Algerien: Plebiszit für Bouteflika?
Politischer Kommentar nach der Abstimmungsfarce vom 29. September 2005

von
Bernhard Schmid
10/05

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Jesus war nicht dabei, und dennoch ereignete sich „ein Wunder“. Die wundersame Wählervermehrung, die das algerische Referendum über die „nationale Versöhnung“ vom 29. September 2005 prägte, lässt sich auch an den offiziellen Zahlen ablesen, die zu verschiedenen Zeitpunkten herausgegeben wurden. Noch am Nachmittag sprach die Nachrichtenagentur AFP von einer geringen Beteiligung, bevor sie sich am folgenden Tag der Version der algerischen Behörden anschloss: Ihr zufolge betrug die Wahlbeteiligung angeblich 79,8 Prozent, bei einem Anteil der Ja-Stimmen von 97,4 Prozent. So viele der gut 18 Millionen Wahlberechtigten sollen für das von Präsident Abdelaziz Bouteflika (oder Boutefliqa, wie die richtigere, aber weniger verbreitete Transkription aus dem Arabischen lautet) vorgelegte Vorhaben der „nationalen Aussöhnung“ gestimmt haben.

Dabei hatte der amtierende Innenminister Yazid Zerhouni selbst zunächst betont, in der Hauptstadt Algier sei ein landesweiter „Rekord“ mit angeblich 71,8 Prozent Beteiligung aufgestellt worden. Zwar fand auch dieses „Rekordergebnis“ schnell seine Zweifler, da die Wahllokale eher gähnend leer schienen und selbst bei vergangenen Wahlen mit hoher Beteiligung (wie der Präsidentenwahl vom April 2004, mit 47 Prozent Beteiligung in Algier) die Teilnahme in der Hauptstadt nicht die 50 Prozent überschritten hatte. Vor allem aber widerspricht es der übrigen offiziellen Darstellung: Wenn angebliche 71,8 Prozent in einer Stadt einen „Rekord“ darstellten, ist es schwer zu glauben, dass (hinterher) die landesweite Beteiligung bet fast 80 Prozent liegen soll...

In Frankreich, wo rund 800.000 Algerier auf den Wählerlisten eingeschrieben sind, scheint vorwiegend eine Minderheit älterer BürgerInnen des nordafrikanischen Staats abgestimmt zu haben.


Lieber Boykott als Nein-Stimmen...

In Frage gestellt wird kaum der Anteil der Ja-Stimmen am Gesamtergebnis der abgegebenen Stimmen, wohl aber die angebliche Höhe der Beteiligung am Referendum. Denn niemand hatte eine ernsthafte Kampagne dafür betrieben, ein Bulletin mit der Aufschrift „Non“ in die Urnen zu legen. Viele Einwohner Algeriens hatten auch – begründete oder unbegründete – Angst, ihr Stimmverhalten könne transparent gemacht werden. Genau wie in Frankreich wählt man in Algerien nicht, indem man auf einem Einheitsblatt eine von mehreren Möglichkeiten ankreuzt, sondern indem eines von mehreren bereit liegenden Bulletins auswählt. Die übrigen Wahlzettel wirft man in der Kabine in einen Papierkorb. Der Stimmzettel für das Ja war hellblau, der für das Nein dunkler Farbe. Viele Menschen hatten Angst, dass der Umschlag, der das Wahlgeheimnis bewahren soll, dennoch erkennen lasse, ob sein Inhalt hell oder dunkel sei. Im übrigen scheinen vielerorts Wähler schief angeguckt worden zu sein, schon wenn sie beide Bulletins und nicht nur den „Ja“-Zettel mit in die Wahlkabine nahmen.

Deswegen hatte es keine ernstzunehmende Kampagne für das „Nein“-Stimmen gegeben, wohl aber eine Reihe von Aufrufen für den Boykott der Abstimmung. Zum Referendumsboykott riefen etwa die kleine ex-kommunistische Gruppierung MDS („Soziale und demokratische Bewegung“) und die undogmatisch-trotzkistische „Sozialistische Arbeiterpartei“ PST auf. Aber auch die beiden bürgerlichen Regionalparteien der Kabylei (berbersprachige Region östlich von Algier) riefen zum Boykott auf: der RCD (eher liberal und Sammelbecken der frankophonen Mittelschichten) und der FFS (eine historische Berberpartei, doch heute de facto ein Ableger der europäischen Sozialdemokratie, dessen Chef Hocine Aït Ahmed in der Schweiz und nicht in Algerien lebt). Es ist eines der ersten Male überhaupt, dass der RCD und der FFS zu einem identischen Stimmverhalten aufriefen, da beide Parteien in der Vergangenheit entgegengesetzte Strategien verfolgt hatten (im Bürgerkrieg hatte der RCD die Armee unterstützt, der FFS war jedoch ein strategisches Bündnis mit der verbotenen „Islamischen Rettungsfront“ eingegangen).


Exkurs: Zur Situation in der „Ausnahmeregion“ Kabylei

Dabei folgten die beiden kabylischen Regionalparteien jedoch vor allem auch der allgemeinen Stimmung in den berbersprachigen Gebieten, wo niemand „dem Präsidenten Bouteflika ein Plebiszit zwecks Legitimation seiner Herrschaft gönnen“ wollte. Am 14. November 2005 werden die Parlaments- und Kommunalparlamentssitze in der Kabylei neu besetzt, da die Regierung unter Ahmed Ouyahia im Sommer einer alten Forderung der ehemaligen Protestbewegung von 2001 ff. stattgegeben hatte: Die (nationalen und kommunalen) Wahlen, die 2002 in der Kabylei abgehalten wurden, seien als illegitim zu betrachten, da sie in einem Klima allgemeinen Boykotts abgehalten wurden. Im Sommer wurden deshalb die „auf illegitime Weise gewählten“ Abgeordneten und Kommunalvertreter entlassen. Dabei handelte es sich um einen Versuch der Regierung, den „sozialen Frieden“ in der Kabylei einzukaufen.

Zu diesem Zweck ging die Regierung selbst Verhandlungspartner hervorholen - die Überreste des traditionalistisch ausgerichteten Teils der kabylischen Dorf- oder Stadtteilkomitees („Aarouch“) unter ihrer Galionsfigur Belaïd Abrika, der während der Unruhen von 2001 zu regionaler Berühmtheit gelangte -, die längst nur noch sich selbst vertreten und denen jede reale soziale Basis seit mindestens drei Jahren weggebrochen ist. Die Ausschreibung der Neuwahlen in der Kabylei ist also nicht der Erfolg des offensiven Drucks einer aktiven Protestbewegung, sondern Ausdrucks des höchst eigenen Vorhabens der Regierung unter Premierminister Ahmed Ouyahia, einen „latenten Herd der Instabilität“ stillzulegen. Dabei versprach Ouyahia seinen Gesprächspartnern sogar, die Berbersprache Tamazight nunmehr auch offiziell als (in der Verfassung erwähnte) Amtssprache anzuerkennen – wurde damit jedoch durch Präsident Bouteflika/Boutefliqa zurückgepfiffen, der in der Woche vor der Abstimmung im ostalgerischen, arabischsprachigen Constantine vor den johlenden Teilnehmern einer Massenkundgebung ausrief: „Niemals wird Tamazight Verfassungsrang haben!“ Die Gründe für diese widersprüchlichen Signale von Premierminister Ouyahia und Präsident Boutefliqa könnten in ihren je eigenen persönlichen Ambitionen liegen (Ouyahia sähe sich gern als präsidialen Nachfolger von Abdelaziz Boutefliqa, und würde sich gern – selbst kabylischer Herkunft – eine politische Hausmacht auch in der Kabylei aufbauen). Oder auch schlicht darin, dass Ouyahia aus Sicht der islamo-nationalistischen Fraktionen im Staatsapparat mit seinen Zugeständnissen an die Berber zu weit gegangen ist und deshalb „korrigiert“ werden musste. Eventuell mag auch eine Rolle spielen, dass Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika persönlich während des Abstimmungswahlkampfs in der Kabylei attackiert worden ist und eine Veranstaltung fast fluchtartig vorzeitig verlassen musste: Mitte September hatte er sich an der Universität im kabylischen Tizi-Ouzou vor pfeifenden und protestierenden Teilnehmern wiedergefunden, unter ihnen mehrere hundert Personen, die mit Steinen auf den Präsidenten und seine Sicherheitsleute warfen...

Seien die Gründe für die Abhaltung dieser Sonderwahlen in der Kabylei, was sie seien; Eine der Konsequenzen daraus ist jedoch, dass die kabylischen Parteien auf die Stimmung in dieser Region Rücksicht nehmen müssen: Der Wahlkampf in der Kabylei wurde am 3. Oktober eröffnet, also wenige Tage nach dem Referendum (was durchaus beabsichtigt war, damit die Energien der kabylischen Parteien vor allem auf den Wahlkampf, statt auf das Referendum bzw. seinen Boykott konzentriert sein würden - so lautete das Kalkül). Deshalb konnten beide kabylische Parteien kaum anders, als sich der verbreiteten Ablehnung des Referendums-Plebiszits anzuschließen.

Auch nach offiziellen Zahlen blieb die Beteiligung in der Kabylei weit hinter jener in anderen Landesteilen zurück. Zunächst wurde, am Abend des Abstimmungstages, die Teilnahme in den beiden Hauptbezirken der berbersprachigen Region mit 9 Prozent (im Bezirk Tizi-Ouzou) und 7 Prozent (Béjaïa) angegeben. Am folgenden Tag wurde die Abstimmungsbeteiligung für die gesamte Kabylei mit offiziell 11 Prozent angegeben. BeobachterInnen sind der Auffassung, dass auch diese Angaben noch weit übertrieben seien (weil die reale Teilnahme näher bei Null gelegen habe) – dass aber der Abstand zu anderen Landesteilen bei weitem nicht so groß sei, wie es den offiziellen Angaben zu entnehmen ist. Denn auch anderswo in Algerien wurde das von Präsident Bouteflika anberaumte und mit riesigem Propagandagetöse im Staatsfernsehen und auf öffentlichen Plätzen begleitete Referendum mit allgemeiner Indifferenz, Apathie und Gleichgültigkeit aufgenommen.

Als Schlussfolgerung vertreten viele BeobachterInnen die Ansicht, dass die angegebene Differenz (der zufolge die Teilnahme in der Kabylei nur einen Bruchteil jener in anderen Regionen betragen habe) nur den politischen Willen unterstreiche, die „Singularität“ der Kabylei zu unterstreichen. Dies, um jegliche Solidarisierung mit der „Unruheregion“ zu verhindern und um durch Hervorheben der „Besonderheiten“ („die Kabylen haben mal wieder ihre Extrawurst gebraten“) den antikabylischen Chauvinismus in anderen Landesteilen, dem inzwischen ein antiarabischer Chauvinismus in einem Teil der Kabylei antwortet, anzustacheln.

Der kabylische Politiker Saïd Sadi, Parteichef des RCD, gibt an, nach seinen Kenntnissen seien die Teilnehmerzahl am Referendum „in den offiziellen Angaben mit vier multipliziert worden“ und hätten also landesweit bei rund 20 Prozent gelegen.


Das Lager der Ja-Sager

Zum Ja-Stimmen aufgerufen hatten die beiden Staatsparteien FLN („Nationale Befreiungsfront“, die ehemalige Einheitspartei nach der Unabhängigkeit von 1962 bis 1989) und RND („Nationale demokratische Sammlung“, 1997 vom FLN abgespalten, um ein neues Standbein für die damalige Regierung zu formen). Ebenfalls zum Ja-Stimmen riefen auch die legalen, „moderaten“ Islamistenparteien auf, namentlich die Partei Hamas-MSP, die als Juniorpartner der dominierenden Fraktionen der Oligarchie an der Regierungskoalition teilnimmt.

Zur Unterstützung des Referendums riefen schließlich auch einige ehemalige Anführer des bewaffneten Islamismus auf, vor allem jene, die sich infolge des Niederlegens ihrer Waffen und ihrer Amnestierung (unter dem Gesetz von 1999/2000) hemmungslos bereichert haben. An erster Stelle zu nennen ist dabei Madani Mezrag, der ehemalige Chef der AIS („Islamische Armee der Rettung“), des im Juli 1994 gegründeten und 2000 aufgelösten bewaffneten Arms der verbotenen „Islamischen Rettungsfront“ FIS. Er hat die ehemalige Kriegskasse der AIS in sein Geschäft investiert, während er – wie andere bewaffneten Islamisten, die ihre Gewehre abgegeben haben und sich amnestieren ließen – von den materiellen Privilegien für „Repentis“ („reuige“ Terroristen, wobei Madani Mezrag die Ansicht vertritt, er habe nichts zu bereuen) in Gestalt von finanziellen Eingliederungshilfen profitierte. Vor drei bis vier Jahren hat Madani Mezrag eine Mineralwasserfirma – bei algerischen Temperaturen und dem miserablen Zustand der öffentlichen Wasserversorgung ein bombensicheres Geschäft! – erworben. Seine Mineralwassermarke heißt übrigens „Texanna“: Das ist der Name der Siedlung im gebirgigen Hinterland des ostalgerischen Jijel, oberhalb derer die bewaffneten Islamisten der AIS jahrelang in den Bergen campierten. – Madani Mezrag nahm auch selbst an Großkundgebungen für das „Ja“ beim Referendum teil. Bei einem Teil der übrigen Islamisten und der ehemaligen Basis wird er jedoch als „Verräter, der sich hat kaufen lassen“ betrachtet.

Zum „Ja“-Stimmen rief schließlich auch die kleine linkspopulistische und linksnationalistische sogenannte „Arbeiterpartei“ PT auf, die sich damit einmal mehr selbst an politischem Opportunismus übertroffen hat. Die Kleinpartei, die Ende der achtziger Jahre aus einem winzigen trotzkistisch-sektiererischen Kern hervor ging, hatte die gesamten 1990er Jahre über eine strategische Allianz mit den radikalen Islamisten des FIS verfolgt. Seit 1999/2000 jedoch hat die linkspopulistische Kleinpartei, während sie die wirtschaftsliberale „Öffnungs“politik der Regierenden heftig kritisiert (und als einzige offen anti-neoliberale Partei im Parlament vertreten ist), sich gleichzeitig strategisch an den Präsidenten Abdelaziz Bouteflika angehängt, an den sie immer wieder im Namen des „nationalen Interesses“ appelliert. Ihre Sprecherin Louisa Hanoune, die sich als einzige weibliche Präsidentschaftskandidatin in Algerien in den vergangenen Jahren einen gewissen Respekt (bis hin zu Sympathisanten der Islamisten, die freilich auch ihre früheren Positionen gegenüber dem FIS schätzen) erworben hat, stellte die algerische Wahlbevölkerung vor die angebliche Alternative: Entweder wird das offizielle Schlussstrichgesetz unter die Verbrechen des Bürgerkriegs, das zur Abstimmung stand, angenommen – oder aber „Bush wird sich um unsere Angelegenheiten kümmern“. Und wer will das schon...

Zum Inhalt der Abstimmungsvorlage

Das Wichtigste stand im letzten Satz: „Das algerische Volk beauftragt seinen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika damit, alle notwendigen konkretisierenden Maßnahmen zu ergreifen“. Wer abstimmen ging, kaufte damit also weitgehend die Katze im Sack ein: Die konkreten Modalitäten der Amnestieregelung, die den Kerngegenstand der „Charta für Frieden und nationale Versöhnung“ bilden soll, blieben bis zum Abstimmungstag unbekannt.

Tatsächlich ging es auch hauptsächlich darum, das Staatsoberhaupt Bouteflika (Boutefliqa) in seiner Pose als „Urheber der nationalen Aussöhnung“, der unter seinen Fittichen als guter Vater der Nation all die zuvor widerstreitenden ideologischen Lager zusammenführt, zu bestärken. Abdelaziz Bouteflika profitierte bei seinem Amtsantritt 1999 davon, dass er genau zu jenem Zeitpunkt sein Mandat antrat, als der offene Bürgerkrieg in dem nordafrikanischen Land seinem Ende entgegen ging. Die Abnahme der zuvor täglich verspürten Lebensgefahr wurde ihm zunächst von breiten Teilen der Bevölkerung als persönliches Verdienst zugute gehalten - obwohl sie vielmehr die Ergebnisse eines objektiven Prozesses widerspiegelte. Der bewaffnete Islamismus hatte im Laufe des algerischen Bürgerkrieges – aufgrund seiner Methoden, aufgrund von Tugendterror und Erpressung von materieller Unterstützung durch die Bevölkerung - den Großteil seiner sozialen Basis verloren. Damit unterlagen die Radikalislamisten quasi automatisch der Staatsmacht.

In den letzten drei Jahren ist diese ursprüngliche Aura Bouteflikas als Retterfigur verblasst. Nunmehr verfügt er aber über ein neues „Zaubermittel“: Der relativ hohe Rohölpreis auf den Weltmärkten während des letzten halben Jahrzehnts hat die Staatskassen in Algerien vorübergehend prall gefüllt. Damit wird zwar nur die extreme strukturelle Krisenanfälligkeit und Abhängigkeit der algerischen Ökonomie oberflächlich verdeckt: Ansätze zu einer eigenen industriellen Entwicklung, die aus der Abhängigkeit vom Norden herausführen sollten und während der staatssozialistischen Ära in den 70er Jahren unternommen wurden, mussten aufgegeben werden. Algerien musste sich, im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung, auf eine hochspezialisierte Rolle als Lieferant von Rohöl und Erdgas konzentrieren. Auf allen anderen Sektoren ist das Land extrem importabhängig, und die vor 25 Jahren aufgebauten Produktionskapazitäten wurden vernichtet oder von westlichen Konzernen aufgekauft, die sie ungenutzt brach liegen lassen.

Aber mit derzeit 56 Milliarden Dollar Devisenreserven in der Staatskasse – bei 22 Milliarden Dollar Auslandsschulden - haben die Machthaber immerhin die Möglichkeit, sich Zustimmung im Land zu erkaufen. Hier wird ein Sonderbudget für eine notleidende Region gewährt, dort verspricht Präsident Bouteflika anlässlich seiner Tournee im Abstimmungskampf schlüsselfertige Bauprojekte. Aufgrund der hohen Importabhängigkeit wären die Reserven allerdings bei einem rapiden Absinken des Ölpreises schnell aufgebraucht.

Um an Bouteflikas anfängliche Erfolgsbasis - seine Statur als Garant der nationalen Sammlung, der die Gräben des Bürgerkriegs überwindet – anzuknüpfen, wurde das Referendum vom 29. September organisiert. Es sollte Bouteflika vor allem als persönliches Plebiszit dienen, um weitere Veränderungen in Angriff zu nehmen. Insbesondere will er sich eine dritte Amtsperiode – die bisher von der Verfassung ausgeschlossen wird – ab 2009 ermöglicht sehen und gleichzeitig die Mandatsdauer von bisher 5 auf 7 Jahre verlängern lassen. Es gilt als höchst wahrscheinlich, dass im nächsten halben Jahr eine entsprechende Verfassungsänderung den Wählern vorgelegt wird, nachdem das Plebiszit von Ende September (jedenfalls nach offizieller Darstellung!) ein Erfolg war.

Gegenstand des Referendums war eine doppelte Schlussstrichregel, wobei die genauen Konturen der „moussalaha“ (Aussöhnung) bisher reichlich unscharf bleiben. Einerseits sollen bisherige oder noch immer bewaffnete Islamisten amnestiert werden, wie es bereits 1999 mit dem ersten Schlussstrichgesetz Bouteflikas der Fall war. Damals galt allerdings eine genau definierte Ausschlussfrist – nur wer binnen sechs Monaten die Waffen niederlegte, sollte davon profitieren. Heute ist die Dauer des Amnestieangebots ebenso undefiniert (sie soll erst durch die in naher Zukunft zu verfassenden Ausführungsbestimmungen definiert werden) wie die konkreten Modalitäten der Strafbefreiung. Vor sechs Jahren schrieb das damalige Amnestiegesetz vier Ausschlussgründe vor: Nicht straffrei ausgehen sollte, wer persönlich an Massakern von Zivilisten, Sprengstoffattentaten auf öffentlichen Plätzen, Morden oder Vergewaltigungen teilgenommen hatte. Die Verantwortlichen solcher Kapitalverbrechen wurden freilich in der Folgezeit so gut wie nie identifiziert, da die damalige Amnestie weder Prozesse gegen die Mitglieder bewaffneter Gruppen noch eine „Wahrheitskommission“ nach dem Vorbild Südafrikas oder jüngst Marokkos vorsah. Dieser grundsätzliche Mangel wird durch die jetzt per Referendum verabschiedete Regelung fortgesetzt. Gleichzeitig enthält die neue „Charta“ nur noch drei Ausschlussgründe: Mord wird nicht mehr als Verwirkungsgrund erwähnt. Damit wird der Mantel über die gezielten Morde an Feministinnen oder laizistischen Intellektuellen gebreitet.

Auf der anderen Seite wird, ebenso autoritär, ein Schlussstrich unter die Fälle der „Verschwundenen“, die mutmaßlich durch Angehörige der Staatsorgane getötet oder verschleppt wurden, gezogen. Erstmals hat die Staatsmacht ihre Existenz anerkannt und offiziell 6.146 Fälle aufgelistet – das sind immerhin drei „Verschwundene“ pro Tag, für die Dauer des offenen Bürgerkriegs. Dieses Problem soll aber eine abschließende Regelung durch Geldzahlungen an die Familien finden – die damit aber nie erfahren sollen, was mit ihren Angehörigen passiert ist.

In Algerien hat dieses Vorhaben eines von oben verordneten „doppelten Schlussstrichs“ dazu geführt, dass erstmals die Angehörigen von Opfern des islamistischen Terrorismus und die Familien von durch die Staatsmacht „Verschwundenen“ zusammen arbeiteten. Im Rahmen der algerischen Menschenrechtsliga LADDH, die am vorletzten Wochenende eine neue Führung wählte, kam es erstmals zu einer Kooperation von ehemaligen Islamismusopfern und Gegnern von staatsterroristischen Methoden des Regimes; bisher hatten zweitere die LADDH weitgehend dominiert. Auch die politischen Parteien, die den beiden Gruppen nahe stehen – Ex-Kommunisten und die laizistische Berberpartei RCD auf der einen Seite, die zeitweise mit den Islamisten verbündete Berberpartei FFS und ein Teil der Islamisten andererseits – riefen zum Boykott der Abstimmung auf.

Schiefe Optik in Europas rot-grünem Spektrum

In Europa jedoch wurde diese doppelte Kritik von politischen Kräften, die in Frankreich und in Deutschland hauptsächlich im rot-grünen und linksliberalen Spektrum angesiedelt sind und denen sich ein Teil der Menschenrechtsorganisationen anschloss, höchst einseitig übermittelt. Die Sprachrohre dieses Spektrums – beispielsweise die französische Tageszeitung „Libération“ und die deutsche „taz“ oder die Webpage Algeria Watch, die durch die (eher pro-islamistische) Deutschalgerierin Salima Mellah betreut wird – rückten vor allem das Problem der „Verschwundenen“ in den Mittelpunkt. Dieses, sehr reale und bittere, Problem diente dazu, eine bestimmte politische Vision zu vermitteln und dazu eine äußerst schiefe Parallele von Algerien zu den ehemaligen Militärdiktaturen in Chile und Argenenten zu ziehen: Die gemeinsame Problematik sei, dass in den jeweiligen Ländern Militärdiktaturen ihre eigene Verbrechen amnestierten, auf Kosten der geschundenen Opposition.

Diese Parallele ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Die lateinamerikanischen Militärdiktaturen wussten nahezu alle westlichen Großmächte hinter sich, um die „kommunistische Gefahr“ und die radikale Linke zu vernichten. Die algerische Armee in den 90er Jahren dagegen wurde keineswegs einmütig durch „den Westen“ unterstützt. Vielmehr unterstützten die meisten Führungsmächte, wie die USA oder Frankreich, abwechselnd das amtierende Regime und die Islamisten. Sie wollten den existierenden algerischen Staat zumindest geschwächt sehen, da in dem nordafrikanischen Land noch zu viele Errungenschaften der staatssozialistischen Periode existierten und die „Öffnung“ der Wirtschaft noch nicht voll durchgesetzt war. Auch deswegen ließ man den Konflikt bereitwillig andauern, und der damalige Sprecher der besonders gewalttätigen „Bewaffneten islamischen Gruppen“ (GIA), Anouar Haddam, genoss noch bis 1996 in Washington einen quasi-diplomatischen Status und stand damals in regelmäßigem Kontakt mit dem Außenministerium. Falsch ist der Vergleich noch in einem anderen Punkt: Die chilenische und argentinische Opposition – die Linke – massakrierte nicht ihrerseits Lehrerinnen, Schriftsteller und „Glaubensfeinde“, während sie zum Opfer der jeweiligen Diktaturen wurde. Die algerischen Islamisten dagegen haben die Mehrzahl, obgleich nicht die Gesamtheit, der zivilen Opfer des Konflikts zu verantworten.

Diese falsche Vision wurde etwa bei einer jüngsten Pariser Kundgebung verbreitet, die am 24. September von Menschenrechtsgruppen organisiert, aber faktisch total vom FFS dominiert wurde (dessen Chef Hocine Aït Ahmed dort die EU zur aktiven Einmischung in Algerien aufforderte, da ihre Passivität dem Münchener Abkommen von 1938 gleichkomme; er verglich dabei das algerische Regime zwei mal mit dem Faschismus und dem NS und weitere zwei Male mit „den kommunistischen Diktaturen in Osteuropa“). Ihre Propagierung hängt eng mit politischen Interessen der europäischen Sozialdemokratie zusammen. Die, mit den Islamisten taktisch kooperierende, Berberpartei FFS ist Mitglied in ihrem transnationalen Zusammenschluss, der so genannten „Sozialistischen Internationale“. Vor allem diente eine, gelinde ausgedrückt, einseitige Darstellung des Konflikts als Druckmittel im Umgang mit dem algerischen Staat, dem eine Einstufung als „Schurkenstaat“ angedroht wurde. Etwa während der Verhandlungen über den Assoziierungsvertrag mit der EU, der am 1. September 2005 definitiv in Kraft getreten ist und eine weitgehende „Öffnung“ der algerischen Ökonomie besiegelt.

Vor wenigen Jahren war (in diesem Zusammenhang) in Frankreich politischer Klasse und bei bestimmten Intellektuellen noch die Behauptung en vogue, die Massaker der GIA würden in Wirklichkeit durch Geheimdienste des algerischen Regimes angerichtet.

Diese historische Lüge ist tatsächlich längst widerlegt. Bezüglich des Kollektivmassakers an der Zivilbevölkerung von Bentalha (im September 1997, über 400 Tote) gibt es genau einen Überlebenden, der öffentlich behauptet, es sei nicht durch die GIA, sondern durch die Armee ausgeführt worden: Nesroulah Yous, der dazu im „rot-grünen“ französischen Verlag La Découverte ein Buch veröffentlichen ließ. Ihm widersprechen jedoch zahlreiche andere Überlebende von Bentalha, die auch zwecks Berichtens bereits nach Frankreich gekommen sind, klipp und klar. Beispielsweise Messaoud Belaïdi, der sich in der Woche vor dem Referendum nochmals in der französischen Presse („Le Parisien“, 27. 09. 2005) äußerte. Die algerische Regierung wollte ihn jüngst in den Mittelpunkt einer Inszenierung stellen, die Belaïdi jedoch verweigerte: Er sollte sich, zwecks Besiegelung der „nationalen Aussöhnung“, mit einem ehemaligen islamistischen Terroristen öffentlich vor dem Referendum die Hand reichen. Messaoud Belaïdi lehnte ab. Und er wehrt sich entschieden gegen die Behauptung, das Massaker sei nicht durch die GIA begangen, sondern diesen nur in die Schuhe geschoben worden. Der kleine Unterschied: Messaoud Belaïdi verlor bei dem Massaker von Bentalha seine Ehefrau und neun Kinder, denen durch die GIA-„Kämpfer“ die Kehle durchgeschnitten wurde – nicht so Nesroulah Yous, der laut eigenem Bekunden seine Frau und seine Kinder rechtzeitig vor dem Massaker aus Bentalha fortgeschickt hatte.

Die Geschichtslüge von der falschen Beschuldigung der GIA, die in Wirklichkeit nur Verbrechen der Gegenseite im Bürgerkrieg (sprich der Armee) vertuschen solle, ist also faktisch längst widerlegt. Doch sie wurde anlässlich der jüngst organisierten Abstimmung durch „Libération“ (vom 27. und vom 29. September) und, nicht ganz so explizit, durch die „taz“ (vom 29. 09. 2005) noch einmal aufgewärmt.

Aussichten und Perspektiven für die nähere Zukunft

Bei seinem Amtsantritt, und auch später (im Zuge steigender Rohlölpreise und sich füllender Staatskassen), konnte Bouteflika sich auf eine brüchige, aber reale soziale Basis stützen. Seine persönliche Machtfülle basierte auf einer Mischung aus Einschüchterung und vermeintlichen persönlichen Erfolgen (Beendigung des Bürgerkriegs, volle Staatskassen...). Bei den Präsidentschaftswahlen vom April 1999 und April 2004 herrschte zwar auch jeweils ein erheblicher Zweifel an den offiziell verkündeten Ergebnissen vor, und vor allem bei seiner ersten „Wahl“ von 1999 waren diese Zweifel auch offenkundig begründet: Sechs von sieben Kandidaten, also alle Mitbewerber Bouteflikas, hatten sich am Wahltag aus Protest gegen die begonnen Wahlbetrugsmanöver aus dem Rennen zurückgezogen... Dennoch wäre es sehr falsch gewesen, zu vermuten, Bouteflika sei in der Bevölkerung tief verhasst, und diese ließe sich leicht gegen ihn mobilisieren.

Bei diesem Mal könnte Bouteflika (Boutefliqa) jedoch, so lautet jedenfalls die derzeit von algerischen Linken gehegte Hoffnung, den Bogen tatsächlich überspannt haben. Die bekannt gegebenen Ergebnisse, jedenfalls die offizielle Abstimmungsbeteiligung, wirken dreist und künden von einer ziemlichen Unverfrorenheit. Die allgemeine gesellschaftliche Reaktion schien zwar nicht von Überschwang zugunsten irgendeiner Form aktiver oppositioneller Mobilisierung, wohl aber von einer Mischung aus Indifferenz und Skepsis geprägt. Es herrschte jedenfalls weitaus eher Ablehnung denn überbordende Euphorie oder auch nur „notgedrungene Zustimmung,“ wie sie noch beim letzten Referendum über ein Amnestiegesetz im September 1999 (nach dem verbreiteten Motto: „Hauptsache, der Bürgerkrieg geht zu Ende und der Terror hört auf“) anzutreffen war. Diese veränderte Stimmung erlaubt vermutlich in geringerem Maße einen offiziellen Triumphalismus, wie Bouteflika ihn noch im September 1999 (relativ gefahrlos) an den Tag legen konnte.

Vor allem ist zu vermuten, dass die autoritäre Statur, die Bouteflika durch sein (angeblich gelungenes) Plebiszit zu seinen Gunsten zu festigen trachtet, ihm nunmehr alsbald dazu dienen wird, die „notwendigen harten wirtschaftlichen Reformen“ einzuleiten. Denn im Zuge der eingeleiteten wirtschaftlichen Rundum-„Liberalisierung“ stellen die Europäische Union (mit der Algerien durch einen Assoziierungsvertrag verbunden ist, der seit dem 1. September 2005 in Kraft ist) und die WTO (welcher Algerien zu ihrem kommenden Gipfel im Dezember 2005 beizutreten wünscht) nunmehr klare Anforderungen an Algerien: Privatisierung, „Öffnung“ für stärkere wirtschaftliche Interessen aus dem Norden, Beendigung von „Wettbewerbsverzerrungen“ usw.

Eine der anstehenden Kampagnen betrifft die Zurückdrängung des Schwarzmarkt- und informellen Sektors, der bisher einen relativ hohen Anteil (schätzungsweise, direkt und indirekt, bis zu 30 Prozent) der AlgerierInnen finanziell unterhält und schlecht oder recht überleben lässt. Zwar kam dieser informelle Sektor in der Vergangenheit den „westlichen“ bzw. nördlichen Interesse durchaus zupass. Denn er sorgte dafür, dass das Land – auf dem Umweg über die Bazarökonomie – mit nördlichen Waren überschwemmt wurde und dass die (in der staatssozialistischen Ära aufgebauten) nationalen Produktionskapazitäten brach lagen. Doch nunmehr haben die nördlichen Wirtschaftsmächte diesem Bazarsektor indirekt den Krieg erklärt: Er bildet nunmehr vor allem ein Hindernis dafür, dass nördliche Firmen ihre Waren d i r e k t in Ländern wie Algerien oder Marokko absetzen können, und lässt noch zu viele (meist informelle) Zwischenhändler leben.

Konkret haben in jüngster Zeit besonders die europäischen Automobilkonzerne Algerien dazu aufgefordert, dem Gewicht des informellen Sektors (auch „Trabendo“ genannt) weit engere Schranken zu setzen. Der Automobilverkauf in Algerien beruht heute vor allem darauf, dass einige der algerischen Immigranten in Europa – oder auch mit auf dem Schwarzmarkt gekauften Visa hin und her reisende, junge Algerier – Gebrauchtautos auf den nach Nordafrika verkehrenden Fähren mitbringen und einführen. In der Regel läuft dieses Geschäft so ab, dass der Immigrant oder algerische Zwischenhändler dabei am Zoll das Auto als Importware deklariert - nicht aber die Waren (Klamotten, französische Lebensmittel, elektrische Geräte, Ersatzteile...), mit denen der Wagen bis oben hin vollgestopft ist. Im Ausgleich dafür, dass sie bezüglich des Inhalts eines solcherart eingeführten Autos beide Augen zudrücken, kassieren die Zollbeamten eine kleine Kommission – so sind beide Seite zufrieden. Nicht zufrieden damit sind aber die europäischen oder ostasiatischen Autohändler, die ihre Vehikel gern in Algerien direkt an den Mann oder an die Frau (für welche sie aber in der Regel noch zu teuer sind) bringen wollen. Und der nächste Konflikt steht, wenn demnächst der WTO-Beitritt Algeriens definitiv besiegelt werden soll, schon ins Haus. Denn die US-Amerikaner entfalten seit Monaten und Jahren erheblichen Druck dahingehend, den veritable Gewerbezweig der Markenfälschungen in Nordafrika stillgelegt zu sehen.

Im Juli 2005 hat die algerische Regierung vor diesem Hintergrund versprochen, „den Schwarzmarkt im Lande auszurotten“. Dabei handelt es sich freilich auch um ein Manöver, das dazu dient, die kleinen Zwischenhändler (Schwarzmarkthändler oder algerische Immigranten, die bei ihren regelmäßigen Urlaubsreisen in das Land dringend benötigte Waren mitbringen) zu opfern, um die Interessen der großen Fische zu retten. Also etwa der Generäle, von denen einige ein Monopol auf den (zumindest teilweise am Gesetz vorbei laufenden) Import von Bedarfsgütern wie Kaffee, Zucker... besitzen und von denen eine Reihe kleinerer und mittlerer Zwischenhändler ökonomisch abhängig sind. Diesen „dicken Fischen“ ihrerseits dürfte es nicht so schnell wie den kleinen, arbeitslosen Schwarzmarkthändlern an den Kragen gehen.

Im Hintergrund der Abstimmungskampagne spielt dieser schwere ökonomische Konflikt ebenfalls eine Rolle. Am 28. August hatte Präsident Abdelaziz Bouteflika im südalgerischen Béchar, in einer Rede bei einer seiner ersten Großkundgebungen angeprangert, „Teile der Machthaber“ (die er aber nicht konkret benennen wollte) seien nicht an der von ihm vorgeschlagenen nationalen Aussöhnung interessiert, sondern am Fortgang von Konflikt und Blutvergießen. Dies konnte sicherlich auch als Kritik an einem Teil der Armee, der Bouteflikas persönlichen Machtambitionen im Wege steht und der politisch einer Amnestie für ehemalige bewaffnete Islamisten widerstrebt, aufgefasst werden. So war es sicherlich, jedenfalls zum Teil, auch intendiert. Einige Tage später konkretisierte Premierminister Ouyahia (der Präsident Bouteflika freilich nicht nur als Regierungschef dient, sondern auch ein politisches Konkurrenzverhältnis zu ihm unterhält) die Aussage jedoch, bei einer Rede in El-Tarf nahe der tunesischen Grenze. Bouteflika habe – ihm zufolge – mit seinem Ausspruch gemeint, dass „Bürgermeister, Zollbedienstete und Beamte“ (aber „nicht unbedingt Leute aus den höchsten staatlichen Sphären“) sich dem Vorhaben der „nationalen Aussöhnung“ widersetzten. So wird er durch die Tageszeitung „El Watan“ (12. September) zitiert, die gleichzeitig berichtet, Bouteflika beschuldige unter anderem „Trabendisten“ (Schwarzmarkthändler), „Opportunisten“ und „Geschäftsleute“.

Das Strickmuster ähnelt strukturell (sehr entfernt) jenen „antibürokratischen Kampagnen“, die etwa Josef Stalin einsetzte, um den gegen die reale Herrschaft der Bürokratie gerichteten Unmut zu anzustacheln und – als politisch gelenkten „Volkszorn“ – gegen die jeweiligen Widersacher und Gegner seiner Machtposition zu entfesseln. Mit dem Unterschied, dass es in diesem Falle, stärker noch als um die Festigung politischer Macht, um eine „Bereinigung“ der ökonomischen Verhältnisse geht – und dies im vorrangigen Interesse wirtschaftlich stärkerer Mächte. Dass der informelle Sektor und der Schwarzmarkt (wie derzeit) den faktisch größten Arbeitgeber im Land bildet, ist sicherlich aus der Sicht eines – strukturell abhängig gehaltenen - Landes als Perspektive auf Dauer kaum wünschenswert. Das Projekt, das im Rahmen der derzeit anlaufenden „Bereinigung“ verfolgt wird, zielt jedoch auf eine stärkere nördliche Kontrolle der Ökonomie Algeriens ab – also nur auf den weiteren Verlust an wirtschaftlicher Souveränität.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 14.10. 2005 zur Verfügung gestellt. Eine drastisch gekürzte Textfassung erschien in „Jungle World“ vom 5. Oktober