Kalaschnikov - das Radiomagazin für militanten Pazifismus Pressedienst (KPD)

KPD VIII/2000
Interview mit Adam Keller 
(Gush Shalom, Tel Aviv)

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Einleitung zum Gespräch mit Adam Keller

Anläßlich der andauernden Gewaltausbrüche in Israel hat sich die linke Presse hierzulande eher mit den Widerspiegelungen der Vorgänge im Mainstream der veröffentlichten Meinung gekümmert als um die Vorgänge selbst. Das ergibt Sinn, wenn es um die Haltung geht, die der deutsche Journalismus zu weltpolitischen Ereignissen einnimmt, oder um die Einstellungen, die er damit befördert. Das wird zum blanken Unsinn, wenn man meint, damit den Ereignissen selbst gerecht geworden zu sein. Zwei Beispiel: Deniz Yücel schreibt in der "jungle world" vom 18. 10. über die Bewertung des Besuchs von Ariel Scharon auf dem Tempelberg: „Ist ein einzelner Jude erst zum Abschuß freigegeben, so kann sich das antisemitische Ressentiment entladen, ohne sich verdächtig zu machen. Wie zuvor Benjamin Netanyahu liefert Scharon die ideale Gelegenheit, das Ressentiment als Friedenswunsch erscheinen zu lassen. Wenn man die Kommentare um den Namen Scharons kürzt, wird der antisemitische Subtext erkennbar: Den meisten Palästinensern gilt die Existenz Israels als Provokation, die Juden haben auf dem Tempelberg nichts verloren, sie sind Terroristen und treten herrisch auf.“

Das ist eher flott als kenntnisreich gefolgert, und weil daher der Text so eingängig ist, ist er wertlos. Scharon ist nicht irgendjemand, ein unbeschriebenes Blatt, sondern ein Politiker, dessen Haltung gegenüber den Palästinensern die Massaker in Sabra und Schatila ermöglichte und ihn sich während der Intifada als Knochenbrecher profilieren ließ. Wem es tatsächlich um Israel geht, also auch um die Frage, ob es möglich sein wird, in Zukunft dort friedlich zu leben statt unter einer permanenten Terror- und Kriegsdrohung, der kann sich nicht darauf beschränken, die eher flotten als kenntnisreichen Produkte des Mainstream-Journalismus zu kritisieren; der sollte auch zum Thema selber etwas zu sagen haben. Es ist nicht recht hilfreich, dieses Problem zu vermeiden, indem man so tut, als wüßte man von nichts und müßte das als politischer Kommentator auch nicht. Zweites Beispiel: Hermann L. Gremliza in der November-Ausgabe von "konkret": "Und so mußten, heißt es, in wenigen Tagen hundert Palästinenser und zwanzig Israeli sterben, weil ein israelischer Politiker auf dem Tempelberg einen Rundgang gemacht hat, wie ihn täglich ungezählte Touristen machen. Weil der Politiker aber Jude ist und der Tempelberg eine 'heilige Stätte' der Muslime, war der Rundgang eine Provokation, die nur mit Blut gesühnt werden konnte. Sogar der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schloß sich dieser meschuggenen Sichtweise an und verurteilte die 'israelische Provokation vom 28. September' sowie die ihr folgende 'exzessive Gewaltanwendung'."

Man mag zurecht kritisieren, wenn sich Politik in der Auseinandersetzung um Symbolisches erschöpft. Nur: "Heilige Stätten der Nation" haben Barak und Scharon ebenfalls in Jerusalem ausgemacht, und die Sightseeing-Tour des ehemaligen Verteidigungsministers begleiteten immerhin 1200 Sicherheitskräfte. Um gegen den antisemitischen Dreck hierzulande anzugehen, muß man sich nicht vorsätzlich unfähig zu einer Analyse dessen machen, was in Israel vorgeht. Um dazu beizutragen, haben wir nichts anderes getan als was wir eigentlich immer tun: als Pazifisten mit den Leuten reden, die ebenfalls pazifistische oder antimilitaristische Arbeit machen. Im folgenden dokumentieren wir ein Interview, das wir mit Adam Keller vom israelischen Friedensblock (Gush Shalom) geführt haben. Gush Shalom wurde 1993 gegründet, nachdem die Regierungsübernahme durch die Labour-Meretz-Koalition dazu führte, daß die etablierteren Friedensgruppen wie „Frieden Jetzt“ fast verstummten. Die Aktivisten von Gush Shalom hielten es für erforderlich, daß eine friedenspolitische Basis aktiv bleibt, um Druck für die Weiterführung eines Friedensprozesses ausüben zu können. Adam Keller redigiert seit ihrer Gründung im Jahr 1983 „The Other Israel“, den Rundbrief des Israelischen Rates für einen israelisch-palästinensischen Frieden.

Interview mit Adam Keller (Gush Sahlom, Tel Aviv)

Frage: Die Vorschläge der israelischen Regierung in Camp David gingen so weit wie nie zuvor. Es schien Bewegung in den Positionen betreffend den Status von Jerusalem, die palästinensischen Flüchtlinge und die Siedlungen zu geben. Warum eskalierte dann die Situation in der Weise, die wir nun beobachten müssen?

Adam Keller: Es ist wahr, daß Barak einige Zugeständnisse gemacht hat, die bisher noch kein Premierminister machte, insbesondere was Jerusalem angeht. Aber diese Zugeständnisse waren vom palästinensischen Standpunkt aus viel zu wenig. Die Palästinenser haben gefordert, daß Ostjerusalem die Hauptstadt Palästinas und Westjerusalem die Hauptstadt Israels wird; und diese Position an sich ist ein Kompromiß, denn Westjerusalem hat viele palästinensische Viertel von vor 1948, deren Bewohner vertrieben wurden. Die Palästinenser waren bereit, die neuen israelischen Siedlungen zu akzeptieren, die in Ostjerusalem nach 1967 auf konfisziertem palästinensischen Land entstanden sind. Aber sie bestanden darauf, alle arabischen Viertel Ostjerusalems unter vollständige palästinensische Souveränität zu bekommen. Und das wollte Barak nicht zugestehen. Er war bereit, einige Viertel in Jerusalem unter palästinensische Souveränität zu geben und einigen eine Art Autonomie mit palästinensischer Verwaltung unter israelischer Oberhoheit zu gewähren. Insbesondere war er nicht bereit, die Juden und Arabern heilige Stätte – den Tempelberg bzw. Haram al Scharif – unter palästinensische Souveränität zu geben. Und was die besetzten Gebiete angeht, war er bereit, etwa 90 % des Westjordanlands zu räumen. Das klingt nach sehr viel, aber mit den 10 %, die er annektieren will, würde er das Westjordanland in zwei getrennte Enklaven teilen, und es würde auch bedeuten, daß 100.000 Palästinenser von Israel annektiert würden und nicht in einem palästinensischen Staat leben könnten. Was die Flüchtlinge angeht, ist es nicht klar, wievielen Flüchtlingen genau er die Rückkehr nach Israel gestatten würde, aber jedenfalls sehr wenigen im Verhältnis zu dem, was die Palästinenser wollen. Er war also in allen Punkten zu Kompromissen bereit, die aber nicht ausreichten. Und er war nach dem Scheitern oder sogar noch in der letzten Etappe von Camp David nicht bereit, weiter zu verhandeln. Tatsächlich versuchte er, den Palästinensern seine Bedingungen aufzuerlegen, indem er sagte, das ist das letzte Wort, wenn ihr das nicht akzeptiert, wird nicht mehr geredet.

Frage: Ist das der Grund, warum die Gewalt nun ausgebrochen ist? Schließlich ist die Situation seit langem schwierig?

Adam Keller: Die Situation ist eskaliert und die Spannungen wuchsen andauernd seit dem Scheitern von Camp David. Die Palästinenser hatten ursprünglich beabsichtigt, die Unabhängigkeit im Mai 1999 zu erklären. Das war zur Zeit der Wahlen in Israel, und es wurde Druck auf die Palästinenser ausgeübt, ihre Unabhängigkeitserklärung um anderthalb Jahre zu verschieben, bis September 2000. Und die Europäische Union machte in der Berliner Erklärung ein sehr deutliches Versprechen: wenn dieses Datum verstreicht, ohne daß ein Übereinkommen erzielt wurde, wird die EU einen unabhängigen palästinensischen Staat anerkennen. Präsident Clinton versprach etwa dasselbe. Aber nach dem Scheitern von Camp David nahm Clinton sein Versprechen in sehr grober Form zurück und drohte den Palästinensern sogar, wenn sie die Unabhängigkeit erklären sollten, würden die USA das nicht nur nicht anerkennen, sondern auch harte Sanktionen verhängen. Als Arafat nach dem Scheitern von Camp David die europäischen Hauptstädte besuchte, erhielt er von den Europäern die sehr klare Botschaft, daß sie einen unabhängigen palästinensischen Staat nicht anerkennen würden. Dasselbe mit den Japanern, die wichtige finanzielle Unterstützung für die Autonomiebehörde leisten. Die Palästinenser wurden dazu gebracht, sich wie in einer Falle zu fühlen. Die palästinensische Führung hatte das Gefühl, daß Barak sie in eine diplomatische Falle treibt. Die Palästinenser an der Basis merkten, daß die Besetzung weiter geht wie üblich. Der Siedlungsausbau dauert an, die Konfiskationen von Land, die Demütigungen von Palästinensern an den Checkpoints, die Verhaftungen von Palästinensern durch israelische Spezialeinheiten mitten in der Nacht; alle Manifestationen der Besetzung gingen ohne Stopp weiter.

Frage: Die palästinensische Basis mag also aus Verzweiflung Gewaltaktionen aufgenommen haben. Hältst Du es für realistisch, daß Arafat mit der Drohung einer neuen Intifada, die aus den Gewalttaten entstehen würde, Druck auf die israelische Regierung ausüben wollte, und nun teilweise die Kontrolle verloren hat?

Adam Keller: Ich weiß nicht, ob er die Kontrolle verloren hat. Ich denke, es war sicher die Provokation von Scharon auf dem Tempelberg und die Tötung von fünf palästinensischen moslemischen Gottesdienstbesuchern, das war der Auslöser, der alle Palästinenser, die unterschiedlichen Fraktionen, die Führung und die Basis vereint hat. Das war genau das, was sie mehr als alles andere vereinigen konnte. Und ich glaube nicht, daß Arafat die Kontrolle verloren hat. Ich glaube, er hat die Situation zum größten Teil unter Kontrolle. Ich denke, er versteht sein Volk; er versteht, daß ihre Geduld, seine eigene und die seiner Leute an der Basis, zu Ende geht.

Frage: Gegen die überwältigende israelische Übermacht können die Palästinenser mit militärischen Mitteln nichts erreichen. Warum ist es also so schwierig, die Gewalt zu beenden?

Adam Keller: Es gibt einige Dinge, die die militärische Überlegenheit ausgleichen. Ich denke, es ist normalerweise so, wenn ein unterdrücktes Volk für seine Befreiung kämpft, dann ist es klar, daß der Unterdrücker oder Eroberer die überwältigende militärische Übermacht hat. Aber es gibt immer noch einige politische Faktoren. Da ist der Fakt, daß die internationale öffentliche Meinung die Tendenz hat, mit dem underdog zu sympathisieren, in diesem Fall mit den Palästinensern; daß die Tötungen palästinensischer Kinder, die das Fernsehen in der ganzen Welt gezeigt hat, dem israelischen Image einen sehr schlechten Dienst erwiesen haben; und Israel ist ein Land, das sein Image in der internationalen öffentlichen Meinung ernst nimmt. Da ist der Fakt, daß der palästinensische Aufstand sehr großen Eindruck auf die Massen in der arabischen Welt gemacht hat, und begonnen hat, die amerikanischen Interessen zu berühren. Es gab einen direkten Angriff auf ein amerikanisches Kriegsschiff in Jemen; es gab sehr viele Demonstrationen in Ägypten, in Jordanien, in der ganzen arabischen Welt. Wenn das so weitergeht, könnte es die pro-amerikanischen Regierungen im Nahen Osten destabilisieren. Der Aufstand hat den Ölpreis beeinflußt, was wiederum die internationale Wirtschaft berührt. Er beeinträchtigt die Chancen von Gore im amerikanischen Wahlkampf, denn wenn der Ölpreis weiter steigt, wird Gore nicht mehr sagen können, daß es der amerikanischen Wirtschaft so gut gehe. Es gab also viele Faktoren, die die israelische militärische Überlegenheit ausgleichen konnten. In gewissem Maße auch die Demonstrationen der israelischen Friedensbewegung, obwohl wir bisher nicht in der Lage waren, wirkliche Großdemonstrationen zu organisieren. Aber wir versuchen, der Stimme der Unzufriedenheit in der israelischen Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Zur Zeit sitzt ein Soldat im Gefängnis, weil er sich weigert, sich an dem, was die Armee tut, zu beteiligen; und ich vermute, wenn es so weitergeht wie in den letzten zwei Wochen oder sogar noch schlimmer wird, dann dürfte es mehr Widerstand in der israelischen Gesellschaft geben, mehr Demonstrationen, mehr Soldaten, die ihre Beteiligung verweigern – das ist ein weiterer Faktor. Letztlich beeinflußt auch die öffentliche Meinung das Vorgehen der Armee. Die Armee unternimmt größte Anstrengungen, um Verluste zu vermeiden. Deshalb behalten sie die Soldaten meistens innerhalb befestigter Stellungen oder in gepanzerten Fahrzeugen. Wenn sie die Palästinenser angreifen, benutzen sie Hubschrauber. Diese Einschränkung macht es der israelischen Armee unmöglich, ihre Truppen in einer Weise einzusetzen, die Soldaten in Gefahr bringt.

Frage: Was könnte in dieser Situation Deiner Meinung nach das Ergebnis der Gespräche in Scharm asch-Scheich sein?

Adam Keller: Tatsächlich haben die beiden Seiten in Scharm asch-Scheich nicht miteinander gesprochen; es lief alles über die Vermittlung der Amerikaner. Es hat keine Übereinkunft gegeben, die Barak oder Arafat unterzeichnet hätten; es gab nur eine Erklärung von Clinton, von der er behauptete, sie spreche für alle. Das zeigt die Tiefe des Mißtrauens, das nun zwischen den beiden Seiten entstanden ist. Meine Einschätzung ist, daß die Zusammenstöße nicht vollständig enden werden. Es kann sein, daß die Intensität nachläßt, in gewissem Maße, ich bin mir nicht einmal darüber sicher. Jedenfalls ist das bisher, seit Clintons Erklärung, nicht passiert. Natürlich kann man nicht erwarten, daß sich etwas ändert, bevor Barak und Arafat zurückgekehrt sind und beginnen, Anweisungen zu geben. Wenn sie diese Anweisungen geben wollen.

Frage: Meinst Du, sie wollen entsprechende Anweisungen geben, oder werden sie das nicht tun?

Adam Keller: Das ist eine sehr gute Frage; ich bin mir da nicht sicher, bei keinem von beiden. Besonders, da Barak Pläne hat, den Rechten Scharon in die Regierung zu nehmen. Und die Aufnahme von Scharon in die Regierung ist etwas, was nicht zusammengeht mit dem Versuch, die Lage zu beruhigen; wahrscheinlich würde das zu einer weiteren Eskalation führen. Ich weiß nicht, wie die Dinge sich entwickeln werden. Der beste Fall, der mir denkbar scheint, ist, daß sich die Lage entspannt; vielleicht nicht zu 100 %, aber auf ein niedriges Niveau von Gewalttätigkeit, einigem Steinewerfen von Zeit zu Zeit, aber nichts in der Intensität der letzten zwei Wochen. Und daß die Amerikaner in zwei Wochen versuchen, die Verhandlungen erneut zu beginnen, wahrscheinlich nach den Wahlen in den USA; denn die Palästinenser haben das Gefühl, solange Hillary Clinton in New York gewählt werden will und Gore gewählt werden will, solange ist die Politik Clintons sogar stärker als gewöhnlich für Israel eingenommen. Aber auch in diesem besten Fall würde Barak mehr Zugeständnisse machen müssen, als er es in Camp David tat. Anderenfalls wird es eine unilaterale palästinensische Unabhängigkeitserklärung geben, und dann werden die Zusammenstöße von neuem losgehen.

Frage: Gush Shalom hat seit langem vorausgesagt, was passieren würde, wenn der Friedensprozeß scheitert, und es scheint neu, daß alle Warnungen wahr wurden. Was unternehmt Ihr jetzt, was könnt Ihr tun?

Adam Keller: Wir haben uns an einer Art Koalition von Friedensgruppen beteiligt, die sehr aktiv gewesen sind, seit die ganze Geschichte losgegangen ist. Wir haben wieder täglich auf der Straße demonstriert, vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv, vor Baraks Haus in Jerusalem. Wie gesagt, keine Großdemonstrationen, manchmal mit Dutzenden, manchmal mit hunderten Teilnehmern. Es gibt eine Krise der gemäßigten Friedensgruppen in Israel. Einige von ihnen meinen, das sei alles zu weit gegangen; sie beschuldigen die Palästinenser, zu gewalttätig zu sein, und viele drücken ihre Enttäuschung aus. Wir sind der Ansicht, daß diese Leute zwar sehr aufrichtig sein mögen, aber sie haben von den Palästinensern Zustimmung zu Bedingungen erwartet, denen die Palästinenser nicht zustimmen können. Nicht nur die Anerkennung Israels in seinen Grenzen nach 1967, sondern auch die sehr weitgehende Annexion von Land in den besetzten Gebieten. Diese Leute befinden sich zur Zeit in recht großen Schwierigkeiten; sie sind verbittert und geben den Palästinensern die Schuld. Wir versuchen, diese Leute zu beeinflussen, sie wieder zu Aktivitäten in der Friedensbewegung zu gewinnen. Wir versuchen, die Meretz-Partei zu beeinflussen, die wichtigste Linkspartei in Israel, die nun die Tendenz gezeigt hat, ihre Beteiligung an einer Notstandsregierung zu akzeptieren, die auch Scharon und den Likud einschließt. Das wäre ein überaus harter Schlag, wenn die wichtigste, sagen wir, jüdische Partei der israelischen Linken sich an einer Regierung mit Scharon beteiligen würde. Wir haben versucht, die radikaleren Mitglieder von Meretz dafür zu gewinnen, gegen eine solche Koalition mit der Rechten aufzutreten. Ich denke, wir hatten da einige Wirkung. Natürlich hoffen wir, daß die ganze Idee einer Notstandsregierung mit Scharon nicht wahr werden wird, falls nun die Situation in den besetzten Gebieten sich beruhigt. Andererseits ist es ganz gut möglich, daß diese Übereinkunft von Scharm asch-Scheich einfach nicht verwirklicht wird, dann wird die Gewalt weitergehen. Denn viele Palästinenser sind überzeugt, daß Verhandlungen grundsätzlich vergeblich sind. Sie meinen, sie haben sieben Jahre gewartet, um zu einer Übereinkunft mit Israel zu kommen; und in all der Zeit hat die Besetzung angedauert, die Siedlungen sind weitergeführt worden, die Anzahl der Siedler hat sich fast verdoppelt seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993; und sie meinen, daß sie in Verhandlungen nicht fair behandelt werden, weil die USA Israel sehr viel näher stehen als den Palästinensern und daher nicht der ehrliche Makler oder Vermittler sein können. Deswegen bemühen sich die Palästinenser, andere Vermittler zu finden, wie die Vereinten Nationen oder Europa. Wogegen die israelische Seite strikt opponiert. Tatsächlich erklärt sich die ganze Auseinandersetzung um eine internationale Untersuchungskommission, die ein großes Problem in den Verhandlungen in Scharm asch-Scheich war, daraus, daß die Palästinenser versuchen, andere internationale Kräfte mit einzubeziehen, nicht nur die USA.

Frage: Noch einmal zu Gush Shalom: Welchen Einfluß haben Eure Aktionen auf die politische Klasse oder die Stimmung der Bevölkerung in Israel?

Adam Keller: Wir sehen uns in der Funktion eines Katalysators, als eine Gruppe, welche Dinge explizit ausspricht, die andere nicht so klar sagen mögen. Wir haben einige Male den Vorreiter gespielt; schon früher zum Beispiel in der Frage, ob Israel mit der PLO verhandeln sollte. Bis vor zehn Jahren war es Israelis verboten, mit einem PLO-Mitglied zu sprechen. Später kam dann die Frage Jerusalems; wir waren recht einflußreich, indem wir das Tabu der israelischen Politik gebrochen haben, über Konzessionen in Jerusalem zu sprechen. Wir werden auch in diesem Fall versuchen, Einfluß zu nehmen, den Leuten verständlich zu machen, wie es zu diesem Gewaltausbruch kam; warum die Palästinenser mehr fordern, als Barak ihnen zu geben bereit ist. Wir erwarten nicht, daß wir jemals zu einer Massenbewegung werden und in die Position gelangen, bestimmte Maßnahmen selber durchzusetzen. Wir arbeiten daran, daß die Dinge, die wir sagen und auf die Tagesordnung setzen, nach und nach auch von anderen akzeptiert werden.

Interview und Übersetzung: Fritz Viereck
18.10.2000

Biographische Notiz zu Adam Keller

Adam Keller wurde 1955 in Tel Aviv geboren. Er studierte dort Geschichte. Keller redigiert seit ihrer Gründung im Jahr 1983 "Das andere Israel", die Zeitschrift des Israelischen Rates für einen israelisch-palästinensischen Frieden (ICIPP). Nachdem im Oktober 1986 ein Gesetz erlassen worden war, welches Treffen von Israelis mit PLO-Vertretern verbot, nahm Keller aktiv an der Organisation des israelisch-palästinensischen Treffens in Rumänien teil. Seine Aktivitäten brachten ihn mehr als einmal hinter Gitter: 1984 wegen der Weigerung, Militärdienst im Libanon zu leisten; 1988, weil er auf 117 Armeepanzer Parolen geschrieben hatte, die zur Kriegsdienstverweigerung in den besetzten Gebieten aufriefen; 1990 für die umfassende Verweigerung jedes weiteren Militärdienstes. 1993 beteiligte Keller sich an der Organisation des Israelischen Friedensblocks (Gush Shalom), der gegründet wurde, nachdem die Regierungsübernahme durch die Labour-Meretz-Koalition dazu führte, daß die etablierten Friedensgruppen fast verstummten. Gush Shalom setzt sich insbesondere für die Anerkennung eines palästinensischen Staates neben Israel ein, nachdem die Forderungen nach dem israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten und Verhandlungen mit der PLO von der Regierung übernommen wurden.

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