Abstrakte Arbeit

von Floian Bec
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Mit der abstrakten Arbeit wird nicht nur die entscheidende Grundkategorie der marxistischen Analyse des Kapitals eingeführt, sie bindet zugleich die zunächst abstrakte Analyse zurück an das Leben der Menschen und erklärt, welchen Gesetzmäÿigkeiten sie unterwerfen sind. Dem Doppelcharakter von konkreter und abstrakter Arbeit entspricht der von Gebrauchswert und Wert. Dieser, der Ware zunächst immanete Widerspruch wird im Wertverhältnis der Waren zueinander als äußerer Widerspruch sichtbar. Das Wertverhältnis zweier Waren und damit ihrer widersprüchlichen Bestimmungen zeigt sich im Austauschverhältnis. Der Widerspruch wird gelöst in der Warenzirkulation. Oder vielmehr: Die Zirkulation schafft die Form, in der sich der Widerspruch bewegt

"Man sah, daß der Austauschprozeß der Waren widersprechende und einander ausschließende Beziehungen einschließt. Die Entwicklung der Ware hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie sich bewegen können. Dies ist überhaupt die Methode, wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen." (23/118)

Der Widerspruch wird zunächst also nicht aufgehoben, aber doch gelöst, indem die Grenzen des unmittelbaren Produktentauschs gesprengt werden. Durch den Austausch wird der Wert realisiert und der Gebrauchswert erscheint bei dem der ihn brauchen kann. Ein Beispiel. Ein Produzent hat sich in die Herstellung von Fahrrädern verrant. Nach einiger Zeit hat er dreißig von den Teilen auf Lager. Mit denen kann er aber wenig anfangen, sie stellen für ihn keinen Gebrauchswert dar. Die Fahrrräder sind zwar privat produziert worden, befriedigen aber ein gesellschaftliches Bedürfnis. Sie sind Gebrauchswerte fü die Nicht-Besitzer. Für den Besitzer sind die Waren Nicht-Gebrauchswerte. Sie befriedigen kein bestimmtes Bedürfnis der Produzenten, sondern dienen als Werte dazu, seine verschiedensten Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu muß der Produzent die Werte der Waren realisieren: und dazu bedarf es des Produktentauschs

Die widersprüchlichen Bestimmungen der Ware (durch konkrete Arbeit geschaffener Gebrauchswert und durch abstrakte Arbeit geschaffener Tauschwert) bleiben in der Zirkulation aber erhalten. Sie bekommen bloß eine neue Form im äußeren Gegensatz von Produzent und Konsument.

"Die Zirkulation sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Produktenaustausches ebendadurch, daß sie die hier vorhandne unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eignen und dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von Verkauf und Kauf spaltet. Daß die selbständig einander gegenübertretenden Prozesse eine innere Einheit bilden, heißt ebensosehr, daß ihre innere Einheit sich in äußeren Gegensätzen bewegt. Geht die äußerliche Verselbständigung der innerlich Unselbständigen, weil einander [128] ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine - Krise. Der der Ware immanente Gegensatz von Gebrauchswert und Wert, von Privatarbeit, die sich zugleich als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit darstellen muß, von besondrer konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von Personifizierung der Sache und Versachlichung der Personen - dieser immanente Widerspruch erhält in den Gegensätzen der Warenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen. Diese Formen schließen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Endwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die vom Standpunkt der einfachen Warenzirkulation noch gar nicht existieren." (MEW 23/127f)

Der Widerspruch des Geldes wird wiederum im Kapital überwunden: dem Prozeß der grenzenlosen Selbstvermehrung des Geldes (Das Kapital verwertet sich selbst.) Diese Selbstvermehrung ist durch den Austausch selbst aber nicht möglich. Ein einzelner Produzent mag nun über dem Preis verkaufen. Das wird aber dadurch ausgeglichen, daß sein Gegenüber dann auch über Preis kaufen muß. In der Summe kann das Kapital so nicht anwachsen. Der Wert wird nur umverteilt. Nach dem Tausch hat der eine mehr, der andere weniger Geld als zuvor. Die Summe ist gleich geblieben.

Selbstvermehrung des Kapitals ist erst möglich durch die Nutzung einer bestimmten Ware, der Arbeitskraft, die die besondere Eigenschaft hat, mehr Gebrauchswert zu erzeugen als sie selbst an Wert hat. Wenn ein Arbeiter in vier Stunden seinen Wert reproduziert aber acht Stunden arbeitet, schaffen diese vier Stunden (Mehr-)wert für den Kapitalisten. Der Widerspruch löst sich also im Kapital, aber nur um auch dort wieder zu erscheinen. Die mehrwertproduzierende Arbeit schafft sowohl Gebrauchswert als auch Wert. Die beiden Bestimmungen geraten in Widerspruch miteinander. Gebrauchswerte werden immer mehr geschaffen (der den Kapitalisten zufließende Mehrwert läßt sie die Arbeiter immer produktiver einsetzen), während der Wert, der ja allein von der Arbeitszeit abhängt, gleichbleibt oder sinkt

Im Folgenden ist viel von Nützlichkeit, Wert und Gebrauchswert die Rede. Auf einige mögliche Mißverständnisse sei gleich mal hingewiesen. (1) Menschen haben bestimmte, individuelle Bedürfnisse, die sie befriedigen wollen. Was diese Bedürfnisse (direkt als Konsumgut oder indirekt als Produktionsmittel) befriedigt ist nützlich und damit ein Gebrauchswert. Diese Nützlichkeit ist ganz konkret auf ein besitmmtes menschliches Bedürfnis bezogen. (2) Gegenstand des "Kapitals" ist die kapitalistische Produktionsweise. Marx erklärt, wie sie funktioniert. Was sein sollte oder könnte ist nicht Gegenstand der Analyse; es geht darum, die Gesellschaft und damit die Produktionsverhältnisse so zu beschreiben wie sie nun einmal sind. Die Folgerung, als widersprüchlich erkannte Verhältnisse dann auch praktisch abzuschaffen kann allenfalls für Philosophen ein Problem darstellen. (3) Marx unterscheidet den bestimmten Gebrauchswert einer Ware, die durch eine konkrete, nützliche Arbeit geschaffen wird vom abstrakten Wert, der dadurch geschaffen wird, daß überhaupt Arbeit für die Herstellung eines Gutes verwendet wurde. Daß Wert nur durch Arbeit geschaffen wird, sollte nicht verwirren, solange man sich den Unterschied von Wert und Gebrauchswert klar macht. Gebrauchswerte werden tatsächlich nicht nur durch Arbeit geschaffen; im Gegenteil, menschliche Arbeit kann nur die Form der von Natur aus vorhandenen Dinge verändern, Gebrauchswert ist also immer eine Verbindung von Natur und Arbeit. Und mit zunehmender Produktivität der Arbeit nimmt der geschaffene Gebrauchswert und damit der "stoffliche Reichtum der Gesellschaft" zu. Nur: der Wert nimmt deswegen nicht zu. Der Wert ergibt sich allein aus der verausgabten Arbeitszeit. Von Bedeutung ist dieser abstrakte Begriff Wert, weil er das Verhältnis bestimmt, in dem sich Waren tauschen. (Deswegen tritt der Wert und damit die ihn schaffende abstrakte Arbeit nur in der warenproduzierenden Gesellschaft in Erscheinung.) Warum ist das so? Die Gebrauchwerte können das Wertverhältnis nicht bestimmen, weil sie gar keine vergleichbaren Größen sind

Doppelcharakter der Ware

Gegenstand des Kapitals ist die kapitalistische Produktionsweise. Dort erscheint der gesellschaftliche Reichtum als Ansammlung von Waren. Waren können qualitativ und quantitativ betrachtet werden: Gebrauchswert und Wert: Wertsubstanz (Arbeit), Wertgröße (Arbeitszeit) und Wertform (Tauschwert)

Waren haben nützliche Eigenschaften, die menschliche Bedürfnisse befriedigen. Wegen dieser Nützlichkeit sind Waren Gebrauchswerte. Das ist aber keine Eigentümlichkeit der kapitalistischen Ökonomie: Die Waren sind immer der stoffliche Inhalt des Reichtums (23/50), der stets eine bestimmte gesellschaftliche Form annimmt, im Kapitalismus die der Ware. Ob und und in welchem Maße eine Ware nützlich ist ist unabhängig davon, wieviel Arbeit zur Herstellung nötig war.

"Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert. Aber diese Nützlichkeit schwebt nicht in der Luft. Durch die Eigenschaften des Warenkörpers bedingt, existiert sie nicht ohne denselben." (23/50)

Die Gebrauchswerte sind Träger des Tauschwerts.

"Der Tauschwert erscheint zunächst als das quantitative Verhältnis, die Proportion, worin sich Gebrauchswerte einer Art gegen Gebrauchswerte anderer Art austauschen, ein Verhältnis, das beständig mit Zeit und Ort wechselt." (23/50)

Waren tauschen sich bestimmten Proportionen. Welcher Gebrauchswert getauscht wird ist egal, solange er in der richtigen Menge auftritt. Eine Ware hat viele Tauschwerte; sie drücken etwas gleiches aus, den Wert

"Die gültigen Tauschwerte derselben Ware drücken ein Gleiches aus. Zweitens aber: Der Tauschwert kann überhaupt nur die Ausdrucksweise, die ´Erscheinungsform´ eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein." (23/51)

Zwei Waren sind als Tauschwerte (z. B. 1t Eisen = 5qm Weizen) auf den Wert reduzierbar. Der Wert kann keine natürliche Eigenschaft der Waren sein: die körperlichen Eigenschaften bestimmen den Gebrauchswert, im Austausch aber gilt ein Gebrauchswert so viel wie jeder andere, wenn er nur in richtiger Proportion vorhanden ist (23/52).

"Dies Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemische oder sonstige natürliche Eigenschaft der Waren sein. Ihre körperlichen Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerten. Andererseits aber ist es grade die Abstraktion von ihren Gebrauchswerten, was das Austauschverhältnis [52] der Waren augenscheinlich charakterisiert. Innerhalb desselben gilt ein Gebrauchswert grade so viel wie jeder andre, wenn er nur in gehöriger Proportion vorhanden ist." (23/51f)

Wenn man vom Gebrauchswert abstrahiert haben die Waren nur noch die Eigenschaft Arbeitsprodukt zu sein, eines Arbeitsprodukts allerdings, von dessen körperlichen Bestandteilen und spezifischer Nützlichkeit abstrahiert wird. Damit kommt es auch nicht mehr darauf an, welche nützliche Arbeit zu seiner Herstellung nötig war, sondern nur, daß Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit, geleistet wurde. Werte sind also vergegenständlichte Arbeit ohne Rücksicht auf die Form ihre Verausgabung (23/52).

"Es ist nichts von ihnen übriggeblieben als dieselbe gespenstige Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unerschiedsloser menschlicher Arbeit, d.h. der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung. Diese Dinge stellen nur noch dar, daß in ihrer Produktion menschliche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist." (23/52)

Die Wertgröße bestimmt sich durch die Menge an wertbildender Substanz, also Arbeit, gemessen in Arbeitszeit. Arbeit gilt hier als gleiche menschliche Arbeitskraft, d.h. es gilt die Arbeitzeit, die zur Produktion mit den normalen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen nötig ist. Die nötige Arbeitszeit ändert sich mit der Produktivkraft der Arbeit.

"Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsprozesses, und durch Naturverhältnisse." (23/54)

Doppelcharakter der Arbeit

Der Unterscheidung von Wert und Gebrauchswert entspricht die Unterscheidung von abstrakter und konkreter Arbeit.

"Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützlicher Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die verschiedenen konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allzusamt reduziert auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit." (23/52)

Eine Ware ist ein Gebrauchswert. Der Gebrauchswert erfüllt ein bestimmtes Bedürfnis und wird durch eine bestimmte produktive Tätigkeit hervorgebracht, durch nützliche Arbeit. Verschiedenen Gebrauchswerten entsprechen verschiedene nützliche Arbeiten. Der Vielfalt der Gebrauchswerte entspricht eine vielfältige gesellschaftliche Teilung der Arbeit.

"In der Gesamtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerte oder Warenkörper erscheint eine Gesamtheit ebenso mannigfaltiger, nach Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten - eine gesellschaftliche Teilung der Arbeit." (23/56)

Als Waren können sich nur verschiedene Gebrauchswerte gegenüberstehen, die Produkte selbständiger und von einander unabhängiger Privatarbeiten (23/57) sind. Der Vielfalt der Gebrauchswerte entspricht daher in einer Gesellschaft von Warenproduzenten eine vielfältige gesellschaftliche Teilung der Arbeit. Alle Gebrauchsgüter, die nicht von Natur aus vorhanden sind, müssen durch Arbeit -- nützliche Tätigkeit, vermittelt werden. Nützliche Arbeit ist daher in allen Gesellschaftsformen Existenzbedingung des Menschen (23/57). Die Arbeit ist aber nicht die einzige Quelle des stofflichen Reichtums: Sie kann nur die Form des Naturstoffs ändern und so Gebrauchswerte herstellen, die nicht von Natur aus vorhanden sind.

Als Wert drücken Waren gleichartige Arbeit aus. In einer Ware steckt nicht Wert, weil eine bestimmte nützliche, sondern weil überhaupt Arbeit in ihr steckt

"Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Tätigkeit und daher vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, daß sie eine Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneiderei und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Tätigkeiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw." (23/58

In welcher Form menschliche Arbeitskraft verausgabt wird ist entscheidend für den Gebrauchswert, nicht aber für den Wert. Komplizierte Arbeit wird auf einfache Arbeit reduziert, für die jedes menschliche Individuum abgerichtet werden kann.

"Der Wert der Ware aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeit überhaupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Bankier eine große, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle spielt, so steht es auch hier mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt." (23/59

Wie bei Werten vom Unterschied ihrer Gebrauchswerte abgesehen wird, wird bei der in ihnen enthaltenen Arbeit vom Unterschied der in ihnen enthaltenen nützlichen Arbeiten abgesehen.

Die Größe des Werts wird dadurch bestimmt, wieviel Arbeit in der Ware steckt. Die Wertgröße ist unabhängig von der Masse des stofflichen Reichtums. Wenn die Produktivkraft der Arbeit zunimmt, können zwar mehr nützliche Güter hergestellt werden. Der Wert dieser Güter ist aber nur von der Arbeitszeit abhängig und er nimmt ab, wenn die Summe der zur Herstellung notwendigen Zeit abnimnmt.

Dem Doppelcharakter der Ware mit den Polen Gebrauchswert und Wert, entspricht der Doppelcharakter der die Waren erzeugenden Arbeit: konkreter nützlicher Gebrauchswert erzeugende Arbeit und allgemein menschliche abstrakte gebrauchswert erzeugende Arbeit. Im Wertverhältnis zeigt sich der Wert in der Form des Tauschwerts; gleichzeitig nimmt der innere Gegensatz von Wert und Gebrauchswert die Form eines äußeren Gegensatzes zwischen zwei Waren an

"Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte." (23/61)

Die Wertform - der innere Widerspruch wird in einem äußeren Gegensatz dargestellt

Nachdem Substanz und Größe des Werts untersucht wurden, geht es jetzt darum, in welcher Form dieser Wert auftritt. Marx hat diese Form schon als Tauschwert benannt, denn als solcher tritt der Wert in der Analyse des Doppelcharakters in Erscheinung. Sie bildete den Zugang zur weiteren Analyse. Aus dem Begriff der Ware konnte zunächst nur Substanz und Größe des Wertes gewonnen werden. Die Form des Wertes, der Tauschwert tritt erst im Wertverhältnis zu anderen Waren in Erscheinung

"Im graden Gegenteil zur sinnlich groben Gegenständlichkeit der Warenkörper geht kein Atom Naturstoff in ihre Wertgegenständlichkeit ein. Man mag daher eine einzelne Ware drehen und wenden, wie man will, sie bleibt unfaßbar als Wertding. Erinnern wir uns jedoch, daß die Waren nur Wertgegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daß ihre Wertgegenständlichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, daß sie nur im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware erscheinen kann. Wir gingen in der Tat vom Tauschwert oder Austauschverhältnis der Waren aus, um ihrem darin versteckten Wert auf die Spur zu kommen. Wir müssen jetzt zu dieser Erscheinungsform des Wertes zurückkehren." (MEW 23/62

Waren besitzen eine Doppelform: Sie haben Naturalform, die Form, die sie als gegenständliche Körper mit nützlichen Eigenschften haben und Wertform, die sie als Träger von geronnener Arbeitszeit haben. Die Wertgegenständlichkeit einer Ware ist nicht in ihrer Naturalform enthalten. Der Wert ist keine natürliche Eigenschaft einer Ware; er ist einer einzelnen Ware nicht anzusehen

Der Wert entspringt der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Er wird daher auch erst sichtbar in einem gesellschaftlichen Verhältnis zweier Waren zueinander. Die Wertgegenständlichkeit einer Ware ist gesellschaftlich. Es kommt nicht auf die individuelle, sondern auf die gesellschaftliche notwendige Arbeit an; deshalb kann sich der Wert auch nicht an einer individuellen Ware, sondern nur an in einem gesellschaftlichen Verhältnis, dem Tausch, als Tauschwert zeigen

In der einfachen Wertform treten sich zwei Waren gegenüber: x Ware A = y Ware B. Ware A befindet sich in relativer Wertform, Ware B in Äquivalentform. Der Wertausdruck muß zwei verschiedene Waren enthalten, von denen die eine ihren Wert relativ ausdrückt und die andere das Material für diesen Wertausdruck liefert. (Z.B. "5 Ballen Leinwand = 3 Zentner Weizen"

Durch die Analyse der einzelnen Ware konnte die Wertform noch nicht erkannt werden; sie tritt erst in der Beziehung zu einer anderen Ware zu Tage. In der relativen Wertform wird der Wert der einen Ware im Gebrauchswert der anderen Ware ausgedrückt. Waren können nur ein Wertverhältnis eingehen, insofern sie vergleichbar sind. Sie müssen also auf dieselbe Einheit reduziert werden. Daß sie einander in bestimmten Proportionen äquivalent sind, setzt voraus, daß die sich als Wertgrößen gegenübertreten und nicht etwa als Gebrauchswerte. Zwei Gebrauchswerte sind nie, in keiner Proportion äquivalent, weil sie keine vergleichbaren Größen sind. Im Verhältnis zweier Waren wird also der Wert ausgedrückt. Aber nur der Wert einer Ware. Die eine Ware drückt ihren Wert im Gebrauchswert der anderen Ware aus. Die andere Ware hat nun ihrerseits kein Material, in dem sie ihren Wert ausdrücken könnte. Im Wertausdruck zweier Waren zeigt sich ja nur das Wertverhältnis zweier Waren. Der Wert selbst ergibt sich nicht aus dem Austauschverhältnis, sondern aus der Menge von Arbeitszeit, die zur Herstellung der Ware nötig war. Das Austauschverhältnis dagegen kann sich auf gleiche Weise ändern sowohl weil der Wert der einen Ware steigt als auch, weil der Wert der anderen Ware fällt. Das Wertverhältnis bleibt unverändet, wenn sich die Werte der beiden Waren in gleichem Maße ändern

Indem zwei Waren als werte einander gleichgesetzt werden, werden auch die in ihnen steckenden Arbeiten einander gleichgesetzt. In dieser Gleichsetzung werden auch die Arbeiten auf Gleiches reduziert: abstrakt menschliche Arbeit. Dieser Charakter der Arbeit tritt nur im Äquivalentausdruck zum Vorschein

"Sagen wir: als Werte sind die Waren bloße Gallerten menschlicher Arbeit, so reduziert unsre Analyse dieselben auf die Wertabstraktion, gibt ihnen aber keine von ihren Naturalformen verschiedne Wertform. Anders im Wertverhältnis einer Ware zur andern. Ihr Wertcharakter tritt hier hervor durch ihre eigne Beziehung zu der andern Ware." (23/65

Menschliche Arbeit ist nicht Wert, sie bildet Wert, muß sich aber erst vergegenständlichen. Der Wert einer Ware wird ausgedrückt in einer anderen Ware: in ihr erscheint der Wert. Diese andere Ware drückt aber für sich selbst keinen Wert aus; sie drückt nur Wert aus innerhalb des Wertverhältnisses. Die Ware ist "Träger von Wert". An einer einzelnen Ware zeigt sich das aber überhaupt nicht; dagegen gilt sie im Wertverhältnis nur als solcher

Der Rock kann nur der Wert der Leinwand darstellen, indem dieser Wert für die Leinwand die Form des Rocks annimmt. "Der Wert der Ware Leinwand wird daher ausgedrückt im Körper der Ware Rock, der Wert einer Ware im Gebrauchswert der anderen" (23/66) Die Naturalform der Ware B ist Wertform der Ware A: Ware A macht den Gebrauchswert der Ware B zum Material ihres Wertausdrucks

In jeder Ware steckt eine bestimmte Menge Arbeitszeit; die Wertform muß daher nicht nur Wert überhaupt, sondern die Wertgröße ausdrücken. In das Wertverhältnis gehen die Waren in solcher Proportion ein, daß sie gleiche Menge Arbeit repräsentieren

Die Ware, die in Äquivalentform ist, "bekommt die Form der unmittelbaren Austauschbarkeit" (23/70) mit einer anderen Ware. Die Äquivalentware tritt zwar immer in Form eines bestimmten Quantums von Gebrauchswerten auf, aber nicht als Wertgröße: die Ware in Äquivalentform drückt nicht ihren Wert aus, das kann sie für sich nicht, sondern sie stellt denjenigen Gebrauchswert dar, in der sich der Wert der anderen Ware ausdrückt

Eigentümlichkeiten der Äqzuivalentform

(1) Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform des Werts. Die Naturalform wird zur Wertform, aber eben nur innerhalb des Wertverhältnisses. Keine Ware kann sich auf sich selbst als Äquivalent beziehen

(2) Konkrete Arbeit wird zur Erscheinungsform abstrakter Arbeit. Der Körper der Ware, die als Äquivalent dient gilt als Verkörperung abstrakt menschlicher Arbeit und ist doch Produkt konkreter nützlicher Arbeit. Um auszudrücken, daß z.B. die Weberei nicht in seiner konkreten, sondern in seiner abstrakt menschlichen Arbeit Wert bildet, wird ihr eine andere konkrete Arbeit als gleichwertig gegenübergestellt

(3) Privatarbeit wird zur Form von Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Weil die Arbeit nur als Ausdruck unterschiedsloser menschlicher Arbeit gilt, besitzt sie die Form der Gleichheit mit anderer Arbeit

Die Ware ist Gebrauchswert und Wert. Sie stellt stellt diesen Doppelcharakter dar, sobald der Wert die Erscheinungsform des Tauschwerts besitzt. Diese Form besitzt eine Ware nur innerhalb des Austauschverhältnisses, nicht aber als isoliert betrachtete Ware. Aber nicht der Wert entspringt der Erscheinungsform als Tauschwert, sondern die Erscheinungsform entspringt der Natur des Wertes. Der innere Gegensatz von Gebrauchswert und Wert wird im Wertverhältnis als äußerer Gegensatz zweier Waren dargestellt, von denen die Naturalform der einen Ware nur als Gebrauchswert, die der anderen nur als Tauschwert gilt. Ein Mangel der einfachen Wertform ist, daß die Ware nur in einem Austauschverhältnis zu einer bestimmten anderen Ware gezeigt wird. Die Ware in Äquivalentform besitzt ebenfalls die Form unmittelbarer Austauschbarkeit nur bezüglich einer einzigen Warenart. Da die Warenart, die im Wertverhältnis vorkommt beliebig ist, ergeben sich zunächst diverse einfache Wertformen und aus der Zusammenfassung dieser einzelnen einfachen Wertformen dann die totale oder entfaltete Wertform

In der entfalteten Wertform steht einer bestimmten Ware eine Vielzahl anderer Waren gegenüber: z Ware A = u Ware B oder v Ware C oder w Ware D, etc.

"So erscheint dieser Wert selbst erst wahrhaft als Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit. Denn die ihn bildende Arbeit ist nun ausdrücklich als Arbeit dargestellt, der jede andre menschliche Arbeit gleichgilt, welche Naturalform sie immer besitze" (23/77

Der Wert zeigt sich jetzt nicht mehr nur in einer anderen Ware, sondern in beliebigen anderen Waren. Der Wert ist gleichgültig gegenüber der Form, in der er erscheint und der in der Ware steckenden Arbeit entspricht jede beliebige andere Arbeit. Die bestimmte Naturalform ist jetzt eine besondere Äquivalentform. Die in ihr enthaltene bestimmte nützliche Arbeit eine besondere Erscheinungsform abstrakt menschlicher Arbeit

Die entfaltete Wertform hat noch einige Mängel. Der Wertausdruck ist unfertig, weil die Reihe der Waren, in denen der Wert der Ware ausgedrückt ist, nie abschließt. Die relative Wertform ist von Ware zu Ware verschieden, weil sie ihren Wert in einer stets anderen Reihe von Waren ausdrückt. Die Äquivalentformen sind beschränkt: Äquivalentformen verschiedener Waren schließen einander aus. Die nützliche Arbeitszeit, die in einer Ware enthalten ist, ist nur besondere, aber nicht erschöpfende Erscheinungsform der menschlichen Arbeit

Die allgemeine Wertform entsteht aus der Umkehrung der entfalteten Wertform

"Die Waren stellen ihre Werte jetzt 1. einfach dar, weil in einer einzigen Ware und 2. einheitlich, weil in derselben Ware. Ihre Wertform ist einfach und gemeinschaftlich, daher allgemein." (23/79

Die einfache Wertform kommt praktisch nur vor, wo Arbeitsprodukte durch zufälligen gelegentlichen Austausch in Waren verwandelt werden. In der entfalteten Wertform tritt der Wert seinem Gebrauchswert in beliebigen anderen Werten gegenüber: das kommt praktisch vor, sobald gewohnheitsmäßig Arbeitsprodukte getauscht werden. In der totalen Wertform werdeb alle Werte in einer bestimmten abgesonderten Warenart ausgedrückt: der Wert einer Ware wird als etwas von jedem Gebrauchswert unabhängiges ausgedrückt. Indem die Waren ihre Werte jetzt in einer einzigen anderen Ware ausdrücken, werden ihre Wertgrößen vergleichbar

Die Äquivalentware wird zum allgemeinen Äquivalent; sie besitzt die Form der unmittelbaren Austauschbarkeit mit allen anderen Waren. Ihre Naturalform verkörpert allgemein menschliche Arbeit, sie ist jeder anderen menschlichen Arbeit gleich. Vom nützlichen Charakter der Arbeit ist abstrahiert, es kommt nur darauf an, daß menschliche Arbeitskraft verausgabt wurde.

Nur eine bestimmte Ware, die von allen anderen als Äquivalent ausgeschlossen wird, befindet sich in allgemeiner Äquivalentform. Die allgemeine Wertform erhält erst dann objektive Gültigkeit, wenn sich diese Ausschließung endgültig auf eine bestimmte Warenart beschränkt. Diese Ware wird dann zum Geld. Ihre gesellschaftliche Funktion ist es, allgemeines Äquivalent zu sein

"Der Fortschritt besteht nur darin, daß die Form unmittelbarer allgemeiner Austauschbarkeit oder die allgemeine Äquivalentform jetzt durch gesellschaftliche Gewohnheit endgültig mit der spezifischen Naturalform der Ware Gold verwachsen ist." (23/84

Der Warenfetischismus

"Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies <87> nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist." (MEW 23/86f

Die Ware ist die Form, in der der gesellschaftliche Reichtum im Kapitalismus erscheint. Als Gebrauchswert scheint die Ware nicht weiter rätselhaft; ebensowenig als Substanz oder Größe des Werts. Rätselhaft erscheint allein die Form der Ware, in der den Subjekten der kapitalistischen Gesellschaft alles anders erscheint als es ist

Die Ursache des Warenfetischismus liegt im Doppelcharakter von Ware und Arbeit. Die Waren sind einerseits dafür da, ein bestimmtes Bedürfnis durch ihre spezifische Eigenschaft als Gebrauchswert zu befriedigen. Der Produzent ist an dieser spezifischen Eigenschaft aber gar nicht interessiert, sondern daran, sine verschiedenen Bedürfnisse zu befriedigen, wozu er den Wert seiner Ware realisieren muß, um sich dann die ihm nützlichen Gebrauchswerte zu verschaffen.

Warentausch setzt von einander unabhängig betriebene Privatarbeiten voraus. Trotz dieser Form, in der Arbeit verrichtet wird, hat die Arbeit gesellschaftlichen Charakter: die hergestellten Gebrauchswerte befriedigen nämlich ein gesellschfatliches, nicht ein privates Bedürfnis. Dieser gesellschaftliche Charakter erscheint aber erst im Austausch. Denn erst im Austausch kommen die Waren zu denen, für die sie Gebrauchswerte sind. Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit erscheint also als gesellschaftlicher Charakter der Arbeitsprodukte, die Zeitdauer der Arbeit als Größe des Warenwerts, etc

"Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer Privatarbeiten nur wider in den Formen, welche im praktischen Verkehr, im Produktenaustausch erscheinen - den gesellschaftlich nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Arbeitsprodukt nützlich sein muß, und zwar für andre - den gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit der verschiedenartigen Arbeiten in der Form des gemeinsamen Wertcharakters dieser materiell verschiednen Dinge, der Arbeitsprodukte." (MEW 23/88

Indem die Arbeit und die Verhältnisse der Produzenten zueinander eine sachliche Form annehmen, sind die Produzenten auch den Gesetznäßigkeiten ("Sachzwängen") dieser Form unterworfen. Um ein Mißverständnis zu vermeiden: Die Verhältnisse nehmen im Kapitalismus tatsächlich und nicht nur scheinbar diese sachliche Form an. Den Produzenten "erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen." (MEW 23/87) Eine Gesellschaftsform, in der die Menschen ihre Produktion kontrollieren statt von ihr kontrolliert zu werden, läßt sich daher nicht schon dadurch erreichen, daß man sich dieser Verdrehung bewußt wird, sondern nur dadurch, daß man neue Produktionsverhältnisse schafft, in denen die Beziehungen der Produzenten keine solche versachlichte Form mehr annehmen. Dazu gilt es zu erkennen, daß der Produktionsprozeß zwar tatsächlich die Menschen kontrolliert, die "Sachzwänge" also tatsächlich eine Notwendigkeit ausdrücken; allerdings nur in der bürgerlichen Produktionsweise, keine Naturnotwendigkeit. Dem bürgerlichen Bewußtsein erscheint aber auch das verkehrt

Formen, denen es auf der Stirn geschrieben steht, daß sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewußtsein für ebenso selbstverständliche Naturnotwendigkeit als die produktive Arbeit selbst.

Editorische Anmerkung

Der Text erschien im "Streitblatt" Nr. 3 im Juli 1999 und ist eine Spiegelung aus dem Google-Archiv