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Rolf Goessner
Unstreitbar
NPD-VERBOT

Den starken Staat markieren heisst vor allem, die Schwaechen der Demokratie zu verbergen

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Die Macht des Faktischen entzieht einer grundsaetzlichen Debatte einmal wieder den Boden. »Das Material ist sehr schwerwiegend«, sagte Otto Schily, als er Anfang der Woche mit den Kollegen aus Bayern und Sachsen-Anhalt die Ergebnisse der Bund-Laender-Arbeitsgruppe vorstellte, welche die Erfolgsaussichten eines NPD-Verbots pruefen sollte. Es ging um die Frage, ob das von den Verfassungsschutzbehoerden gesammelte Material fuer den Nachweis nach Artikel 21 Grundgesetz ausreicht, die NPD gehe darauf aus, »die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeintraechtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefaehrden«. Ueber diese Frage muss aber, da Parteien gegenueber sonstigen Organisationen verfassungsrechtlich erhoehten Schutz geniessen, das Verfassungsgericht entscheiden. Schilys Koalitionspartner, die Gruenen, standen einem Parteiverbot bisher eher skeptisch gegenueber. Jetzt geraten sie unter Druck, dem Verbotsantrag in Parlament und Regierung mit zuzustimmen. 

Die Mehrheit der Bevoelkerung befuerwortet ein NPD-Verbot, die parteipolitische Landschaft ist gespalten. - Der Riss geht durch alle Parteien, besonders aber durch die gruene. So spricht sich etwa Umweltminister Juergen Trittin fuer ein Verbot aus, die Parteivorsitzende Renate Kuenast und der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Cem Oezdemir, warnen dagegen vor einer »Konzentration auf die Verbotsdebatte«: »Uns erfuellt die Sorge, dass damit unrealistische Erwartungen verknuepft werden. Es darf nicht nur zu einer voruebergehenden Entsorgung des Problems kommen.«

Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, wird allerdings von vielen Liberalen und linken Antifaschistischen, die ansonsten staatlicher Repression misstrauen, eher vernachlaessigt. Zwar ist seit dem Verbot der KPD (1956) und seinen schaedlichen Auswirkungen auf die politische Kultur in der fruehen Bundesrepublik die Skepsis gegen diese Art von politischer Verdraengung gewachsen. Doch seit dem Anwachsen rechtsgerichteter Organisationen und der Eskalation fremdenfeindlicher Gewalt scheint diese Skepsis dem neuen Glauben an alte Rezepte der so genannten streitbaren Demokratie gewichen zu sein. Die hektischen Forderungen nach Organisations- und Parteiverboten deuten jedenfalls darauf hin.

In der (links-)liberalen juristischen Literatur wird das Parteiverbot indessen nicht zu Unrecht als »Fremdkoerper« im System einer freiheitlichen Demokratie bezeichnet oder gar als »Konstrukt antiliberalen und antidemokratischen Denkens« (Helmut Ridder). »Die Beurteilung von Wert oder Unwert politischer Parteien«, so der liberale Grundgesetz-Kommentator Ingo von Muench, »sollte der politischen Entscheidung des Waehlers ueberlassen werden, nicht der juristischen Entscheidung eines Gerichts«. Und der Hamburger Verfassungsrechtler Horst Meier sieht im Parteiverbot eine »einzigartige Schoepfung westdeutschen Verfassungsgeistes, in der Kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingegangen sind«. Solchen »innerstaatlichen Feinderklaerungen« habe niemals eine wirkliche Gefahr fuer die Demokratie zu Grunde gelegen, sondern die »so gereizte wie kleinmuetige Ausgrenzungsbereitschaft der deutschen Mehrheitsdemokraten«.

Mit einem Verbot wuerde zwar die Neonazi-Szene kurzzeitig verunsichert und der NPD die staatliche Finanzierung entzogen, doch ihr unseliger Geist wuerde fortwirken, da die Gesinnung ihrer Anhaenger nun mal nicht verboten werden kann. Ein Parteiverbot wirft deshalb mehr Probleme auf, als es zu loesen imstande ist: Es kann die fatale Wirkung zeitigen, dass die anvisierten Kraefte, die schliesslich nicht vom Erdboden verschwinden, in anderen Organisationen oder im Untergrund weiter agieren und auf diese Weise wesentlich schlechter oeffentlich kontrolliert und bekaempft werden koennen. Die fuehrenden Koepfe der NPD und etliche ihrer etwa 6000 Mitglieder wuerden mit ziemlicher Sicherheit in andere rechte Organisationen, die nicht verboten sind, uebertreten und dort ihr Unwesen weitertreiben. Die NPD in ihrer heutigen Funktion als rechtsmilitantes Sammelbecken ist ja makabrerweise selbst das Resultat von frueheren Organisationsverboten. Sie hat das Personal jener verbotenen Organisationen weitgehend aufgefangen. So betrachtet, ist die NPD heutiger Praegung letztlich auch das Resultat staatlicher Repression.

Eine starke antifaschistische, soziale und demokratisch legitimierte Politik, die auch die soziooekonomischen Ursachen und Bedingungen fuer Neonazismus, Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt mit einbezieht, duerfte eher in der Lage sein, das Gefahrenpotenzial zu verringern, als eine rigide und ausgrenzende Verbotspolitik. Auch im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus fuehrt die Fixierung auf staatliche Institutionen und Massnahmen oft in die Irre. Die Delegation dieses gesellschaftlichen Problems an den Staat verhindert womoeglich nicht nur eine radikale Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und eine engagierte Gegenwehr durch die Buerger selbst; damit wird auch eine Sicherheitskonzeption befoerdert, die der Bevoelkerung vorgaukelt, verhaengnisvolle politische Entwicklungen koennten per Verbotsdekret eliminiert werden. Das duerfte jedoch schon deshalb unmoeglich sein, weil Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik kein Problem der gesellschaftlichen Raender ist, sondern ein Problem, das weit in die Mitte der Gesellschaft reicht. 

Es koennte also sein, dass ein NPD-Verbot letztlich nur einen starken Staat demonstriert, hinter dem sich eine ziemlich schwache Demokratie verbirgt ... 

Dr. Rolf Goessner ist Rechtsanwalt, parlamentarischer Berater u. a. der Fraktion Buendnis 90/Die Gruenen im Niedersaechsischen Landtag. Soeben erschienen: Big Brother & Co. Der moderne Ueberwachungsstaat in der Informationsgesellschaft. 200 S., Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2000, DM 32,-