Der folgende Text soll nicht zuvorderst politisches Traktat sein. Er ist
das Diskussionsergebnis unseres Lesekreises, in dem wir uns mit aktuellen
Texten zu Imperialismus auseinandergesetzt haben. Wir waren mit dem. Vorsatz
gestartet, uns trotz aller Probleme, die sich in der
Diskussion über Antiimperialismus für bundesdeutsche radikale Unke ergeben,
haben, dem Thema Imperialismus zu nahem. Und gerieten,
trotz reinster theoretischer Absichten, immer wieder in die
Strategiediskussion, wie wir uns denn heute in der sozialen Frage bewegen
können. Mit dem Blick darauf, was weltweit an Ausbeutung und Unterdrückung
tagtäglich stattfindet war uns der Begriff "Globalisierung" irgendwann einfach
zu schwammig. M Begriff selbst, aber auch in den Debatten, wird die
Herrschaftsförmigkeit der Weltverhältnisse, des globalisierten Kapitalismus,
nicht benannt. Auch die einzelnen Akteure, seien es
Nationalstaaten, internationale Organisationen und Staatenbünde oder
transnationale Konzerne, treten dabei nur als vermeintlich neutral Handelnde
auf, die "zukunftsfähig" für oder "rückwärtsgewandt" gegen die Globalisierung
sind. Angesichts des Irak-Kriegs, dem Ausbau der EU als Weltmachtblock, dem
Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme
in den europäischen
Metropolen wie der BRD und der Tatsache, das Hunger und Elend in den
Peripherien immer weiter systematisch produziert werden, wollten wir über die
"Prozesse der Globalisierung" aber nicht mehr neutral reden. Wir haben euch
unsere Überlegungen Schritt für Schritt aufgeschrieben und dann irgendwann
eben trotzig den "neuen Antiimperialismus" dazu gepackt. Reaktionen sind
natürlich hoch willkommen.
Sozialabbau, Hartz IV, Gesundheits- und Rentenreform, Studiengebühren, nidit
zu vergessen die Aufrüstung der Repressionsapparate und -Instrumente im Namen
einer sog. Sicherheit... es ist kaum hinterherzukommen mit dem Protestieren
gegen das, was der Bundesregierung, was Schröder, Fischer, Schily & Co und
demnächst dann Merkel und ihren Scherginnen so alles einfallt und was sie
tatkräftig umsetzen. Und dennoch: Es gab und gibt in geringerem Ausmaß auch
heute recht stetige, sich phasenweise vergrößernde Proteste gegen die
systematische Verschlechterung der Lebensbedingungen von oben, wenn auch bisher
mit wenig konkreten Erfolgen. Sogar die radikale Linke hat für sich wieder die
„soziale Frage" entdeckt und mischt fleißig mit, demnächst hoffentlich auch
wieder "fleißiger" als nach dem 3. Januar diesen Jahres.
Viele Fragen stellen sich uns hier. Müssen wir als radikale linke, um der
Marginalisierung unserer Positionen zu entkommen, Gewerkschaften als unsere
Bündnispartnerinnen begreifen und daher mit ihnen zusammen auf die Straße gehen,
wie letztes Jahr am 3. April oder beim Euromayday in Hamburg? Oder betrachten
wir auch die wenigen linken Gewerkschafterinnen als Feigenblatt eines Apparates,
der besonders kräftig die "Reformen" mitgestaltet? Geht es darum, im Alltag
subversive, aber bloß individuelle Aneignungspraxen zu entwickeln und zu
verbreitern, indem wir sie anderen vorleben und somit der sozialen Realität ein
Schnippchen schlagen? Oder begreifen wir uns als einen Teil der Überflüssigen
(überflüssig Gemachten), die konfrontativ, aber rein symbolisch denen auf die
Füße treten, die von der Umverteilung von oben nach unten profitieren? Und wie
groß darf der Kuchen sein, den wir fordern, immer im Bewusstsein um das
Verhältnis von Metropolen und Peripherie, das Nord/Süd- bzw.
West/Ost-Armutsgefälle?
Dass die Kapitalinteressen gerade durchsetzungsstärker sind, als jene der
Lohnarbeitenden, ist offensichtlich, woher aber kommt die Massivität des
Angriffs? Der Hinweis auf Standortlogik und Globalisierung allein kann uns hier
nicht genügen, das Einsparpotenzial der ganzen Hartz-Reformen z.B. war schon mit
der Abschaffung der Vermögenssteuer wieder aufgebraucht. Wer sind die "Akteure"
dieses sozialen Angriffs? Welchen "Sachzwängen" wird hierbei wirklich
entsprochen und wer stellt diese auf?
Erinnern wir uns an die Zeit der Demonstrationen gegen
den Irak-Krieg: Da sahen wir Linksradikalen uns plötzlich Seit an Seit
mit Außenminister Fischers Kosovo-Kriegskabinett gegen den "Oberschurken Bush"
vereint Das führte zu Unbehagen und Verunsichening bei Teilen der radikalen
Linken, ob man überhaupt an den großen Friedensdemonstrationen teilnehmen
sollte. Trotzdem klar war, dass die neuen Friedensapostel der Bundesregierung
den Krieg durch Überflugsrechte für die USA unterstützten, blieb das Bild eines
"friedlichen alten Europas" gegen die "bombardierenden, imperialistischen USA"
wirksam. Ebenso wollen wir nicht in die Verteidigung des Standorts zurückfallen
und damit Anknüpfungspunkte für rechtsradikale Parolen wie "Arbeit zuerst für
Deutsche" bieten. Im Gegenteil müssen wir Nazis und Rechtspopulistlnnen jede
Möglichkeit nehmen, sich in den nationalen Sozialprotesten oder den
Anti-Kriegsdemos verstärkt mit ihren Gesellschaftsmodellen 231
artikulieren. Zu diesem Zwecke bedarf es einer genauen Analyse der Rolle der EU,
insbesondere auch in ihrem Verhältnis zu den USA. Und spätestens hier ergeben
sich Perspektiven für internationalistische Positionen gegen Sozialabbau, die
nicht auf Metropolenchauvinismus hinauslaufen, gegen das neoliberale
Globalisierungsprojekt und für einen neuen Antiimperialismus.
Die Anfänge des neoliberalen Projekts und die Rolle von IWF und Weltbank
Wir glauben, dass eine internationalistische Position zur sozialen Frage in
der Bundesrepublik nötig ist. Denn im Grunde geht es in den Auseinandersetzungen
hier immer auch um die ewige Frage der Vormachtsstellung auf dem Weltmarkt,
diesmal in Zeiten neoliberaler Wirtschaftspolitik. Voraussetzung für eine solche
ist daher ein Rückblick auf die Anfänge des neoliberalen Projekts. Wir haben uns
als Beispiel für eine Institution, die dieses Projekt besonders offen vertritt,
den Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgesucht. Die gleichen Zusammenhänge
ließen sich, wenn auch mit etwas mehr Mühe und etwas weniger widerspruchsfrei,
anhand von Weltbank, WTO, OECD und natürlich den G8 herausarbeiten.1
Der IWF wurde zusammen mit der Weltbank 1945 auf Initiative der USA
gegründet. Die USA waren ab den 1940er Jahren ökonomisch auf dem
kapitalistischen Teü des Weltmarkts dominierend und nahmen dadurch weltpolitisch
"im Westen" die führende Stellung ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie den
europäischen Konkurrenten in jeder Hinsicht überlegen, trugen mehr als irgendein
anderes kapitalistisches Land zur Wertschöpfung bei und wendeten dabei die
produktivsten Fertigungsmethoden an. Jedoch sahen sie sich nicht nur einem
Europa gegenüber, das so stark zerstört war, dass mit Hilfe des Marshall-Plans
erst wieder funktionierende Wirtschaftspartner aufgebaut werden mussten, sondern
auch einem Europa, in dem sozialistische Ideen ein starkes Gewicht hatten - und
nicht nur in Europa. Eine weltweite US-Hegemonie war keine ausgemachte Sache.
Erinnert sei neben der Ost-West-Konfrontation an die US-amerikanische Niederlage
in Vietnam oder an die antikolonialen Befreiungsbewegungen (und die
entsprechenden Solibewegungen) mit ebenfalls sozialistischer Ausrichtung.
Weltpolitisch gelang es den USA zumindest in der "nord-westlichen
Hemispähre" (plus Australien und Neuseeland), ihre
ökonomische Hegemonialstellung unter anderem über den IWF
und die Weltbank zu institutionalisieren. Der IWF dient der Aufrechterhaltung
des internationalen Währungssystems unter der damaligen Leitwährung US-Dollar.
In Zahlungsschwierigkeiten geratene Länder konnten beim IWF Kredite beantragen,
mussten sich dafür jedoch der ökonomischen Dominanz von Kapitalismus und
US-Ökonomie unterwerfen. Dies bedeutet z.B. eine Verschuldung in Dollar, was zu
dessen Stabilität beiträgt; eine kapitalistische Transformation der nationalen
Ökonomien (soweit sie das nicht waren) sowie die Öffnung der Wirtschaft für
ausländische Investorinnen, was einen reduzierten Einfluss des Staates auf die
ökonomischen Prozesse im Land bedeutete. Die Dominanz der USA spiegelte sich
auch in der Stimmenverteilung im IWF wider. So besitzen diese 19,14% der
Stimmen, die nächst höchste Stimmenzahl liegt bei 6,6% für Großbritannien, die
BRD hat 5,79%. Damit hatten die USA als einzelnes Land für alle wichtigen
Entscheidungen des IWF eine Sperrminorität, da für diese mindestens 85% der
Stimmen nötig sind. Eine weitere Sperrminorität hatte die Europäische
Gemeinschaft bzw. hat jetzt die EU, aber nur, wenn alle Mitgliedsländer
gemeinsam stimmen.
Spätestens mit der Ölkrise 1973 und dem Zusammenbruch des
Bretton-Woods-Systems, d.h. dem Ende der festen Orientierung aller Währungen am
US-Dollar, zeichnet sich die Krise der US-Ökonomie ab. Ein Versuch, aus dieser
herauszukommen und die Stagnation der Ausbeutungsraten zu überwinden, ist das
politisch-ökonomische Projekt des Neoliberalismus. Nicht nur in den USA selbst
(mit Sozialabbau, Massenentlassungen, Privatisierung des Gesundheitssystems
etc.), auch auf internationaler Ebene über den IWF wurde dies vermehrt
durchgesetzt. Seit den 70er Jahren orientiert sich die Vergabe von IWF-Krediten
an Strukturanpassungsprogrammen, die neben den Maßnahmen zur Binnenmarktliberalisierung
ganz konkret Kürzungen bei der staatlichen Finanzierung des Sozialsystems, im
Bildungs- und Gesundheitssektor vorsehen - was faktisch eine Privatisierung
dieser meint - sowie die Streichung von Subventionen z.B. für
Grundnahrungsmittel und die Erhöhung von Preisen für öffentliche
Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Energie und Transport.
Dies war kein Programm speziell für die sog. "Dritte Welt", sondern galt für
alle Staaten, auch wenn die Handlungsspielräume aufgrund
der unterschiedlichen Abhängigkeiten nie gleich waren. Einen Beistandskredit des
IWF erhielt z.B. 1979 die britische Labour-Regjerung zur Überwindung ihrer
Zahlungsprobleme. Die wirtschaftspolitischen Auflagen, die daran geknüpft waren,
leiteten in Großbritannien den Übergang zu einer neoliberalen Politik ein, die
von der Regierung Thatcher in den 80er Jahren radikalisiert
wurde. Einen ähnlichen Kurswechsel vollzog auch die französische Linksregierung
unter Mitterand zu Beginn der 80er Jahre angesichts wachsender wirtschaftlicher
Probleme. Beide Ereignisse können als Beginn der neoliberalen Wende in Europa
bewertet werden. Sie waren wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung der -
neoliberalen - Maastricht-Kriterien, die heute die EU-Wirtschafts- und auch
Sozialpolitik bestimmen. Und dies ist eine der Erklärungen dafür, dass wir heute
in Europa genau das erleben, was wir früher als IWF-Politik in Afrika und
Lateinamerika kritisiert haben: die Ausrichtung von Sozial- und
Wirtschaftspolitik am politisch-ökonomischen Projekt des Neoliberalismus -jetzt
auch in den Metropolen.
USA und EU, "gewaltförmiger" und "friedlicher" Imperialismus in der
Konkurrenz?
Ehe Krise der US-Ökonomie geht einher mit der Krise der politischen Hegemonie
der USA und einem sich verändernden Verhältnis zwischen USA und dem sich
vergemeinschaftenden Europa. USA und EU sind spätestens seit dem Ende der
Blockkonfrontation und der sog. "Globalisierung", d.h. der Reorganisation und
Wiedervereinigung des kapitalistischen Systems in den
90er Jahren, nicht mehr die "freie westliche Welt", sondern
Weltmarktkonkurrentinnen. Der einheitliche europäische Wirtschaftsraum fordert
die US-Hegemonie heraus (ebenso wie der asiatische mit Japan, Indien und seit
neuestem China). Schon längst nicht mehr sind die USA die (einzige)
Hegemonialmacht, versteht man Hegemonie auf der ökonomischen Ebene als u.a.
gekennzeichnet durch überlegene Produktivität und Innovationsmonopole, die die
Aneignung von Extramehrwert erlauben, sowie das Innehaben der Leitwährung, was
die Verschuldung in eigener Währung ermöglicht. Mit der sinkenden
Wirtschaftskraft der USA sinkt auch die politisch-ideologische Strahlkraft des
US-Modells. Dies lässt sich beispielhaft in Taiwan beobachten, das sich, nachdem
es von den USA ökonomisch weniger gestützt wird, zunehmend am alten politischen
Gegner China orientiert.
Ohne politische und ökonomische Hegemonie bleibt den USA nur noch ihre
militärische Dominanz, wie sich im Irak-Krieg zeigte. Nicht ohne Grund wird in
der Linken, besonders in den USA, diesbezüglich wieder vermehrt von
Imperialismus geredet. Wir wollen hier nicht genauer diskutieren, inwieweit der
Irak-Krieg ein imperialistischer Krieg war. Es geht uns darum, den Zusammenhang
zu betonen zwischen dem politisch-ökonomischen Projekt "Neoliberalismus" als
aktueller Versuch der verschärften Durchkapitalisierung
zur Überwindung der ökonomischen Krise und ihrer Durchsetzung mit militärischen
Mitteln, wo politische und ökonomische Dominanz schwinden. Dies wird als
imperiale Überdehnung der USA bezeichnet, die darauf zielt, durch verstärktes
außenpolitisches und v.a. militärisches Engagement die eigene hegemoniale
Position zu halten, auch wenn sie hierdurch nicht immer gleich direkte
ökonomische Vorteile gewinnen kann. Dem militärischen Übergewicht der USA
antwortet zumindest nach der Vorstellung der bundesdeutschen und französischen
Regierung die EU mit einer Verhandlungsstrategie, eine Art "weicher
Imperialismus". So betrachtet, werden auch die Unterschiede in der
Anti-Kriegs-Position der Bundesregierung zu denen der
Friedensbewegung/Anti-Kriegs-Bewegung deutlicher: es ging ersterer um
weltpolitische Machtpositionen und nicht um Moral und Antimilitarismus.
Don, wo es nicht um Marktanteile und Rohstoffe geht, konkurrieren die
Staaten(-gruppen) u.a. um das Ranking von Finanzexperten, nach welchem Währungen
international bewertet werden. Für diese Währungsbewertung werden Kriterien wie
das Staatsdefizit, Bruttoinlandsprodukt, Zinssätze aber
auch Arbeitslosigkeit herangezogen, alles bekannt aus dem europäischen
Stabilitätspakt und - den IWF-Kriterien. Währungshegemonen genießen den Vorteil,
sich in ihrer eigenen Währung verschulden zu können, ohne international unter
Druck zu geraten. Daher kann sich die USA aktuell ihren riesigen Militäretat
noch leisten, schließlich wirken sich Schulden, die niemand eintreibt, nur
selten nachteilig aus. Gerade in Bezug auf die ökonomische Konkurrenz auf dem
Weltmarkt sind die USA einer der zentralen Partner (da Absatzmarkt) wie Gegner
(Rohstoffe, Finanzinvestitionen) der EU. Die Diskussion, ob der Euro den Dollar
als "Weltgeld" ersetzen werde, beschreibt hier einen Teil
der zunehmenden Konkurrenz und ist ein weiteres Zeichen für die Krise der
US-Hegemonie. Diese Konkurrenz zwischen EU und USA (und auch z.B. China) ist
dabei eben nicht ausreichend als Globalisierung beschrieben. Sie ist nicht eine
von gleichberechtigten Partnern auf dem Weltmarkt - wie die Vertreter des
Liberalismus und Neoliberalismus uns weiß machen wollen -, sondern eine, die
herrschaftsförmig strukturiert ist, in der neben der
ökonomischen auch die politische und nicht zuletzt die militärische Stärke eine
entscheidende Rolle spielen. Von daher ist hier präziser von einer
innerimperialistischen Konkurrenz zu sprechen. Unter dieser Perspektive gilt es
auch die Aufrüstung der EU zu betrachten!
Entsprechend meinen wir mit einem "neuen Antiimperialis-mus" die
Notwendigkeit, Positionen zu entwickeln und zu vertreten, die diese
Herrschaftsförrnigkeit der scheinbar "neutralen" Globalisierung und insbesondere
auch die Ge-waltfbnnigkeit der Durchsetzung des neoliberalen Projekts
thematisieren. Eine Gewaltförmigkeit, die nicht allein Krieg, sondern auch den
Antiterrorkampf, die Repression sozialer Proteste, das Lnkaufhehmen von
Hungerkatastrophen und vieles andere beinhaltet. Eine Gewaltförmigkeit, die wir
eben z.B. in einer Verbindung von Anti-Hartz-Protesten und
Anti-Kriegs-Demonstrationen, und vor allem in einer gemeinsamen Organisierung
gegen den neoliberalen Kapitalismus weltweit bekämpfen wollen.
Kampf dem globalen Neoliberalismus - auch in der EU
In unseren Protesten gegen neoliberale Politik tappen wir häufig selbst
unfreiwillig in die Falle, uns kaum noch Alternativen jenseits der abstrakten
Idee einer weltweiten Revolution vorstellen zu können. Wir müssen uns
daher immer wieder selbst ermahnen, das neoliberale Projekt eben als ein
politisches Projekt zu sehen, das um seine weltweite Durchsetzung ringt und
dabei leider im Moment gerade verdammt gute Karten ausspielt. Bis in die 70er
Jahren war dies anders, da die Kräfteverhältnisse andere waren. Strebte die
"freie Welt" damals danach nicht kleiner zu werden und das sozialistische Lager
nicht größer werden zu lassen, müssen zum. Erhalt des heutigen Kapitalismus
vermehrt neue Ausbeutungsfelder innerhalb der kapitalistischen Ökonomien
erschlossen werden. Es werden Gesundheitssysteme privatisiert, genetische
Ressourcen patentiert usw. Sahen sich die kapitalistischen Lander vor 1989
zumindest in West-Europa wegen des geographisch nahen "Gegenmodells" zur
Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an sozialem Frieden gezwungen, kann heute
das Gesetz des Marktes ungebrochen durchzusetzen versucht werden. Dagegen müssen
wir kämpfen und die angebliche Alternativlosigkeit als
ideologisches Projekt des Klassenkampfs von oben sehen!
Dabei ist es hilfreich, die EU als Akteur in der innerimperialistischen
Konkurrenz mit den USA (und China) zu begreifen, als einen der global player,
die um weltpolitische Hegemonie im globalisierten Kapitalismus ringen. Hierfür
ist die Übernahme und Umsetzung des neoliberalen Modells notwendig, um auf dem
Weltmarkt "solide" dazustehen im Sinne möglichst hoher Ausbeutungsraten. Das
klingt jetzt genau nach dem, was die Bundesregierung u.a. mit Standort meint,
das ist ja nichts Neues. Sicher, nur ist so erst hinterfragbar, ob wir die
Prämissen teilen, unter denen diese "Sachzwänge" entstehen und mit denen dann
z.B. Hartz IV gerechtfertigt wird. Uns geht es nicht darum, auf dem Weltmarkt
konkurrenzfähig zu sein und den Unternehmen hohe Profitraten zu versprechen. Uns
geht es darum dieses System von Mehrwertabschöpfung, den Kapitalismus selbst
abzuschaffen.
Aus einer internationalen/globalen und historischen Perspektive zeigt sich
zudem, dass diese "Reformen" nicht "neu erfunden" sind speziell für den Fall
"Deutschland", wie es immer scheint bei all den Expertenkommissionen. Dieses
Modell ist das, was schon früher unter dem Namen "IWF-Kriterien" weltweit
bekämpft wurde. Die Stabilitätskriterien für den Euro, die neben der
Globalisierung häufig zur Begründung der Einschnitte im Sozial-
und Gesundheitssystem und in der Standortdebatte herangezogen werden, sind im
Großen und Ganzen identisch mit denen des IWFs und der Weltbank zur
Kreditvergabe. Bei den aktuellen Reformen in der BRD zeigt sich dies besonders
deutlich an der Rentenreform: Hier wurde das "Drei-Säulen-Modell", das der
IWF bzw. die Erfinder des Neoliberalismus - die Chicago
School - empfehlen, eingeführt. Nach diesem soll sich die Rente zusammensetzen
aus einem Teil staatlicher Unterstützung für Alle (Sozialhilfe im Alter), einem
Teil Betriebsrente (v.a. in Metall-/Elektro- und Chemieindustrie so geregelt)
und einem Teil privater Vorsorge, der Riester-Rente, bei der es immerhin noch
staatliche Zuschüsse gibt, oder - nach EU-Empfehlung - die vollständig private
Rentenversicherungen. Aus Gewerkschafts- und PDS-Kreisen, wurde darauf
hingewiesen, dass die Reformen des Sozialversicherungssystems in der BRD nur ein
angleichen an "Europäische Standards" sind. Was hier gerade durchgesetzt
wird/wurde, ist in Groß Britannien (das ist der häufigste Vergleich, wegen Tony
Blair und dem Dritten Weg), aber auch Spanien, Portugal, Italien etc. und v.a.
in den neu zur EU hinzugekommenen Ost-Block-Staaten Polen, Tschechische
Republik, Ungarn, Slowenien und den Baltischen Staaten längst seit Jahren
Realität. Warum, lasst sich fragen, haben etwa Ungarn und die Tschechische
Republik die EU-Kriterien so scheinbar spielend schnell
erfüllt, wogegen die BRD hier Probleme hat. Eben weil im
Zuge der Transformation" vom Staatssozialismus zum Kapitalismus die, um
international finanziell als Staat auf dem kapitalistischen Weltmarkt überleben
zu können, notwendigen Kredite von Weltbank und IWF an die entsprechenden Liberalisierungs-Kriterien
gekoppelt waren. Ebenso lässt sich, auch das zumindest ein europaweites
Phänomen, die fortschreitende Privatisierung von sozialer und ökonomischer
Infrastruktur in der EU zu einem Großteil mit den
Liberalisierungsforderungen aus den EU-Verträgen (angefangen bei
Maastricht) erklären. Mit dem Beitritt zur EU hat sich jedes Land konsequent dem
neoliberalen Modell verschworen, die Kriterien für die
Beitrittsländer wie auch die Festschreibung des "Marktliberalismus" als
ökonomisches Modell in der EU-Verfassung zeigen es deutlich.
Bei aller Kritik am neoliberalen Sozialabbau ist jedoch wichtig, dass es uns
nicht um ein Zurück zum fordistischen Wohlfahrtsstaat gehen kann, um einen
sozialdemokratisch gemäßigten Kapitalismus, denn dieser sicherte immer nur für
Wenige weltweit das Überleben. Hier läge eine Stärke für einen "neuen Antiimperialismus".
Denn er verweist darauf, wie Irak-Krieg und EU-weiter Sozialabbau (und damit
auch Hartz IV) beide Teil ein und desselben Projekts verschärfter Ausbeutung
sind, gegen das sich linker Widerstand wenden muss. Mit der Perspektive auf die
Kämpfe um die globale Hegemonie zwischen den kapitalistischen Zentren und mit
der Einordnung des neoliberalen Sozialab- und -umbaus in diese, lässt sich in
den Sozialprotesten Metropolenchauvinismus und Standortnationalismus kritisieren
und dennoch gegen die neuen Zumutungen, eben als Teil antineoliberaler,
antinationaler und antikapitalistischer Kämpfe weltweit auf die Straße gehen.
Global denken, lokal handeln
Bei allem Blick auf die internationalen Bedingungen bleibt es wichtig, die
Verhältnisse im eigenen Land anzugehen. Auch in der EU sind die einzelnen
Nationalstaaten nach wie vor die wichtigste Entscheidungsebene, und die
jeweilige Ausgestaltung der Privatisierung und Abschaffung sozialer
Sicherungssysteme ist dann doch im einzelnen unterschiedlich. Für die
Bundesrepublik lässt sich derzeit beobachten, wie sich der Staat zunehmend einer
sozialen Verantwortung entzieht, zu der er vorher zumindest als Lippenbekenntnis
gestanden hat Ein-Euro-Jobs werden zum (gar nicht mal billigeren) Ersatz für die
staatliche Finanzierung von Sozialeinrichtungen, die aktivierende Sozialpolitik
lässt sich übersetzen als "komm alleine klar", die Grundhaltung der Bürgerinnen
zum Staat soll sich verändern. Nebeneffekt (oder Haupteffekt?): Lohndumping in
normalen Jobs und schlimmer noch im informellen Sektor. Dies trifft zu allerst
diejenigen, die eh schon immer in schlechteren Arbeitsverhältnissen beschäftigt
waren wie Frauen und Migrantinnen, umfasst mittlerweile aber auch ganze Bereiche
des ehemaligen Normalarbeitsverhältnisses, wozu sich z.B. rund um das Stichwort
"Prekarisierung" Protest organisiert. Hinzu kommt der Ausbau der staatlichen
Repressionsapparate nach innen, wie nach außen an den
Grenzen der EU. Hier ist Deutschland mit Innenminister Schfly und seiner
Forderung nach Flüchtlingslagern außerhalb der EU momentan tonangebend. Seien es
AntiLager-Touren oder Stop Deportation-Kampagnen, anti-rassistische Politik muss
und wird sich heute unter den Vorzeichen globalisierter, neoliberaler Politiken
in die Kämpfe gegen den weltweiten Kapitalismus einordnen -allein schon, um die
hiesige Migrationsregulierung sinnvoll bekämpfen zu können. Im Rahmen der
Proteste gegen Sozialabbau, Hartz IV, aber auch gegen den Irak-Krieg ginge es
wie gesagt auch um die Kritik an Metropolenchauvinismus und den Blick auf die
Funktionalitäten der Politik der Bundesregierung für die innerimperialistischen
Konkurrenzkämpfe.
Über diese Perspektive wird auch möglich, ausgehend von den eigenen lokalen
Kämpfen gegen das neoliberale Projekt, weltweit sich mit allen, die ebenfalls
antineoliberale/antikapitalistische Kämpfe führen, gemeinsam zu organisieren -
leider zunächst nur im Denken. Dies fängt an damit, die Proteste von
Rentnerinnen in Russland z.B. gegen die Kürzungen ihrer Rentenansprüche oder den
Widerstand gegen die Privatisierung von Wasser in Indien als Teile der eigenen
Kämpfe zu sehen. Wie diese Kämpfe dann jedoch konkret-praktisch zusammenzuführen
wären, muss - bis auf in einzelnen Kampagnen - zunächst offen bleiben und wird
sich erst mit einer Stärkung der "Bewegung" wirklich als praktische Frage
stellen. Die jetzt langsam anlaufenden Organisierungen gegen das G8-Treffen 2007
in Heüigendamm stellen eine hervorragende Möglichkeit hierfür dar.
Anders mit den bisherigen "größeren" Protesten: Aus der gemeinsamen
Perspektive gegen den neoliberalen Kapitalismus sind Anti-Kriegs- und
Anti-Hartz-Bewegung zusammenzuführen, wie es z.B. in der Münchener
Anti-Nato-Mobilisierung versucht wurde. Wir als radikale
Linke müssen uns als Tefl dieser beiden Protest-Bewegungen sehen, die
Verbindungslinien zwischen beidem aufzeigen, und im aufgezeigten Sinne
internationale/globale Perspektiven und antikapitalistische Positionen in die
Proteste reintragen und stark machen - gegen den Krieg nach innen und außen.
In diesem Sinne: Für einen "neuen Antiimperialismus"!
Optimistinnen für einen neuen Antiimperialismus (OpA)
Sommer 2005