Eine kleine Fahrradfabrik in
Thüringen, die geschlossen werden sollte und
von den Arbeitern nun als selbstverwalteter Betrieb
fortgeführt wird, hat eine erfolgreiche
Kampagne starten können.
Eine kleine Fahrradfabrik im thüringischen Nordhausen fand
Aufmerksamkeit in Griechenland ,
Ungarn und den USA und schafft einen
Nachfrageboom bei Fahrrädern. Die 135 Mitarbeiter des
Zweigwerks der Firma Bike-Systems in Thüringen können
wieder Hoffnung schöpfen, ihre
Arbeitsplätze zu behalten, seit sie mit
Unterstützung der kleinen anarchosyndikalistischen Freien
Arbeiter-Union auf die Idee kamen, ein Strike-Bike zu
produzieren. Von einen überwältigenden Erfolg des Aufrufs
sprechen die Arbeiter und ihre
Unterstützer jetzt. Dabei waren die
Arbeiter vor wenigen Monaten eher verzweifelt als
optimistisch.
Als sich abzeichnete, dass es für die Firma keine Investoren
gab, besetzten die 135 Beschäftigen das Werk am 10. Juli 2007.
Für sie stand viel auf dem Spiel. Die
Arbeitslosigkeit in der Region ist hoch.
Die Fabrik war 1986 als VfB IFA Motorenwerk gegründet
worden und hatte nach der Wende
unterschiedliche Eigentümer.
Nach längeren finanziellen Problemen wurden zum 22.12.2005 die
Werke Neukirch-Sachsen mit knapp 230 Mitarbeitern und die
Fabrik in Nordhausen-Thüringen von einer Tochtergesellschaft
des US-amerikanischen Finanzinvestor Lone Star mit dem Ziel
gekauft, diese fit für den Weltmarkt zu machen. Schon wenige
Wochen später war klar, dass eine der beiden Firmen aus
Rentabilitätsgründen geschlossen werden wird. Am 30.Juni wurde
bekannt gegeben, dass das Nordhausener Werk davon betroffen
war. Bei Verhandlungen zwischen den Vertretern der
Arbeitnehmer und der Geschäftsführung sollte es nur noch darum
gehen, wie das Werk am schnellsten und günstigsten abgewickelt
wird. Die
Forderungen der Beschäftigten waren moderat. Sie wollten die
Aufstellung eines Sozialplans, die Einrichtung einer
Auffanggesellschaft und die Prüfung von Möglichkeiten zum
Erhalt der
Arbeitsplätze durchsetzen.
In der Fabrik gab es keine wahrnehmbaren gewerkschaftlichen
Strukturen. Das dürfte das Management zum dem Fehlschluss
verleitet haben, bei den Verhandlungen mauern zu können. Statt
zumindest Kompromissbereitschaft vorzutäuschen, beantragte die
Geschäftsleitung die Räumung des Werk, das von der Belegschaft
im Rahmen einer Betriebsversammlung seit dem 10.Juli besetzt
gehalten wurde. Zwar demonstrierten alle politischen Kräfte
mit den Beschäftigten Solidarität, doch nur die FAU machte mit
dem Projekt Strike-Bike einen konkreten Vorschlag für einen
Weiterbetrieb.
Ein Aktivist schilderte den Kontakt
zwischen Belegschaft und der anarchosyndikalistischen
Gewerkschaft so:
"Kaum jemand
dort kannte die FAU, einige wussten zumindest grob, was der
Anarchosyndikalismus ist. Doch unser konkreter Vorschlag wurde
mit dem Kommentar aufgegriffen: Lasst es uns probieren. Wir
haben nichts mehr zu verlieren."
Die Tatsache, dass DGB-Gewerkschaften in
dem Werk nicht Fuß fassen konnten, hatte die pragmatische
Zusammenarbeit mit der FAU sogar
erleichtert. Denn durch feste DGB-Strukturen wird in der Regel
sehr streng darauf geachtet, dass
Konkurrenten von links dort gar nicht
erst Fuß fassen können. Dazu werden mitunter auch Verbote und
andere administrative Maßnahmen
angewandt. Die Arbeiter in Nordhausen haben sich
hingegen immer gegen jegliche Bevormundung von Parteien und
Gewerkschaften gewandt.
Traum von der Arbeiterselbstverwaltung
Die Aktivisten der FAU haben allerdings jetzt in der
Belegschaft Achtung gewonnen, weil sich ihre Initiative "Strike-Bike"
als erfolgreich erwies. Schon knapp
eine Woche nach dem Aufruf gab es ca.
1500 Bestellungen aus der ganzen Welt. Es ist schon
erstaunlich, dass
Menschen, die wahrscheinlich noch nie von Nordhausen gehört
haben, ein Fahrrad zum stolzen
Preis von 275 Euro ordern. Der Grund ist das
Konzept der selbstverwalteten Produktion), das seit dem
kurzen Sommer der Anarchie in Spanien
1936 viele Anhänger gefunden hat,
obgleich seither alle Versuche immer nur kurzlebig waren, wie
bei der auch international bekannten Uhrenfabrik Lip in
Frankreich Anfang der 70er Jahre.
In letzter Zeit sorgten selbstverwaltete Fabrikein in
Argentinien und Venezuela für
Aufmerksamkeit. Wie in Nordhausen ging es in allen
Beispielen immer um existentielle Nöte der
Beschäftigten, in deren Werke niemand
mehr investieren wollte. Doch die Selbstverwaltung sorgte
bald auch für einen Bewusstseinswandel bei den
Betroffenen, wie es
sich beispielsweise bei der argentinischen Kachelfabrik Zanon
zeigte. Ob den Nordhausener
Fahrradwerkern genügend Zeit bleibt,
damit sich die selbstverwaltete Arbeitsweise auch auf die
Beziehungen der Beschäftigten auswirkt,
ist noch offen. Selbst die Unterstützer gehen
zunächst davon aus, dass die Produktion bis zum Jahresende
weiter läuft.
Ob es dann weitergeht, wird auch davon abhängen, ob die Marke
Strike-Bike eine Marke wird, für die die Kunden bereit sind,
mehr Geld auszugeben. Bisher klappt das
kontinuierlich bei Brandings wie Nike,
Adidas etc. Nichtregierungsorganisationen versuchen schon seit
Jahren umweltverträgliche Produktion
oder fairen Handel zu einer Marke zu machen,
für die es sich lohnt, mehr Geld auszugeben. Beim Bio-Label
ist das ansatzweise gelungen. Nun muss sich zeigen, ob
die selbstverwaltete Produktion zu
einem ebenso erfolgreiches Kundenlabel
werden kann. Dann könnte die kleine Fahrradfabrik in
Nordhausen sogar eine Pilotfunktion erfüllen.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor am 4.10.2207.