Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
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Nachträge zu früheren TREND-Artikeln: Marina Petrella ; Annullierung einer Ehe in Lille ; „Antisemitismus“-Streit bei ‚Charlie Hebdo’

10/08

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ZU DIESEN FRÜHEREN ARTIKELN SEI FOLGENDES NACHGETRAGEN, UM UNSERE LESER/INNEN AUF DEM AKTUELLSTEN STAND ZU HALTEN:

1)     Zu Marina Petrella (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd7808/t497808.html ):

Am 5. August dieses Jahres ist Marina Petrella nun, in schwer angeschlagener physischer und psychischer Verfassung und laut Augenzeugen „zwischen Leben und Tod“ befindlich, aus der Auslieferungshaft entlassen worden. Dies war zuvor vielfach erwartet worden, da Präsident Sarkozy wohl keine Tote auf dem Gewissen bzw. politisch zu verantworten haben mochte. Letzte Zweifel waren freilich geblieben. Der Haftbefehl gegen Marina Petrella, aufgrund dessen sie in der Zelle (bzw. später, als Gefangene, in der psychiatrischen Krankenhausanstalt Saint-Anne) eingesessen hatte, ist aufgehoben. Nicht aufgehoben ist hingegen das Auslieferungsdekret, das Premierminister François Fillon im Juni 2008 unterzeichnet hatte.

2)     Zur Ungültig-Erklärung einer Ehe im nordfranzösischen Lille (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd7808/t207808.html ): NEUES URTEIL IN AUSSICHT

Zur Erinnerung: Eine Ehe war durch ein Gerichtsurteil im nordfranzösischen Lille für ungültig erklärt worden, auf Wunsch zunächst des Ehemanns (eines zum Islam konvertierten „Herkunftsfranzosen“), im Anschluss dann aber auch der Ehefrau (einer Einwanderertochter) hin. Der Ehemann hatte sich in der Hochzeitsnacht – höflich ausgedrückt – „enttäuscht“ gezeigt, nachdem er die erwartete, aber „fehlende“ so genannte „Jungfräulichkeit“ seiner Frischvermählten entdeckte. Daraufhin hatte er die Annullierung der Ehe – die dadurch, anders als bei einer Scheidung, als „von vornherein nicht existent“ gilt – gefordert. Seine – kurzzeitige – Ehepartnerin, über ihren Anwalt, willigte jedoch in diesen Wunsch hinein ein: Tatsächlich erschien es ihr sinnlos, die Aufrechterhaltung der Ehe zu fordern, und auf diesem Wege wäre sie aus dem Kontrakt mit ihrem Gatten wieder herausgekommen. Und zwar ohne „Rückabwicklung“ aller aus der Ehe entstandenen Ansprüche, wie bei einem Scheidungsurteil. Das Gericht willigte seinerseits der Ungültigerklärung der Ehe zu: Es erblickte keinerlei Sinn darin, das Eheverhältnis gegen den erklärten Willen beider Seiten unbedingt für gültig zu erklären und dadurch aufrecht zu erhalten. Dies führte allerdings zu einem Skandal in Teilen der Öffentlichkeit, die die Sache so auffassten, dass „eine Moslemehe AUFGRUND NICHT VORHANDENER JUNGFRÄULICHKEIT DER BRAUT“ durch ein französisches Gericht annulliert worden sei. Von da ab bis zur Warnung vor baldiger „Einführung der Scharia auch bei uns“ war es dann bei Manchen nicht mehr allzu weit... Jedoch hatte das Gericht den Eheschluss nicht wegen „fehlender Jungfräulichkeit der Braut“, sondern aufgrund „manifest fehlender Vertrauensbasis infolge einer durch die Braut eingeräumten, im Vorfeld ausgesprochenen Lüge“ annulliert.

Nunmehr hat in dieser Sache die Berufungsverhandlung stattgefunden, und zwar am 22. September dieses Jahres vor dem Revisionsgericht in Lille. Die Verhandlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Den veröffentlichten Informationen zufolge befinden die Parteien sich auf der Suche „nach einem Kompromiss“. Die Staatsanwaltschaft, die nach dem Bekanntwerden des erstinstanzlichen Urteils im Frühjahr (und infolge des Skandals, der rund um die missverständliche oder jedenfalls vielfach missverstandene Urteilsbegründung ausbrach) Berufung einlegte und das Urteil samt Begründung anfocht, willigte nunmehr in den Wunsch beider Streitparteien nach Ungültigerklärung der Ehe ein. Allerdings, darauf beharrte die Staatsanwaltschaft, dürfe die „nicht vorhandene Jungfräulichkeit“ nicht den Rechtsgrund für die gewünschte Annullierung liefern, und daher in der Urteilsbegründung nicht erwähnt werden. Infrage kämen als rechtswirksame Anfechtungsgründe insbesondere noch „der Nichtvollzug von Beischlaf nach dem Eheschluss“ sowie der rechtserhebliche „Irrtum über die Person des Partners o. der Partnerin“.

Allem Anschein nach möchten die Anwälte beider Streitparteien sich auf letzteren Punkt verständigen, und darauf insistieren, die beiden (kurzzeitig miteinander verbundenen) Eheleuten hätten „ihre Persönlichkeit gegenseitig erst am Abend der Hochzeit näher entdeckt“. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) Allerdings aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus! „Er“ behauptet nämlich weiterhin, „sie“ habe ihn vor dem Abschluss der Ehe „belogen“ (nämlich über die Frage ihrer „Jungfräulichkeit“). „Sie“ hingegen betont, sie habe die negative Persönlichkeit von „ihm“ erst in der Hochzeitsnacht entdeckt – nämlich, nachdem er nicht nur aufgrund der ollen „Jungfräulichkeit“ einen Riesenzirkus veranstaltete, sondern das ganze Aufhebens auch sofort gegenüber sämtlichen noch versammelten Hochzeitsgästen öffentlich machte. „Ihr“ Anwalt forderte deswegen im Vorfeld auch ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) Allgemein wird jedoch erwartet, dass es jedenfalls  bei einer Ungültigkeit der Ehe bleibt. 

            Das Urteil fällt am 17. November 2008. 

3)     Zum „Antisemitismus“streit in der Redaktion der linksliberalen Wochenzeitung ‚Charlie Hebdo’ im Hochsommer 2008 und den Auswirkungen (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd7808/t587808.html ): 

Der infolge des, im o.g. Artikel ausführlich geschilderten, Streits bei der Redaktion von ‚Charlie Hebdo’ geschasste frühere Zeichner und Texter Maurice Sinet (bekannt unter dem Künstlernamen „Siné“) hat seit dem 10. September eine eigene Wochenzeitung lanciert. Unter dem Titel ‚Siné Hebdo’ erscheint sie allwöchentlich am Mittwoch früh, genau wie die – früher linksradikale, inzwischen sehr etablierte und in die politische „Mitte“ gerückte – Satirezeitung ‚Charlie Hebdo’. Den ersten Eindrücken beim Kioskverkauf nach zu schlieben dürfte sich das neue Blatt deutlich besser verkaufen als das, schlicht langweilig gewordene, ‚Charlie Hebdo’. Dies kann allerdings auch nur der Neugier in einer Anfangsphase geschildert sein. 

Zu den Gründungsversprechen der neuen Wochenzeitung zählt, „kein Wort über ‚Charlie Hebdo’ und (dessen Herausgeber) Philippe Val“ zu verlieren, und sich nicht an dessen Blatt abzuarbeiten. Allem Anschein nach wurde es bislang auch eingehalten. 

Auch hat Siné es geschafft, es mit der Zeitungs-Neugründung zu vermeiden, in den Geruch einer Komplizenschaft mit Antisemitismus zu kommen. Bei ‚Charlie Hebdo’ war der Karikaturist durch Philippe Val (den „Vater“ des Rechtsrucks der Zeitung, vom Antiautoritären voll hinein in die „linke Mitte“) aufgrund eines offenkundig fingierten und aus den Fingern gesogenen Antisemitismus-Verdachts gefeuert worden. Gleichzeitig stimmt es leider auch, dass er es in der Vergangenheit nicht immer vermieden hat, in Berührung mit in antijüdische Richtung gehenden Ressentiments zu kommen, von denen er sich (vor dem Hintergrund pro-palästinensischer Solidaritätsaktivitäten) zumindest nicht hinreichend abgrenzte. Und auch mit entsprechenden Figuren, insbesondere anlässlich - seines gemeinsamen Auftritts mit dem – einige Zeit später unverkennbar ins Antisemitische abgedrifteten – Theatermacher und Möchtegern-Politiker Dieudonné im Juni 2004.  

Nunmehr hat Siné ihm gegenüber jedoch eine klare Distanzierung ausgesprochen. Befragt durch den Fernsehsender RTL, ob „Dieudonné auch zu den Mitarbeitern der neuen Wochenzeitung gehören“ werde, antwortete Siné rundheraus: „Nein.“ Dieudonné sei „ein Lump, ein Antisemit, (in diesem Falle) ein wirklicher.“ Dies wurde Siné zwar in einigen Kreisen – die sich für „non-konformistisch“ und antizionistisch halten – als „Zugeständnis an den Zeitgeist“ vorgeworfen, bildet jedoch eine richtige, notwendige und ehrbare Klarstellung. In einem Artikel, den er am Sonntag, den 28. September für kurze Zeit auf die linke Homepage ‚Bellaciao’ einstellen konnte (der dort jedoch schnell gelöscht wurde), beschwerte sich der Antisemit und Verschwörungstheoretiker Marc-Edouard Nabé deswegen auch über die neue Zeitung. Unter der Überschrift „Siné retten!“ behauptete er glatt, der Karikaturist habe sich mit seinem neuen Zeitungsprojekt vom Konformismus einfangen lassen, und deshalb werde  sein neues Blatt letztlich langweilig ausfallen. Er, Marc-Edouard Nabé, habe doch gehofft, dass Siné „auf seine alten Tage hin“ den Schimpftitel „Antisemit“ – wie er selbst, Nabé – mit Stolz tragen und den geistigen Angreifern trotzen werde; Nun sei dies aber unglücklicher Weise niht der Falle. Solche mehr oder minder plumpen Vereinnahmungsversuche seitens des „durchgeknallten“ Publizisten verfingen jedoch nicht. 

Für sein Zeitungsprojekt konnte Siné hochrangige Namen aus dem  - im weiteren oder engeren Sinne linken – Journalismus und Autorenmilieu (Denis Robert, Maurice Rajfus, Isabelle Alonso,...), Zeichnergewerbe (Jacques Tardi, Philippe Geluck, Vuillemin..., alles „erste“ Namen unter den französischsprachigen Karikaturisten respektive Comiczeichnern) und unter Intellektellen (wie den antiautoritären und atheistischen Philosophen Michel Onfray) gewinnen. Auch international verfügt das Blatt über gute „Federn“, wie bspw. Michel Warschawski vom „Jerusalem Alternative Information Center“ als Korresondeten. Sehr enttäuschend ist allerdings das Format, also die Länge bzw. Nichtlänge, der Artikel: Diese sind in aller Regel so kurz, dass sich Gerne-Schreiber und Gerne-Leser notgedrungen ärgern.  

Innerhalb des sozialen und politischen Umfelds der Linken hat die Zeitung – jedenfalls in ihrer Gründungsphase- erhebliche Beachtung, und beträchtlich mehr Käufer/innen als das Rumpf-‚Charlie Hebdo’ gefunden. Abzuwarten bleibt, was nach einigen Monaten vom anfänglichen Schwung bleibt. Hoffen wir auch, dass Siné weiterhin trübe Fahrwässer, und insbesondere Milieus wie jenes der (noch immer vorhandenen) Dieudonné-fans, vermeidet.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.