Die Welt:
Sind Sie mit den Ergebnissen
der gescheiterten Anti-Islam-Konferenz in Köln zufrieden?
Henryk Broder:
Ich bin weder zufrieden noch unzufrieden, aber ich stelle
fest, dass dieser kleine Vorfall in dieser auf ihre Liberalität
so stolzen Stadt Köln eine totale Kapitulation des Rechtsstaats
war. Das Demonstrationsrecht hängt nicht davon ab, ob man mit
den Demonstranten Sympathie hat oder nicht: Das ist ein
Grundrecht.
Sind die Ereignisse eine
Gefahr für die deutsche Demokratie?
Broder:
Nein, aber die Verhinderung einer Versammlung von
Rechtspopulisten ist ein schlechter Präzedenzfall. Das setzt
ungute Vorzeichen. Die so genannte Antifa, die auf der Straße in
der Überzahl war und sich gebärdete wie früher die SA, erzwang
von der Polizei die Aufgabe des Schutzes der Rechtspopulisten.
Das könnte auch mal umgekehrt sein - eine beunruhigende
Perspektive.
Also darf die Polizei nicht
kapitulieren?
Broder:
Das darf sie nie tun, das gefährdet den Rechtsstaat. Sie
muss die Auflagen des Rechtsstaats durchsetzen. Hier hingegen
ist aus opportunistischen Gründen eine Versammlung untersagt und
abgesagt worden. Jeder darf eine Gegenkundgebung organisieren,
aber eine angemeldete und genehmigte Demonstration muss von der
Polizei geschützt werden! Hier in Köln hat sich der Staat der
Macht der Straße gebeugt.
Verstehen Sie, dass Menschen
in bestimmten Stadtvierteln Angst haben vor einer Überfremdung
durch Zuzug von wenig integrationsbereiten Migranten?
Broder:
Ich habe für beide Seiten Verständnis. Die Moslems müssen
raus aus ihren Hinterhöfen und das Recht bekommen, ordentliche
Moscheen zu bauen. Der Moscheebau an sich ist also nicht der
Skandal. Aber ich verstehe, dass Menschen Angst haben, weil sie
nicht wissen, was innerhalb der Moscheen dann geschieht. Diese
Skepsis ist verständlich, wenn man sich ansieht, wie in unseren
Städten islamische Terrornester bestehen konnten, so etwa in Ulm
oder in Hamburg. Ich mag das Wort Generalverdacht nicht, aber
ich habe für die Ängste vieler Anwohner wirklich Verständnis.
Ist die Unterscheidung
zwischen Islam und Islamismus nützlich?
Broder:
Diese Unterscheidung ist artifiziell, das ist ein
sprachliches Kunstprodukt. Das wurde erfunden, um gute von
schlechten Moslems zu trennen. Aber das hängt organisch
zusammen. Man sollte doch besser sagen: radikaler, fanatischer
oder fundamentalistischer Islam. Und im Übrigen: Wenn der
Islamismus das Problem wäre, dann frage ich mich, warum ihn der
Islam dann nicht selbst als seine radikale Strömung bekämpft.
In Ihrem neuen Buch bestehen
Sie auf der klaren Unterscheidung von Kultur und Zivilisation.
Warum?
Broder: Das
ist eine ganz zentrale Frage. Nehmen Sie mal Samuel Huntington
mit seinem Buch "Clash of Civilizations" - das wurde bei uns
falsch übersetzt mit "Kampf der Kulturen". In Deutschland legt
man größten Wert auf die Kultur und verachtet die Zivilisation.
Ich lege größten Wert auf Zivilisation, weil ich die für etwas
Verpflichtendes, Verbindliches halte. Kultur hingegen ist
individuell. Mein Lieblingsbeispiel als Erklärung geht so:
Kultur ist, wenn ich Ihnen den Kopf abhacke und daraus eine
Blumenvase mache, Zivilisation hingegen ist, wenn ich dafür ins
Gefängnis gehe.
Blenden wir in Deutschland
diese Fragen der Bedeutung rechtstaatlicher Verbindlichkeit zu
häufig aus?
Broder:
Ja, absolut. Da stimmt doch was nicht, wenn in Berlin
Hisbollah-Anhänger eine Demonstration machen können, bei der
ihnen anschließend das Verwaltungsgericht erlaubt, Bilder von
Nasrallah zeigen zu dürfen, einem Mörder. Und hier in Köln
können sich Islamisierungsgegner nicht einmal unter freiem
Himmel versammeln. Da wird mit ungleichem Maß gemessen. Und die
Leute spüren das, ohne das erklären zu können. Zugleich
verschwindet die Idee der Notwenigkeit, den Rechtsstaat zu
erhalten hinter einer fadenscheinigen Argumentation des
Opportunismus. Es ist viel einfacher, sich mit ein paar
marginalen Radikalen anzulegen als mit einem relevanten Teil der
Bevölkerung, von dem man weiß, dass er eine gewisse Affinität zu
unkontrollierbarem Verhalten hat. Was wir ja dann zu Zeiten des
Karikaturenstreites oder nach den Äußerungen des Papstes in
Regensburg erlebt haben.
Glauben Sie, dass Richter und
Anwälte immer häufiger Gesetze nicht mehr so hart anwenden, weil
sie Angst haben, wenn sie mit solchen Fällen befasst sind?
Broder:
Eindeutig ist das so. Und es gibt empirisches Material
dazu. In Berlin gibt es 12 000 bis 15 000 Fälle von Straftaten,
die nordafrikanische Jugendliche verüben, die gar nicht mehr
verfolgt werden: Ein Polizist sagte mir letztens, dass das "bei
uns in Berlin wegverwaltet wird". Das ist nicht nur eine Form
von Appeasement und übereifrigem Verständnis mit den
Straftätern, sondern auch schlichte Ratlosigkeit: Die meisten
Richter und Staatsanwälte sind auf solche Konflikte nicht
vorbereitet und sind damit überfordert - übrigens die deutschen
Journalisten auch.
Editorische
Anmerkungen
Abschrift des Interviews, welches in
"Der Welt" vom 25.9.08 erschien.
Das Gespräch führte Hildegard Stausberg.
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