Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die Immigration verfügt nun über ihre Museums- und Forschungsstätte.

10/07

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Einweihung vor dem Hintergrund heftiger Polemik um die neueste Verschärfung der Ausländergesetze. - Gestern wurde das verschärfte Einwanderungsgesetz verabschiedet.     

Die Einwanderer kamen überwiegend aus Dörfern und kleinen Städten ihres Herkunftslands, um in Paris die Straben zu säubern und andere unbeliebte Arbeiten zu verrichten. Vor allem eine Ethnie war dafür bekannt, dass ihre Mitglieder gute Strabenkehrer abgaben. Auch nahm man man ihre jungen Frauen gerne als Kindermädchen. An den Pariser Bahnhöfen warteten jedoch häufig Anwerber auf die vermeintlichen zukünftigen Ammen und Dienstmädchen, die ahnungslose Mädchen für die Prostitution rekrutierten. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, schickten wiederum religiöse Gemeinschaften aus dem Herkunftsland Kleriker und „Schwestern“nach Paris, die ihrerseits an den Bahnhöfen Wache schoben. Ferner sorgten letztere für die Seelsorge unter den Armen und Marginalisierten in ihrem Aufnahmeland, wo sie durchschnittlich drei bis zehn Jahre als Migranten schufteten. Religiöse Zirkel lieferten sich dabei mit Geheimbünden, die die Arbeiterbewegung in der Emigration formieren wollten, einen Konkurrenzkampf um die Herzen und Köpfe. Die Polizei im Aufnahmeland war sehr daran interessiert, subversiven Regungen in dieser Einwanderungsbevölkerung nachzuspüren.

Die Emigrationsbevölkerung, von der hier die Rede ist, stellte zeitweise bis zu zehn Prozent der damaligen Pariser Bevölkerung – ihre Zahl wird auf 60.000 bis 120.000 geschätzt, bei einer damaligen Gesamteinwohnerschaft der Stadt von einer Million Menschen - und war oft an ihrem unteren sozialen Rand angesiedelt. Es handelte sich allerdings nicht um Zuwanderer aus Mali oder Senegal, sondern um die Deutschsprachigen; einen deutschen Nationalstaat und damit eine Staatsangehörigkeit gab es zu jener Zeit nicht. In den Jahren 1830 bis 1850 kamen diese Rheinhessen, Bayern oder auch Deutschschweizer und Luxemburger als Arbeitssuchende bzw. kleine Handwerker nach Paris. Als Strabenfeger besonders begehrt waren übrigens die Leute aus Hessen. (FUSSNOTE [1])

 Es handelt sich hier nur um eines der zahllosen vergessenen oder verdrängten Kapitel der Einwanderungsgeschichte in Frankreich. Um die Zuwanderer endlich als vollwertigen Bestandteil der Sozialgeschichte des Landes der Öffentlichkeit zu präsentieren, statt die Geschichte der Migration als etwas schamhaft Verdrängtes zu behandeln – während die heutige Einwanderung als Quelle potenzieller Bedrohung dämonisiert wird -, regten französische Historiker schon seit 1990 an, eine eigene Forschungsstätte einzurichten. Zwölf Jahre später hat der damalige Präsident Jacques Chirac sich ihr Anliegen dann zu eigen gemacht. Der frühere liberal-konservative Justizminister Jacques Toubon wurde zum Vorsitzenden einer Kommission ernannt, die mit einem wissenschaftlichen Beirat an ihrer Seite die Pläne für eine solche Stätte der Forschung, Diskussion und Ausstellung ausarbeiten sollte. (FUSSNOTE [2])

„Cité der Geschichte der Einwanderung“

Am vorletzten Mittwoch, den 10. Oktober war es nun so weit: Die ‚Cité nationale de l’histoire de l’immigration’ eröffnete an der Porte Dorée, im Pariser Südosten, ihre Pforten. (FUSSNOTE [3]) Sie befindet sich in einem Bauwerk, das eine prominente Geschichte hinter sich hat, an welcher sich ein gewisser Konzeptionswandel im Umgang Frankreichs mit seinen ehemaligen Kolonialuntertanen und heutigen Mitbürgern oder Einwanderern ablesen lässt. 1931 war das Palais an der Porte Dorée als Eingangshallle für die damalige Kolonialausstellung eröffnet worden. Damals wurde noch voller Stolz und Inbrust der französische Kolonialismus vor einem Riesenpublikum – acht Millionen Eintritte binner weniger Monate – zelebriert. Neben der Pflanzen- und Tierwelt der eroberten Territorien, und auf gleichem Niveau, konnte man auch Menschen von dort berücksichtigen. Einen lebenden „echten Kannibalen“ inklusive, in dessen Rolle ein bemitleidenswerter Bewohner von Neukaledonien schlüpfen musste, der Wochen in einem Käfig zubrachte. Der Romancier und Krimischriftsteller Didier Daeninckx hat ihm vor wenigen Jahren mit seinem Buch ‚Le cannibale’ ein würdiges Denkmal gesetzt.

In den siebziger Jahren, als der alte Glanz von den Fassaden des früheren Kolonialismus abzubröckeln begann, widmete man das bisherige Museum der Kolonien um. Es wurde zum „Museum für afrikanische und ozeanische Kunst“. Die Fresken, die vom eroberischen Geist und der „zivilisatorischen Mission“ der Kolonialisten zeugten, blieben freilich. Nachdem die dort ausgestellten Kulturgüter nun jüngst in das – von Chirac konzipierte – „Museum für urtümliche Kunst“ am Quai Branly umgezogen sind, war das Bauwerk frei geworden für die Cité nationale de l’histoire de l’immigration. Ihr liegt nunmehr freilich ein völlig anderes Konzept zugrunde, das nicht mehr länger die Unterwerfung der einstigen Kolonialsubjekte als zivilisatorische Glanztat abfeiert. Die Wandbilder sind belassen worden, sollen aber dem Publikum mit kritischen Anmerkungen und Zusatzinformationen präsentiert werden. So zumindest der Anspruch.  

In Wirklichkeit waren allerdings unterschiedliche Akteure an der Konzeption, Erstellung und Präsentierung der neuen Dauerstellung in dem Palais beteiligt. Auf der anderen Seite finden sich kritische Wissenschaftler/innen, denen es um eine angemessene Darstellung der Rolle der Zuwanderung in der französischen Sozialgeschichte geht. Auf der anderen waren aber auch mabgeblich hauptamtliche Kulturfunktionäre daran beteiligt – die berühmten Experten für eine inhaltlich trübe und schwammige, aber formal geschliffene Darstellung mit Hochglanz und Drumherum. So lösten sich viele kritische Inhalte im Nachhinein doch noch in einem dünnen Brei auf, bei gleichzeitiger anspruchsvoller Präsentation auf ästhetischer Ebene. So wird eine Freske, welche die französische Kolonialeroberung in tollem Lichte – und im Glanze der „zivilisatorischen Mission Frankreichs“ – präsentierten möchte, mit dem inhaltsleeren Zusatz vorgestellt:  „Dieses Wandbild illustriert den moralischen und politischen (Aspekt des) Beitrags Frankreichs zur Welt.“ (Sic) Welch ein Dünnpfiff... Schade. Doch an den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Cité nationale de l’histoire de l’immigration lag es nicht. Deren wesentlich kritischere Ansätze prägten hingegen das Pressematerial, das anlässlich der Eröffnung der Stätte am 10. Oktober u.a. an die Journalistinnen und Journalisten verteilt wurde. 

Politische Instrumentalisierung wirft ihre Schatten auf die Bemühungen der Forschung 

Die seit längerem angekündigte Einweihung wurde freilich durch die aktuelle politische Auseinandersetzung rund um den Umgang mit heutiger Einwanderung überschattet. Im Juni 2007 waren acht der wesentlichen Historiker, die im wissenschaftlichen Beirat der noch nicht eröffneten Cité saben, zurückgetreten. Nicht aus Uneinigkeit über deren Konzeption, sondern aus Protest gegen die damals soeben erfolgte Einrichtung eines „Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität“, das im Mai mit dem Sarkozy-Vertrauten Brice Hortefeux besetzt worden ist. Einer Regierung, die eine ominöse „nationale Identität“ zum staatlich instrumentalisierten Politikbegriff erheben möchte, mochte man weder direkt noch indirekt dienen. An der Spitze der Protestierenden stand unter anderem der Historiker Gérard Noiriel, der Autor fundierter Bücher über Einwanderungspolitik, Rassismus und Antisemitismus in Frankreich, der selbst 1990 die Idee zur Begründung der Cité de l’immigration angeregt hatte. 

Der nunmehr also für Zuwanderung und Fragen der „nationalen Identität“ Minister Hortefeux versuchte, eine Gegenoffensive zu starten. Im September 2007, kurz bevor die Presse breit über die bevorstehende Eröffnung der Cité zu berichten anfing, kündigte er die Einrichtung eines neuen Instituts an, das künftig alle Gelder für Forschungen zu den Migration betreffenden Themen verwalten solle. Es sollte auf den Namen „Institut für Studien zu Einwanderung und Integration“ (IEII) hören. Unter staatlicher Aufsicht, aber auch mit massiver Präsenz von Privatfirmen – Renault, Total und andere sind im Aufsichtsrat des geplanten IEII vertreten - sollten die Auftragsforschung und ihre Finanzierung bei einer Instanz gebündelt werden. Kritiker/innen befürchteten schon das Schlimmste für die Freiheit der Forschung und ihre künftige Ausrichtung entlang ideologischer Vorgaben. Übles lieb im übrigen bereits die Persönlichkeit der frisch eingesetzten Präsidentin des künftigen Instituts ahnen. Den Vorsitz des IEII soll die Schriftstellerin und Académie française-Sekretärin Hélène Carrère d’Encausse führen - eine ältliche grobbürgerliche Reaktionärin, die sich erst vor anderthalb Jahren durch rassistische Sprüche über afrikanische Immigranten in der Öffentlichkeit auszeichnete. (Vgl. ausführlich: http://www.trend.infopartisan.net/trd1205/t221205.html)   Durch solcherlei  Auslassungen hat die Dame sich ganz bestimmt für den Vorsitz eines Instituts zur Erforschung von „Zuwanderung und Integration“ qualifiziert. 

Was für ein Zufall!: Dem zuständigen Minister Hortefeux zufolge sollte das IEII genau anderthalb Tage vor der seit längerem angekündigten Einweihung der Cité de l’immigration – am Abend des Montag, 8. Oktober – gegründet werden. Doch dann kam es anders, und die Gründungsfeier wurde auf unbestimmte Zeit hin verschoben. Ursächlich dafür dürfte insbesondere die Weigerung führender und qualifizierter Hochschullehrer und Wissenschaftler, mit dem geplanten neuen Institut zusammenzuarbeiten, geworden sein. Die Umgebung des Ministers Hortefeux hatte tatsächlich seit Wochen, ja seit Monaten versucht, universitäre Fachkräfte für den Betrieb des neuen Instituts anzuwerben, ohne ihnen aber die wahren Hintergründe ihrer zukünftigen Mitarbeit zu nennen. In Wirklichkeit ging es darum, frühzeitig eine Konkurrenz für die ungeliebte Cité de l’immigration zu schaffen. Aber viele angefragte Fachleute, so der herausragende Historiker des Algerienkriegs Benjamin Stora, erteilten dem Ministerium eine Absage. Hortefeux und seine Leute hätten mit mittelmäßigen Karrieristen aus dem zweiten oder dritten Glied Vorlieb nehmen müssen. Deshalb ist mutmaßlich davon auszugehen; dass das Projekt de facto gestorben ist. 

Die Cité de l’immigration wurde hingegen tatsächlich am vorletzten Mittwoch (10. Oktober) eröffnet, aber führende Regierungspolitiker zeigten ihr zunächst die kalte Schulter. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten bei größeren Einweihungsveranstaltung waren weder Präsident noch Premierminister vertreten, auch nicht durch ein Grußwort. Am späten Mittwoch Nachmittag ließ sich allerdings die Kulturminister Christine Albanel doch noch, zu einem unspektakulären Kurzbesuch, blicken; insofern hat die ‚taz’ dennoch Unrecht, die fälschlich behauptet: „Kein Minister und schon gar kein Staatspräsident lieben sich sehen.“ (Vgl. http://www.taz.de) Unterdessen hatte die Presse bereits darüber zu munkeln begonnen, die neue Forschungs- und Ausstellungsstätte stelle aus Sicht der aktuellen Regierung ein ungeliebtes Kind dar. Am folgenden Tag wurde dies jedoch dementiert, und die Nachrichtenagenturen vermeldeten, in naher Zukunft werde doch noch eine Einweihungsfeier mit offizieller Beteiligung der Regierung stattfinden. Bislang ist es dabei dann geblieben. Unterdessen hat Ex-Präsident Jacques Chirac, dessen politisches „Kind“ das Museum zum Teil darstellt – da unter ihm 2002 der definitive Beschluss zu seiner Errichtung gefällt wurde -, am vergangenen Freitag die Dauerausstellung besichtigt.       

Heftiger Streit um neue Ausländergesetze 

Überschattet wurde die Einweihung des Museums ferner aber auch durch die Polemiken im Regierungslager über die seit dem 18. September in den beiden Kammern des französischen Parlaments debattierten Mabnahmen zur Verschärfung der Einwanderungspolitik. (Vgl. ausführlich: http://www.trend.infopartisan.net/trd0907/t370907.html )   

Der entsprechende Gesetzentwurf, immerhin schon der vierte zur Verschärfung der Ausländergesetze in den letzten vier Jahren (nach dem Ausländergesetz „Sarkozy I“ vom November 2003, den neuen Regelungen zum Asylrecht vom Dezember 2003, und dem Ausländergesetz „Sarkozy II“ vom Juli 2006), wurde am gestrigen Dienstag durch die beiden Kammern des französischen Parlaments definitiv verabschiedet. In der Nationalversammlung wurde er, in letzter Lesung, mit 282 gegen 235 Stimmen angenommen. Im Senat („Oberhaus“ des französischen Parlaments) waren es 185 gegen 136 Voten. Die Parlamentarier der konservativen Regierungspartei UMP stimmten überwiegend für den Gesetzentwurf, auch wenn in der Nationalversammlung vier UMP-Abgeordnete mit Nein stimmten und 21 von ihnen sich der Stimmen enthielten. Die parlamentarische Opposition (KP und Grüne, die in der Nationalversammlung zusammen eine Fraktion bilden, um an die nötige Abgeordnetenzahl zum Erhalt des Fraktionsstatus heranzukommen; die französische Sozialdemokratie; die liberal-christdemokratische frühere UDF, die nun in MoDem umbenannt worden ist) voetierte geschlossen dagegen. Das rechtsliberale ‚Nouveau Centre’ (Neue Zentrum) wiederum war zutiefst gespalten. Bestehend aus jenen früheren Abgeordneten der liberal-christdemokratischen UDF, die deren Chef François Bayrou mit seinem Oppositionskurs (infolge von dessen strategischer Annäherung an die Sozialdemokratie) die Gefolgschaft verweigerten, um sich dem Regierungslager anschlieben zu können, hat das ‚Neue Zentrum’ sich bei der Abstimmung nun aufgeteilt. 10 seiner Abgeordneten in der Nationalversammlung enthielten sich zum neuen Einwanderungsgesetz der Stimme. Vier von ihnen votierten dafür, vier andere stimmten dagegen.  

Besonders die geplanten DNA-Untersuchungen für Visumsbewerber, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Frankreich einreisen möchten, stoben auch einen Teil der bürgerlichen Rechten ab. Deshalb auch sah die konservative Regierungspartei UMP mehrere ihrer eigenen Abgeordneten gegen die Vorlage stimmen, oder sich in die Enthaltung flüchten. Dabei bündeln sich die Opposition christlich motivierter Politiker (wie des „aufrichtig katholischen“ Versailler Abgeordneten Etienne Pinte, der zumindest in Fragen der Einwanderung humanistische Positionen verteidigt), vor dem Hintergrund der scharfen Ablehnung durch die christlichen Kirchen, sowie einiger Liberaler und die Widerstände von Politikern mit Migrationshintergrund.  

Der Senat – das Oberhaus des französischen Parlaments – hat das geplante neue Einwanderungsgesetz bei der dortigen Lesung vom 2. bis 5. Oktober in gewissen Grenzen entschärft. Die umstrittenen Gentests etwa sollen nicht mehr sämtlichen Visumsbewerbern im Rahmen der Familienzusammenführung „angeboten“ werden können, wie es bisher vorgesehen war. Vielmehr sollen sie nur auf richterliche Anordnung hin vorgenommen werden können. (VGL. NEBENSTEHENDEN KASTEN) Der Senat bietet im französischen System vor allem einen Sitz für die ‚Elder statesmen’ (in die Jahre gekommenen Staatsmänner) gegen Ende ihrer Karriere. Im Kontext der Debatte um das neueste Einwanderungsgesetz spielte er nun tatsächlich eine mäbigende Rolle, während die Scharfmacher überwiegend in der Nationalversammlung saben. Da auch der konservativ-liberale Block gespalten war, musste am Dienstag, 16. Oktober ein Vermittlungsausschuss zwischen beiden Parlamentskammern zusammen treten. Dabei saben sich sieben Abgeordnete der Nationalversammlung und sieben Senatoren gegenüber und versuchten, einen Kompromiss zu finden. (Kommt es in solchen Fällen zu keiner Einigung, dann hat im Endeffekt die Nationalversammlung das letzte Wort.) Der Vermittlungsausschuss beschloss daraufhin, die vom Senat abgeschwächte Fassung des neuen Ausländergesetzes als Kompromissfassung zu übernehmen. 

Zu den geplanten DNA-Untersuchungen

Und hier die jeweiligen Bedingungen, die bisher in den unterschiedlichen Stadien des Gesetzgebungsverfahrens für die geplanten Gentests vorgeschlagen worden sind. Am Schluss trug die vom Senat vorgeschlagene Variante den Sieg davon, nachdem der parlamentarische Vermittlungsausschuss (zwischen den beiden Kammern, Nationalversammlung und Senat) sich darauf am 16. Oktober als „Kompromissbeschluss“ einigen konnte.

1. Zusatzantrag des rechtsauben stehenden UMP-Abgeordneten Thierry Mariani (der im Parlament den Wahlkreis im Département Vaucluse vertritt, auf dessen Territorium die langjährige FN-Hochburg Orange liegt) zur Vorlage des Einwanderungsgesetzes. Dieser Zusatzantrag wurde am 12. September durch die Gesetzeskommission der Nationalversammlung mehrheitlich angenommen:

  • Die DNA-Untersuchung kann allen Antragstellern auf ein Visum im Rahmen der Familienzusammenführung „vorgeschlagen“ werden. Sie sind nicht ausdrücklich dazu verpflichtet, an dem Test teilzunehmen, aber widrigenfalls dürften sie nur geringe Chancen auf die Erteilung eines Visums haben.

  • Die Kosten für die Entnahme und Untersuchung der DNA-Probe (geschätzte 200 bis 600 Euro) hat ausdrücklich „der Antragsteller auf ein Visum“ selbst zu tragen. Also die Ehefrau oder das minderjährige Kind eines „legal“ in Frankreich lebenden Ausländers.

2. Die Fassung, die gemäb dem „Kompromissvorschlag“ von Premierminister François Fillon anlässlich der ersten Lesung in der Nationalversammlung (18. bis 21. September) angenommen worden ist: 

  • Es wird nochmals ausdrücklich die „Freiwilligkeit“ des Gentests betont. 

  • Die Kosten trägt der Visumsbewerber zunächst selbst. Aber „falls das Visum für die Einreise erteilt wird“ (also wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch den Gentest tatsächlich nachgewiesen wird UND falls die Person auch alle sonstigen Voraussetzungen für die Familienzusammenführung – deren Anzahl steigt und die durch den Gesetzentwurf strenger gefasst werden - erfüllen konnte), übernimmt der französische Staat dann nachträglich die Kosten. 

  • Die gesetzliche Bestimmung, die den Gentest erlaubt, wird „probeweise“ bis zum Jahr 2010 eingeführt und danach einer Bilanz unterzogen.

3. Die Fassung des Senats, die in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober als neuerlicher Kompromiss angenommen wurde:

  • Der Gentest ist für den/die Visumsbewerber/in kostenlos.

  • Die dafür nötige gesetzliche Bestimmung wird „probeweise“ für eine Dauer, die nun auf 18 Monate befristet worden ist, eingeführt.

  • Die Entnahme und Untersuchung einer DNA-Probe erfordert eine richterliche Anordnung. Dafür zuständig ist, für ganz Frankreich (bzw. sämtliche Visumsanträge von im Ausland lebenden Familienmitgliedern „legal“ in Frankreich resierender ausländischer Staatsbürger/innen), ausschlieblich das Zivilgericht im westfranzösischen Nantes. Dies hat einen konkreten Grund: In Nantes sind alle standesamtlichen Archive aus ganz Frankreich konzentriert. Historisch betrachtet, hatte dies einstmals militärisch-strategische Gründe, denn im Falle einer (in der Regel von Osten her kommenden) Invasion des französischen Staatsterritoriums würde Nantes höchstwahrscheinlich zuletzt eingenommen wurden. Vor diesem Hintergrund hat das Zivilgericht in Nantes als einziger Richter in Frankreich die Zuständigkeit für Einbürgerungsfragen, für bestimmte standesamtliche Angelegenheiten u.ä.

  • Nur das tatsächliche Bestehen des (in Frage gestellten) biologischen Verwandtschaftsverhältnisses zur Mutter, nicht aber zum Vater darf getestet werden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass durch die Vornahme von DNA-Proben der Existenz eventueller unehelicher bzw. auberhalb der Ehe „entstandener“ Kinder nachgeforscht wird.

Aufgrund der juristischen Bedingungen, die den Gentest in der vom Senat abgeschwächten Version des Gesetzes umgeben, dürfte das Verfahren mit den DNA-Untersuchungen in der Praxis kaum Anwendung finden. Die Rede ist davon, dass er absehbar auf ein paar hundert Person pro Jahr beschränkt bleiben könnte. Der Abgeordnete Thierry Mariani, der politische Urheber der Neuregelung, welche die Gentests erlaubt, spricht seinerseits von voraussichtlich 1.500 Fällen jährlich.  

Das hässliche Symbol, nach dem der rechte Flügel des konservativen Regierungslagers strebte, bleibt freilich bestehen. Es teilt einerseits mit: „Alle Ausländer sind potenzielle Betrüger/innen, die Leute als ihre Familienmitglieder nach Frankreich einreisen lassen könnten, die überhaupt nicht mit ihnen blutsverwandt sind.“ Zum Anderen wird unterstrichen, dass, in Frankreich lebende Ausländer/innen betreffend, das Konzept der „Blutsverwandtschaft“ und Abstammung(sgemeinschaft) für die Begründung familiärer Beziehungen vorzuziehen ist – während dasselbe für Französinnen und Franzosen nicht Anwendung findet.  Denn für diese gilt, dass die Familie aus einem Bündel sozialer und juristischer Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern besteht, deren „biologischer Hintergrund“ zwar unterstellt, aber im Prinzip nicht überprüft wird. Grundsätzlich stellt die Familie nach der Konzeption des Code civil also einen freiwilligen Zusammenschluss (aus dem freilich bestimmte Verpflichtungen erwachsen) dar, der eine „biologische Grundlage“ haben kann, aber eben nicht muss.  

Französische Staatsbürger/innen betreffend, dürfen Gentests durch Entnahme von DNA-Proben nur auf richterliche Anordnung hin und nur zur Aufklärung bestimmter schwerer Straftaten erfolgen. Dabei stellt sich allerdings heraus, dass das, was dereinst wirklich eine eng begrenzte Ausnahme bleiben sollte (ursprünglich lautete das Prinzip noch: „Gentests nur zum Auffinden von Sexualstraftätern“, etwa in Fällen, wo das Sperma eines Vergewaltigers auf Übereinstimmung mit der DNA eines mutmablichen Täters hin überprüft wird), inzwischen auf eine breite Palette von Verbrechen und Vergehen Anwendung findet. Die Liste wurde inzwischen auf 200 Straftaten ausgedehnt, und im Mai 2007 entgingen zwei neunjährige Knaben nur knapp – und infolge der öffentlichen Erregung rund um diese Affäre – einem Gentest und der Archivierung ihrer DNA, weil sie einen Diebstahl von Spielwaren zugegeben hatte. Im Falle eines weiteren Bagatelldelikts, nämlich des Diebstahls eines doofen Mofas, das nur zufällig dem Sohnemann des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy (armes bedauernswertes Opfer, das nun für den Rest seines Lebens ruiniert ist!) gehörte, wurde Anfang 2007 tatsächlich per Genforschung nach dem Übeltäter gefahndet. Diese Erfahrung plädiert dafür, dass grundsätzlich gröbte Vorsicht geboten ist: Räumt man den Schnüfflern einmal Freiräume ein, dann besteht die Tendenz, dass diese Spielräume im Laufe der Zeit zunehmend ausgedehnt werden.     

Sofern das Verfassungsgericht seinerseits nicht die gesamte Bestimmung kassiert und das Projekt unmöglich macht, wird der Gentests per Entnahme einer DNA-Probe nun also auch auberhalb jeglicher Strafverfolgung anwendbar sein – auf Ausländer/innen zwecks Aufspürens von Abstammungsbeziehungen. Das Symbol bleibt, auch wenn die Praxis diesbezüglich doch (zunächst?) restriktiv ausfallen dürfte. 

Nicht genügend unterstrichen wurde in der DEUTSCHEN Berichterstattung über die diesbezügliche Auseinandersetzung, dass in der BRD solche Gentests längst (ohne eigene gesetzliche Grundlage!) durchgeführt werden. Und zwar insbesondere, um das Recht auf den Nachzug der Familienmitglieder von Asylbewerber/inne/n zu klären. Auch hier handelt es sich um einen echten Skandal – nur, dass er im Gegensatz zu Frankreich kaum in der Öffentlichkeit debattiert und nicht durch Intellektuelle oder politische Oppositionelle angegriffen wird. Vgl. dazu ausführlich:
http://www.fr-online.de
und http://www.fr-online.de

Bemerkenswert ist dennoch, welch breite Front sich vorübergehend auch innerhalb der Rechten gegen die Vorlage zu den Einwanderungsgesetzen gebildet hat. Die beiden früheren Premierminister Dominique de Villepin und Jean-Pierre Raffarin, der ehemalige Innenminister Charles Pasqua (von 1986 bis 88 und zwischen 1993 und 95) und andere Figuren der Rechten schlossen sich dem Protest gegen die DNA-Tests an. In manchen Fällen, insbesondere dem des bislang eher als rechter Einpeitscher und Scharfmacher in Sachen Ausländergesetze bekannt gewordenen Pasqua, verwundert dies denn doch erheblich. Allerdings resultierte ihr Protest zum Teil auch aus eher durchsichtigen Motiven: Raffarin ist sauer, weil er die Senatspräsidentschaft nicht zugesprochen erhielt. De Villepin ist aufgrund einer früheren Geheimdienstintrige gegen seinen damaligen Ministerkollegen und Rivalen Nicolas Sarkozy – die so genannten „Clearstream-Affaire“ von 2005 - nun intensiv ins Visier der Justiz gerückt. Vergangene Woche war er bereits zum dritten Mal zum Verhör vorgeladen (und der jetzige Präsident Sarkozy wird, via den ihm untergebene Regierungs- und Justizapparat, bestimmt nicht locker lassen!). Und Pasqua sieht derzeit neun seiner Berater wegen illegaler Rüstungsexporte in afrikanische Länder vor Gericht stehen. 

Dennoch ist interessant, dass die Bruchlinie, entlang derer sie sich von ihren Rivalen innerhalb der Rechten – die Umgebung Sarkozys – abgrenzen möchten, in den letzten Wochen entlang der Haltung zu den Mabnahmen gegen Einwanderer verlief. Dies zeigt, dass tatsächlich auch Teile des bürgerlichen Lagers über Vorhaben wie die Gentests aufrichtig schockiert sind, und diese für tendenziell verfassungswidrig halten. 

Infolge der Kompromissformulierung, die in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober vom Senat angenommen wurde, hat Ex-Innenminister Pasqua seine bisherigen Einwände gegen die Gentests nun vom Tisch genommen. (Möglicherweise hat Pasqua aber auch durch die Justiz oder die Regierung zwischenzeitlich bestimmte Garantien erhalten, nach denen er strebte...) Andere Politiker, zum Teil auch auf der bürgerlichen Rechten, habe die ihrigen bislang hingegen nicht zurückgezogen. Anlässlich einer Grobveranstaltung im Pariser Konzertsaal ‚Le Zénith’, die am vorigen Sonntag (14. Oktober) ab 18 Uhr stattfand und die sich gegen die geplanten Gentests für Einwanderer richtete, sprach auch der als liberal geltende UMP-Politiker Françoius Goulard. Goulard steht unterdessen in erster Linie Expremierminister Dominique de Villepin nahe, was teilweise seine Opposition mit erklären dürfte. Andererseits hat er aber schon zu einem frühen Zeitpunkt klare inhaltliche Worte gegen die DNA-Untersuchungen gefunden („Nach gängiger französischer Auffassung beruht Familie auf sozialen und juristischen Beziehungen, nicht auf reiner Biologie“).  

Die Grobveranstaltung vom ‚Le Zénith’ war durch die sozialdemokratische Tageszeitung ‚Libération’, durch die linksliberale Wochenzeitung ‚Charlie Hebdo’ (die zum Teil ein Karikaturenblatt ist) sowie durch die sozialdemokratisch-staatstragende Antirassismusorganisation ‚SOS Racisme’ organisiert worden. Radikalere kritische Kräfte fanden sich sicherlich auch im (jüngeren) Publikum, prägten jedoch nicht den Aufruf und das – durch das offizielle Programm vorgebenene – Gesamtprofil der Veranstaltung, das eher durch Schicki-Micki-Repräsentanten wie den linksliberalen Fernsehphilosophen und Pseudointellektuellen Bernard-Henri Lévy dominiert wurde. 

Dass bürgerliche Demokraten und Linksliberale sich auf diese Weise gegen die Gentests mobilisierten, war und ist zweifellos zu begrüben, trotz des starken Stempels, den die Kulturschickeria ihrem Aufgebot aufdrückte. Problematisch war freilich aus Sicht von Kritikern, dass das „Gesamtpaket“ der zunehmend verschärften Ausländergesetze dabei – über dem medienwirksamen Streit betreffend die Gentests – eher aus dem Blickwinkel zu geraten drohte. In Bälde werden wir an dieser Stelle versuchen, dazu näher Bilanz zu ziehen.

Fußnoten
 

[1] Vgl. dazu auch: Mareike König (Hg.): „Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris. Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert“, München 2003.

[2] ANMERKUNG: In jüngster Zeit fiel Toubon, der historisch aus dem neogaullistischen RPR (inzwischen Bestandteil der Regierungspartei UMP) kommt, übrigens in dieser Eigenschaft sogar durch ziemlich korrekte Äuberungen zur Bewertung der französischen Zuwanderungsgeschichte auf. Anlässlich eines Seminars zu diesem Thema, das am 20. September in La Défense bei Paris stattfand, wies Toubon auf dem Podium darauf hin, dass auch die erste heute bekannte Bevölkerungsgruppe in Frankreich – die Kelten – selbst Zuwanderer gewesen seien. In den letzten vorchristlichen Jahrhunderten nahmen die Kelten den Platz einer vormals ansässigen Urbevölkerung ein, deren Zusammensetzung bis heute den WissenschaftlerInnen noch völlig unbekannt ist. Insofern, so Jacques Toubon, könne niemand in Frankreich im historischen Rückblick behaupten, nicht aus Zuwanderung hervorgegangen zu sein. Ein wichtiger Beitrag zur Entmystifizierung eines Themas, das lange Jahre hindurch (u.a. unter dem politischen Druck des Front National in den 1980er und 90er Jahren) stark von Ängsten und Emotionen besetzt war... 

[3] ‚Cité’ ist ein komplexer Begriff in der französischen Sprache, der eine Stätte oder ein Gemeinwesen bezeichnet, und in dem die Begriffe von Stadt, von Anwesenheitsrechts – droits de cité – sowie von Bürgerrechten oder ‚droits du citoyen’ stecken.)

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor am 23.10.2207.