JORDANIEN
Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2003

ai Jahresbericht 2004
10/04

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Im Berichtszeitraum trafen Meldungen ein, denen zufolge mindestens 15 Frauen Tötungen aus Gründen der »Familienehre« zum Opfer gefallen sind. Die Täter profitierten weiterhin von milden Urteilen. Gegen mindestens 15 Menschen ergingen Todesurteile, sieben wurden hingerichtet. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit blieben eingeschränkt. Nach Protestkundgebungen gegen den von den USA angeführten Krieg im Irak wurden zahlreiche Personen in Gewahrsam genommen, bei denen es sich möglicherweise um gewaltlose politische Gefangene handelte. Einige wurden vom Allgemeinen Nachrichtendienst (General Intelligence Department – GID) ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und nach einigen Tagen ohne Anklageerhebung wieder auf freien Fuß gesetzt. Zahlreiche Personen, bei denen es sich um politische Gefangene handelte, wurden unter dem Verdacht in Haft genommen, islamistischen Gruppen anzugehören und in »terroristische« Aktivitäten verwickelt zu sein. Berichte sprachen von Folterungen und Misshandlungen an Häftlingen. Nach wie vor mussten sich politische Gefangene vor dem Staatssicherheitsgericht verantworten, dessen Verfahren internationalen Standards der Fairness zuwiderliefen. Über 1500 Menschen, die vor den militärischen Operationen der USA und ihrer Verbündeten im Irak geflüchtet waren, lebten Ende des Berichtsjahres noch in Flüchtlingslagern.

Hintergrundinformationen

Im März traf die Generalsekretärin von amnesty international mit König ‘Abdallah II. bin al-Hussein zusammen und brachte ihre Sorge über die bevorstehende militärische Intervention im Irak sowie deren mögliche Auswirkungen in humanitärer und menschenrechtlicher Hinsicht zum Ausdruck, beispielsweise in Bezug auf den Schutz von Flüchtlingen. Der König versicherte, dass Jordanien im Falle eines Krieges im Irak Flüchtlinge schützen und deren Betreuung durch internationale Organisationen gestatten würde. Die Generalsekretärin von amnesty international äußerte ferner Bedenken gegen die nach der Auflösung des Parlaments im Jahr 2001 vorgenommenen Änderungen von Paragraph 150 des Strafgesetzbuchs. Diese Änderungen höhlten das Recht auf freie Meinungsäußerung aus. Der König sicherte zu, den Sachverhalt zu überprüfen. Im April nahm das Kabinett die Änderungen von Paragraph 150 in einem Erlass zurück. Nach den Parlamentswahlen im Juni wurde das Parlament wieder eingesetzt und ein neues Kabinett ins Amt berufen. Es wurde ein Quotensystem eingeführt, nach dem sechs Sitze im Parlament für diejenigen Frauen reserviert waren, die bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten hatten. Faisal Fayez löste im Oktober ‘Ali Abu al-Ragheb als Ministerpräsident ab. Im Zuge einer Kabinettsumbildung wurden drei Ministerposten an Frauen vergeben. Die nach der Parlamentsauflösung im Jahr 2001 eingeführten zeitlich befristeten Änderungen des Gesetzes über das Verbot öffentlicher Versammlungen blieben in Kraft.

Gewalt gegen Frauen und Diskriminierung

Im Berichtsjahr sollen mindestens 15 Frauen Tötungen aus Gründen der »Familienehre« zum Opfer gefallen sein. Im September verurteilte Königin Rania derartige Tötungen und setzte sich weiterhin für die Beibehaltung der Ergänzungen von Paragraph 340 des Strafgesetzbuchs ein, die ohne Mitwirkung des aufgelösten Parlaments erfolgt waren. Darin hieß es, dass Männer, die ihre Ehefrauen oder weiblichen Verwandten wegen Ehebruchs töten, nicht straffrei ausgehen dürfen und dass Frauen, die ihren Mann töten, weil sie ihn in einer »ehebrecherischen Situation« antreffen, ebenso in den Genuss strafmildernder Umstände kommen müssen wie Männer. Nach der Wiedereinsetzung des Parlaments wurden die Ergänzungen allerdings vom Abgeordnetenhaus in zwei Abstimmungen abgelehnt. Der in derartigen Fällen im Vergleich zu Paragraph 340 häufiger herangezogene Paragraph 98 sah Strafmilderung für Verbrechen vor, die durch ungesetzliche oder gefährliche Handlungen des Opfers provoziert und »im Affekt« begangen worden sind. Im Berichtsjahr profitierten mindestens vier Männer von dieser Regelung.

Mitte des Jahres soll ein Mann für die Tötung seiner Schwester im Jahr 2002 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden sein. Er hatte seine Schwester offenbar ermordet, nachdem er erfahren hatte, dass sie von einem Nachbarn vergewaltigt worden war, den sie geheiratet hatte, als sie dann feststellte, dass sie schwanger war. Der Strafgerichtshof berief sich auf Paragraph 98 des Strafgesetzbuchs und befand, der Mann habe seine Schwester »im Affekt« getötet. Da die Frau die »Ehre« der Familie befleckt habe, handele es sich nicht um vorsätzlichen Mord.

Todesstrafe

Im Berichtszeitraum ergingen gegen mindestens 15 Menschen Todesurteile, sieben wurden hingerichtet.

Im August wurde der Palästinenser Jamal Darwisch Fatayer im Swaqa-Gefängnis exekutiert. Das Staatssicherheitsgericht hatte ihn im Zusammenhang mit der Ermordung des jordanischen Diplomaten Na’ib ‘Umran al-Ma’aytah in Beirut 1994 und wegen seiner Mitgliedschaft im verbotenen Revolutionsrat Fatah verurteilt. Der Prozess gegen Jamal Darwisch Fatayer blieb erheblich hinter internationalen Standards zurück. Nachdrückliche Hinweise darauf, dass sein »Geständnis« unter Folterungen zustande gekommen sei, wurden sowohl vom Staatsgerichtshof als auch vom Kassationsgerichtshof ignoriert.

Festnahme von politischen Gefangenen

Im Berichtsjahr wurden zahlreiche politische Gefangene in Gewahrsam genommen, bei denen es sich zum Teil um gewaltlose politische Gefangene gehandelt haben dürfte. Personen, die im Vorfeld des von den USA angeführten Irak-Krieges Kritik an dem drohenden Militärschlag und an der Rolle Jordaniens geäußert hatten, wurden verhaftet. Zu ihnen gehörten ungefähr 20 Personen, die Ende März festgenommen und vom Geheimdienst GID offenbar ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten wurden. Nach mehreren Tagen kamen sie ohne Anklageerhebung wieder frei. Zahlreiche weitere Menschen wurden unter dem Verdacht, islamistischen Gruppen anzugehören und in »terroristische« Aktivitäten verwickelt zu sein, ebenfalls festgenommen.

Im März wurde Fawaz Zurayqat verhaftet, ein führendes Mitglied des Nationalen Mobilisierungskomitees zur Verteidigung des Irak, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Aufhebung der Sanktionen und gegen den Krieg im Irak engagierte. Fawaz Zurayqat wurde vom GID in Gewahrsam gehalten, wo man ihm drei Tage lang den Kontakt zu einem Anwalt verwehrte. Nach einem Monat kam er ohne Anklageerhebung wieder frei. Bei Fawaz Zurayqat handelte es sich wahrscheinlich um einen gewaltlosen politischen Gefangenen, dessen Festnahme mit seinen politischen Aktivitäten in Zusammenhang stand.

Prozesse vor dem Staatssicherheitsgericht

Vor dem Staatssicherheitsgericht, dessen Verfahren internationalen Standards für faire Prozesse nicht gerecht geworden sind, fanden mehrere politische Prozesse statt. In die Zuständigkeit des Gerichts fielen Verfahren sowohl gegen »terroristischer« Aktivitäten Angeklagte als auch gegen Personen, denen zur Last gelegt wurde, »den Ruf des Staates schädigende« Informationen veröffentlicht zu haben. Mindestens 20 Angeklagte gaben an, zu »Geständnissen« gezwungen worden zu sein.

Der Journalist Muhammad Mubaidin verbüßte im Jweidah-Gefängnis eine sechsmonatige Haftstrafe, nachdem das Staatssicherheitsgericht ihn im Februar wegen eines in der Wochenzeitung al-Hilal erschienenen Beitrags verurteilt hatte. Unter anderem wurde ihm die Veröffentlichung von Material, das den Propheten Mohammed verleumde, die Würde des Staates und von Einzelpersonen verletze und zum Aufruhr anstachle sowie die Veröffentlichung falscher Informationen zur Last gelegt. Zwei weitere Journalisten von al-Hilal, die länger als einen Monat in Haft gehalten worden waren, kamen nach dem Prozess frei.

Im Oktober begann vor dem Staatssicherheitsgericht ein Prozess gegen 15 Männer, denen vorgeworfen wurde, »terroristischen« Vereinigungen anzugehören. Bei den fraglichen Vereinigungen handelte es sich um das Netzwerk al-Qaida und um die Organisation Ansar al-Islam. Wie aus Berichten hervorging, wurde mit Ausnahme von Ahmad al-Riyati, der Ende März von US-Soldaten im Norden des Irak festgenommen worden sein soll, in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt. Ahmad al-Riyati gab vor Gericht an, er sei im Gewahrsam US-amerikanischer, kurdischer und jordanischer Sicherheitskräfte gefoltert worden. Sein Verteidiger stellte den Antrag, seinen Mandanten wegen dessen psychischer Verfassung für nicht verhandlungsfähig zu erklären. Bei einem der Angeklagten, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde, handelte es sich offenbar um Mullah Najmuddin Fatih Krekar, der die Organisation Ansar al-Islam gegründet haben soll und in Norwegen lebte. Jordanien hat mehrfach seine Auslieferung wegen Drogendelikten verlangt, was die norwegischen Behörden aus Mangel an Beweisen abgelehnt haben.

Folterungen und Misshandlungen

Berichte sprachen von Folterungen und Misshandlungen vor allem an Personen, die sich im Zusammenhang mit »terroristischen« Aktivitäten im Gewahrsam des Geheimdienstes GID befanden. Nach Kenntnis von amnesty international sind Menschen, die von der kriminalpolizeilichen Abteilung unter Mordverdacht festgehalten wurden, zu »Geständnissen« gezwungen worden.

Drei Jordanier und zwei Libyer, die im Zusammenhang mit der Ermordung des US-Diplomaten Laurence Foley im Jahr 2002 angeklagt waren, erklärten während ihres Prozesses vor dem Staatssicherheitsgericht, der GID habe sie bei Verhören gefoltert. Berichten zufolge sagten fünf Mithäftlinge aus, dass die Körper der Männer Foltermale aufgewiesen hätten. Das Nationale Institut für Gerichtsmedizin, das den Fall des Angeklagten Muhammad Du’mus untersuchte, kam offenbar zu dem Schluss, dass er Verletzungen erlitten habe. Unter anderem fehle ihm ein Fußnagel. Die fünf Angeklagten wiesen die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück.

Im Oktober hielt Maher Arar, der die syrische und kanadische Staatsbürgerschaft besitzt, nach seiner Entlassung aus einem syrischen Gefängnis in Kanada eine Pressekonferenz ab. Maher Arar war 2002 aus den USA über Jordanien nach Syrien abgeschoben worden, weil man ihn verdächtigte, »terroristischen« Vereinigungen anzugehören. Auf der Pressekonferenz erklärte er, jordanische Beamte hätten ihn am Flughafen in Amman abgeholt, ihm die Augen verbunden und ihn in einem Lieferwagen geschlagen. Anschließend habe man ihn festgenommen und vor seiner Überstellung nach Syrien in Jordanien verhört. In Syrien soll er ohne Kontakt zur Außenwelt in Gewahrsam gehalten und gefoltert worden sein (siehe Syrien-Kapitel).

Flüchtlinge

Mehr als 1500 Menschen, die während und nach dem Krieg aus dem Irak geflüchtet waren, lebten in Jordanien und in der neutralen Zone zwischen Jordanien und dem Irak in Flüchtlingslagern. Im Flüchtlingslager Ruweished befanden sich annähernd 565 Menschen, darunter Somalier und Sudanesen – von denen einige Flüchtlingsstatus hatten – sowie Palästinenser. Offenbar 1173 Menschen lebten in einem Flüchtlingslager in der »neutralen Zone« in der Nähe des irakisch-jordanischen Grenzübergangs al-Karama. Bei ihnen soll es sich großenteils um iranische Kurden gehandelt haben, die nicht nach Jordanien einreisen durften. Es hieß, einige stammten aus dem Flüchtlingslager al-Tash im Irak, das unter der Verwaltung des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge stand.

Die Zahl der Iraker, die vor dem Krieg flüchteten, soll beträchtlich gewesen sein. Es zeigte sich aber, dass die jordanischen Behörden seit Anfang des Berichtszeitraums die Politik verfolgten, nur wenige Iraker ins Land zu lassen.

Missionen von amnesty international

Bei Besuchen in Jordanien im Februar und im März untersuchte amnesty international, inwieweit regierungsunabhängige humanitäre Organisationen und UN-Agenturen auf die Herausforderungen des bevorstehenden Krieges gegen den Irak vorbereitet waren. Außerdem führte die Organisation Recherchen zur Lage irakischer Flüchtlinge und Asylbewerber in Jordanien durch.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spieglung von http://www2.amnesty.de

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