TREND SPEZIAL Köln 19./20. September 2008

"Köln war eine Kapitulation"
Giftspritze
Henryk Broder sieht den Rechtsstaat geschwächt

Wir dokumentieren das "Welt-Interview"

10/08

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Die Welt:  Sind Sie mit den Ergebnissen der gescheiterten Anti-Islam-Konferenz in Köln zufrieden?

Henryk Broder: Ich bin weder zufrieden noch unzufrieden, aber ich stelle fest, dass dieser kleine Vorfall in dieser auf ihre Liberalität so stolzen Stadt Köln eine totale Kapitulation des Rechtsstaats war. Das Demonstrationsrecht hängt nicht davon ab, ob man mit den Demonstranten Sympathie hat oder nicht: Das ist ein Grundrecht.

Sind die Ereignisse eine Gefahr für die deutsche Demokratie?

Broder: Nein, aber die Verhinderung einer Versammlung von Rechtspopulisten ist ein schlechter Präzedenzfall. Das setzt ungute Vorzeichen. Die so genannte Antifa, die auf der Straße in der Überzahl war und sich gebärdete wie früher die SA, erzwang von der Polizei die Aufgabe des Schutzes der Rechtspopulisten. Das könnte auch mal umgekehrt sein - eine beunruhigende Perspektive.

Also darf die Polizei nicht kapitulieren?

Broder: Das darf sie nie tun, das gefährdet den Rechtsstaat. Sie muss die Auflagen des Rechtsstaats durchsetzen. Hier hingegen ist aus opportunistischen Gründen eine Versammlung untersagt und abgesagt worden. Jeder darf eine Gegenkundgebung organisieren, aber eine angemeldete und genehmigte Demonstration muss von der Polizei geschützt werden! Hier in Köln hat sich der Staat der Macht der Straße gebeugt.

Verstehen Sie, dass Menschen in bestimmten Stadtvierteln Angst haben vor einer Überfremdung durch Zuzug von wenig integrationsbereiten Migranten?

Broder: Ich habe für beide Seiten Verständnis. Die Moslems müssen raus aus ihren Hinterhöfen und das Recht bekommen, ordentliche Moscheen zu bauen. Der Moscheebau an sich ist also nicht der Skandal. Aber ich verstehe, dass Menschen Angst haben, weil sie nicht wissen, was innerhalb der Moscheen dann geschieht. Diese Skepsis ist verständlich, wenn man sich ansieht, wie in unseren Städten islamische Terrornester bestehen konnten, so etwa in Ulm oder in Hamburg. Ich mag das Wort Generalverdacht nicht, aber ich habe für die Ängste vieler Anwohner wirklich Verständnis.

Ist die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus nützlich?

Broder: Diese Unterscheidung ist artifiziell, das ist ein sprachliches Kunstprodukt. Das wurde erfunden, um gute von schlechten Moslems zu trennen. Aber das hängt organisch zusammen. Man sollte doch besser sagen: radikaler, fanatischer oder fundamentalistischer Islam. Und im Übrigen: Wenn der Islamismus das Problem wäre, dann frage ich mich, warum ihn der Islam dann nicht selbst als seine radikale Strömung bekämpft.

In Ihrem neuen Buch bestehen Sie auf der klaren Unterscheidung von Kultur und Zivilisation. Warum?

Broder: Das ist eine ganz zentrale Frage. Nehmen Sie mal Samuel Huntington mit seinem Buch "Clash of Civilizations" - das wurde bei uns falsch übersetzt mit "Kampf der Kulturen". In Deutschland legt man größten Wert auf die Kultur und verachtet die Zivilisation. Ich lege größten Wert auf Zivilisation, weil ich die für etwas Verpflichtendes, Verbindliches halte. Kultur hingegen ist individuell. Mein Lieblingsbeispiel als Erklärung geht so: Kultur ist, wenn ich Ihnen den Kopf abhacke und daraus eine Blumenvase mache, Zivilisation hingegen ist, wenn ich dafür ins Gefängnis gehe.

Blenden wir in Deutschland diese Fragen der Bedeutung rechtstaatlicher Verbindlichkeit zu häufig aus?

Broder: Ja, absolut. Da stimmt doch was nicht, wenn in Berlin Hisbollah-Anhänger eine Demonstration machen können, bei der ihnen anschließend das Verwaltungsgericht erlaubt, Bilder von Nasrallah zeigen zu dürfen, einem Mörder. Und hier in Köln können sich Islamisierungsgegner nicht einmal unter freiem Himmel versammeln. Da wird mit ungleichem Maß gemessen. Und die Leute spüren das, ohne das erklären zu können. Zugleich verschwindet die Idee der Notwenigkeit, den Rechtsstaat zu erhalten hinter einer fadenscheinigen Argumentation des Opportunismus. Es ist viel einfacher, sich mit ein paar marginalen Radikalen anzulegen als mit einem relevanten Teil der Bevölkerung, von dem man weiß, dass er eine gewisse Affinität zu unkontrollierbarem Verhalten hat. Was wir ja dann zu Zeiten des Karikaturenstreites oder nach den Äußerungen des Papstes in Regensburg erlebt haben.

Glauben Sie, dass Richter und Anwälte immer häufiger Gesetze nicht mehr so hart anwenden, weil sie Angst haben, wenn sie mit solchen Fällen befasst sind?

Broder: Eindeutig ist das so. Und es gibt empirisches Material dazu. In Berlin gibt es 12 000 bis 15 000 Fälle von Straftaten, die nordafrikanische Jugendliche verüben, die gar nicht mehr verfolgt werden: Ein Polizist sagte mir letztens, dass das "bei uns in Berlin wegverwaltet wird". Das ist nicht nur eine Form von Appeasement und übereifrigem Verständnis mit den Straftätern, sondern auch schlichte Ratlosigkeit: Die meisten Richter und Staatsanwälte sind auf solche Konflikte nicht vorbereitet und sind damit überfordert - übrigens die deutschen Journalisten auch.
 

Editorische Anmerkungen

Abschrift des Interviews, welches in "Der Welt" vom 25.9.08 erschien.
Das Gespräch führte Hildegard Stausberg.