Da sitzt er also jetzt vor mir, "aus Fleisch und Blut².
Eher müsste ich
sagen: aus Haut und Knochen. Eingefallene Wangen, ein schütterer
Schnauzbart, ein unendlich müde und mitunter abwesend wirkender Blick: So
jung und knackig wie Tom Hanks in der Spielberg-Verfilmung Terminal sieht er
nicht aus. Auch sein Elan wirkt nicht so frisch wie jener des Filmhelden
"Viktor Nagorski". Wir sind nicht am John F. Kennedy Airport in New York,
sondern im Untergeschoss des Aéroport Charles de Gaulle, in Roissy bei
Paris. Und die vielleicht wichtigste Kleinigkeit: Dies ist kein Film,
sondern das wirkliche Leben.
Zwei Meter neben ihm hasten die Passagiere
vorbei, die mal eben noch im Duty
Free Shop einkaufen möchten. Wie hieß es noch im Film so schön, um den
vorübergehend staatenlos gewordenen Bürger einer in Putschwirren
verstrickten und zeitweise international nicht mehr anerkannten -
Kaukasusrepublik in die Zone einzuweisen? There is only one thing you can
do
here, Mister Nagorski: Shopping. Nur heißt mein Gegenüber nicht Viktor
Nagorski, und von der ominösen Republik "Krakozhia" hat er wohl auch noch
nie gehört.
Das ist er also: der Mann, der tatsächlich seit
Jahr und Tag ein Plätzchen
in einem Flughafen bewohnt. Es war gar nicht so schwer, ihn zu finden. In
meiner Hand einen französischen Zeitschriftenartikel auf dem Stand von
1999,
habe ich mich am vorletzten Sonntag auf die Suche gemacht.
Steht da nicht etwas von der Bye Bye Bar im
Einkaufsbereich des Flughafens,
in deren Nähe er zu finden sei? "Möglichst unauffällig wirken", denke ich
mir, und frage die beiden schwarzen Kellner an der Theke einer
Espressoschenke nach einer gleichnamigen Bar. "Bitte? Die gibt es seit
Jahren nicht mehr das war mal da vorne, aber da wird umgebaut."
Scheibenhonig aber auch. Schnell den Kaffee ausgeschlürft, und um die Ecke
in die Apotheke. Verzeihung auch für die ungewöhnliche Frage, aber ob die
Dame vielleicht jemanden kenne, der da seit ein paar Jahren... "Ach,
Monsieur Alfred meinen Sie?", meint die Angesprochene ohne größere
Gefühlsregung. "Ja klar kenne ich den, alle kennen ihn hier. Er kann gar
nicht weit sein ach, von hier aus sehen Sie ihn schon, schauen Sie mal
da
drüben." Auf Anhieb sehe ich nichts, oder eher, ich traue meinen Augen
nicht: Da ist nur ein armseliges Stilleben aus vier oder fünf
zusammengeschobenen leeren Pappkartons, einer Sitzbank, über die ein paar
Klamotten gelegt oder gehängt sind, und einem Flughafen-Caddie. Und
inmitten
von allem sitzt er mit ausgestreckten Beinen und liest in einem Buch:
Monsieur Alfred oder, wie er selbst als Anrede vorzieht, Sir Alfred.
Dass er mit richtigem Namen eigentlich Mehran
Karimi Nasseri heißt, wusste
ich schon, nachdem vor einigen Jahren bereits hier und da Artikel über
sein
Leben erschienen waren - lange bevor Steven Spielberg es als Vorlage für
seine doch recht wirklichkeitsfremde Kinoversion entdeckte. Und dass er
1945
im Iran geboren wurde, auch. Also versuche ich ihn auf Persisch
anzusprechen. Der Versuch kommt aber nicht gut an: I am no Iranian und ein
schnelles Abwehren sind Alfreds einzige Reaktion. Farsi ist nicht
angesagt.
Auch Französisch scheint er zwar zu verstehen, aber er weigert sich, es zu
sprechen. Ansonsten will er nur Englisch sprechen.
Die Sprache Shakespeares und sein Land: für Sir
Alfred scheinen sie zur
fixen Idee, zur Obsession geworden zu sein. In die Lektüre der vermischten
Meldungen aus dem Londoner Leben war er vertieft, als ihm vor Jahren die
Aktentasche mit allen seinen Papiere am Flughafen von Paris-Roissy
gestohlen
wurde - so lautet seine Version - oder als er sie möglicherweise dort auf
einer Sitzbank vergessen hat, wie andere Varianten besagen. Das war 1988.
Und so begann sein derzeitiges Leben an diesem sonst eher unwirtlichen
Ort:
Ohne jedes Papier, das als Identitätsnachweis gelten könnte, am Heathrow
Airport in London eintreffend, wurde er vom Land seiner Träume umgehend
dorthin zurückgeschickt, wo er herkam, also nach Paris. Seitdem verfolgt
er
die BBC-Nachrichten auf den Fernsehern in der Abfertigungshalle des
dortigen
Flughafens und wehe dem, der ihn dabei stört, wie die Verkäufer in der
Zone des boutiques vorsorglich warnen.
Wenigstens in Buchform ist er mittlerweile in
England angekommen: "The
Terminal Man" lautet der Titel des vor wenigen Wochen auf der Insel
erschienen Romans von "Sir Alfred Mehran", der dort 6,99 Pfund kostet
aber
nicht mit dem gleichnamigen Buch von Michael Crichton aus dem Jahr 197Z zu
verwechseln ist, das 1974 in den USA verfilmt wurde. "You should read it",
meint Alfred zu mir, der mir auch einen Tip gibt, wo ich den Roman in
Paris
erwerben könne; seine Angaben dabei fallen freilich sehr ungefähr aus.
Dass
es in dem Roman, der als "Biography & Autobiography" angeboten wird, mit
den
autobioraphischen Angaben freilich nicht so genau genommen wird, sagt
Alfred
frei heraus: I changed the history, meint er kurz und bündig.
Tatsächlich wird dort erzählt, wie Sir Alfred
jener aus dem Buch
aufgrund der Entdeckung eines lang gehüteten Familiengeheimnisses den Iran
verlässt und in Großbritannien zu studieren beginnt, jedoch durch den
plötzlichen Abbruch der Kommunikation mit seiner Familie zur Rückkehr in
den
Iran gezwungen ist. Dort wird er bei seiner Ankunft am Flughafen
verhaftet,
gefoltert und schließlich wieder abgeschoben; daraufhin beginnt seine
Geschichte am 8. August 1988 am Flughafen Paris-Charles de Gaulle. In
Wirklichkeit hat sich das Geschehene jedoch nicht so zugetragen. Aus den
bruchstückhaften Erzählungen des wirklichen Alfred, dem aus früher
erschienenen Artikeln öffentlich Bekannten und aus den Angaben seines
Pariser Anwalts seit 1988, Christian Bourguet, ergibt sich ein anderes
Bild.
Realität einer Odyssee
Demnach verließ Mehran Karimi Nasseri im Jahr
1977 den Iran, kehrte jedoch
später nie dorthin zurück. Das auslösende Ereignis war, dass der damals
32jährige - der als Waise aufgewachsen war - erfuhr, dass er als
unehelicher
Sohn eines britischen Offiziers auf die Welt gekommen war. Seine Mutter
war
bei seiner Geburt gestorben. Daraufhin fasste Mehran ein Ziel, wenn nicht
"das" Ziel in seinem Leben, das bis dahin eher freudlos verlaufen sein
muss:
Er würde seinen leiblichen Vater ausfindig machen und dank diesem die
britische Staatsbürgerschaft erhalten, um ein neues Leben zu beginnen.
Dafür
erhielt er auch ein britisches Visum, das ihm eine ganz legale Einreise
nach
London erlaubte. Nur war dort der mutmaßliche Vater inzwischen verstorben,
und da er vor seinem Tod keine Anerkennung seiner Vaterschaft hinterlassen
hatte, blieb diese Tür juristisch für immer verschlossen.
Nach einem Jahr lief die Gültigkeitsdauer des
Visums aus, und Mehran fand
sich ohne Geld, ohne Aufenthaltserlaubnis, ohne Bekannte und ohne jeden
Nachweis seiner britischen Abstammung in London wieder. Die Behörden
bereiteten seine Abschiebung bevor, aber kurz bevor sie zur Tat schritten,
reiste der seines Traumziels Beraubte aus allerdings nicht in den Iran,
sondern nach Westdeutschland. Dort beantragte er politisches Asyl, was
nicht
sonderlich verwundern konnte, denn inzwischen war Khomenei in Teheran an
die
Macht gekommen. Damit waren nicht nur die Träume vieler der Revolutionäre
gegen den Schah geplatzt, sondern das Land wurde in den folgenden Jahren
mit
der Peitsche regiert. Doch das Asylgesuch wurde abgelehnt. Mehran
versuchte
es erneut in den Niederlanden, dann in Luxemburg und schließlich in
Belgien:
Damals gab es noch kein Schengen-Abkommen, das ihm verboten hätte,
Asylanträge in mehreren Mitgliedsländern der damaligen EG zu stellen.
Schließlich fiel eine günstige Entscheidung für
ihn: In Brüssel wurde ihm
das vorübergehende Aufenthaltsrecht als Flüchtling zuerkannt. Dort konnte
Mehran sich einige Jahre lang über Wasser halten. Doch der Traum vom
britischen Pass lebte in seinem Kopf fort. Deshalb bestieg der am 28.
August
1988 ein Flugzeug nach Paris, wo er eine Stunde Aufenthalt vor seinem
Weiterflug nach London hatte. Ab da nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Bekanntlich ist der Pass das wertvollste Stück am Menschen; das aber kam
unserem Protagonisten abhanden.
Von den Briten am selben Tag zurück nach
Paris-Roissy geschickt, findet der
Ausweis- und damit offiziell "Identitätslose" sich im Flughafengefängnis
wieder. Drei Monate lang. Selbst die Wächter finden die Situation absurd
und
nehmen "Alfred" wie sie ihn als Erste nannten - regelmäßig, obwohl
illegal, mit nach draußen an die frische Luft. Am Ende lassen sie ihn
sogar
gänzlich unbeaufsichtigt in der internationalen Transitzone. Nach draußen
zu
gehen bleibt Mehran/Alfred verboten. Vier Jahre verstreichen, dann erfährt
er, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR nunmehr endlich eine Kopie
seiner, in Belgien ausgehändigten, Dokumente als Asylantragstellender
angefertigt hat. Jetzt genügt es also so die frohe Botschaft, die Alfred
verkündet wird -, dass er bei den Behörden in Brüssel vorstellig wird, um
erneute Originaldokumente zu erhalten. Gut und schön, aber es bleibt eine
kleine Frage übrig: Wie kann eine Person ohne gültiges Ausweispapier, die
auch nicht formell für staatenlos erklärt worden ist, von Paris nach
Brüssel
reisen? Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Unterdessen richtet Alfred sich im Untergeschoss
des Flughafens ein, auf
seine Weise. Angestellte der diversen Fluggesellschaften bringen ihm
Essensportionen von Bord mit, ansonsten verpflegt er sich bei McDonalds.
Der
Chefarzt des Flughafens, Philippe Bargain, untersucht ihn regelmäßig auf
seinen Gesundheitszustand. Und seine Klamotten wäscht eine Stewardess von
der Lufthansa.
Doch das lange Leben im Durchgang der Passagiere
lässt Alfred den Sinn für
Raum und Zeit, in gewissem Maße für die Realität verlieren. Vieles wird
ihm
gleichgültig. Auf meine Frage, in welchem Radius er sich denn
erlaubtermaßen
bewegen dürfe, und ob er denn auch mal nach draußen dürfe, antwortet
Alfred
nur höchst apathisch: "There is no problem, there is no problem".
Im Juni 1999 schien das langsame Mahlen der
Bürokratie endlich zu einem
Abschluss zu kommen. Damals ließ der seinerzeitige Innenminister
Jean-Pierre Chevènement auf dessen Schreibtisch als oberstem Dienstherrn
die Angelegenheit inzwischen gelandet war die Ausstellung eines
Aufenthaltstitels anordnen. Er hatte erkannt, dass jemand, der einen
gültigen Aufenthaltsstatus als Flüchtling in Belgien habe, damit auch im
Schengen-Mitgliedsland Frankreich ein Aufenthaltsrecht genieße. Doch
Alfred
wollte davon nichts mehr wissen: Einen Herrn dieses Namens kenne er nicht
mehr, lehnte er die Papiere auf den Namen "Mehran Karimi Nasseri" ab.
Inzwischen war er vollkommen zu Mister Alfred geworden. "Nur als freier
Mann", sprich als Sir Alfred, werde er den Flughafen verlassen "oder aber
mein ganzes Leben hier bleiben". Die fixe Idee, nach so langem Warten,
lässt
keinen Platz mehr für schäbige Kompromisse.
Wer nicht fragt, der nicht verliert....
Der größte Witz an der Kafka-verdächtigen
Geschichte ist, dass es
tatsächlich genügen würde, dass Alfred einfach nach draußen marschiert.
Den
Flughafen zu verlassen, ist ihm formell verboten. Aber von der Haltestelle
der Regionalschnellbahn RER bis zu dem Ort, an dem Monsieur Alfred sitzt,
und zurück hat mich tatsächlich niemand aufgefordert, meine Papiere
vorzuzeigen.
Zumindest an diesem Punkt liegt Spielberg mit
seiner filmischen
Schnulzen-Variante mindestens in einem Punkt vielleicht gar nicht so weit
daneben. In Terminal sieht man den auf Karriere erpichten Oberpolizisten
des
New Yorker Flughafens, Frank Dixon, mit der Frage beschäftigt: "Warum
sucht
er nicht nach den Lücken im System? Warum nutzt er nicht die Lücken, um
rauszukommen? Alle tun das!" Die Problematik wird in der Spielberg¹schen
Darstellung doppeldeutig behandelt. Denn Dixons Haltung schwankt zwischen
beiden Polen hin und her: Zunächst von dem Standpunkt "Hauptsache, ich
werde
das Problem los" ausgehend, sucht Dixon dem vorübergehend durch
völkerrechtliches Abhandenkommen seiner Kaukasusrepublik staatenlos
gewordenen Nagorski auf der einen Seite Brücken zu bauen. Mal will er ihn
dazu animieren, einfach "Illegaler" in New York City zu werden und
möglichst
schnell Land zu gewinnen ("Um 12 Uhr werden die Wachen ausgetauscht, und
die
Ablösung trifft erst um 12.05 Uhr ein haben Sie mich verstanden, Mister
Nagorski?"), mal will er ihn in ein Asylverfahren hinein drängen. Dann
wieder will der Oberbulle seinen "Schützling", andererseits, in eine Falle
locken: Wenn er ihn bei einem illegalen Versuch, den Flughafen zu
verlassen,
ertappen könnte, würde er über einen Vorwand verfügen, ihn inhaftieren zu
lassen.
In Wirklichkeit würden sich die Verantwortlichen
des Migrations- und
Überwachungsregimes wohl kaum über ein einzelnes Individuum so stark den
Kopf zerbrechen, wie das hier auf der Leinwand dargestellt wird. Dennoch
stimmt es, dass das System eine doppelte Wirkung erzielt und mutmaßlich
auch
intendiert, wenngleich sicherlich nicht im Kopf des einzelnen, bornierten
Beamten und staatlichen Funktionsträgers. Einerseits soll es Repression,
Bestrafung und Abwehr gegen als "lebendes Risiko" definierte Menschen
auslösen Effekte, die jedes Mal eintreten, wenn eine zum Zwecke der
Abschreckung und Ausgrenzung gezogene Grenzlinie auf offene oder
nachweisbare Weise überschritten wird. Andererseits aber produziert und
provoziert es zugleich auch eine Vielzahl von Grenzüberschreitungen, die
zur
konkreten Folge haben, dass sie für die Betroffenen Prekarisierung,
"Illegalisierung" und beispielsweise die Hinnahme besonders übler und
"eigentlich" nicht zulässiger Arbeitsverhältnisse nach sich ziehen. Die
Stabilität des Gesamtssystems benötigt den zweitgenannten Aspekten genauso
wie den ersten.
Sicherlich schwankt das genaue Verhältnis
zwischen beiden Aspekten, in
Abhängigkeit von gesellschaftlichen und ideologischen Faktoren. So dürfte
in
den USA der Ausgrenzungs- und Sicherheitsaspekt seit den Nachwehen des 11.
September und der Verabschiedung des "Patriot Act" zugenommen haben,
während
traditionell eher ein anderes Modell im Vordergrund stand. Es wird in
Spielbergs Film von dem aus Albanien stammenden Taxifahrer verkörpert, dem
der nach 12 Monaten Aufenthalts im Flughafen in¹s Freie kommende "Held"
Nagorski kurz vor dem happy end begegnet (Nagorski: "Und wann sind Sie in
die USA gekommen?" Antwort: "Oh... letzten Donnerstag!").
In West- und Nordeuropa dagegen überwiegt schon
seit längerem die
Verteidigung des Grenzschutzregimes gegenüber dieser pragmatischen
Offenheit
für "illegale" Arbeit. Aber auch hier werden andere Mechanismen in die
vorrangig auf Abwehr ausgerichteten Dispositive integriert. In Frankreich
etwa sieht ein, unter einer konservativen Regierung verabschiedetes,
Ausländergesetz seit 1997 vor, dass all jenen "illegalen" Einwanderern,
die
nachweislich seit zehn Jahren im Land ausgeharrt haben, daraufhin ihre
"Legalisierung" in Aussicht gestellt wird. Das ist die Anerkennung eines
faktischen Zustands, der auch die ständige Präsenz "nicht legal" im Lande
lebender und deswegen relativ rechtloser Menschen beinhaltet. Die
Unterschiede zum früheren US-amerikanischen und zeitweise auch britischen
System, die die Türen für illegalisierte und folglich prekarisierte
Arbeitskräfte relativ weit offen stehen ließen, liegt darin, dass die
nordeuropäischen Sozialsysteme traditionell mehr gesellschaftliche
Garantien
an die Anerkennung des Aufenthaltsrechts dieser Arbeitskräfte knüpften. In
einem System, wo Millionen working poor auch bei legalem Aufenthaltsstatus
keinerlei Sozialversicherung haben, kommt solcherlei Bedenken dagegen eine
geringere Bedeutung zu.
"Sir Alfred" ist das lebende Beispiel dafür, was
mit einem Individuum
geschieht, das in die Mühlen der mit den Mechanismen des Grenzregimes
verbundenen Bürokratie gerät und gleichzeitig nicht die Fantasie, die
Entschlusskraft oder die nötigen Voraussetzungen besitzt, um sich auf den
Wegen der "Illegalität" durchzuschlagen. Wäre ich Bourdieu-Anhänger, dann
würde ich an dieser Stelle vom "sozialen und kulturellen Kapital"
sprechen.
Das kann in familiären Bindungen bestehen, die vielen Neueinwanderern die
schnelle Integration in ein soziales Netzwerk oft bei gleichzeitiger
Hyperausbeutung erlauben. Es kann auf Vorkenntnissen beruhen, welche auf
Erzählungen anderer Migranten, die den "Sprung" vorher geschafft haben,
beruhen. Oder einfach auf dem Mut und die Vorstellungskraft, die jemand
benötigt, um sich, einmal in der "Transitzone" festgesetzt, einfach auf
leisen Sohlen vom Acker zu machen.
Alfred ist das Gegenbeispiel dafür. Und dennoch
könnte auch er auf seine
Weise seinen Gewinn aus der kafkaesken Situation schlagen, in der er lebt:
Seine Geschichte ist derart absurd und dennoch glaubhaft real, dass der
Aufkauf der Urheberrechte durch Spielberg ihm eine sattes Dollarsümmchen
eingebracht hat, das nun in einer Postbankfiliale im Untergeschoss des
Pariser Flughafens schlummert. Ob Sir Alfred persönlich viel davon haben
wird, muss dahingestellt bleiben: Die Angestellten am Pariser Flughafen
gehen nicht davon aus, dass er sein Leben woanders als in "seiner" Duty
free-Meile beenden wird.
Editorische Anmerkungen
Diesen Artikel schickte uns
der Autor am 14.10. 2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.
Eine leicht gekürzte Version
erschien in "Jungle World" vom 13. 10. 2004.
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