Kommentar
Ossi-Wessi-Sex


von Klaus Hart
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Karin aus Berlin-Schöneberg ist seit zwei Jahren mit einem Ost-Mann liiert, erschreckt ihre Bekannten mit frechen Sprüchen wider übliche Klischees. „Wenn das mit dem mal in die Brüche geht, muß es wieder einer von drüben sein – unsere sind beim Sex  meist viel zu kompliziert, zu verkorkst im Kopf – das tue ich mir nicht mehr an!“ Leute aus dem Ostteil erlebt sie generell natürlicher, authentischer, „mit mehr Herzensbildung“. Und bestätigt indirekt damit nur, was der Leipziger Sexualwissenschaftler Kurt Starke herausfand: Im Bett sind die Ostdeutschen weiterhin agiler, phantasiereicher, zufriedener – trotz aller neuen Probleme. Und widersetzen sich „nachholender Modernisierung“ dort hoffentlich noch lange. Schon vor der Wende nimmt er auch das Sex-Leben der Westdeutschen unter die Lupe, nach 89 legt er mit vergleichenden Untersuchungen erst richtig los, knackt Klischees am laufenden Band.  Typisch Wissenschaftler, warnt er erst mal vor Schwarz-Weiß-Sicht, unzulässigen Verallgemeinerungen bei einem so unendlich komplexen Thema, weist auf Schichtenspezifik, sucht es dann aber trotzdem auf den Punkt zu bringen. Der ideale Ort für Sex werde in der Ex-DDR nach wie vor in der Liebesbeziehung gesehen – „und dort geschieht orgiastisches Erleben wie bisher natürlich in einer ganz anderen Qualität.“ Die Alt-68er beispielsweise hätten eher Quantitäten, Partner gesammelt. Eindeutige Ost-West-Unterschiede gebe es schon bei männlichen Jugendlichen, auch denen der Großstadt – Berührungsängste im sexuellen Kontakt, Kompetenz-und Versagensängste vor dem Mädchen, der Frau, in den Alt-Bundesländern erheblich größer. „Die psychologisierenden, von den herrschenden Geschlechterbildern geschurigelten jungen Männer sagen dann auch eher, ich lasse das lieber.“ Jungen in Frankfurt/Main oder Hamburg begännen später, täten es seltener als die im Osten.

Wenn Karin aus Schöneberg immer ärgerte, daß ihren Partnern der eigene Orgasmus das Wichtigste war, er zielstrebig und wortlos angesteuert wurde, sie deshalb  fast immer zu kurz kam - es jetzt mit dem Neuen endlich richtig gut klappt, und der auch noch gerne dabei scherzt, sich mit ihr austauscht  – Sex-Prof Starke hat dafür die wissenschaftlichen Belege.“Der Ossi genießt am meisten beider Lust am Sex, und viel spontaner, spielerischer, argloser -  der Wessi-Mann dagegen ist darauf bedacht, daß vor allem seine Lust „stimmt“, sehr ich-bezogen, hat immer den Verdacht, wenn der andere sich sehr gut fühlt, man selber zu kurz kommt.“ Auch im Sexuellen neigen danach die Westdeutschen eher zum Präsentieren, die Ostdeutschen dagegen eher zum Sein. Das, so Starke, sei eine ganz gravierende Sache, hänge mit der westlichen Individualisierungsgesellschaft zusammen, wo man sich ständig unter Wert verkauft vorkomme, nicht dauernd Sieger sei. „Dieses Denken nehmen die Leute mit ins Bett – den Ossis ist derlei viel fremder.“  Denen sei besonders die erotische, sinnliche Gesamtsituation wichtig, nicht nur der Orgasmus –  „den kriegen sie“.  Wessis meinten nur zu oft, daß man die „wunderbarsten technischen,  sexuologischen Tricks und Details“ kennen müsse, um zu einem zufriedenen Sexualleben zu kommen – „vieles davon interessiert Ossis überhaupt nicht.“ Ost-Männer mögens länger – kann das sein? Für Starke durchaus – denn zuviele West-Männer verbrachten das erste, zweite, dritte Mal im Leben mit einer Prostituierten, wo es immer sehr schnell gehen muß, und gewöhnten sich dran. „Wer große Erfahrung mit Prostituierten hat, wo`s nur ums Abspritzen geht, ist anders, als einer, der gerne bei Kerzenschein stundenlang schmust.“  Westliche, darunter nordamerikanische Fachkollegen traf Starke schon zu DDR-Zeiten auf internationalen Sexuologenkongressen, mußte sich selbst von denen lächerlich Klischeehaftes über den angeblich so verklemmten, miefig-provinziellen Sex-Alltag seiner Landsleute anhören. Die und verklemmt? Zum Totlachen. „Die Frauen mit ihrem damals so hohen Selbstbewußtsein  haben einfach zugegriffen, wenn ihnen danach war, aber gutgewählt, es ging nicht ins Beliebige“. Ob in den Fabriken oder auf den Universitäten. Das selbst alternativen, links-progressiven Wessis zu verklickern, ist, wie die Erfahrung zeigt, meist schier unmöglich. Starke kennt das: „Im Grunde genommen, hatte sich in der DDR ein Verhältnis zwischen den Geschlechtern herausgebildet, das mit westlichen Maßstäben nicht meßbar und von marktwirtschaftlich Sozialisierten nicht nachvollziehbar ist.“ Peng. Daß deutsch-deutsche Eheschließungen  wieder stark zurückgehen, habe natürlich sehr viel mit Sex zu tun.

Als ganz entscheidend beim Benennen von Unterschieden betont Starke den „bemerkenswerten Zusammenhang zwischen der eigenen Reproduktion, Kinder zu haben, und der sexuellen Aktivität, der Zufriedenheit mit Sex – und dem allgemeinen Lebensglück.“ Es sei, durch Studien belegt, überhaupt nicht so, daß „Muttis und Vatis“ sexuell inaktiver seien als der Durchschnitt, sondern ganz im Gegenteil, aktiver. Unter den Ost-Akademikerinnen um die 45 gebe es lediglich etwa fünf Prozent ohne Kinder, bei denen im Westen jedoch 50 bis 54 Prozent! „Diese Frauen haben nicht die große Lust zu sexuellen Aktivitäten.“Dies zeige eine ganz andere „demographische Kultur“, da werde der Ost-West-Unterschied nicht verschwinden. Wenngleich die stark absinkenden Geburtenraten bei den Jüngeren im Osten zeigen, wie es derzeit um Lebensglück und Optimismus steht.

1995 betont Starkes Fachkollege, der Ostberliner Uni-Prof Dietrich Mühlberg, die Ossis seien unterm Strich sexuell aktiver, mobiler – vier- bis sechsmal pro Woche gingen im Westen neunzehn Prozent miteinander ins Bett, im Osten aber genau doppelt so viele. Stimmt denn das 2001 noch? Trotz aller sozialen Einschnitte, Frustrationen durch Arbeitslosigkeit; Mobbing, Streß und berufliche Abwertung, „einer Menge neuer, familienfeindlicher Faktoren“, der wachsenden,  lusttötenden Rolle des Geldes,  ist für Starke an Mühlbergs Befund nach wie vor viel dran, gilt vor allem für die Erwachsenen. Ganz einfach:  Nachweislich sind weit mehr Ossis fest liiert als Wessis, leben zusammen,  gibt es im Osten viel weniger Singles. „Da der meiste Sex aber in richtigen Beziehungen passiert, sind die, die eine haben, natürlich überlegen.“ Nach Starkes neuester Studie tun es gerade zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahren die Frauen im Osten  deutlich häufiger als die im Westen. Die von München bis Kiel durchschnittlich nur etwas mehr als fünfmal im Monat, die von Rostock bis Dresden dagegen fast achtmal. Und auch das noch: Nicht nur für Starke scheint festzustehen, daß die Ossis auch künftig im Bett anders sind.

 Eine Chemnitzerin bemerkte in ihrem Bekanntenkreis, daß Frauen, die nach der Wende „rüberheirateten“, in den letzten Jahren wiederkamen, nicht hinnehmen wollten, sich von Westmännern auch beim Sex herumkommandieren zu lassen. „Dazu sind unsere viel zu selbstbewußt.“ Doch auch der Osten verändere sich. „Sexualität, Sinnlichkeit, Erotik – da hat die Wende den Leuten bereits vieles zerstört.“

 

Ausführlicheres zum Thema: 

  • Erotik im Alltag – intensiv wie ein Tropengewitter, in: Klaus Hart, Unter dem Zuckerhut:Brasilianische Abgründe, Picus-Verlag Wien, 2001,
  • Klaus Hart, Eros am Abgrund, in: Fernstenliebe – Ehen zwischen den Kontinenten/Drei Berichte, Eichborn-Verlag, „Die Andere Bibliothek“, Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, 1999