In holperigem Deutsch zeigt man sich begeistert: "Saxe ist gut! noch
einmal"
(Schreibweise im Original), so lautet der Titel eines Kommuniqués, das der
französische Front National am Tag nach dem Wahlerfolg der NPD im deutschen
Bundesland Sachsen französisch Saxe auf seiner Mailingliste an die
Parteigänger und Sympathisanten verschickte.
Damit ist der FN von Jean-Marie Le Pen eine der wenigen "etablierten"
rechtsextremen Großparteien in Europa, jedenfalls in Westeuropa, die offene
Sympathien für die neonazistische NPD zeigen. Andere rechtsextreme Parteien
mit einem halbwegs bedeutenden Wähleranteil blieben da dann doch lieber auf
Abstand. Im FN-Kommuniqué dagegen ist von einem Erfolg der "nationalen, den
kleinen Leuten verpflichteten und sozialen deutschen Rechten" die Rede. Mit
genau denselben Worten (droite nationale, populaire et sociale) bezeichnet
der Front National sich seit seiner Gründung im Oktober 1972 gewöhnlich
selbst.
Auf diese Weise hat der FN östlich des Rheins einen neuen
Bündnispartner
gewonnen. Traditionell hatte er zu der, allzu braunen, NPD eher Abstand
gewahrt und zunächst auf die erfolgreicheren "Republikaner" (REPs) gesetzt.
Von 1989 bis 1994 hatten der französische FN und die REP-Abgeordneten eine
gemeinsame Fraktion im Europaparlament gebildet; auch Vertreter des
italienischen MSI hatten ihr zunächst angehört, die aber wegen der verbalen
Ansprüche deutscher REPs auf "Südtirol" alsbald empört auszogen. Nachdem der
Niedergang der "Republikaner" begonnen hatte und im April 1998 die DVU einen
Wahlerfolg bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt erzielt hatte, schwenkte
der FN auf den Gerhard Frey-eigenen Wahlverein als neuen Bündnispartner um;
Le Pen und Frey trafen sich im Juni 1998. Inzwischen wird offenkundig auch
die NPD, die seit den jüngsten Wahlen mit der DVU verbündet ist, nicht mehr
länger als anrüchig betrachtet.
Offene Strukturfragen
Aber die Strukturfragen, die die deutschen rechtsextremen Parteien
beschäftigen und mitunter zerreißen, stellen sich auch für die franzöische
extreme Rechte mit ihrer faktischen "Einheitspartei". Soll man um Bündnisse
mit konservativen Kräften werben, auf den längerfristigen Erwerb von
"Salonfähigkeit" setzen - oder eher als Kraft des "Protests gegen das
System" diffuse Ausdrücke gesellschaftlicher Unzufriedenheit zu bündeln
versuchen? Auf diesem strategischen Widerspruch hatten dereinst die
erfolgreichen REPs herumzubeißen: Der 1994 ins Amt gekommene
Bundesvorsitzende Rolf Schlierer favorisierte die erstgenannte Variante,
sein Vorgänger Franz Schönhuber eher die zweitere. In Frankreich hat Le Pen,
der Schönhuber zum großen Vorbild wurde, faktisch den Richtungsentscheid für
die zweitere Option getroffen.
Eine andere wichtige Frage bildet jene nach der Rolle des "starken
Manns" an
der Spitze. Ohne einen solchen vermag eine rechtsextreme Partei kaum
auszukommen, wenn sie Erfolg haben will; in diesem Sinne ist die NPD als
Kader- und Aktivistenpartei, in der dem Bundesvorsitzenden keine allzu
herausragende Rolle zufällt, eher die Ausnahme. Aber eine allzu starke
Konzentration auf die "Führer"persönlichkeit, gar eine weitgehende
Personifizierung der Partei kann ihrerseits schädlich sein. Denn sie hemmt
jede "Bewegungs"dynamik, sofern der "starke Mann" ängstlich darauf
bedacht, keinen Kader als möglichen Konkurrenten hochkommen zu lassen
keine halbwegs zu eigenständigem Denken fähigen Parteifunktionäre aufbaut,
sondern sich wie DVU-Chef Gerhard Frey lieber mit Clowns umgibt, die als
Abgeordnete in den Parlamenten bestenfalls für Heiterkeit sorgen.
Die Problematik spitzt sich in den letzten Jahren für den Front
National zu.
Traditionell hatte die französische rechtsextreme Partei eigentlich keine
Schwierigkeiten damit, über vorzeigbare Kader zu verfügen. Denn ein
bedeutendes Potenzial an Rechtsintellektuellen war vorhanden, das etwa auf
die Mobilisierung der Ultrarechten während des Algerienkriegs (1954-62)
sowie die späteren intellektuellen Umtriebe der "Neuen Rechten" (Nouvelle
Droite) zurückzuführen ist. Doch nachdem der ehemalige Chefideologe und
"Nummer Zwei" der Partei, Bruno Mégret, 1998 den alleinigen Führungsanspruch
des Chefs erst auf versteckte Weise und dann offen in Frage gestellt hatte
auch aufgrund eines strategischen Richtungskonflikts: Mégret trat
tendenziell für Regierungsbündnisse nach italienischem Muster ein ist Le
Pen misstrauisch geworden. Mit einsetzendem Altersstarrsinn ist der
inzwischen 76jährige in jüngster Zeit darauf bedacht, nur noch seine
persönliche Macht zu sichern und, sofern möglich, in näherer Zukunft auf
seine jüngste Tochter Marine zu übertragen. Letzteres Ansinnen aber, das auf
dem Parteitag in Nizza im April 2003 offenkundig wurde, hat jetzt zu
heftigen Abwehrreaktionen auch seitens "altgedienter" Parteifunktionäre
geführt. Diese haben unter anderem Angst davor, die von den Medien hofierte
Anwältin und Mittdreißigerin, die selbst geschieden und wieder verheiratet
ist, könne den FN auf zu "modernistische" Positionen zu Themen wie "Moral",
Familie und Abtreibung führen.
Der innerparteiliche Streit beim FN spitzt sich zu
Der persönliche Konflikt zwischen Le Pen und der seit Mitte der 70er
Jahre
beim FN aktiven Altfunktionärin Marie-France Stirbois, die sich im Frühjahr
bei der Aufstellung der Listen zu den Europaparlamentswahlen übergangen
fühlte, hat jetzt zu einer erheblichen Zuspitzung des innerparteilichen
Machtkampfs geführt. Stirbois fand dabei Unterstützung beim Kopf des
katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels und Erzfeinds von Marine Le
Pen, Bernard Antony, sowie bei Jacques Bompard, dem einzigen
FN-Bürgermeister in Frankreich. Ende August fanden gar, zeitlich parallel
zueinander, zwei "Sommeruniversitäten" für die Parteikader statt: Die eine,
traditionell unter Jean-Marie Le Pens Vorsitz stehende in Enghien-les-Bains
(bei Paris), und die andere unter den Fittichen von Jacques Bompard in dem
von diesem regierten südfranzösischen Städtchen Orange. An beiden
Sommerakademien nahmen je rund 300 Pesonen teil, mit einem leichten
zahlenmäßigen Vorteil für die "Orangisten".
Die Le Pens Vater und Tochter schäumten. Auf Betreiben namentlich
von
Marine, die den Noch-Parteichef offen zu härterem Vorgehen anstachelte,
versuchte Jean-Marie Le Pen auf zwei Sitzungen des "Politischen Büros" des
FN, die Widerspenstigen Bompard und Stirbois aus dem obersten
Führungsgremium ausschließen zu lassen. Doch erstmals musste er vor den
innenparteilichen Widerständen zurückweichen: Viele Kader, darunter der
"loyale" Generalbeauftragte (délégué général) der Partei, Bruno Gollnisch,
sprachen sich gegen die geforderte Sanktion aus. Am 28. September war es
dann soweit, das "Urteil" fiel: Bompard wird befristet für sechs Monate,
Stirbois für drei Monate vom Politbüro ausgeschlossen. Doch eine für den FN
unerhörte Neuerung trat ein: Die Betroffenen machten offen, vor laufenden
Fensehkameras, gegen die "ungerechte" Ausschlussmaßnahme Front und
verschafften ihrem Unmut Luft.
Le Pens innerparteiliche Autorität scheint so angegriffen wie nie.
Gleichzeitig hat Bompard, als derzeitiger Anführer der innerparteilichen
"Dissidenten", erstmals auch programmatische Vorschläge zur Zukunft der
Partei skizziert. In einem längeren Interview mit der Pariser Abendzeitung
"Le Monde" vom 31. August legte er seine Vorstellungen dar. Demnach ist "die
Zeit der Duce, der Großen Steuermänner vorbei. Der Führer, der Caudillo, der
Conducator, all das ist vorüber." Jacques Bompard schwebt so etwas wie eine
tief verwurzelte, von der kommunalen Ebene her aufgebaute
"Widerstands"bewegung der weißen und katholischen Bevölkerungsgruppe gegen
die übrigen Gruppen und vor allem gegen die Einwanderer vor: "Besser (wäre
es), morgen eine Gemeinschaft von einer Million Männern und Frauen mit ihren
eigenen Schulen, ihren Ausbildungsstätten, ihren Netzwerken gegenseitiger
Hilfe zu haben, als eine formlose Masse von 5 Millionen Wählern und
gleichzeitig nur 2.000 Aktivisten." Man könnte diese Vision als den Versuch
des Aufbaus einer Apartheidgesellschaft "von unten" bezeichnen. Die
derzeitige innerparteiliche Praxis, befürchtet Bompard, trage nicht genug
zur Verankerung einer solchen gesellschaftlichen "Bewegung" bei.
Editorische Anmerkungen
Diesen Artikel schickte uns
der Autor am 6.10. 2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.
|