Gegen den Krieg nach innen und nach außen: Was hat Hartz IV mit dem Irak-Krieg zu tun und warum es sich lohnt, doch wieder "Imperialismus" zu sagen...

Optimistinnen für einen neuen Antiimperialismus (OpA)
10/05

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Der folgende Text soll nicht zuvorderst politisches Traktat sein. Er ist das Diskussionsergebnis unseres Lesekreises, in dem wir uns mit aktuellen Texten zu Imperialismus auseinandergesetzt haben. Wir waren mit dem. Vorsatz gestartet, uns trotz aller Probleme, die sich in der Diskussion über Antiimperialismus für bundesdeutsche radikale Unke ergeben, haben, dem Thema Imperialismus zu nahem. Und gerieten, trotz reinster theoretischer Absichten, immer wieder in die Strategiediskussion, wie wir uns denn heute in der sozialen Frage bewegen können. Mit dem Blick darauf, was weltweit an Ausbeutung und Unterdrückung tagtäglich stattfindet war uns der Begriff "Globalisierung" irgendwann einfach zu schwammig. M Begriff selbst, aber auch in den Debatten, wird die Herrschaftsförmigkeit der Weltverhältnisse, des globalisierten Kapitalismus, nicht benannt. Auch die einzelnen Akteure, seien es Nationalstaaten, internationale Organisationen und Staatenbünde oder transnationale Konzerne, treten dabei nur als vermeintlich neutral Handelnde auf, die "zukunftsfähig" für oder "rückwärtsgewandt" gegen die Globalisierung sind. Angesichts des Irak-Kriegs, dem Ausbau der EU als Weltmachtblock, dem Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme in den europäischen Metropolen wie der BRD und der Tatsache, das Hunger und Elend in den Peripherien immer weiter systematisch produziert werden, wollten wir über die "Prozesse der Globalisierung" aber nicht mehr neutral reden. Wir haben euch unsere Überlegungen Schritt für Schritt aufgeschrieben und dann irgendwann eben trotzig den "neuen Antiimperialismus" dazu gepackt. Reaktionen sind natürlich hoch willkommen.

Sozialabbau, Hartz IV, Gesundheits- und Rentenreform, Studiengebühren, nidit zu vergessen die Aufrüstung der Repressionsapparate und -Instrumente im Namen einer sog. Sicherheit... es ist kaum hinterherzukommen mit dem Protestieren gegen das, was der Bundesregierung, was Schröder, Fischer, Schily & Co und demnächst dann Merkel und ihren Scherginnen so alles einfallt und was sie tatkräftig umsetzen. Und dennoch: Es gab und gibt in geringerem Ausmaß auch heute recht stetige, sich phasenweise vergrößernde Proteste gegen die systematische Verschlechterung der Lebensbedingungen von oben, wenn auch bisher mit wenig konkreten Erfolgen. Sogar die radikale Linke hat für sich wieder die „soziale Frage" entdeckt und mischt fleißig mit, demnächst hoffentlich auch wieder "fleißiger" als nach dem 3. Januar diesen Jahres.

Viele Fragen stellen sich uns hier. Müssen wir als radikale linke, um der Marginalisierung unserer Positionen zu entkommen, Gewerkschaften als unsere Bündnispartnerinnen begreifen und daher mit ihnen zusammen auf die Straße gehen, wie letztes Jahr am 3. April oder beim Euromayday in Hamburg? Oder betrachten wir auch die wenigen linken Gewerkschafterinnen als Feigenblatt eines Apparates, der besonders kräftig die "Reformen" mitgestaltet? Geht es darum, im Alltag subversive, aber bloß individuelle Aneignungspraxen zu entwickeln und zu verbreitern, indem wir sie anderen vorleben und somit der sozialen Realität ein Schnippchen schlagen? Oder begreifen wir uns als einen Teil der Überflüssigen (überflüssig Gemachten), die konfrontativ, aber rein symbolisch denen auf die Füße treten, die von der Umverteilung von oben nach unten profitieren? Und wie groß darf der Kuchen sein, den wir fordern, immer im Bewusstsein um das Verhältnis von Metropolen und Peripherie, das Nord/Süd- bzw. West/Ost-Armutsgefälle?

Dass die Kapitalinteressen gerade durchsetzungsstärker sind, als jene der Lohnarbeitenden, ist offensichtlich, woher aber kommt die Massivität des Angriffs? Der Hinweis auf Standortlogik und Globalisierung allein kann uns hier nicht genügen, das Einsparpotenzial der ganzen Hartz-Reformen z.B. war schon mit der Abschaffung der Vermögenssteuer wieder aufgebraucht. Wer sind die "Akteure" dieses sozialen Angriffs? Welchen "Sachzwängen" wird hierbei wirklich entsprochen und wer stellt diese auf?

Erinnern wir uns an die Zeit der Demonstrationen gegen den Irak-Krieg: Da sahen wir Linksradikalen uns plötzlich Seit an Seit mit Außenminister Fischers Kosovo-Kriegskabinett gegen den "Oberschurken Bush" vereint Das führte zu Unbehagen und Verunsichening bei Teilen der radikalen Linken, ob man überhaupt an den großen Friedensdemonstrationen teilnehmen sollte. Trotzdem klar war, dass die neuen Friedensapostel der Bundesregierung den Krieg durch Überflugsrechte für die USA unterstützten, blieb das Bild eines "friedlichen alten Europas" gegen die "bombardierenden, imperialistischen USA" wirksam. Ebenso wollen wir nicht in die Verteidigung des Standorts zurückfallen und damit Anknüpfungspunkte für rechtsradikale Parolen wie "Arbeit zuerst für Deutsche" bieten. Im Gegenteil müssen wir Nazis und Rechtspopulistlnnen jede Möglichkeit nehmen, sich in den nationalen Sozialprotesten oder den Anti-Kriegsdemos verstärkt mit ihren Gesellschaftsmodellen 231 artikulieren. Zu diesem Zwecke bedarf es einer genauen Analyse der Rolle der EU, insbesondere auch in ihrem Verhältnis zu den USA. Und spätestens hier ergeben sich Perspektiven für internationalistische Positionen gegen Sozialabbau, die nicht auf Metropolenchauvinismus hinauslaufen, gegen das neoliberale Globalisierungsprojekt und für einen neuen Antiimperialismus.

Die Anfänge des neoliberalen Projekts und die Rolle von IWF und Weltbank

Wir glauben, dass eine internationalistische Position zur sozialen Frage in der Bundesrepublik nötig ist. Denn im Grunde geht es in den Auseinandersetzungen hier immer auch um die ewige Frage der Vormachtsstellung auf dem Weltmarkt, diesmal in Zeiten neoliberaler Wirtschaftspolitik. Voraussetzung für eine solche ist daher ein Rückblick auf die Anfänge des neoliberalen Projekts. Wir haben uns als Beispiel für eine Institution, die dieses Projekt besonders offen vertritt, den Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgesucht. Die gleichen Zusammenhänge ließen sich, wenn auch mit etwas mehr Mühe und etwas weniger widerspruchsfrei, anhand von Weltbank, WTO, OECD und natürlich den G8 herausarbeiten.1

Der IWF wurde zusammen mit der Weltbank 1945 auf Initiative der USA gegründet. Die USA waren ab den 1940er Jahren ökonomisch auf dem kapitalistischen Teü des Weltmarkts dominierend und nahmen dadurch weltpolitisch "im Westen" die führende Stellung ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie den europäischen Konkurrenten in jeder Hinsicht überlegen, trugen mehr als irgendein anderes kapitalistisches Land zur Wertschöpfung bei und wendeten dabei die produktivsten Fertigungsmethoden an. Jedoch sahen sie sich nicht nur einem Europa gegenüber, das so stark zerstört war, dass mit Hilfe des Marshall-Plans erst wieder funktionierende Wirtschaftspartner aufgebaut werden mussten, sondern auch einem Europa, in dem sozialistische Ideen ein starkes Gewicht hatten - und nicht nur in Europa. Eine weltweite US-Hegemonie war keine ausgemachte Sache. Erinnert sei neben der Ost-West-Konfrontation an die US-amerikanische Niederlage in Vietnam oder an die antikolonialen Befreiungsbewegungen (und die entsprechenden Solibewegungen) mit ebenfalls sozialistischer Ausrichtung. Weltpolitisch gelang es den USA zumindest in der "nord-westlichen Hemispähre" (plus Australien und Neuseeland), ihre ökonomische Hegemonialstellung unter anderem über den IWF und die Weltbank zu institutionalisieren. Der IWF dient der Aufrechterhaltung des internationalen Währungssystems unter der damaligen Leitwährung US-Dollar. In Zahlungsschwierigkeiten geratene Länder konnten beim IWF Kredite beantragen, mussten sich dafür jedoch der ökonomischen Dominanz von Kapitalismus und US-Ökonomie unterwerfen. Dies bedeutet z.B. eine Verschuldung in Dollar, was zu dessen Stabilität beiträgt; eine kapitalistische Transformation der nationalen Ökonomien (soweit sie das nicht waren) sowie die Öffnung der Wirtschaft für ausländische Investorinnen, was einen reduzierten Einfluss des Staates auf die ökonomischen Prozesse im Land bedeutete. Die Dominanz der USA spiegelte sich auch in der Stimmenverteilung im IWF wider. So besitzen diese 19,14% der Stimmen, die nächst höchste Stimmenzahl liegt bei 6,6% für Großbritannien, die BRD hat 5,79%. Damit hatten die USA als einzelnes Land für alle wichtigen Entscheidungen des IWF eine Sperrminorität, da für diese mindestens 85% der Stimmen nötig sind. Eine weitere Sperrminorität hatte die Europäische Gemeinschaft bzw. hat jetzt die EU, aber nur, wenn alle Mitgliedsländer gemeinsam stimmen.

Spätestens mit der Ölkrise 1973 und dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, d.h. dem Ende der festen Orientierung aller Währungen am US-Dollar, zeichnet sich die Krise der US-Ökonomie ab. Ein Versuch, aus dieser herauszukommen und die Stagnation der Ausbeutungsraten zu überwinden, ist das politisch-ökonomische Projekt des Neoliberalismus. Nicht nur in den USA selbst (mit Sozialabbau, Massenentlassungen, Privatisierung des Gesundheitssystems etc.), auch auf internationaler Ebene über den IWF wurde dies vermehrt durchgesetzt. Seit den 70er Jahren orientiert sich die Vergabe von IWF-Krediten an Strukturanpassungsprogrammen, die neben den Maßnahmen zur Binnenmarktliberalisierung ganz konkret Kürzungen bei der staatlichen Finanzierung des Sozialsystems, im Bildungs- und Gesundheitssektor vorsehen - was faktisch eine Privatisierung dieser meint - sowie die Streichung von Subventionen z.B. für Grundnahrungsmittel und die Erhöhung von Preisen für öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Energie und Transport.

Dies war kein Programm speziell für die sog. "Dritte Welt", sondern galt für alle Staaten, auch wenn die Handlungsspielräume aufgrund der unterschiedlichen Abhängigkeiten nie gleich waren. Einen Beistandskredit des IWF erhielt z.B. 1979 die britische Labour-Regjerung zur Überwindung ihrer Zahlungsprobleme. Die wirtschaftspolitischen Auflagen, die daran geknüpft waren, leiteten in Großbritannien den Übergang zu einer neoliberalen Politik ein, die von der Regierung Thatcher in den 80er Jahren radikalisiert wurde. Einen ähnlichen Kurswechsel vollzog auch die französische Linksregierung unter Mitterand zu Beginn der 80er Jahre angesichts wachsender wirtschaftlicher Probleme. Beide Ereignisse können als Beginn der neoliberalen Wende in Europa bewertet werden. Sie waren wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung der - neoliberalen - Maastricht-Kriterien, die heute die EU-Wirtschafts- und auch Sozialpolitik bestimmen. Und dies ist eine der Erklärungen dafür, dass wir heute in Europa genau das erleben, was wir früher als IWF-Politik in Afrika und Lateinamerika kritisiert haben: die Ausrichtung von Sozial- und Wirtschaftspolitik am politisch-ökonomischen Projekt des Neoliberalismus -jetzt auch in den Metropolen.

USA und EU, "gewaltförmiger" und "friedlicher" Imperialismus in der Konkurrenz?

Ehe Krise der US-Ökonomie geht einher mit der Krise der politischen Hegemonie der USA und einem sich verändernden Verhältnis zwischen USA und dem sich vergemeinschaftenden Europa. USA und EU sind spätestens seit dem Ende der Blockkonfrontation und der sog. "Globalisierung", d.h. der Reorganisation und Wiedervereinigung des kapitalistischen Systems in den 90er Jahren, nicht mehr die "freie westliche Welt", sondern Weltmarktkonkurrentinnen. Der einheitliche europäische Wirtschaftsraum fordert die US-Hegemonie heraus (ebenso wie der asiatische mit Japan, Indien und seit neuestem China). Schon längst nicht mehr sind die USA die (einzige) Hegemonialmacht, versteht man Hegemonie auf der ökonomischen Ebene als u.a. gekennzeichnet durch überlegene Produktivität und Innovationsmonopole, die die Aneignung von Extramehrwert erlauben, sowie das Innehaben der Leitwährung, was die Verschuldung in eigener Währung ermöglicht. Mit der sinkenden Wirtschaftskraft der USA sinkt auch die politisch-ideologische Strahlkraft des US-Modells. Dies lässt sich beispielhaft in Taiwan beobachten, das sich, nachdem es von den USA ökonomisch weniger gestützt wird, zunehmend am alten politischen Gegner China orientiert.

Ohne politische und ökonomische Hegemonie bleibt den USA nur noch ihre militärische Dominanz, wie sich im Irak-Krieg zeigte. Nicht ohne Grund wird in der Linken, besonders in den USA, diesbezüglich wieder vermehrt von Imperialismus geredet. Wir wollen hier nicht genauer diskutieren, inwieweit der Irak-Krieg ein imperialistischer Krieg war. Es geht uns darum, den Zusammenhang zu betonen zwischen dem politisch-ökonomischen Projekt "Neoliberalismus" als aktueller Versuch der verschärften Durchkapitalisierung zur Überwindung der ökonomischen Krise und ihrer Durchsetzung mit militärischen Mitteln, wo politische und ökonomische Dominanz schwinden. Dies wird als imperiale Überdehnung der USA bezeichnet, die darauf zielt, durch verstärktes außenpolitisches und v.a. militärisches Engagement die eigene hegemoniale Position zu halten, auch wenn sie hierdurch nicht immer gleich direkte ökonomische Vorteile gewinnen kann. Dem militärischen Übergewicht der USA antwortet zumindest nach der Vorstellung der bundesdeutschen und französischen Regierung die EU mit einer Verhandlungsstrategie, eine Art "weicher Imperialismus". So betrachtet, werden auch die Unterschiede in der Anti-Kriegs-Position der Bundesregierung zu denen der Friedensbewegung/Anti-Kriegs-Bewegung deutlicher: es ging ersterer um weltpolitische Machtpositionen und nicht um Moral und Antimilitarismus.

Don, wo es nicht um Marktanteile und Rohstoffe geht, konkurrieren die Staaten(-gruppen) u.a. um das Ranking von Finanzexperten, nach welchem Währungen international bewertet werden. Für diese Währungsbewertung werden Kriterien wie das Staatsdefizit, Bruttoinlandsprodukt, Zinssätze aber auch Arbeitslosigkeit herangezogen, alles bekannt aus dem europäischen Stabilitätspakt und - den IWF-Kriterien. Währungshegemonen genießen den Vorteil, sich in ihrer eigenen Währung verschulden zu können, ohne international unter Druck zu geraten. Daher kann sich die USA aktuell ihren riesigen Militäretat noch leisten, schließlich wirken sich Schulden, die niemand eintreibt, nur selten nachteilig aus. Gerade in Bezug auf die ökonomische Konkurrenz auf dem Weltmarkt sind die USA einer der zentralen Partner (da Absatzmarkt) wie Gegner (Rohstoffe, Finanzinvestitionen) der EU. Die Diskussion, ob der Euro den Dollar als "Weltgeld" ersetzen werde, beschreibt hier einen Teil der zunehmenden Konkurrenz und ist ein weiteres Zeichen für die Krise der US-Hegemonie. Diese Konkurrenz zwischen EU und USA (und auch z.B. China) ist dabei eben nicht ausreichend als Globalisierung beschrieben. Sie ist nicht eine von gleichberechtigten Partnern auf dem Weltmarkt - wie die Vertreter des Liberalismus und Neoliberalismus uns weiß machen wollen -, sondern eine, die herrschaftsförmig strukturiert ist, in der neben der ökonomischen auch die politische und nicht zuletzt die militärische Stärke eine entscheidende Rolle spielen. Von daher ist hier präziser von einer innerimperialistischen Konkurrenz zu sprechen. Unter dieser Perspektive gilt es auch die Aufrüstung der EU zu betrachten!

Entsprechend meinen wir mit einem "neuen Antiimperialis-mus" die Notwendigkeit, Positionen zu entwickeln und zu vertreten, die diese Herrschaftsförrnigkeit der scheinbar "neutralen" Globalisierung und insbesondere auch die Ge-waltfbnnigkeit der Durchsetzung des neoliberalen Projekts thematisieren. Eine Gewaltförmigkeit, die nicht allein Krieg, sondern auch den Antiterrorkampf, die Repression sozialer Proteste, das Lnkaufhehmen von Hungerkatastrophen und vieles andere beinhaltet. Eine Gewaltförmigkeit, die wir eben z.B. in einer Verbindung von Anti-Hartz-Protesten und Anti-Kriegs-Demonstrationen, und vor allem in einer gemeinsamen Organisierung gegen den neoliberalen Kapitalismus weltweit bekämpfen wollen.

Kampf dem globalen Neoliberalismus - auch in der EU

In unseren Protesten gegen neoliberale Politik tappen wir häufig selbst unfreiwillig in die Falle, uns kaum noch Alternativen jenseits der abstrakten Idee einer weltweiten Revolution vorstellen zu können. Wir müssen uns daher immer wieder selbst ermahnen, das neoliberale Projekt eben als ein politisches Projekt zu sehen, das um seine weltweite Durchsetzung ringt und dabei leider im Moment gerade verdammt gute Karten ausspielt. Bis in die 70er Jahren war dies anders, da die Kräfteverhältnisse andere waren. Strebte die "freie Welt" damals danach nicht kleiner zu werden und das sozialistische Lager nicht größer werden zu lassen, müssen zum. Erhalt des heutigen Kapitalismus vermehrt neue Ausbeutungsfelder innerhalb der kapitalistischen Ökonomien erschlossen werden. Es werden Gesundheitssysteme privatisiert, genetische Ressourcen patentiert usw. Sahen sich die kapitalistischen Lander vor 1989 zumindest in West-Europa wegen des geographisch nahen "Gegenmodells" zur Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an sozialem Frieden gezwungen, kann heute das Gesetz des Marktes ungebrochen durchzusetzen versucht werden. Dagegen müssen wir kämpfen und die angebliche Alternativlosigkeit als ideologisches Projekt des Klassenkampfs von oben sehen!

Dabei ist es hilfreich, die EU als Akteur in der innerimperialistischen Konkurrenz mit den USA (und China) zu begreifen, als einen der global player, die um weltpolitische Hegemonie im globalisierten Kapitalismus ringen. Hierfür ist die Übernahme und Umsetzung des neoliberalen Modells notwendig, um auf dem Weltmarkt "solide" dazustehen im Sinne möglichst hoher Ausbeutungsraten. Das klingt jetzt genau nach dem, was die Bundesregierung u.a. mit Standort meint, das ist ja nichts Neues. Sicher, nur ist so erst hinterfragbar, ob wir die Prämissen teilen, unter denen diese "Sachzwänge" entstehen und mit denen dann z.B. Hartz IV gerechtfertigt wird. Uns geht es nicht darum, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein und den Unternehmen hohe Profitraten zu versprechen. Uns geht es darum dieses System von Mehrwertabschöpfung, den Kapitalismus selbst abzuschaffen.

Aus einer internationalen/globalen und historischen Perspektive zeigt sich zudem, dass diese "Reformen" nicht "neu erfunden" sind speziell für den Fall "Deutschland", wie es immer scheint bei all den Expertenkommissionen. Dieses Modell ist das, was schon früher unter dem Namen "IWF-Kriterien" weltweit bekämpft wurde. Die Stabilitätskriterien für den Euro, die neben der Globalisierung häufig zur Begründung der Einschnitte im  Sozial- und Gesundheitssystem und in der Standortdebatte herangezogen werden, sind im Großen und Ganzen identisch mit denen des IWFs und der Weltbank zur Kreditvergabe. Bei den aktuellen Reformen in der BRD zeigt sich dies besonders deutlich an der Rentenreform: Hier wurde das "Drei-Säulen-Modell", das der IWF bzw. die Erfinder des Neoliberalismus - die Chicago School - empfehlen, eingeführt. Nach diesem soll sich die Rente zusammensetzen aus einem Teil staatlicher Unterstützung für Alle (Sozialhilfe im Alter), einem Teil Betriebsrente (v.a. in Metall-/Elektro- und Chemieindustrie so geregelt) und einem Teil privater Vorsorge, der Riester-Rente, bei der es immerhin noch staatliche Zuschüsse gibt, oder - nach EU-Empfehlung - die vollständig private Rentenversicherungen. Aus Gewerkschafts- und PDS-Kreisen, wurde darauf hingewiesen, dass die Reformen des Sozialversicherungssystems in der BRD nur ein angleichen an "Europäische Standards" sind. Was hier gerade durchgesetzt wird/wurde, ist in Groß Britannien (das ist der häufigste Vergleich, wegen Tony Blair und dem Dritten Weg), aber auch Spanien, Portugal, Italien etc. und v.a. in den neu zur EU hinzugekommenen Ost-Block-Staaten Polen, Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien und den Baltischen Staaten längst seit Jahren Realität. Warum, lasst sich fragen, haben etwa Ungarn und die Tschechische Republik die EU-Kriterien so scheinbar spielend schnell erfüllt, wogegen die BRD hier Probleme hat. Eben weil im Zuge der Transformation" vom Staatssozialismus zum Kapitalismus die, um international finanziell als Staat auf dem kapitalistischen Weltmarkt überleben zu können, notwendigen Kredite von Weltbank und IWF an die entsprechenden Liberalisierungs-Kriterien gekoppelt waren. Ebenso lässt sich, auch das zumindest ein europaweites Phänomen, die fortschreitende Privatisierung von sozialer und ökonomischer Infrastruktur in der EU zu einem Großteil mit den Liberalisierungsforderungen aus den EU-Verträgen (angefangen bei Maastricht) erklären. Mit dem Beitritt zur EU hat sich jedes Land konsequent dem neoliberalen Modell verschworen, die Kriterien für die Beitrittsländer wie auch die Festschreibung des "Marktliberalismus" als ökonomisches Modell in der EU-Verfassung zeigen es deutlich.

Bei aller Kritik am neoliberalen Sozialabbau ist jedoch wichtig, dass es uns nicht um ein Zurück zum fordistischen Wohlfahrtsstaat gehen kann, um einen sozialdemokratisch gemäßigten Kapitalismus, denn dieser sicherte immer nur für Wenige weltweit das Überleben. Hier läge eine Stärke für einen "neuen Antiimperialismus". Denn er verweist darauf, wie Irak-Krieg und EU-weiter Sozialabbau (und damit auch Hartz IV) beide Teil ein und desselben Projekts verschärfter Ausbeutung sind, gegen das sich linker Widerstand wenden muss. Mit der Perspektive auf die Kämpfe um die globale Hegemonie zwischen den kapitalistischen Zentren und mit der Einordnung des neoliberalen Sozialab- und -umbaus in diese, lässt sich in den Sozialprotesten Metropolenchauvinismus und Standortnationalismus kritisieren und dennoch gegen die neuen Zumutungen, eben als Teil antineoliberaler, antinationaler und antikapitalistischer Kämpfe weltweit auf die Straße gehen.

Global denken, lokal handeln

Bei allem Blick auf die internationalen Bedingungen bleibt es wichtig, die Verhältnisse im eigenen Land anzugehen. Auch in der EU sind die einzelnen Nationalstaaten nach wie vor die wichtigste Entscheidungsebene, und die jeweilige Ausgestaltung der Privatisierung und Abschaffung sozialer Sicherungssysteme ist dann doch im einzelnen unterschiedlich. Für die Bundesrepublik lässt sich derzeit beobachten, wie sich der Staat zunehmend einer sozialen Verantwortung entzieht, zu der er vorher zumindest als Lippenbekenntnis gestanden hat Ein-Euro-Jobs werden zum (gar nicht mal billigeren) Ersatz für die staatliche Finanzierung von Sozialeinrichtungen, die aktivierende Sozialpolitik lässt sich übersetzen als "komm alleine klar", die Grundhaltung der Bürgerinnen zum Staat soll sich verändern. Nebeneffekt (oder Haupteffekt?): Lohndumping in normalen Jobs und schlimmer noch im informellen Sektor. Dies trifft zu allerst diejenigen, die eh schon immer in schlechteren Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren wie Frauen und Migrantinnen, umfasst mittlerweile aber auch ganze Bereiche des ehemaligen Normalarbeitsverhältnisses, wozu sich z.B. rund um das Stichwort "Prekarisierung" Protest organisiert. Hinzu kommt der Ausbau der staatlichen Repressionsapparate nach innen, wie nach außen an den Grenzen der EU. Hier ist Deutschland mit Innenminister Schfly und seiner Forderung nach Flüchtlingslagern außerhalb der EU momentan tonangebend. Seien es AntiLager-Touren oder Stop Deportation-Kampagnen, anti-rassistische Politik muss und wird sich heute unter den Vorzeichen globalisierter, neoliberaler Politiken in die Kämpfe gegen den weltweiten Kapitalismus einordnen -allein schon, um die hiesige Migrationsregulierung sinnvoll bekämpfen zu können. Im Rahmen der Proteste gegen Sozialabbau, Hartz IV, aber auch gegen den Irak-Krieg ginge es wie gesagt auch um die Kritik an Metropolenchauvinismus und den Blick auf die Funktionalitäten der Politik der Bundesregierung für die innerimperialistischen Konkurrenzkämpfe.

Über diese Perspektive wird auch möglich, ausgehend von den eigenen lokalen Kämpfen gegen das neoliberale Projekt, weltweit sich mit allen, die ebenfalls antineoliberale/antikapitalistische Kämpfe führen, gemeinsam zu organisieren - leider zunächst nur im Denken. Dies fängt an damit, die Proteste von Rentnerinnen in Russland z.B. gegen die Kürzungen ihrer Rentenansprüche oder den Widerstand gegen die Privatisierung von Wasser in Indien als Teile der eigenen Kämpfe zu sehen. Wie diese Kämpfe dann jedoch konkret-praktisch zusammenzuführen wären, muss - bis auf in einzelnen Kampagnen - zunächst offen bleiben und wird sich erst mit einer Stärkung der "Bewegung" wirklich als praktische Frage stellen. Die jetzt langsam anlaufenden Organisierungen gegen das G8-Treffen 2007 in Heüigendamm stellen eine hervorragende Möglichkeit hierfür dar.

Anders mit den bisherigen "größeren" Protesten: Aus der gemeinsamen Perspektive gegen den neoliberalen Kapitalismus sind Anti-Kriegs- und Anti-Hartz-Bewegung zusammenzuführen, wie es z.B. in der Münchener Anti-Nato-Mobilisierung versucht wurde. Wir als radikale Linke müssen uns als Tefl dieser beiden Protest-Bewegungen sehen, die Verbindungslinien zwischen beidem aufzeigen, und im aufgezeigten Sinne internationale/globale Perspektiven und antikapitalistische Positionen in die Proteste reintragen und stark machen - gegen den Krieg nach innen und außen.

In diesem Sinne: Für einen "neuen Antiimperialismus"!

Optimistinnen für einen neuen Antiimperialismus (OpA)
Sommer 2005

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel erschien in der INTERIM 622 vom 15.9.2005
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