Kaum zu glauben!
Kritik der Religion


von Gruppe „Kritik im Handgemenge“ Bremen - www.junge-linke.de
 

10/06

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 „Der Mensch hat zwei Überzeugungen. Eine wenn’s ihm gut geht und eine, wenn’s ihm schlecht geht. Letztere heißt Religion“ (Kurt Tucholsky)

Religion ist der Glaube an übernatürliche Mächte. Diese sollen die Welt und die Menschen — wenn sie sie nicht sowieso gleich geschaffen haben — beherrschen und leiten. Sie greifen angeblich in das Weltgeschehen ein; und fast jede Religion verspricht bei entsprechendem Wohlverhalten wenn schon nicht Glück und Erfolg im Diesseits, zumindest ein besseres Leben nach dem Tode (Christentum, Islam, Judentum, Sikhs, Bahai), eine Wiedergeburt in der Luxusklasse (Hinduismus, Mormonen) oder aber doch wenigstens den Ausstieg aus dem Wiedergeburtskarussel (Buddhismus).

Entstanden ist Religion als Versuch des Menschen Natur zu beeinflussen. Magische Praktiken sollten den Menschen Jagdglück, richtiges Wetter für gute Ernten, Schutz vor Seuchen und Krankheiten, gesunden Nachwuchs usw. bringen. Und auch solche Dinge, die mit Natur nicht unbedingt zu tun haben, wie z.B. Kriegsglück. Die Verwandlung der unbegriffenen und unbeherrschten Naturmächte (Blitz, Donner, Wind, Regen, Sonne) in ansprechbare menschenähnliche Götter war — auf welche verrückte Art und Weise auch immer — eine Form, in der sich Menschen zu Herren der Natur erklärten.

Beeinflussung des (scheinbar) Unbeeinflussbaren

Heute sieht es mit dem Wissen über Naturzusammenhänge und ihre Beherrschbarkeit besser aus; wenn heute Abholzung für Überschwemmungen, Co²-Emissionen für Treibhauseffekte und AKW-Unfälle für Leukämie-Fälle sorgen, liegt das nicht am mangelnden Wissen. Der Religion hat dies bedauerlicherweise nicht geschadet. Ihre zentrale Attraktivität ist weiterhin die Beeinflussung des (scheinbar) Unbeeinflussbaren: Sei es gesellschaftlicher Verhältnisse, die das Individuum allein nicht ändern kann (Arbeitslosigkeit, Armut, gutes Abschneiden in der Konkurrenz), sei es von Dingen, die auch die vergesellschaftete Menschheit wohl nicht ganz wird abschaffen können: Liebeskummer, Krankheit, Tod. So kann jeder Pickel und jede 6 in der Französisch-Klausur als Gottes Strafe verstanden werden, umgekehrt das geglückte Date und das bestandene Abitur als Belohnung. Dies leistet die Religion durch die Subjektivierung des Objektiven: Statt einer schlecht eingerichteten, individuell nicht beherrschbaren Welt bietet sie Gottheiten an, die zumeist als Personen gedacht werden und Wille und Bewusstsein haben - zwar als übernatürliche, aber doch fühlende, zürnende, liebende und am Ende hoffentlich verzeihenden Wesenheiten. Die sehen und hören alles und lassen einen nie allein, und insoweit ist das religiöse Bewusstsein von Haus aus mit einem leichten bis mittelschweren Verfolgungswahn ausgestattet.

Sinnstiftung

Der Verfolgungswahn hat, wie jeder Psychologe weiß, durchaus seinen Reiz: Es gibt einem nämlich das Gefühl von Bedeutung und erfüllt die eigene Existenz mit Sinn. Religiöse Menschen berichten nicht umsonst vom Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, das ihnen ihr Glaube bietet. Und zwar auch bzw. vor allem, wenn’s schief läuft. Ausgesprochen tröstlich ist es für das normale Gemüt hinter allem und jedem einen höheren Sinn zu finden. Das eigene Leiden, woran auch immer, wird so geadelt, ihm wird eine Bedeutung verliehen - so kann man aus jeder Not noch mindestens den Profit ziehen, dass sie einen Demut lehrt oder den Glauben prüft. Denn die Gewissheit, die Allerobersten hätten sich ihren Teil dabei gedacht, als sie die Welt so äußerst unzureichend für die eigenen Bedürfnisse eingerichtet haben, wird eher nicht zum Aufstand gegen oder zur Empörung über die Götter führen. Schon gar nicht die verärgerte Nachfrage provozieren, was verdammt noch mal diese wohl nicht sonderlich freundlichen höheren Wesen sich gedacht haben, als sie die Welt so beschissen eingerichtet haben. Dies wäre eine Glaubenskrise. Vielmehr fordert Religion die Unterwerfung und sogar dankbaren Akzeptanz all dessen, was das religiöse Bewusstsein seinen Anbetungsobjekten als Ausfluss ihres unergründlichen Willens in die Schuhe schiebt.

Mittelpunkt der Welt

Das moderne religiöse Bewusstsein ist damit erstaunlich ich-bezogen — oder um es ausnahmsweise mal mit Freud auszudrücken: magisch. Es stellt das Denken und Handeln des einzelnen in den Mittelpunkt der Welt und macht alles zur Reaktion einer göttlichen Macht auf Tun, Nicht-Tun, Wünschen, Begehren usw. Das passt zur modernen kapitalistisch eingerichteten Welt ganz gut. In der soll sich ja jeder die Welt in eine Summe von Chancen und Möglichkeiten für sich übersetzen — also ignorieren, dass die Erwartungen von Staat und Kapital an den einzelnen gerade nicht dessen Lebensglück und Wohlergehen im Auge haben. Vielmehr soll sich der moderne Mensch einbilden, diese Welt sei für ihn, als Möglichkeit der Betätigung seiner Individualität geschaffen. All die Märkte auf denen er sich bewähren muss, soll er sich in lauter Angebote an ihn übersetzen. Für diese Selbsttäuschung, die beim guten funktionieren übrigen sehr hilfreich ist, braucht man nicht unbedingt Götter — aber eine sinnvolle Ergänzung und Überbrückung für all das, was man sich alles damit auflädt, sind diese Figuren allemal.

Der Rest der Welt wird häufig zu Material für göttliche Belohnung und Bestrafung des eigenen Selbst. Diese merkwürdig ohnmächtige Allmacht des eigenen Denkens ist übrigens von Anfang an ein Politikum: Weil es die Verbesserung des Verhältnisses zur Götterwelt für das Lebensmittel an sich hält, und eine eventuelle Veränderung der Welt gerade mal als Mittel zur Beeinflussung des/der Allerhöchsten taugt. Diese religiöse Aufrüstung mag individuell bleiben, oder sich als politische Bewegung organisieren.

Ich bete - du gibst Glück

Der Beeinflussung der Gottheit(en) dient das Einhalten bestimmter Vorschriften, die in der Regel nicht gerade den Lebensgenuss der Gläubigen fördern. Gebete, mit denen dem höheren Wesen die Ansinnen der Gläubigen mitgeteilt werden und Zeremonien der Verehrung und Anbetung, die dem/der zuständigen Himmelsfürsten/in den Respekt bezeugen, sind zumeist ein recht harmloser, wenn auch häufig nicht gerade aufregender Zeitvertreib. Dass es in Reaktion auf diese Langeweile immer wieder Bewegungen gibt, die die Rituale als Erlebnis inszenieren, ändert nichts daran, dass auch für diese Verzicht und Mangel wesentlicher Teil ihrer Botschaft ist. Doch dazu kommen in offener (Hinduismus, Shintoismus, Buddhismus, Katholizismus) oder versteckter (Protestantismus, Judentum, Islam) Form Opfer und Gelübde, die durch Verzicht Unterwerfung unter göttlichen Willen beweisen. Neben diesen blöden Verzichtserklärungen kommen noch die widerlichen Selbstgeißelungen und -bestrafungen, die sich religiös Durchgetickte selber auferlegen — ohne sich schon wieder zu fragen, was das wohl für Götter sind, die solchen Scheiß von ihren Anhängern erwarten. Auch bei der Selbstgeißelung können Leute wiederum Lust empfinden, Zweck der Sache ist es sicher nicht.
Hinter all diesen Versuchen, die Gottheit zu beeinflussen steckt die Hoffnung auf einen Tauschhandel „Wohlverhalten gegen Erfolg“. Was bei den alten heidnischen Göttern noch recht praktisch mit Schaf, Schwein und Kuh war, ist heute viel subtiler und individueller, aber nichtsdestotrotz eine Grundlage des modernen Glaubens. Die Gelehrten der Gottes“wissenschaft“ Theologie haben durch alle Zeiten gegen solche Vorstellungen gewettert. Ansprüche an Götter stellen ist nämlich nicht sehr demütig und schon darum recht verdächtig. Zudem könnte der Elchtest der Praxis ja auch Zweifel wecken, ob denn die höheren Mächte tatsächlich existieren.

Also tröstet sich die fromme Selbstunterwerfung mit dem Versuch, sich das Wohlwollen der Himmelsfürsten durch Demut, Glauben und Verzicht zu verdienen, immer in dem kläglichen Bewusstsein, dass das ein unsicheres Geschäft ist und man seinen Herrn und Gott ja auch nicht versuchen soll.

Unterwerfung als Programm: Erstmal sich selbst...

Damit ist Religion, so liebenswert manche Rituale sein mögen, eine Gesinnung des Sich-Andienens und im Grundzug höchst konservativ: Statt die Welt zu verändern, wird durch Unterwerfung unter ihren Einrichter qua Selbstbesch(n)eidung versucht, das Beste für sich herauszuholen. Eine Sünde kennt jede Religion, selbst die sonst recht sinnenfreudigen heidnischen Kulte: Die Hybris, d.h. die Selbstüberschätzung des Menschen als Auflehnung gegen den/ die da oben. Die zweite Sünde ist der Materialismus, d.h. das Interesse, die diesseitigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und den Himmel den Tauben und Spatzen zu überlassen. Sinnlicher Genuss, sei es leckeres Essen, erfreuliche Getränke oder guter Sex ist die Sache der Männer (und Frauen) Gottes zumeist nicht. Wenn sie nicht gleich „Völlerei“ und „Wollust“ zu Todsünden erklären (Christentum), so haben sie doch gleich einen ganzen Katalog von Vorschriften, den Spaß aus dem Leben auszutreiben (Judentum, Islam), oder sind von vornherein eine einzige Verzichts- und Leidenspredigt (Buddhismus). Selbst die wenigen heute noch praktizierten Religionen, die den Spaß am Sex nicht per se verdammen (z.B. Hinduismus), was nicht allzuviele sind (zumeist die polytheistischen), lassen ihn dann v.a. als einen Weg zur Gottheit zu. Das „Ich“ des religiösen Menschen setzt sich eben gerade durch seine Unterwerfung als Mittelpunkt der Welt ein.

...und dann auch noch die anderen!

Nun könnte ein religiöses Gemüt ja fröhlich seinem Wahn fröhnen und den Rest der Welt in Ruhe lassen. Gehässig wie Gläubige zumeist sind, könnten sie uns verstockten Materialisten das Höllenfeuer bzw. die Wiedergeburt als Regenwurm von Herzen gönnen.
Ärgerlicherweise aber sind die Götter allesamt heiß auf Verehrung durch ihre Geschöpfe. Darum macht man sich bei ihnen durch die Anwerbung neuer Anhänger auf jeden Fall beliebt. (Was es einer höheren Macht nun bringen soll, sich dauernd das nicht sonderlich gescheite Geplapper seiner Verehrer anzuhören, muss so unklar bleiben, wie die Frage, warum die Himmelsfürsten einen nicht gleich einfach ins Paradies lassen, ohne Willensfreiheit, Sünde, Teufel usw. Wer nicht nur so solche Fragen stellt, sondern auch Antworten haben will, der verlässt ab einen bestimmten Punkt den Bereich des religösen Denkens, weil er nicht bloß glauben, sondern wissen will.). Hat die Religion dazu noch Aufträge wie Nächstenliebe, muss schon zum Besten der armen Heiden die göttliche Wahrheit verkündet werden. Will wer die schöne Lehre nicht einsehen oder hat das heilige Buch das göttliche Gebot des Djihad (Kampf für Gott, sowohl mit sich selbst, als auch gegen die Ungläubigen), ist die Sache mit der Mission — notfalls mit Feuer und Schwert — eh geritzt.
Aber selbst Religionen wie der Buddhismus, die von ihrer Lehre her keinen Raum für gewaltsame Missionierung lassen, haben es zu veritablen Feldzügen im Namen der göttlichen Wahrheit gebracht. Wer das kapieren will, soll nicht in heiligen Büchern nachlesen, sondern sich fragen, zu welchen verfolgten Zwecken die interessierte Lesart der heiligen Überlieferungen wohl warum ganz gut gepasst hat — und auch heute noch passt.

Dass das so gut geht, hat mit dem „übernatürlichen Charakter“ der Verkündigung zu tun. Götter melden sich nämlich nicht — sonst würden wir uns das mit der Religionskritik auch lieber noch mal überlegen — und es gibt darum auch keine „Beweise“, dass diese oder jene Interpretation der geoffenbarten Texte richtig oder falsch ist. Darum kann man sich immer trefflich darüber streiten, was denn nun der Wille der Gottheit ist, dem es zu genügen gilt. Koran und Bibel sind als Gemeinschaftsprodukte und 30 bis 70 Jahre nach dem Abnippeln des Religionsstifters — falls es Jesus als historische Figur tatsächlich gegeben hat — entstanden. Sie sind zudem auch noch schön widersprüchlich: So ist für alle was dabei. Die Begründungen für einige der Ver- und Gebote, die gerade zu das Kennzeichen für die Religionen geworden sind, sind oft atemberaubende Überinterpretationen des jeweiligen Buchs (Milchiges und Fleischiges im Judentum, Alkoholverbot und Schleiergebot im Islam), teilweise stehen sie im Widerspruch zum Text (christliche Missachtung der jüdischen Speise- und Kleidegebote) usw. Fundamentalisten suchen sich ganz bestimmte Sachen in den Heiligen Schriften aus und deuten sie jeweils in der schlimmsten und menschenfeindlichsten Weise. Im Koran steht weder direkt etwas über Amerika noch über den Kapitalismus noch über Selbstmordattentate; über Juden und Christen hat der Prophet Unterschiedliches zu vermelden gewusst. Wie man mit „Liebe deinen Nächsten“ Waffen segnen oder Schilder „God hates Fags“ hochhalten kann — man sollte die entsprechenden religiösen Gemüter das lieber nicht fragen. Denn dann hat man den Boden der rationalen Argumentation bereits verlassen und streitet sich über die korrekte Auslegung göttlicher Gebote. Und das sollte man den Gläubigen überlassen.

Fundamentalismus und Neugründungen

Erneuerungsbewegungen jeglicher Art sind im Wesen der Religion schon fast vorprogrammiert. Die Lebensumstände in einer Welt voll Herrschaft und Götterglauben sind immer beschissen genug, um auf göttliche Abhilfe zu sinnen und die allerobersten Mächte durch ‘Rückkehr’ zum wahren Glauben zu versöhnen. ‘Fundamentalismus’ behauptet dabei zumeist Wiederherstellung der Einheit von Gottes Wort und den Handlungen der Gläubigen. Die „Wiederherstellung“ ist immer eine fette Lüge über die Vergangenheit. Das ist eine übliche konservative Masche: Es wird jeweils das eigene Ideal in eine glorreiche Vergangenheit projiziert, und die Rückkehr zu den traditionellen Werten als Heilung aller Gegenwartsproblem verkauft.
Jede Religion hat sich zudem auch noch mit Abspaltungen herumzuschlagen, die sich teilweise sehr weit von der Ausgangsreligion entfernen (so z.B. das Christentum vom Judentum). Auch das ist im Wesen der Religion angelegt. Das religiöse Bewusstsein geht, wenn es Stimmen hört, nicht zum Psychiater, sondern gründet — wenn es nicht anfängt Mitmenschen abzumurksen oder andere unerfreuliche Sachen zu machen — als Nachfolger des Propheten und Mahdi, neuer Christus, richtiger Messias oder wiedergeborener Buddha eine neue Sekte (Protestanten, Chassidim, Schiiten, Aleviten) oder gleich eine neue Religion (Sikhs, Bahai, Mormonen); manche Religionstiftungen fanden und finden jedoch auch ohne Visionen statt. Dass und wo sich solche religiösen Neugründungen ausbreiten, hat häufig mit der Lehre zu tun, die besser zu veränderten gesellschaftlichen Umständen passt (z.B. Protestantismus zu Beginn der kapitalistischen Entwicklung). Häufig hat es aber auch mit Gewalt zu tun — welcher Teil der Welt heute christlich, islamisch, buddhistisch und hinduistisch ist, ist nicht durch ein paar fetzige Diskussionen von Theologen entschieden worden, wonach dann per Urabstimmung, sich alle ihren Götterglauben aussuchen konnten. Heute gehört die jeweilige Religion immer auch zur „nationalen Kultur“ — und also ruft es Nationalisten auf den Plan, wenn allzu viele Bürger plötzlich andere Götter anbeten wollen, als bislang im Vaterlande üblich.

Religion als Moralressource für Herrschaft und Protest

Privateigentum („Du sollst nicht stehlen!“) und herrschaftliche Verfügungsgewalt von Männern über Frauen und Kinder sind in den Tugendkatalogen fast aller bestehenden Religionen unterstellt. Armut und Mangel sollen nicht etwa abgeschafft werden, sondern werden im Gegenteil verherrlicht und/oder moralisch abgefedert. Unzufriedenheit mit dem eigenen Los ist da eher Ausdruck fehlender Demut, denn irgendwas werden sich die Götter schon dabei gedacht haben. Warum sich Leute wechselseitig an den Kragen wollen, fragt die Religion nicht, sondern verbietet es mit drohenden Strafen im Jenseits. Für alles, was Leute an den Verhältnissen im Diesseits stört und was mal gerade nicht der „göttliche Plan“ ist, wird menschliches, unmoralisches Fehlverhalten verantwortlich gemacht. Kein Wunder, dass die Herrschenden in vorbürgerlichen Zeiten — als es sie als „Herrschende“ noch so richtig gab — die verschiedenen Götterglauben, selbst wenn sie sie nicht teilten, sehr nützlich fanden.

Der religiöse Mensch darf also Kritik am Diesseits haben. Er darf nämlich das ultimative Angebot, das die Religion für das menschliche Zusammenleben parat hat, annehmen: Gerechtigkeit als Maßstab an das Handeln seiner Mitmenschen anlegen. (Bei den Göttern lässt er dies besser). Abstrakter Moralismus ist der Grundzug des religiösen Denkens: Das heißt man trennt sich von jedem positiven Bezug auf menschliche Bedürfnisse konsequent und denkt nur noch in den Kategorien „Wenn das alle machen würden“, „Hauptsache ehrlich!“, „Man muss auch mal verzichten können“ usw . Entsprechend selbstgerecht und hartherzig sind religiöse Moralisten, wenn sie ihre Mitmenschen „bessern“ wollen. Und wechselseitig kreiden sich solche Figuren gerne den Mangel an Demut an, den sie beim anderen immer dann feststellen, wenn der sich ein Urteil erlaubt, das doch nur einem selbst zusteht.

Trotz der Grundüberzeugung, dass die Gottheit(en) schon jeden auf den Platz gestellt haben, wo er/sie hingehört, beruft sich auch sozialer Protest auf göttlichen Willen. Manchmal schließen sich die Diener Gottes dem Aufmucken der Diener der irdischen Gewalten sogar an oder empfinden zumindest Sympathien. Mitb Religion lässt sich eben so einiges machen, weil die hochverehrten übernatürlichen WeltenlenkerInnen so selten direkt Anweisungen geben. Das Aufbegehren, das sich heute (Den Bauernkrieg u.ä. lassen wir mal beiseite; bis zur amerikanischen und französischen Revolution drückte sich jedes politische Anliegen religiös aus und auch die beiden wussten den „Schöpfer“ und sein Naturrecht bzw. das „höchste Wesen“ irgendwie auf ihrer Seite. ) mit dem lieben Gott verbündet, protestiert gegen unmoralische (und falschgläubige oder den Glauben verfälschende) Herrschaft, fordert Gerechtigkeit und Moral ein. Sie will gar nicht einem vernünftigen, sondern einem ziemlich irrationalen Maßstab genügen. Auch eine „Theologie der Befreiung“ ist nur das Einfordern von Gerechtigkeit und Würde für Gottes dienstbare Knechte. Den Anspruch auf Land, Brot und Milch aus der Bibel abzuleiten, mag ja sympathischer sein, als Anschläge auf Abtreibungskliniken zu verüben — ein Programm der vernünftigen Bedürfnisbefriedigung ist es nicht, und hat in seiner Begründung mehr mit den Taliban als mit dem Kampf für eine Welt ohne Herrschaft und Mangel zu tun.

Buddha, Jesus und Mohammed sind keine Genossen!

Religion steht eben feindselig zu einer vernünftigen Einrichtung der Welt, zur Ermittlung der Bedürfnisse der Menschen und Anstrengungen, und zum Versuch diese planvoll zu befriedigen. Wenn alles Gottes Wille ist oder sein kann, dessen Ratschluss ja sowieso unerschließlich ist und in dessen Wille man sich zu ergeben hat, dann sind einer vernünftigen Analyse Grenzen gesetzt. Und weil alles so seinen Sinn hat, und sei es als Prüfung des Glaubens, wird eben jeder Scheiß mit einer höheren Weihe versehen, letztendlich gerechtfertigt und ein moralischer Schluss daraus gezogen: AIDS, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit usw. Nicht bloß die institutionalisierte Religion, sondern Religion überhaupt ist das Problem, nicht die „Verfälschung“ der Lehre durch die Pfaffen, sondern die Lehre überhaupt. Buddha, Jesus und Mohammed sind keine Genossen. Und sie werden’s auch nicht mehr.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns den AutorInnen am 15.10.06 überlassen.