Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Transportstreik gegen die Abschaffung der „Sonderregelungen“ zur Renten

10/07

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Am Donnerstag vergangener Woche hat Frankreich eine „historische“ Streikbeteiligung in seinen Transportbetrieben erlebt. Über 73 Prozent aller Eisenbahner/innen, sowie knapp 59 Prozent der Beschäftigten bei den Pariser Verkehrsbetrieben der RATP (Régie autonome des transports parisiens) und 45 Prozent der Beschäftigten bei den Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF beteiligten sich am Arbeitskampf gegen die Pläne zur Abschaffung ihrer relativ günstigen Rentenregelungen. Nunmehr stellt sich allerdings die Frage, wie es in naher Zukunft weitergeht. Die Entschlossenheit der Regierung, den angeblichen „Privilegien“ der Lohn- und Gehaltsempfänger/innen in diesen Sektoren definitiv den Garaus zu machen, ist ungebrochen. Der Kampfeswillen der wichtigsten Gewerkschaftsverbände ist bisher nicht auf der Höhe der Herausforderungen, die an sie gerichtet sind. 

An dem Versuch, die ‚Régimes spéciaux’ genannten Sonderregelungen zur Rente bestimmter Berufsgruppen, insbesondere aber der französischen Transportarbeiter abzuschaffen, hat sich schon manche Pariser Regierung die Zähne ausgebissen. Der damalige Premierminister Alain Juppé und - hinter ihm stehend – Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac mussten im Winter 1995/96 ein entsprechendes Vorhaben ersatzlos zurückziehen. Zuvor hatte ein dreiwöchiger Streik in allen öffentlichen Diensten den Betrieb des Landes teilweise lahmgelegt. Die damalige Periode, von manchen Linken auch poetisch als „ein Mai im Dezember“ bezeichnet – unter Anspielung auf 1968, obwohl beide historische Situationen sehr unterschiedlich waren – sorgte nicht nur dafür, dass die Juppé-Regierung fortan in der Defensive stand. Kein Vorhaben konnte sie mehr ankündigen, ohne dass sich sofort massive Widerstände dagegen regten. Denn nachdem eine Streikbewegung unterstrichen hatte, dass die Regierung auch verlieren konnte, war die Phase der Resignation für die soziale und politische Opposition auf einmal zu Ende.  

Ein Rückblick 

Bleierne Lähmung hatte bis dahin auf der Linken vorgeherrscht, aus mehreren Gründen. Aufgrund der frustrierenden Bilanz der so genannten „Linksregierungen“ unter François Mitterrand seit den achtziger Jahren, aufgrund des mit dem Wegfall des Systemgegensatzes 1989 auf vielen Kanälen verkündeten „Endes der Geschichte“, und weil ein Teil der Arbeiterschaft von der aufstrebenden extremen Rechten angezogen wurde. Plötzlich aber kehrte wieder Leben in die sozialen Bewegungen und in die Opposition. Von der antifaschistischen Bewegung über die damals breit verankerte Solidarität mit den Sans papiers – illegalisierten Einwanderern – bis hin zu gewerkschaftlichen Streiks wurden alle Widerstandspotenziale beflügelt. 

 Im Frühsommer 2003 dann konnte Premierminister Jean-Pierre Raffarin - wiederum mit Chirac im Rücken - zwar eine regressive „Reform“ der Renten im privaten Industrie- und Dienstleistungssektor sowie für die unmittelbar vom Staat angestellten öffentlich Bediensteten durchsetzen. Darauf, die Pensionsregelungen auch für die Lohn- und Gehaltsempfänger in bestimmten öffentlichen Unternehmen wie der Bahngesellschaft SNCF und der Pariser Verkehrsgesellschaft RATP – die nicht unmittelbar dem Staat unterstellt sind, sondern deren Arbeitsbedingungen und Rentenregelungen von einem besonderen „Personalstatut“ geregelt werden – zu „reformieren“, verzichtete Raffarin 2003 hingegen. Diese Mabnahme wurde zunächst noch zurückgestellt. Um sich nicht die Finger zu verbrennen, und um die Eisenbahner und RATP-Beschäftigten aus der damaligen allgemeinen Protestfront herauszubrechen.  

Tatsächlich konnte die damalige Regierung die Transportbediensteten zum Teil aus der damaligen Streikfront herauslösen: Die SNCF- und RATP-Beschäftigten traten zwar im Anschluss an die erste Grobdemonstration vom 13. Mai 2003 gegen die allgemeine „Rentenreform“ spontan in den Solidaritätsstreik. Aber die Regierungs- und Medienpropagada stellte darauf ab, dieser Ausstand sei illegitim, da doch diese Beschäftigten „gar nicht von der Reform betroffen“ seien. Das war zwar fadenscheinig, da allen ehrlichen BetrachterInnen klar sein musste, dass die „Reform“ für diese Beschäftigtengruppen nur aufgeschoben, aber eben nicht aufgehoben sein würde.  

Hellsichtige Beobachter sagten aber bereits damals voraus, dass die Angelegenheit selbstverständlich einige Jahre später auch für die Mitarbeiter der SNCF und RATP wieder aufs Tapet gebracht werden würde, wenn diese dann allein für ihre Interessen kämpften müssten – isoliert von den übrigen Lohn- und Gehaltsempfängern im Lande, deren Rentenregelungen bereits Jahre zuvor verschlechtert worden sein würden. Doch die bürgerliche Propaganda verfing in Teilen der Öffentlichkeit. Zudem trugen damals auch die Gewerkschaftsapparate dazu bei, den Streik der Transportbediensteten abzuwûrgen. Aus Furcht, deren Ausstand könne in Teilen der Öffentlichkeit unpopulär wirken, wurden die Streikenden wurden namentlich durch die CGT-Leitung zurückgepfiffen. Letztere hatte damit Selbstmord aus Angst vor dem Tode begangen: Einmal der Kampfkraft der Transportbeschäftigten beraubt – deren Ausstand es zumindest potenziell vermag, die Alltagsroutine auch für andere Beschäftigtengruppen zu unterbrechen und dadurch zum Kristallisationspunkt für einen allgemeinen Ausstand zu werden - , fiel der sonstige Streik kläglich in sich zusammen. Zwar mobilisierte die CGT noch über mehrere Wochen hinweg alle acht Tage hindurch ihre Truppen auf dem Pariser Asphalt. Erreichen konnte sie dadurch allerdings nichts. Die „Rentenreform“ wurde verabschiedet. Zwar wurde versprochen, sie im Jahr 2008 nochmals zu „überdenken“. Das Ergebnis dürfte aber von vornherein feststehen, denn der damalige „Reformmacher“ und Sozialminister François Fillon amtiert nun als Premier. 

Dereinst mussten die meisten Lohnabhängigen in Frankreich 37,5 Beitragsjahre hindurch in die Rentenkasse einbezahlen, um eine volle Pension zu beziehen. Erstmals wurde diese Regel 1993 durch die konservativ-reaktionäre Regierung von Edouard Balladur abgeändert: Die Beschäftigten im privaten Industrie- oder Dienstleistungsgewerbe mussten künftig 40 Jahre einbezahlen. Für die Staatsbediensteten blieb es zunächst noch bei 37,5 Jahren. Die Ungleichzeitigkeit bei der „Reform“ resultierte daraus, dass die Privatbeschäftigten während der tiefen Rezension der Jahre 1992/93 – die von einem extremen Anstieg der Arbeitslosigkeit begleitet war – weitgehend in die Defensive gedrängt waren. Die öffentlich Bediensteten und ihre Gewerkschaften flöbten der Regierung zunächst noch Furcht ein. Aber das Kabinett Balladur hatte dadurch eine Zeitbombe platziert, die nur darauf wartete, gezündet zu werden.  

Denn zehn Jahre später versuchte seine konservative Nachfolgeregierung unter Raffarin, kräftig den Sozialneid anzufachen, indem es die öffentlich Bediensteten – Lehrer, Krankenschwestern, Archäologen – als „Privilegierte“ hinzustellen, die nur für ihre Besitzstandswahrung streikten. Zum Teil ging diese Rechnung auf, auch wenn die 2003er Reform real für alle Lohn- und Gehaltsempfänger – auch jene im Privatsektor – erhebliche Verschlechterungen mit sich brachte. Denn für alle Beschäftigtengruppen sollte die Anzahl der obligatorischen Beitragsjahre nun bis auf 42,5 angehoben werden. 

Das gallische Dorf der (bisher noch) Unbeugsamen 

  Es blieben jene Lohnabhängigen übrig, die unter Sonderregelungen fallen. Diese ‚Régimes spéciaux’ resultieren zum Gutteil aus der Periode unmittelbar nach der Befreiung 1944, als im Rahmen des „historischen Komprisses“ zwischen Kommunisten und Gaullisten – der in der Führung der Résistance geschlossen worden war – entschieden wurde, bestimmte Sektoren wie Transport und Energieversorgung dem Privatsektor und den Marktgesetzen zu entziehen. Zudem rechtfertigte sich die Regelung, dass etwa die Eisenbahner früher – mit 55, die Lokführer schon ab 50 – in Rente gehen durften, mit den damals besonders extremen Arbeitsbedingungen auf den Dampflokomotiven. Später dienten die in den öffentlichen Diensten errungenen Arbeitsbedingungen den Gewerkschaften in anderen Sektoren dazu, ähnliche Bestimmungen als in Arbeitskämpfen und Verhandlungen zu erreichendes Ziel zu fixieren. So sollten alle Berufsgruppen, durch „Anpassung nach oben hin“, ihre Lage verbessern können. 

Heute hat die Regierung sich zum Ziel gesetzt, das Gegenteil zu vollführen, also für alle Lohnabhängigen durch „Anpassung nach unten hin“ die Bedingungen zu nivellieren. Wer sich dem widersetzt, wird als „Verteidiger ungerechtfertiger Privilegien“ gescholten. Nur zwei Gruppen, die – neben Eisenbahner, Métrobeschäftigten, den Mitarbeitern von Pariser Operhäusern und den aussterbenden Bergleuten – ebenfalls von Sonderregelungen bei der Rente profitieren, bleiben dabei zur Zeit völlig ausgeklammert. Es handelt sich um hauptberufliche Militärs und Abgeordnete. 

Die Arbeitsbedingungen auf den Dampflokomotiven seien historisch überholt, verkündet die Regierung. In ihrer Rhetorik taucht hin und wieder die Ankündigung auf, man solle sich stattdessen überlegen, wer „wirklich unter erschwerten Bedingungen hart arbeitet“ und dadurch eine Sonderregelung verdiene. Bisher funktioniert die Berufung darauf allerdings nur als Einbahnstrabe: Den Eisenbahnern soll ihre günstigere Rentenregelung weggenommen werden - dass stattdessen andere hart arbeitende Gruppen ihrerseits neu in den Gunst früherer Renten kämen, hat man allerdings bisher noch nie vernommen. Und was den antifaschistischen Nachkriegs-Sozialkompromiss betrifft, so hat Denis Kessler – der Chefideologe des Arbeitgeberverbands MEDEF – am 4. Oktober 2007 im Wochenmagazin Challenges die Parole ausgegeben, man müsse endlich „das Programm des Conseil national de la Résistance von 1945“ (in Wirklichkeit: vom 15. März 1944, Anm. d. Verf.) demolieren, „um Frankreich zukunftsfähig zu machen“. 

„Öffentliche Meinung“ auf der Kippe 

Und wie reagiert die französische Öffentlichkeit auf diese Pläne? Bislang erweist sie sich als gespalten. Je nachdem, wie die Frage formuliert wird, können die Antworten mal so und mal so ausfallen. Die KP-nahe Tageszeitung L’Humanité erfuhr in einer Umfrage, dass 54 Prozent der Befragten den Streik der Eisenbahner vom vergangenen Donnerstag unterstürzten. Hingegen will die Gratis-Tageszeitung Métro – die wirtschaftsliberaler Propaganda verpflichtet ist – herausgefunden haben, dass 61 Prozent ihn ablehnten. Es kommt eben darauf an, wie man fragt. Diesbezüglich kann die Stimmung wohl in der einen oder anderen Richtung kippen. Allerdings wurden vergangene Streiks ähnlicher Art noch durch deutliche, massive Sympathiewellen der französischen Gesellschaft getragen. Heute ist die Situation dagegen wesentlich offener und unsicherer. 

Streik durchschlagend, Demos eher flau 

Der Ausstand am vorigen Donnerstag fiel massiv aus. 73,5 Prozent Streikbeteiligung – laut Angaben der Direktion der Bahngesellschaft SNCF – bilden einen historischen Rekord, wie er seit den 1930er Jahren nicht erreicht worden war. Beim massiven Transportstreik im Spätherbst 1995 waren es noch 67 Prozent gewesen. Die Strabendemonstrationen fielen hingegen relativ schwach aus, mit 150.000 Personen auf der Strabe laut der Polizei und 300.000 nach Angaben der CGT. Hingegen fiel positiv auf, dass bei weitem nicht nur Transportbeschäftigte auf der Strabe waren, sondern eine Vielzahl sozialer Gruppen, die mehrheitlich nicht von den ‚Régimes spéciaux’ betroffen sind. 

Die Demonstrierenden hatten verstanden, dass es bei weitem nicht nur um die Interessen einer oder zweier Berufsgruppen geht. Nicolas Sarkozy möchte unbedingt seine „Durchsetzungsfähigkeit“ an dem Knackpunkt der Abschaffung der „Sonderregelungen“ bei den Renten beweisen. Eine solche Machtdemonstration würde er als Dreh- und Angelpunkt benutzen, um das soziale Kräfteverhältnis insgesamt zugunsten von Regierung und Kapital aufzurollen. 

Gewerkschaftliche Spaltung und Strategien der Dachverbände 

Am Montag dieser Woche trafen sich die unterschiedlich ausgerichteten Gewerkschaften, die in den französischen Transportbetrieben vertreten sind, am Hauptsitz des größten französischen Gewerkschaftsbunds CGT in Montreuil bei Paris. Am Ende einer dreistündigen Diskussion wurde beschlossen, sich am 31. Oktober wieder zu treffen, um dann über eine eventuelle Wiederaufnahme des Streiks zu beraten. Zwischenzeitlich sollen die Verhandlungen beginnen; am morgigen Mittwoch werden zunächst die (rechtssozialdemokratische) CFDT und die („postkommunistische“) CGT beim Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand empfangen, um über die Bedingungen der „Reform“ der Rentenregelungen in den Transportbetrieben und anderen Sektoren, wo bislang „Sonderregelungen“ gelten, zu diskutieren. 

Die Führung der CGT, die (mit 40,9 Prozent der Stimmen bei den letzten Personalvertretungswahlen der französischen Bahngesellschaft SNCF) noch immer die mit Abstand stärkste Gewerkschaft unter den Eisenbahner/inne/n darstellt – obwohl sie gegenüber früheren Perioden an Terrain verloren hat -, hatte beim Streik vom vorigen Donnerstag stark auf dessen zeitliche Begrenzung insistiert. Sowohl die branchenübergreifende Leitung des Dachverbands CGT als auch die Eisenbahner-Sektion traten jeweils für die strikte Einhaltung der Formel <vingt-quatre carré> („eckige 24“ oder auch „24 im Quadrat“) ein, also für einen Ausstand, der innerhalb von 24 Stunden durchgeführt und danach beendet werden soll.  

Dagegen hatten die linksalternative Basisgewerkschaft SUD Rail (die 14,9 Prozent der Stimmen bei den Personalvertretungswahlen der SNCF „wiegt“) wie auch die populistisch-schillernde FO-Eisenbahner (6,6 % der Stimmen bei der SNCF) für eine unbefristete Fortführung des Streiks über die 24 Stunden hinaus plädiert. Zunächst stand auch die berufsgruppenspezifische Lokführergewerkschaft FGAAC - die 3 Prozent des Personals der Bahngesellschaft SNCF, aber gut 30 % der Lokführer/innen vertritt – auf ihrer Seite. Am vorigen Donnerstag Abend schwenkte sie jedoch um. Dies lag daran, ass den von ihr ausschließlich vertretenen Lokomotivführen spezifische Zugeständnisse angeboten worden sind. In Aussicht gestellt wurde ihnen konkret, auch in Zukunft fünf Jahre früher als andere Eisenbahnbeschäftigte in den Ruhestand zu gehen. Bislang können die SNCF-Mitarbeiter/innen ab 55 in Rente abgehen, die Lokführer hingegen ab 50. Nunmehr wird dieses Mindestalter laut den Plänen von Regierungschef François Fillon (bis 2012) auf 60 Jahre angehoben; gleichzeitig soll nur noch eine volle Pension beziehen können, wer (ab 2012) mindestens 40 Beitragsjahre in die Rentenkassen einbezahlt hat. Aber, kündigte François Fillon am frühen Abend des Donnerstag an, aufgrund besonderer Anrechnungsmechanismen soll es den Lokführer/inne/n erlaubt werden, bereits ab 55 (statt bisher 50; und statt 60 für die übrigen Eisenbahner/innen) ihren Rentenanspruch geltend zu machen. Daraufhin sah die FGAAC „keinen Anlass“ mehr zum Weiterstreiken, was die anderen Gewerkschaften erzürnte, da dieser Abgang erfolgte, „noch bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben“ (laut CGT). 

Das Kalkül der CGT ihrerseits – das sie für befristete, aber gegen unbefristet fortgeführte Streiks wie 1995 eintreten lässt - lautet, dass (einerseits) das Risiko, einen Streik der Transportbetriebe nach ein paar Tagen unpopulär werden zu sehen, vermieden werden solle. Darüber hinaus ist die CGT (andererseits) auch nicht gewillt, das Risiko einzugehen, mit einem hohen Einsatz zu spielen und danach zu verlieren. Ihre grundlegende Furcht lautet, dass eine unter Aufbietung großer Energien gesuchte Kraftprobe, wenn sie denn verloren geht, über längere Jahre hinaus die französischen Gewerkschaften in die Defensive (zurück)werfen könnte. Ähnlich, wie die damalige britische Premierminister Margarat Thatcher nach der Niederlage der Lohnabhängigen im nordenglichen Bergarbeiterstreik 1984/85 den Gewerkschaften eine strategische Niederlage, mit länger anhaltenden Konsequenzen, zugefügt hatte. Deshalb möchte die CGT den Einsatz, die „Kampfzone“ und das Risiko von vornherein begrenzen. Gleichzeitig hat die Erfahrung im Streik um die regressive „Rentenreform“ im Mai/Juni 2003 -– in dessen Verlauf der Apparat der CGT den spontan ausgebrochenen Transportstreik schnell abgewürgt hatte, um danach zu versuchen, ihn auf Sparflamme alle paar Tage wieder hochkochen zu lassen, was freilich scheiterte, nachdem einmal die Luft draußen war – erwiesen, dass man in dieser Hinsicht auch „Selbstmord aus Angst vor dem Tode“ begehen kann. 

Gleichzeitig zeichnet sich ein wichtiger Abgang ab, der die Gewerkschaftsfront wesentlich tiefer spalten würde. Am Wochenende kristallisierte sich nämlich heraus, dass der sozialliberale Gewerkschaftsdachverband CFDT (die bei den Eisenbahner zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen „wiegt“) aus der bisher vordergründig bestehenden einheitlichen Ablehnungsfront der Gewerkschaften ausscheren dürfte. Denn der für die Renten zuständige nationale Sekretär der CFDT, Jean-Louis Malys, hatte bereits am Donnerstag an Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand geschrieben, um ihm seine „Vorschläge“ zu unterbreiten. Am Sonntag verlautbarte, dass die Regierung Anstalten unternahm, auf die CFDT zuzugehen. Im Angebot bei der CFDT: Zwar wird eine Abschaffung der ‚Régimes spéciaux’ (Sonderregelungen bei der Rente) bis 2012 von ihr als inakzeptabel betrachtet. Aber bis 2014, ja, da könnte man doch glatt mit sich reden lassen… Konkret hatte die Regierung (nachdem sie lange Zeit noch offen gelassen hatte, ob sie die ‚Régimes spéciaux’ nun bis 2012 oder „erst“ bis 2017 abschaffen möchte) in Aussicht gestellt, für die betroffenen Lohnabhängigen pro Jahr bis 2012 zwei Trimester (oder ein halbes Jahr) erforderlicher Beitragssätze hinzuzufügen, um bis in fünf Jahren die frühere Verrentungsmöglichkeit abzuschaffen. Nunmehr schlug die CFDT also vor, pro Jahr „nur“ ein Trimester bis 2011, und in den Jahren danach bis 2014 dann zwei Trimester draufzuschlagen. Toller Kompromissvorschlag, wahrhaftig. Oder: Der Verrat scheint bei der CFDT zur zweiten Natur geworden zu sein… 

Sonstige Aussichten 

Unterdessen haben die unterschiedlichen Gewerkschaften im sonstigen öffentlichen Dienst (bei den LehrerInnen, Krankenschwestern, …) am Montag angekündigt, am 20. November in den Ausstand zu treten. Es soll um eine Anhebung der Löhne und Gehälter – vor dem Hintergrund der seit 2000 anhaltenden Erosion der Kaufkraft – sowie um eine Bekämpfung des durch die Regierung rabiat verfolgten Stellenabbaus in den öffentlichen Diensten gehen. Nach den derzeitigen Regierungsplänen soll im kommenden Jahr 2008 jeder dritte durch altersbedingte und sonstige Abgänge frei gewordene Arbeitsplatz in den öffentlichen Diensten nicht wieder besetzt werden ; in der Periode 2009 bis 2012 soll dies gar für jeden zweiten Arbeitsplatz dort gelten. 

Möglicherweise wird sich ja um diesen Arbeitskampf etwas herum kristallisieren. Und im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen um die „Reform“ der spezifischen Rentenregelungen im Transportsektor (dessen Abschaffung die zahlenmäßig wichtigsten Gewerkschaften voraussichtlich hinnehmen würden, falls sie im Gegenzug höhere Pensionen und Sondergarantien für Lohnabhängige mit spezifisch erschwerten Arbeitsbedingungen heraushandeln können) könnten die dortigen Gewerkschaften sich unter Umständen mit daran hängen. 

 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor am 23.10.2207.