dann auch gewählt wurde, ist nicht gänzlich gesichert. Aufgrund von Programmen zur Armutsbekämpfung, die er in jüngster Zeit auflegte und die ihn von seinen Vorgängern unterschied, hatte der Putschistenpräsidenten sich ansatzweise eine Basis für reale Popularität geschaffen. Gleichzeitig steht jedoch fest, dass es die französische Politik war, die dem damaligen Putschistenpräsidenten Abdelaziz im Frühjahr 2009 den Weg für eine internationale Anerkennung ebnete - die es ihm erlaubt, dass er ohne größere Widerstände die Wahlen organisierte und, als Juntachef, selbst zu ihnen antrat. „Ich stelle fest, dass es keine bedeutenden Demonstrationen im eigenen Land gegen ihn gibt“, mit diesen Worten hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy damals seine Position einer impliziten Anerkennung gerechtfertigt. Entgegen der seinerzeitigen Position der US-Administration, die in stärkerem Ausmaß auf korrekten Spielregeln für die Abhaltung von Wahlen beharrte. 

Die USA, Frankreich und die Demokratie in Afrika 

Aufgrund des hohen Sympathiebonus, die US-Präsident Barack Obama seit seinem Wahlsieg und Amtsantritt auf dem gesamten afrikanischen Kontinent genießt, konnte sein Land dort politisch in die Offensive gehen. Wie schon in Ansätzen die US-Administrationen vor ihm - die freilich nie ein Schwergewicht ihrer Politik auf Afrika legten - plädiert auch Obama in erster Linie für good governance. Also für eine Mischung aus Transparenz, Einhaltung minimaler bürgerlich-demokratischer Spielregeln, Korruptionsbekämpfung und „wirtschaftspolitischer Vernunft“, wie Washington und London sie schon seit Ende des Kalten Krieges für den Kontinent predigen.

Damals gingen sie dazu über, von der vormaligen Unterstützung hochgradig korrupter und autoritärer Regimes abzugehen und entsprechende Auflagen für die Erteilung internationaler Kredite - etwa durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank - zu stellen. Ein Beweggrund dafür war, dass es nicht mehr nötig war, solche Regimes zu stützen, um die „sozialistische oder kommunistische Gefahr“ zu bekämpfen, schien Letztere doch nunmehr gebannt. Nunmehr wurde in manchen westlichen Hauptstädten verstärkt unterstrichen, ein „Kommunismusrisiko“ sei zwar das größte Übel - es sei aber ebenfalls teuer, korrupte und wirtschaftlich ineffiziente Regimes „als Geldgeber auszuhalten“. Ein Standpunkt, der zwar davon abstrahiert, dass Afrika - aufgrund der seit der Kolonialära strukturell von Ungleichheit und Abhängigkeit geprägten Wirtschaftsbeziehungen - eher den Ländern des Nordens Reichtümer schenkt als umgekehrt. Der es den Ländern des Westens aber gleichzeitig erlaubte, die afrikanischen Regimes mit positiv ausformulierten Zielen unter Druck zu setzen und ihre Einflussnahme besser zu rechtfertigen.

Auch Frankreich zog damals notgedrungen mit, nachdem es seit dem Ende des Kalten Kriegs unter Druck geriet, seine seit Jahrzehnten währende Politik der Unterstützung für fragwürdige bis abscheuliche Regimes in seiner Einflusssphäre zu überdenken. In seiner in die Geschichtsbücher eingegangenen Rede auf dem französisch-afrikanischen Gipfel in La Baule - im Juni 1990 - forderte Präsident François Mitterrand die befreundeten afrikanischen Diktatoren dazu auf, Demokratie bei sich einzuführen. Augen zwinkernd hatte Paris schon seit einigen Monaten Druck in dieser Richtung ausgeübt. Die Auswirkung war, dass etwa Gabuns Präsident Omar Bongo ein Mehrparteiensystem bei sich zu Hause einführte - das er aber sogleich dadurch ad absurdum führte, dass der Präsidentenpalast mehrere Dutzend Parteien mit eigenen Geldern aufbaute. Am 22. Mai 1990 wurde eine Übergangsregierung unter Einschluss mehrerer neuer Parteien gebildet - aber ein Oppositionspolitiker, der nicht mitmachen wollte, wurde am 23. Mai 1990 in Port-Gentil auf. Daraufhin flammten Unruhen auf, die durch französische Fallschirmjäger niedergeschlagen wurden. Auch dies trug mit dazu bei, dass „französische Interessen“ jetzt in derselben Stadt zu Angriffszielen wurden. Die Geschichte scheint sich nun dort zu wiederholen. Bislang steht allerdings nicht fest, ob französische Truppen aktuell tatsächlich gegen die Unruhen eingesetzt wurden. Gesichert ist hingegen, dass 150 französische Elitesoldaten zur Sicherung des - bereits abgebrannten - Konsulats und vor Ort lebender Staatsbürger Frankreichs ausgesandt wurden.

Frankreich unterhält eine Militärbasis mit 980 Soldaten in der Hauptstadt Libreville. TOTAL hat am ersten September-Wochenende 2009 seine Mitarbeiter aus der umkämpften Zone vorübergehend evakuieren lassen. Bis heute scheint Frankreich sich also nicht von den „befreundeten“ Regimes lösen zu können. Barack Obama hingegen wählte ein Symbol für eine andere Strategie, als er am 11. Juli 2009 seine erste Rede als Staatsoberhaupt der USA auf afrikanischem Boden hielt: Er reiste dazu nach Ghana, wo sich ein halbes Jahr davor die mit Abstand „saubersten“ Wahlen in einem afrikanischen Land abgespielt hatten. Der Kandidat der Regierungspartei, Nanu Akufo-Addo, unterlag mit 49,8 % hauchdünn gegenüber dem Oppositionspolitiker John Atta-Mills - und die regierende New Patriotic Party (NPP) überließ dem Wahlsieger widerstandslos das Präsidentenbüro.

Obama unterstrich in seiner Rede den positiven Beispielscharakter Ghanas und forderte die Regierungen der afrikanischen Ländern dazu auf, mehr Anstrengungen für die Einhaltung demokratischer Regeln und von good governance zu unternehmen. Der Westen, respektive der Norden, habe zwar Afrikas Bewohner kolonisiert und versklavt. Aber viele ihrer Probleme seien dennoch hausgemacht, und es seien Afrikaner und nicht Westler, die etwa für den Einsatz von Kindersoldaten direkt verantwortlich seien. Obamas Vorteil ist, dass eine Herkunft und Hautfarbe es ihm erlaubten, dies einem afrikanischen Publikum ins Gesicht zu sagen, ohne kolonialer Arroganz oder dem Wunsch nach Übertünchen „eigener“ Verbrechen gescholten zu werden. Er erhielt Applaus.

Dennoch scheint es verfehlt, sich von Wahlen und good governance zu erwarten, dass sie wie ein Allheilmittel für die zahllosen Übel, unter denen der Kontinent leidet, wirken könnten. Eric, ein Jurastudent und Menschenrechtsaktivist in der Provinzhauptstadt Ngozi im Norden von Burundi, bringt seine Auffassung gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen auf den Punkt: „Langsam beginnt man sich in unserem Land an die Abhaltung von Wahlen zu gewöhnen. Das bedeutet auch, dass die Leute die Vorstellung integriert haben, dass auch am Tag nach den Wahlen der Bauer immer noch Bauer, und der Student noch immer Student ist.“ Und dass beide arm bleiben, während andere sich bereichern, müsste man dem noch hinzufügen. Eine so genannte politische Kultur, in denen sich Viele an diesen Gedanken „gewöhnt“ haben und mit der Abhaltung von Wahlen keine „überzogenen“ Erwartungen auf gesellschaftliche Veränderung verbinden, wäre dann auch „reif“ für die Einhaltung von wichtigen Spielregeln der bürgerlichen Demokratie. Dies gilt zunehmend auch für afrikanische Länder. Im Falle Gabuns hingegen scheint die Zeit dafür nicht gekommen. Vielleicht, weil der Erwartungsdruck zu stark ist, dass die Bevölkerung des mit natürlichen Reichtümern ausgestatteten Landes endlich auch ein Stück am Wohlstand partizipiert.

Würden die USA wollen, sie könnten Frankreich mit seinen Praktiken in dessen früheren Kolonien politisch stark unter Druck setzen. Allein, es sieht nicht danach aus, als ob dies passieren würde. Seit den Tagen des Kalten Krieges hat Washington sich dafür entschieden, die Grenzen des französischen postkolonialen Einflussraums nicht fundamental in Fragen zu stellen. Zwar praktiziert Washington seit spätestens 1989 eine etwas andere Politik auf dem Kontinent - wobei Afrika freilich auch danach lange Jahre hindurch nur eine geringe Bedeutung für die US-Außenpolitik zugemessen wurde. Aber ein Generalangriff auf Frankreichs „Hinterhof“ dürfte mitnichten bevorstehen.

Am 20. März 2009 wählte US-Präsident Obama seinen Verantwortlichen für die Afrikapolitik aus: Zum stellvertretenden Außenminister, mit Zuständigkeit für den Kontinent, ernannte er an jenem Tag Johnnie Carson. Dessen Einsetzung wurde damit begründet, dass er 40 Jahre lang Erfahrungen als Sondergesandter und Botschafter in zahlreichen afrikanischen Ländern sammeln konnte: Nigeria,  Botswana, Uganda, Zimbabwe und Kenya. Es war jedoch kein einziges Land im französischsprachigen Afrika darunter, und dieser Teil des Kontinents ist bis heute zu keinem Zeitpunkt erkannbar ins Visier der US-Außenpolitik gerückt. Mit einer Ausnahme, jener der Demokratischen Republik Kongo. Der rohstoffreiche, marode Riesenstaat im Herzen des Kontinents war das einzige französischsprachige unter den sieben afrikanischen Ländern, denen Außenministerin Hillary Clinton in der ersten Augusthälfte 2009 einen Besuch abstattete.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor zur Veröffentlichung.