Finanzkrise
Der Kapitalismus hat seinen Kredit verspielt

von Florian Weissel

10/08

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An den Börsen herrscht Panik, die Aktienkurse befinden sich weltweit im Fallen. Von Woche zu Woche wird der„schwarze Montag“ ausgerufen. Wieder einmal zeigt sich jetzt eines: Während die IdeologInnen des Neoliberalismus zu Zeiten der wirtschaftlichen Stabilität staatliche Eingriffe in die Wirtschaft verteufeln, werden sie zu Zeiten der kapitalistischen Krise plötzlich zu den stärksten Verfechtern eben dieser.

Die USA, EU und Japan stehen am Rande einer Rezession, die lateinamerikanischen, die russische, chinesische und viele andere Wirtschaften sind geschwächt. Etliche Billionen Dollar sind im Laufe der Krise bereits vernichtet worden, zahlreiche Banken und Unternehmen pleite und zehntausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Auswirkungen, die die Finanzkrise auf die Wirtschaften haben wird, sind noch nicht absehbar. Klar ist, dass das Wirtschaftswachstum weltweit einbrechen und massive Konsequenzen nach sich ziehen wird. Die kapitalistische Wirtschaft steckt derzeit in einer tiefen Krise.

Wer heute bürgerliche Medien liest, könnte sich denken ein Programm von attac vor sich zu haben. Von führenden KapitalistInnen und PolitikerInnen weltweit werden staatliche Rettungsaktionen verordnet, ein neues Ordnungs- und Regulierungssystem des Finanzsektors gefordert, (Teil-)Verstaatlichungen von Banken geplant, staatliche Haftungen beschlossen, etc. Die US-Regierung hat ein mindestens 700 Milliarden Dollar umfassendes Paket zur Rettung der Banken verabschiedet, der britische Bankenrettungsplan umfasst über 600 Milliarden Euro, die isländische Regierung hat die totale Kontrolle über das isländische Bankenwesen übernommen, in Österreich und Deutschland soll per Regierungsbeschluss eine unbegrenzte staatliche Einlagensicherung eingeführt werden.

Sozialismus? Nur für Reiche

Das Credo des freien Marktes, dessen unsichtbare Hand die Wirtschaft zum Wohle aller regeln würde, ist scheinbar vergessen. Mensch könnte meinen die Regierungen wären weltweit zum Sozialismus konvertiert. Noch vor kurzer Zeit wäre bzw. wurde jede Partei, die ähnliche staatliche Interventionen vorgeschlagen hätte als „kommunistisch“ beschimpft worden. Heute sind diese Maßnahmen relativ unumstritten.

Die Rolle des Staats als „ideeller Gesamtkapitalist“ wird nur allzu deutlich. Mit Sozialismus hat das ganze allerdings recht wenig zu tun. Vielmehr geht es darum, die kapitalistische Wirtschaft insgesamt am Laufen zu halten und ihre Existenz weiter zu legitimieren. Wenn es um den Hals der KapitalistInnen und ihres Systems geht, ist offensichtlich jedes Mittel recht. Historisch haben die KapitalistInnen immer auf staatliche Eingriffe gesetzt, gerade in den heutigen „Industrienationen“ kann ein Gutteil der Profite nur mithilfe von protektionistischen Maßnahmen und Zöllen realisiert werden.

Die staatlichen Hilfen, mit denen das System gestützt werden soll, betragen mittlerweile wohl weit über eine Billion Dollar. Zahlen muss das freilich die arbeitende Bevölkerung, die jetzt auch noch ihren Ausbeutern den Arsch retten soll. Bei den Rettungsaktionen der Regierungen handelt es sich um eine der größten Vermögensumverteilungen in der Geschichte. Steuergelder, die hauptsächlich aus den Löhnen der ArbeiterInnen bezahlt werden, werden den angeschlagenen Versicherungen und Banken in den Rachen gestopft. Die Schulden, die durch die UnternehmerInnen, ManagerInnen und SpekulantInnen verursacht wurden, sollen jetzt von der ArbeiterInnenklasse beglichen werden.

Dementsprechend bezeichnete der bürgerliche Ökonom Nouriel Roubini beispielsweise die Maßnahmen der US-Regierung vor kurzem als „Sozialismus für Reiche“. Denn ausschließlich denen dienen all diese Maßnahmen.

Der Kapitalismus wird die Krise, wenn es zu keiner revolutionären Intervention der ArbeiterInnenklasse kommt, letztendlich überleben, die Lohnabhängigen werden von den Auswirkungen der Finanzkrise hingegen am härtesten getroffen werden. Allein in den USA haben die Pensionskassen bis jetzt über zwei Billionen (!) Dollar der Ersparnisse der AmerikanerInnen verloren. Es werden weiterhin massiv Arbeitsplätze verloren gehen, Löhne gesenkt und Sozialleistungen  abgebaut werden (für die wird nämlich kein Geld da sein).

Bei den kommenden Kollektivvertragsverhandlungen werden die UnternehmerInnen auf die Krise verweisen und „im Interesse der Wirtschaft“ niedrigere Erhöhungen einfordern. In der Geschichte haben Krisen letztendlich immer starke, dauerhafte Reallohnverluste bedeutet, die auch in einer erholten Wirtschaft nicht ausgeglichen werden. Um dem etwas entgegen zu setzen und den VerhandlerInnen der Gewerkschaften dabei zu helfen, mit ihren Forderungen nicht umzufallen, bedarf es umso stärkeren Druck von der Gewerkschaftsbasis aus den Betrieben.

Krisen verhindern? Kapitalismus stürzen!

Die Schuld für die Krise kann nicht einzelnen KapitalistInnen wegen egoistischer Spekulationen zugeschoben werden. Kapitalistische Krisen sind ein dem kapitalistischen System anhaftendes, „natürliches“ Phänomen. So sehr sie einzelnen KapitalistInnen schaden mögen, haben sie insgesamt eine regulierende Funktion. Disproportionalitäten werden ausgeglichen, Blasen platzen, unprofitables Kapital wird eliminiert, profitables Kapital wird möglicherweise gestärkt aus der Krise heraus treten und der Kapitalismus vorübergehend stabilisiert, bis die Anarchie des Marktes zur nächsten Krise führt.

Verhindert werden kann das im Kapitalismus nicht, und wenn dieses System nicht für uns funktioniert, dann sollten wir es eben über Bord werfen. Arbeitsplätze, Bildung, Gesundheit und Wohlstand für die Bevölkerung kann nur in einer demokratisch geplanten Wirtschaft, in der die Betriebe von den Beschäftigten selbst und in ihrem Interesse geführt werden, gesichert werden. Die jetzige Finanzkrise macht immerhin vielen Menschen den Irrsinn des Kapitalismus deutlich und sie für antikapitalistische Politik ansprechbar.

In den letzten Tagen konnten wir sehen, wie Regierungen kapitalistischer Staaten versuchten internationale Abmachungen zu treffen, um der Krise beizukommen. George W. Bush sagte dazu: „Wir leben in einer globalisierten Welt. Wir müssen sicher stellen, dass das, was wir tun, auch eine Wirkung zeigt.“ So weit ist ihm Recht zu geben. Die ArbeiterInnenbewegung in allen Ländern muss sich in der globalisierten Welt international organisieren und gemeinsam gegen die UnternehmerInnen und den Kapitalismus als ganzes kämpfen!

 

Editorische Anmerkungen

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RSO-Newsletter
Nr. 52, 12.10.2008

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