Wenn "Linke" Feldpostbriefe sammeln...
Antideutsche Welterklärungen zwischen Realsatire und Kriegspropaganda


Von Bernhard Schmid
10/04
 

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Dramatische Ereignisse spielen sich im Verborgenen ab. Wussten auch Sie, liebe LeserInnen, bisher nicht, dass Gerhard Schröder und Joseph Fischer in ihrem Griff nach der Weltmacht demnächst vielleicht auch die Macht in Washington ergreifen werden? Eine antideutsche Agentur für Realsatire wird sie eines besseres belehren!  

Einen besonderen Erfolg als Lachnummer unter US-Amerikanern dürfte dabei etwa folgende Passage über "die beiden deutschen Favoriten auf den Posten im Weißen Haus, Michael Moore" ­ von dem man freilich gar nicht wusste, dass er zu den US-Präsidentschaftswahlen antritt ­ "bzw. John Kerry" versprechen: "Das <andere Amerika>, also Michael Moore, Noam Chomsky, John Kerry und wie sie alle heißen mögen, sind in dieser Konfrontation nur die nützlichen Idioten. Sie sekundieren bloß noch den europäischen Kopfarbeitern, sind reine Komparsen." (1) Dieses Zitat stammt aus dem Text einer Kölner Gruppierung, die gemeinsam mit der Redaktion der Zeitschrift Bahamas und einer langen Liste vorwiegend "antideutscher" Splittergruppen zu zwei Kundgebungen zur Unterstützung der israelischen Militärpolitik am 5. Juni sowie am 25. September 2004 in der Rheinland-Metropole aufrief (2).  

Glaubensfest sind die führenden "Antideutschen" im Vertrauen auf die Ideale der "zivilisatorischen Mission" der westlichen Führungsmacht verwurzelt, jedenfalls wenn der Angriff des hässlichen Kerry abgewehrt werden kann. Die Besonderheit dieser Strömung besteht lediglich darin, dass sie sich dabei in der Gegenwart inmitten der Kulissen einer Wiederaufnahme des Zweiten Weltkriegs wähnt ­ dessen Schauplatz freilich nicht Europa ist, sondern der Nahe Osten, wo der neue Nationalsozialismus bekanntlich sitzt, wie man seit 1991 und dem damaligen Feldzug gegen "Hitler ­ Hussein" gelernt hat. Nur wollen diese allerbesten Deutschen, weil "Antideutschen" mit deutschem Pass (und sehr deutschem Glauben an die Macht der Weltanschauungen), dabei dieses Mal gleich frühzeitig auf Seiten der gerechten Sieger stehen. So schließen sie sich in Grüppchen zusammen, die sich etwa "Gruppe Casablanca" (in Köln) nennen, weil in dieser marokkanischen Stadt 1943 Theodor Roosevelt und Winston Churchill im Namen der USA und Großbritanniens die Forderung nach unconditional surrender (bedingungslose Kapitulation) NS-Deutschlands beschlossen. Die Sowjetunion und die Partisanenbewegungen sind dabei aus ihrem Geschichtsbild vom Zweiten Weltkrieg, wie auch aus ihrem Flaggenreigen auf heutigen deutschen Straßen, freilich herausgefallen. Nichts zur Sache tut in ihren Augen, dass 85 Prozent der gefallenen Soldaten NS-Deutschlands an der Ostfront zu Tode kamen und die UdSSR lange Zeit die militärischen Hauptanstrengungen alleine trug, bevor die Westmächte spät ­ im Juni 1994 ­ die neue Front in der Normandie eröffneten, was nur logisch war, nachdem Churchill Jahre zuvor noch erklärt hatte, im Ringen zwischen Deutschland und der Sowjetunion werde er jeweils "auf der Seite des Unterlegenen stehen".  

Andere fordern schon heute, inmitten des tobenden Schlachtengetümmels, mutig ein neues Abkommen zur endgültigen Niederhaltung des übermächtigen Feindes. Deswegen nennen sie sich beispielsweise "Initiative Potsdamer Abkommen" (so eine Ein-Mann-Truppe in Berlin), um sich entschlossen an die US-amerikanische Nation zu wenden mit einer Warnung vor den feigen Kollaborateuren: "Wer Kerry wählt, wählt Schröder und Fischer!" (3)  

Gestatten: NATO-Thomas & Folter-Thomas, Helden der Propagandastaffel  

Freilich hat diese Szene bis heute nicht nur offenkundige Clowns hervorgebracht: Einige ihrer Protagonisten werden sogar noch in Teilsegmenten der Linken ebenso ernst genommen wie in der bürgerlichen Presse. In letzterer freilich, weil ihre Agitationsparolen so wunderbar in das eigene pro-imperialistische Argumentationsmuster hinein passen, dass es gar nicht weiter auffällt und selbst der nicht eben antinationalen Springerzeitung Die Welt der zugrunde liegende "antideutsche" Impuls seltsamerweise gar nicht unangenehm aufstößt. Jedenfalls ist Die Welt mittlerweile zum geschätzten Publikationsort der beiden aus dieser Richtung kommenden Ideologen Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer geworden (4). Dieselben Protagonisten schrieben - und schreiben in geringerem Maße immer noch - aber auch für genuin linke Medien, darunter in inzwischen sehr unregelmäßigen Abständen die Jungle World und Konkret. In beiden linken Medien kommen freilich auch andere Autoren und Autorinnen zu Wort, die völlig andere politische Schlussfolgerungen vertreten als die beiden Herren.  

Das Duo Thomas & Thomas machte vor allem im Vorfeld des Irakkrieges von März/April 2003 auf sich aufmerksam, als beide die publizistische Trommel rührten und dem Ereignis von Artikel zu Artikel in zitternder Vorfreude entgegen fieberten. In diesem Zusammenhang konnte man tatsächlich kaum noch von Journalismus, sondern nur noch von laut tönender Propaganda sprechen. Inzwischen ist es um die Demokratisierungs- und anderen Versprechen, die dabei verbreitet wurden, ein wenig stiller geworden, also auch um die beiden damals in Frankfurt/Main und mittlerweile in Berlin ansässigen Propagandahelden. Freilich ist ihnen eine gewisse Rekonversion als publizistische Ratgeber in Sachen Terrorismus und sicherheitspolitischer Strategie im Irak (Originalton: "Die Täter aber, deren Gesichter inzwischen weltweit bekannt sind, müssen, wie Peggy Noonan im Wall Street Journal fordert, gezielt und unnachgiebig verfolgt, gefasst und zur Verantwortung gezogen werden" (5)) gelungen.  

Um das ideologische Strickmuster zu verstehen, das hinter dieser linken Konversion zu Kriegskommentatoren steht, muss man zumindest einige ihrer theoretischen Grundannahmen kennen. Die erste wurde bereits genannt: Alle wichtigen Ereignisse des gegenwärtigen Weltgeschehens sind unbedingt als Neuauflage des Zweiten Weltkriegs - mit arabischen Nationalisten und Islamisten in der Rolle des nationalsozialistischen Regimes ­ zu begreifen. Diese, gelinde ausgedrückt, etwas merkwürdige Sicht auf die Dinge ist ein Spätprodukt jener Teile der Linken, die durch die schnelle Abfolge von Wiedervereinigung (mit den entsprechenden Ängsten vor einer neuen deutschen Großmachtpolitik, die damit auf der Linken einhergingen) und Irakkrieg in den Jahren 1990/91 gründlich durcheinander geschüttelt wurden und seitdem die Entwicklungen der Gegenwart auf der Matrix des Dritten Reiches zu verfolgen versuchen. Wenn man genau hinschaut, dann ist es freilich mitnichten scharfe Kritik an vermeintlicher oder tatsächlicher bundesdeutscher Großmachtpolitik, die etwa Thomas & Thomas umtreibt. So sagte Co-Publizist Uwer anlässlich einer Podiumsdiskussion mit Thomas Ebermann am 17. März 2004 in Berlin (6), er sehe keine Gefahr in solcher Einflusspolitik seitens der BRD. Vielmehr sei die Politik der Schröder-Fischer-Regierung deswegen gefährlich, weil sie die einer "Loosermacht" sei, die ihre wirtschaftlichen Interessen freiwillig zugunsten rein ideologischer Prämissen aufgebe und deswegen nicht berechenbar sei. Welche aber sind diese ideologischen Treibstoffe, die das Staatsschiff der BRD antreiben? Uwer zeigte sich "überzeugt" davon, dass Schröder und Fischer sich zweifellos "subjektiv als links und antiimperialistisch" sähen. Sollte also die Linken ­ unbemerkt von allen ­ doch das Kunststück geschafft haben, die Macht des Kapitals weitgehend ihren "ideologischen Prämissen" unterzuordnen? Herr Uwer sagt seinem Publikum leider nicht, wie dieses Kunststück gelingen konnte.  

Dazu muss man wissen, dass aus der Weltsicht von Thomas & Thomas die nackte Verfolgung wirtschaftlicher Interessen, also solcher des Kapitals, grundsätzlich "kein Skandal, sondern Normalität" ist. Das ist aber nicht (nur) so gemeint, dass man aufhören solle zu moralisieren, um anzufangen, die Funktionsweise des Systems zu erkennen; dem könnte man sich ja als Marxist zweifellos anschließen. Vielmehr ist damit tatsächlich das normative Bekenntnis dazu gemeint, dass es "normal" im Sinne von "richtig" sei, wenn solche Interessen verfolgt würden ­ und dass die Gefahr dort beginne, wo dies nicht mehr der Fall ist. So verbanden sie etwa ihre schon Monate vorab verkündete Befürwortung des US-Angriffs auf den Irak mit der Aussage, dass die USA dabei auch wirtschaftliche Interessen verfolgten, sei "kein Skandal, sondern das Normalste der Welt" (Thomas Uwer), und wer sich darüber aufrege, sei mindestens ein völkisch angehauchter Moralist. Nach demselben Argumentationsmuster könnte man freilich auch sagen, dass der Verkauf von Giftgasfabriken durch deutsche Firmen an den Irak unter Saddam Hussein dann ebenfalls, jedenfalls aus Sicht des deutschen Kapitals, "normal" und folgerichtig nicht skandalös sei. So würden Thomas & Thomas das aber nicht darstellen, da es dabei ja um Unterstützung für das Reich des Bösen ging.  

Die theoretische Grundlage für dieses Herangehen liefert wiederum die Verballhornung der Kritischen Theorie, deren Destillat zur Grundausstattung der "antideutschen" Ideologie-Alchimie gehört. Die Vordenker der Frankfurter Schule um Theodor Adorno hatten, im Zustand größter Isolation in ihrem US-amerikanischen Exil zu Anfang der 1940er Jahre und angesichts der dramatischen Ereignisse auf dem europäischen Kontinent, eine pessimistische Theorie entwickelt, derzufolge es zum damaligen Zeitpunkt nur noch das vernunftbegabte Individuum zu retten und keine vorwärtsweisende gesamtgesellschaftliche Utopie zu entwickeln sei. Das Kollektiv wird, was vor dem Hintergrund der Erfahrung mit der nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" sehr verständlich wird, hauptsächlich als Ausdruck von Zwang wahrgenommen: Es vermittelt den Druck auf das Individuum, sich einzufügen und sich der Herrschaft zu beugen. Eine Sichtweise, die unmittelbar vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Herrschaft zu verstehen ist.  

Mit (Un-)Kritischer Theorie für Privatisierung, Besatzung und Krieg  

In ihrer extrem vulgarisierten, und statt kritischen längst affirmatorischen Zwecken (gegenüber dem westlichen "Normalzustand", von dem es lediglich den negativen deutschen "Sonderweg" abzuspalten gelte) dienenden Form ist diese Aussage der Kritischen Theorie auch bei unseren heutigen "Antideutschen" angekommen. So wird sich in jedem längeren Elaborat aus "antideutscher" Ecke ein Verweis auf die notwendige Verteidigung des Individuums gegen das völkische Kollektiv finden, wobei die eigene Gruppe die letzten noch nicht vom "kollektiven Wahn" verblödeten Personen umfasse, die deswegen noch "die Wahrheit" aussprechen könnten. Dieser Diskurs, der "das Individuum" als ideologische Chiffre positiv und "das Kollektiv" grundsätzlich negativ besetzt, unterscheidet dabei nicht zwischen so genannten "natürlichen" und Zwangsgemeinschaften (in den Worten des französischen rechtsextremen Politikers Bruno Gollnisch: "die natürlichen Gemeinschaften sind Familien, Kommunen, Berufsstände und historische Provinzen, statt ideologischer und finanzieller Lobbies") einerseits und aus freien Stücken resultierender kollektiver Aktion, etwa im Sinne der historischen Arbeiterbewegung, andererseits.  

Dabei wird mit der positiver Chiffre "Individuum" wiederum die Verfolgung rationaler, und deswegen berechenbarer, Interessen auch wirtschaftlicher Natur identifiziert. Das Kollektiv hingegen steht in diesem Diskurs für "Wahn", der tendenziell von allen Interessen abstrahiert ­ manche Autoren sprechen in diesem Zusammenhang auch von "Nihilismus", im Unterschied zu interessegeleitetem Denken (7). Dabei wird reichlich verkannt, dass auch etwa in rechtsextremen Bewegungen - die etwa dem Interesse einer Bewahrung des relativen Wohlstands von Metropolenbürgern gegenüber dem "Elend der Welt" dienen können - durchaus eine Interessenbestimmung vorhanden ist, auch wenn die begleitende Ideologie sich tatsächlich bisweilen verselbständigt und eine Eigendynamik gewinnt. Selbst im historischen Nationalsozialismus war eben nicht nur Wahn, sondern waren auch Interessen vorhanden: Das Interesse an Eroberung, an Plünderung, an der Ausbeutung von Sklavenarbeit, von der auch nicht irrelevante Teile der Bevölkerung profitierten. (Klar ist freilich auch, dass im besonderen Falle des Nationalsozialismus das Interesse nicht alles erklärt, und sich namentlich der Holocaust nicht aus reinem Interessedenken ableiten lässt.)

Diese ideologische Positiv- und Negativbestimmung wiederum führt zu entsprechenden Bewertungen von Großmachtinteressen ­ sofern sie an materielle Interessen angebunden, vulgo rational berechenbar sind, können sie positiv bewertet werden. Und beispielsweise auch der Privatisierungsbestrebungen der führenden Besatzungsmacht im Irak (deren Realisierung freilich bisher an der dramatischen Sicherheitslage scheiterte). Noch einmal Thomas Uwer im Originalton: "Auch im Irak geht es in erster Linie nicht darum, Ausbeutungsinteressen gegen ein nationales Kollektiv durchzusetzen, das sich eigene Vorstellungen davon macht, wie es wirtschaften will. Es geht derzeit im Irak überhaupt nicht um ein Kollektiv, sondern um die Inrechtsetzung von Individuen gegenüber dem über Jahrzehnte herrschenden kollektiven Wahn des Ba¹athismus, der als arabischer Nationalismus dem Islamismus ähnelt wie ein Arsch dem anderen. (...) Der Bezugsrahmen ist nicht die Revolution, sondern der Staat, der in der Lage ist, Rechte zu garantieren, zu formulieren und auch umzusetzen."  

Nun ließe sich dagegen vielleicht einwenden, dass auch so ein Staat doch im Grunde eine relativ kollektive Veranstaltung sei. Darin aber erblicken unsere "antideutscher" Ideologen selbstverständlich keinerlei Widerspruch. Denn wo findet ihr Lob des selbstbestimmten Individuums, das sich gegen den "kollektiven Wahn" ­ etwa den, über eine nationalisierte Wirtschaft zu verfügen ­ erfolgreich wehrt, seinen Höhepunkt? Folgen wir den Ausführungen von Thomas & Thomas als Autoren im Zentralorgan der "antideutschen" Sekte, Bahamas, wo sie pseudo-kokett im Inhaltsverzeichnis als "Lieutenant Thomas Uwer und Sergeant Thomas von der Osten-Sacken" vorgestellt werden (8). Und siehe da, der Diskurs findet dort seinen Höhepunkt, wo Sie, liebe Leserinnen und Leser, garantiert schon immer das selbstbestimmte Individuum zuerst vermutet hättet: beim Soldaten in Uniform. Denn US-Soldaten im Irak, erfährt das Publikum, sind geradezu das Musterbeispiel selbstbestimmter, ihres Tuns vollauf bewusster und autonom handelnder Individuen. Pikiert dagegen rümpfen unsere beiden Ideologen ihre Nase ob jener, in bösen linken Kreisen offenbar weit verbreiteten, "Vorstellung von Soldaten, die entweder sadistische Killer oder aber selbst Underdog ­ also Opfer ­ sind, einer ethnischen Minderheit oder den Unterklassen entstammen". Eine Vorstellung, die natürlich grundfalsch ist, wie jedes Kind weiß. "Wie Pat zu Patachon, so gehört in diese Vorstellung zum schießwütigen Ledernacken seit jeher auch der schwarze GI, dem die Armee einziger Ausweg aus dem Ghetto war und der als Kanonenfutter für die Rendite von Halliburton und Bechtel verheizt wird." Wie die Leute nur zu solch abwegigen Vorstellungen gekommen sein mögen...  

Der Mustersoldat made in USA, wie der von Thomas & Thomas angeführte "Major der US-Army: Eric Rydbom", zeugt dagegen "nicht nur von einer tiefen Humanität und dem Willen, den Irakis beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen, sondern auch von einer Scharfsicht, die viele missen lassen." Diese unglaubliche Scharfsicht äußert sich unter anderem in Zeilen wie diesen: "<Es gibt aber immer noch schlechte Kerle, die ihre Finger nicht vom alten Regime lassen wollen (...).> Rydbom, der wie viele andere Soldaten auch, seinen Einsatz im Irak mit dem der US-Armee im Zweiten Weltkrieg vergleicht... (Bei ihm) wird der Einsatz im Irak mit der Befreiung Europas im Zweiten Weltkrieg verglichen." (Ebenda) Thomas & Thomas zitieren ausführlich aus Feldpostbriefen und E-Mails amerikanischer Soldaten und Offiziere. Es gibt nur einen kleinen Schönheitsfehler: Bereits vor Abfassung ihres Artikels hat sich herausgestellt, dass die GIs viele dieser Briefe "nie geschrieben hätten, sondern (diese) ihnen <mit der Bitte vorgelegt wurden, sie doch zu unterzeichnen, falls Einverständnis mit dem Inhalt besteht>", wie die Autoren einen Beitrag aus dem "Freitag" zitieren ­ dem sie freilich gar nicht widersprechen. Sie machen sich lediglich über "das Ziel der Kampagne" lustig und kontern den Hinweis darauf, dass viele Feldpostbriefe von der Armeehierarchie formuliert wurden, lediglich mit dem Argument, dass in "einer ganzen Fülle anderer Artikel, Emails, Weblogs amerikanischer GIs aus dem Irak" (Schreibweise im Original) inhaltlich doch dasselbe stehe wie in jenen, die nachweislich von Offizieren zur Unterschrift vorgelegt wurden.  

Aber so ganz weit her ist dann wohl doch nicht mit der selbstbestimmten, rationalen Verfolgung eigener Interessen durch die Soldaten. Denn an dieser Stelle müssen die beiden Autoren dann doch zu einer offenkundigen ideologischen Krücke greifen, nämlich zu dem viel strapazierten Begriff "Freiheit", der anscheinend die grundlegende Antriebkraft der Gis im Einsatz darstellt: "Wie anders ist dagegen der Blick aus Amerika, wo Kriege seit der Revolution immer einem klar formulierten Ziel gedient haben, das ideologisch ausgedrückt am besten mit dem Wort <Freiheit> zu umschreiben ist: Ob gegen die britische Krone, den spanischen Kolonialismus, Emperor Wilhelm, die Nazis oder den Kommunismus." (Ebenda)

Ein kleiner Schönheitsfehler ist dabei nur, dass die USA im Kampf "gegen den spanischen Kolonialismus", der sich im Krieg von 1892 bis 1989 manifestierte, faktisch vor allem danach strebten, selbst Kolonialmacht zu werden und Spanien als solche in seinen bisherigen Besitzungen abzulösen. Genauso kam es auch, und die USA wurden ab 1898 ganz offiziell Kolonialmacht auf den Philippinen (bis zum Zweiten Weltkrieg), Kuba und Puerto Rico.  

Ob Krieg in der Dritten Welt oder Krieg gegen das Dritte Reich, für NATO-Thomas und Folter-Thomas ist das ohnehin alles eine Sauce. Darin stimmen sie mit den ehemals antideutschen, und jetzt "anti-islamfaschistischen" Rechtssektierern von der Bahamas prinzipiell überein. Bei denen wird man (in Bahamas Nr. 43) unter anderem über folgende Wanderung des (negativen) Weltgeists belehrt: "Wie kann man ignorieren, daß die Wiederaufbereitung nazistischer Ideologie in der späten BRD vor allem" ­ vor allem!, als ob es nie einen Kommentator der Rassengesetze H. Globke im Kanzleramt und nie eine NPD gegeben habe ­ "durch die ’Neue Linke' betrieben wurde, und entsprechend sich auch der Focus dieser Ideologie, jetzt ’neuer Internationalismus' genannt, ein wenig verschob? Sah sich der Versailles-Deutsche nämlich als Hauptopfer kolonialer Unterdrückung (...) so bürdet der Post-68er die identische Vorstellung nun komplett der dritten Welt auf, während Deutschland ja (...) ins Lager der Feinde, in das ’des Westens', gewechselt war ­ man konnte also mit deutscher Ideologie gegen Nachkriegsdeutschland sein." Sieh an, da haben wir ihn ertappt: Den Weltgeist, der da wandert und die deutschen Verhältnisse mal eben in Afrika, in Asien und Lateinamerika einpflanzt, von woher heute die Hauptgefahr rührt.  

Dritte Welt, Drittes Reich: Alles eine Sauce...  

Doch auf die Genauigkeit der historischen Analyse kommt es bei ideologischen Trommlern, wie etwa Thomas & Thomas, ohnehin nicht an. In bisher jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Bahamas, in der die beiden erneut mit einem eigenen Beitrag vertreten sind (9), versuchen Thomas & Thomas beispielsweise ihren Hass auf die UNO (ein lästiges Hindernis bei "antifaschistischen" Feldzügen wie jenem im Irak) theoretisch zu untermauern und gleichzeitig die ideologischen Fundamente des US-amerikanischen Neokonservatismus stichhaltig zu begründen. Dabei starten die Autoren im Jahr 1975, in dem die Vollversammlung der Vereinten Nationen ihre berühmt-berüchtigte Resolution mit der platten Gleichsetzung "Zionismus ist Rassismus" verabschiedete und in dem der (1979 gestürzte) ugandische Diktator Idi Amin vor der UN-Vollversammlung sprach.  

Einen unter anderem dagegen gerichteten Text des späteren UN-Botschafters der USA, Daniel Patrick Moynihan, von 1975 unter dem Titel "The United States in opposition" präsentieren Thomas & Thomas dabei "als Starting Point des Neokonservativismus". Damit ziehen sie, in einem Parforceritt durch die jüngere Geschichte, eine geradlinige Verbindung vom abzulehnenden Antizionismus (vulgo Antisemitismus) über die damalige Position der USA bei den Vereinten Nationen direkt hin zur "Kollaboration" von UN-Organen mit Saddam Hussein (im Rahmen des Oil for food-Programms) und zur Ablehnung des Irakkriegs von 2003. Dabei unterschlagen sie nur leider einige lästige historische Details: Wenn die USA sich im Jahr 1975 "in der Opposition" bei den Vereinten Nationen befanden, dann freilich keineswegs nur deswegen, weil diese "eine Bühne für Tyrannen und Diktatoren" (wie sie Moynihan zitieren) gewesen wären. Sondern vor allem auch, weil damals eine UN-Mehrheit aus sowjetischem Block und frisch entkolonisierten Ländern der "Dritten Welt" bestand, die in mehreren Resolutionen unter anderem auch eine andere Weltwirtschaftsordnung verlangte und diverse US-Strafexpeditionen verurteilte. Schließlich dürfte als "Starting Point" des Neokonservatismus vielleicht auch eine andere, klitzekleine historische Gegebenheit wie der Ausgang des Vietnamkriegs im selben Jahr 1975 eine nicht gänzliche unwesentliche Rolle spielen. Dies alles aber findet in Thomas' & Thomas' historischer "Analyse" keinerlei Erwähnung. Sie ist, wie zahllose andere Texte aus derselben Werkstatt, vor allem eines: Eine Instrumentalisierung der notwendigen Kritik an modernen Erscheinungsformen des Antisemitismus zum Zwecke billiger außenpolitischer Propaganda.  

Wer also einen Verwandten oder Bekannten so richtig fies ärgen möchte, der oder die möge ruhig die gesammelten Orientmärchen von Karl May & Thomas von der Osten-Sacken unter den Weihnachtsbaum legen. Die anderen werden sich wohl, auf der Suche nach ernstzunehmenden Analysen über die Vorgänge im Irak, besser anderen Autoren und Autorinnen zuwenden.

FUSSNOTEN:

(1) Quelle: http://infoladen.de/koeln/casablanca/index.php?artikelID=texte_achtetnicht  

(2) Anlässe waren beim ersten Mal das Stattfinden der Konferenz "Stopp the Wall", beim zweiten Mal einer "Demonstration gegen die Besatzung in Palästina und im Irak". Unabhängig davon, dass auch bei diesen beiden Ereignissen recht kritikwürdige Inhalte präsent gewesen sein mögen, soll es in diesem Text um die Bewertung der "Antideutschen" und ihrer Ideologie gehen ­ woraus keineswegs resultiert, dass auf der anderen Seite der neuen Polarisierungslinie "Antiimps versus Antid." vorwiegend vernünftige Inhalte vorherrschend seien. Die erste "antideutsche" Kundgebung zog circa 100 Personen an, die zweite circa 70 Personen. Vgl. http://www.fenceoutterror.tk/  

(3) Vgl. http://dki.antifa.net/inipa/inipa.php  (inipa steht dabei für "Initiative Potsdamer Abkommen").  

(4) Vgl. Die Welt vom 23. März, 07. April, 24. April, 12. August und 17. September 2004.  

(5) Kommentar von Thomas von der Osten-Sacken nach den Vorfällen in Falluja, bei denen die Leichen von vier US-Amerikanern exhibiert wurden, in Jungle World vom 07. April 2004.  

(6) Die Mitschnitte (als MP3-Datei) können hier angehört werden: http://jungle-world.com/termine.html  

(7) Vgl. als Illustration dieses Diskurses etwa Thomas Uwer in KONKRET 05/2004: "Überall (im Nahen Osten) fand sich das Kollektiv mal national, mal religiös ins Recht gesetzt, während die <kulturelle Moderne> bürgerlicher Gesellschaften ­ die Befreiung des Individuums vom Kollektiv ­ nicht nur abgelehnt, sondern als feindlicher Angriff auf das Kollektiv bekämpft wurde."  

(8) "Unterdrückte Nachrichten aus dem Irak...", in Bahamas Nr. 43, Winter 2003/04..  

(9) Bahamas Nr. 45, Herbst 2004: "Business with Saddam".  

Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel schickte uns der Autor am 19.10. 2004  in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung. Eine leicht gekürzte Fassung erschien in AK (Analyse & Kritik) vom 15.Oktober 2004.