Ein Beamter des Bundeskanzleramtes führt ein Gespräch
mit Andreas Baader im Besucherzimmer der Justizvollzugsanstalt
in Stuttgart-Stammheim. Er macht
folgende Aufzeichnung:
»1. Auftrag
Nach Beratung im >kleinen Krisenstab< am 16.10.1977, 20.10
Uhr, hat mich der Bundeskanzler beauftragt, am 17.10. mit Baader
zu sprechen. Baader hatte nach Mitteilung des
Bundeskriminalamtes zuvor mehrfach den Wunsch geäußert, mit
Staatssekretär Schüler zu sprechen. Ein zunächst vorgesehenes
Telefongespräch zwischen Staatssekretär Schüler und Baader war
meines Wissens nicht zustande gekommen. Mein Auftrag ging dahin,
in einem eingehenden Gespräch von Baader möglichst konkret zu
erfahren, was er Staatssekretär Schüler mitteilen wolle und, wie
Baader nach Mitteilung des Bundeskriminalamtes gesagt hat, nicht
mit einem Polizisten besprechen könne.
2. Bemerkungen zu den Umständen und zum Ablauf des Gesprächs
Ich hatte Baader niemals vorher persönlich gesehen und war auch
nicht über nähere Einzelheiten seines Lebenslaufs und der ihm
vorgeworfenen Straftaten unterrichtet. Auf meine Bitte hat mich
daher der begleitende Beamte des Bundeskriminalamtes während der
Fahrt nach Stammheim näher informiert und darauf vorbereitet,
daß Baader zur Zeit nervös und etwas konfus sei. Ob Baader
vorher über mein Kommen unterrichtet wurde, ist mir nicht
bekannt, da der Besuch vom Bundeskriminalarnt arrangiert wurde.
Ich hatte eher den Eindruck, daß dies nicht der Fall war.
Baader wurde vorgeführt, von dem ihm bekannten Beamten des
Bundeskri-mmalamts kurz begrüßt und darüber informiert, daß ich
von Staatssekretär Schüler beauftragt sei, mit ihm zu sprechen.
Nach einem kurzen Moment des Zögerns hat Baader ohne weitere
Umschweife das Gespräch begonnen. Baader war blaß und schien
gegenüber Fotografien, die mir in Erinnerung waren, sehr
gealtert. Das Gespräch dauerte ca. 70 Minuten; anwesend waren
ferner während der gesamten Zeit der Beamte des
Bundeskriminalamtes und ein Beamter der Haftanstalt. Während des
ganzen Gesprächs war Baader mir gegenüber weitgehend sachlich
und höflich, kurze Einwürfe des Beamten des Bundeskriminalamtes
hat er relativ barsch und kurz abgetan und einmal hat er sich an
den Beamten der Strafanstalt gewandt und ihn als Schwein
bezeichnet, das die Gefangenen schlecht behandle. Eine von dem
Beamten des Bundeskriminalamtes angebotene Zigarette lehnte er
ab. Er drehte sich selbst während des Gesprächs nach meiner
Erinnerung mehrere Zigaretten.
Er schien mir innerlich erregt, nervös und war akustisch zum
Teil schlecht zu verstehen, weil er nach meinem Eindruck
physische Artikulationsschwierigkeiten hatte. Da ich ihn — wie
gesagt — zum ersten Mal sah, habe ich keine hinreichenden
Anhaltspunkte, wie sehr seine physische und psychische
Verfassung von der subjektiven >Normallage< oder von seiner
Verfassung in der
näheren Vergangenheit abwich. Ich hatte während des Gesprächs
den persönlichen Eindruck, daß ihm vor allem die wochenlange
Ungewißheit über seine Freilassung und der Wechsel der Hoffnung
und Enttäuschung innerlich sehr zu schaffen machte. Diese meine
Annahme stützte sich vor allem darauf, daß alle seine
Ausführungen letztlich immer um seine Freilassung kreisten. Nach
der Nachricht von seinem Selbstmord frage ich mich natürlich, ob
dieser Eindruck so zutreffend war; auch rückblickend glaube ich
jedoch eher, daß die für ihn sicherlich niederschmetternde
Nachricht vom Ausgang der Flugzeugentführung in Somalia seine
psychische Situation noch entscheidend verschlechtert haben muß.
Nach dem Gespräch, etwa gegen 16.00 Uhr, machte der
begleitende Beamte der Strafanstalt beiläufig die Bemerkung, die
beiden Anstaltspfarrer hätten Gudrun Ensslin schon vor einigen
Tagen (?) ein Gespräch angeboten. Heute habe Frau Ensslin
eingewilligt, daß ein solches Gespräch stattfinden könne. Um die
Gesprächsatmosphäre nicht zu gefährden, habe ich während der
Anwesenheit Baaders keine Notizen gemacht, das meines Erachtens
Wesentliche habe ich während der Rückfahrt aus dem Gedächtnis
aufgeschrieben.
Auf Bitte der Beamten der Strafanstalt habe ich mich nach dem
Gespräch noch einige Minuten in der Nähe des Besucherzimmers
aufgehalten, falls ein weiterer Häftling einen Gesprächswunsch
äußern sollte. Dies geschah nicht; ich warf vor dem Weggehen vom
Vorraum aus noch einen kurzen Blick in den Zellentrakt, um den
sich die Zellen der BM-Häftlinge gruppieren. Die Zellen selbst
habe ich nicht besichtigt.
Nach meinem Eintreffen in der Haftanstalt hatte ich ein
kurzes informelles Gespräch mit dem Leiter der Haftanstalt. Nach
Beendigung des Gesprächs habe ich mich kurz von ihm
verabschiedet. Noch in der Haftanstalt wurde ich vom PR/ChBK
telefonisch gefragt, ob das Gespräch neue Informationen ergeben
habe. Ich habe dies verneint und darauf hingewiesen, ich würde
Staatssekretär Schüler alsbald nach meiner Rückkehr informieren.
Dies ist gegen 19.00 Uhr geschehen. 3. Der Inhalt des Gesprächs
Das Gespräch drehte sich über weite Strecken um die
politischen Ziele und Strategien der RAF in relativ allgemeiner
Form. Aus meiner Sicht ergaben sich keine neuen Informationen.
Die wesentlichen Aussagen lassen sich kurz zusammenfassen:
- Terrorismus im Sinne der jetzigen brutalen Aktionen gegen
unbeteiligte Zivilisten hätten sie, die Häftlinge, nie
gebilligt und billigten sie auch jetzt nicht. Die
Bundesregierung müsse sich klar darüber sein, daß die jetzige
2. und 3. Generation der RAF die Brutalität weiter verschärfen
werde. Die Palästinenser seien von den Ereignissen in Tel
Zataar geprägt und die Japaner übten zur Zeit ohnehin nur
brutalen Terror ohne eigentliches politisches Ziel aus. Es sei
Unsinn, daran zu glauben, sie hätten Aktionen aus den Zellen
heraus gesteuert.
- Den damaligen Anlaß für ihre eigenen Aktionen, die
deutsche Unterstützung der Amerikaner im Vietnamkrieg, sehe er
auch heute noch rückblickend als zwingenden
Grund für diese Aktionen an. Allerdings habe seine Gruppe auch
Fehler gemacht.
- Er warf die Frage auf — ohne näher darauf
einzugehen —, wem die vom Staat verschuldete Eskalation des
Terrors und der Brutalität nütze; vielleicht werde sie von
manchen sogar gewünscht. Sie werde jedenfalls eine breite
illegale Bewegung hervorrufen, die der RAF zur Macht verhelfe.
- Wären sie, die Häftlinge, schon früher
freigelassen worden, hätten sie mit Sicherheit die jetzige
brutale Entwicklung verhindern können. Jetzt sei es spät,
vielleicht zu spät; er glaube aber doch, daß ihr ideologischer
Einfluß auf die jetzigen Terroristen ausreiche, um sie von dem
falschen Weg abzubringen. Allerdings seien ihnen die jetzt
agierenden Leute kaum oder gar nicht persönlich bekannt.
- Nach ihrer Freilassung würden sie ihr
Zusage, in der Bundesrepublik Deutschland keine Anschläge mehr
zu verüben, selbstverständlich halten. Er betone
nachdrücklich, daß sie natürlich auch im Ausland keine
militärischen Aktionen, sondern nur zivile Operationen
durchführen würden; zum Beispiel sei es für sie sehr wichtig,
was im Zusammenhang mit den Auslieferungsverfahren Pohle in
Griechenland politisch gelaufen sei. So etwas verstehe er
unter einer zivilen Operation.
- Der Gedanke, daß Häftlinge in den
Strafanstalten sterben könnten, wurde von ihm eher beiläufig
erwähnt und gegenüber früheren Äußerungen, über die das
Bundeskriminalamt berichtet hat, in keiner Weise
konkretisiert.
- Ich wiederhole, daß seine gesamte
Argumentation fast ausschließlich auf den Gedanken einer
Freilassung fixiert war.
Ich habe mich weitestgehend rezeptiv
verhalten und zu dem Gespräch im wesentlichen durch kurze
ergänzende Fragen zu seinen Ausführungen beigetragen.
Abschließend versicherte ich ihm, ich würde
Staatssekretär Schüler noch heute über das Gespräch berichten.«
Quelle: Dokumentation zu den Ereignissen und
Entscheidungen im Zusammenhang mit der Entführung von Hanns
Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine Landshut, hrsg. v.
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, November 1977.