Könnt ihr euch kurz
vorstellen. Wer seid ihr und was macht ihr? Was ist die
U.S.I.?
Wir sind Arbeiterinnen und Arbeiter aus
verschiedenen Krankenhäusern in Mailand und Umgebung. Wir
haben alle verschiedene Erfahrungen hinter uns, die sich
durch Agitationskollektive ab Mitte der 70er Jahre im Inneren der
einzelnen Kliniken entwickelten. Schliesslich haben wir uns 1991 der
Unione Sindacale Italiana, einer Gewerkschaft mit libertären Prinzipien,
angeschlossen.
Die U.S.I. wurde 1912 in Modena gegründet, in
der Zeit des Faschismus aufgelöst und in den 50er Jahren
reorganisiert. Heute ist sie ein Gewerkschaftsbund auf
nationaler Ebene, der sowohl im öffentlichen Dienst – mit
einer Vielzahl von Branchengewerkschaften – als auch im privaten
Sektor präsent ist. 1992 wurde von den KlinikarbeiterInnen der U.S.I. die
Gründung der Pflegegewerkschaft U.S.I.S. als Gewerkschaft auf nationaler
Ebene beschlossen. Im Moment gibt es ca. 1.500 Arbeiterinnen und
Arbeiter, die in privaten oder öffentlichen
Pflegeeinrichtungen angestellt sind und sich in der
U.S.I.S. organisieren; von ihnen sind ungefähr 1.000 in
Kliniken in Mailand und Umgebung angestellt (San Carlo, San Paolo,
Polyklinikum, San Gerardo di Momza, etc.). Intern
ist die U.S.I.S. in selbstverwalteten Gewerkschaften auf
Betriebsebene organisiert. Im Gegensatz zu den Berufsgewerkschaften sind
unsere Repräsentanten stets von den Arbeiterinnen und Arbeitern, die
direkt auf den Versammlungen entscheiden – von lokaler bis hin zu
nationaler Ebene - , abwählbar. Die Entscheidung,
uns als selbstverwaltete Gewerkschaften auf betrieblicher
Ebene zu organisieren, ermöglicht jeder Gewerkschaft in
ihren gewerkschaftlich-politischen Entscheidungen unabhängig zu sein und
direkt mittels ihrer eigenen Vertreter am betrieblichen Verhandlungstisch
zu sitzen.
Darüberhinaus hat diese Entscheidung es den
selbstverwalteten Gewerkschaften auf Betriebsebene
ermöglicht, zahlenmässig zu wachsen und sämtliche
gewerkschaftlichen Rechte zu nutzen. Dies ist ein
Organisationsbeispiel für alle Arbeiterinnen und Arbeiter, die nicht in
den großen, reformistischen Gewerkschaften (C.G.I.L., C.I.S.L., U.I.L.),
den sogenannten „konföderalen Gewerkschaften", organisiert sind.
All das war auch möglich, weil die damalige
Gesetzgebung die Gründung sogenannter Rappresentanze
sindacali aziendali (die in der Tradition der alter
Fabrikräte stehen) – jeder registrierten und auf nationaler Ebene
aktiven gewerkschaftlichen Organisation – zugestand.
Genau wie in Deutschland,
so gibt es auch in Italien gerade radikale Reformen des
Arbeitsmarktes und Sozialwesens: was für uns die
Hartz-Gesetze sind, ist für euch die Legge Biagi. Könnt ihr ein paar Sätze
dazu sagen?
Das Biagi-Gesetz verkörpert die Tendenz, den
Unternehmern die Fesseln eines Arbeitsverhältnisses zu
lockern, und zwar durch Instrumente wie z.B. die
Einführung neuer Arten von Arbeitsverträgen ( Arbeit nur für die Dauer
eines bestimmten Projektes, Leiharbeit, Jobsharing, etc.), die immer mehr
die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit fördern. Diese Tendenz
zeichnete sich jedoch schon unter der vorherigen, eher progressiven
Regierung ab.
Wie wirkt sich das Ganze auf den
Pflegebereich aus?
Innerhalb der öffentlichen Krankenversorgung
werden wir schon seit der vorherigen Legislaturperiode
Zeugen einer immer stärker werdenden Privatisierung
sowohl der Pflegeleistungen als auch der Arbeit; wodurch
schliesslich die öffentliche Krankenversorgung abgebaut wird. Es wird dazu
tendiert, die Bevölkerung dazu zu bewegen, auf private Versicherungen
zurückzugreifen, um sich den Zugang zu Pflegeleistungen zu ermöglichen,
von denen viele nur von Privatkliniken und zu sehr hohen Preisen
angeboten werden. Eine andere Tendenz ist die starke
Kostenreduzierung, die sich in Kürzungen von Personal,
Materialien und Fonds, die für die Erneuerung veralteter
Strukturen benötigt werden, überträgt.
Als „antagonistische" Gewerkschaft stellen
wir uns der Liberalisierung der Pflegeleistungen
entgegen, indem wir hauptsächlich Gegeninformation
betreiben; aber auch, indem wir uns für Streiks auf nationaler Ebene
einsetzen – manchmal auch zusammen mit anderen Basisgewerkschaften.
In den vergangenen sechs Jahren haben wir zwei landesweite Streiks
ausgerufen, allesamt gegen die liberale Politik der Regierung.
Im Dezember 2003 kam es zu einem wilden
Streik bei den Mailänder Verkehrsbetrieben. Was war,
eurer Meinung nach, das Besondere an diesem Streik?
Das besondere an diesem Streik war, dass es
sich, verglichen mit den zahlreichen anderen Streiks, die
C.G.I.L., C.I.S.L. und U.I.L. zur Erneuerung des
landesweiten Tarifvertrags für den öffentlichen Nahverkehr
ausriefen, um einen spontanen Streik handelte, der von der Basis der
Arbeiterinnen und Arbeiter beschlossen wurde, ohne die rigiden Regeln,
die das Gesetz für den Streik im öffentlichen Dienst
vorsieht, zu befolgen. Als die starke Beteiligung auf
nationaler Ebene deutlich wurde, haben die „konföderalen
Gewerkschaften" versucht, sich diese spontane Initiative
auf politischer Ebene zu eigen zu machen und haben mit dem Staat einen
Vertrag mit vielen Zugeständnissen abgeschlossen – der weniger als die
Hälfte der geforderten Lohnerhöhung beinhaltete. Die Außenseiterrolle von
C.G.I.L., C.I.S.L. und U.I.L. wurde dadurch bestätigt, dass die
Arbeiterinnen und Arbeiter den abgeschlossenen Vertrag in Frage stellten,
da sie sich durch die daraus resultierende Blockade des Streiks und den
Führungsanspruch der „Konföderalen" abgezockt fühlten.
Als U.S.I.S. haben wir dieser Initiative unsere Solidarität ausgedrückt,
da sie die bürokratischen Schlingen des Streikrechts zerschlagen und die
„pseudo-antagonistische" Rolle, die C.G.I.L., C.I.S.L., U.I.L. in den
letzten Jahren angenommen haben, in Frage gestellt hat.
Die deutsche „Linke" blickt immer wieder
recht neidisch auf Länder wie Italien, in denen es ja
offensichtlich einiges mehr an Widerstand gibt als
hierzulande. Wie sehen eure Beziehungen zur „Bewegung" und, insbesondere,
zu den so bekannten „Centri Sociali" aus?
Bereits vor der Gründung der U.S.I.S. haben
viele von uns an der Besetzung soziale Räume teilgenommen
und somit einer sozialen Praxis des städtischen Protestes
seitens derer, die im sozio-ökonomischen Gefüge Mailands
ihre Arbeitskraft verkaufen, ins Leben geholfen. So versammelte
sich z.B. das Kollektiv der libertären Klinikarbeiter, die später
zusammen mit vielen anderen Gruppen der ganzen Gegend die
U.S.I.S. ins Leben riefen, im sozialen Raum des Centro
Sociale in der via Conchetta 18. Gegen Ende der 80er
Jahre haben wir den 3. Stock des Gebäudes in der Viale
Bligny in Mailand, der jetzt unser Gewerkschaftslokal ist, besetzt. Es
befindet sich in kommunalem Besitz und stand seit Jahren leer. Jetzt ist
es der privaten Universität Bocconi in Mailand, Ausbildungsstätte des
Mailänder und des italienischen Managements, zugesprochen worden. Seit
mehr als zehn Jahren kämpfen wir schon gegen die Kommune und die
Universität Bocconi, gegen diesen Plan der privaten Bauexpansion indem
wir Veranstaltungen gegen Baupekulation organisieren und
die Widerstandskomitees, die sich in dieser Zone gegen
die Spekulationspolitik der Stadt Mailand gegründet
haben, unterstützen.
Wann und wie sind die Basisgewerkschaften,
die es so in Deutschland nicht gibt, entstanden, und wie
sieht eurer Verhältnis zu den anderen italienischen
Gewerkschaften aus?
Bis Ende der 70er Jahre gab es nur die „konföderalen
Gewerkschaften", die in den Betrieben in den sogenannten
Delegiertenräten, die nicht immer mit der Politik der „konföderalen
Gewerkschaften" einverstanden waren, vertreten wurden.
Außerdem beteiligten sich auch viele Arbeiterinnen und
Arbeiter, die oftmals mit C.G.I.L., C.I.S.L., U.I.L. unzufrieden waren, an
den Räten.
In den darauffolgenden Jahren gab die
Ausbreitung des bewaffneten Kampfes den „konföderalen
Gewerkschaften" die Möglichkeit, diese Tendenz einer
anderen Art, gewerkschaftliche Arbeit zu machen – die für C.G.I.L.,
C.I.S.L., U.I.L. eine Bedrohung ihres Einflusses bedeutete – zu
unterdrücken.
Die Basisgewerkschaften entstanden gegen Ende
der 80er Jahre, nach dieser Periode harter Repression,
als das Bedürfnis verspürt wurde, unabhängige
Gewerkschaften zu gründen und es die passenden Rahmenbedingungen dafür
gab. Viele von ihnen sind aus autonomen Arbeitergruppen, vor allem im
öffentlichen Dienst, entstanden. Die Vielzahl dieser antagonistischen
Gewerkschaften im Gegensatz zu den „konföderalen Gewerkschaften"
reflektierte die unterschiedlichen politischen Überzeugungen der
Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in ihnen organisierten. Diese
Unterschiede und Spaltungen gibt es auch heute noch, deshalb ist es
schwer, längere und einheitliche Kämpfe zu führen. Manchmal gibt es
gemeinsame Initiativen und einzelne Kämpfe, in denen unsere Forderungen
sich überschneiden. Das, was die U.S.I.S. am meisten von anderen
Basisgewerkschaften unterscheidet, ist die Selbstverwaltung der
gewerkschaftlichen Aktivitäten, die wir in den einzelnen Kliniken
verwirklichen.
Am 12. März gab es einen erneuten
Generalstreik der U.S.I.. Worum ging es dabei?
Die Forderungen dieses Streiks waren sehr
breit gefächert, da sie viele Aspekte des Arbeitsmarktes
und des Sozialwesens berühren, die von der Regierung in
ein Licht der immer stärker werdenden Flexibilisierung und
Prekarisierung der Arbeitswelt und des Abbaus der öffentlichen
Krankenversorgung gerückt werden. So sind wir z.B. gegen die
Rentenreform, die versucht, das Rentenalter hochzusetzen
und die finanzielle Unterstützung zu kürzen und so die
Arbeiterinnen und Arbeiter dazu zwingt, Teile des Lohns
und der Abfindungen bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses in private Vorsorgen zu investieren, die einzig und
allein als Instrumente der Finanzspekulation dienen. Das
Gesundheitswesen, wo wir arbeiten, ist eines der
offensichtlichsten Beispiele für die Angriffe auf die
sozialen Rechte und die gewerkschaftlichen Rechte seitens
der Regierung: Kürzung der Mittel, Kürzung des Personals, Externalisierung
der Arbeit an Unternehmen, die NiedriglohnarbeiterInnen herumkommandieren
und, nicht zuletzt, die starken Einschnitte im Streikrecht. Das ist der
Kontext, in dem wir uns bewegen und gegen den wir die Arbeiterinnen und
Arbeiter mit dem Streik vom12. März mobilisiert haben. Es war ein Streik
auf nationaler Ebene, an dem viele Leute teilgenommen haben (auch wenn
die zeitliche Nähe zum Streik der „konföderalen
Gewerkschaften" die Teilnahme anderer Basisgewerkschaften
verhindert hat) und den wir zusammen mit der CUB, einer
anderen Basisgewerkschaft, ausgerufen haben.