Bachelor/Master in ganz Europa
Die Harmonisierung der europäischen Hochschulpolitik unter neoliberalen Vorzeichen


von Stefan Bienefeld
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“Europa rückt näher zusammen” heißt es überall. Dies bezieht sich mittlerweile auch auf die Bildungssysteme in den europäischen Staaten. Prinzipiell läuft der Prozeß der sogenannten “Schaffung eines europäischen Bildungsraumes” seit einigen Jahren auf Hochtouren, von der studentischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Auf anderer Ebene ist das gut bekannt, in der BAföG Anhörung des Bundestages hantierte der Vertreter des DAAD (Deutscher Akademischer Austausch Dienst) vollkommen selbstverständlich mit der “Sorbonne”- und der “Bologna” - Erklärung. Auch die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) hat sich damit schon länger beschäftigt.

Der erste entscheidende Schritt im Prozeß der sogenannten “Harmonisierung der Bildungssysteme” wurde am 25.Mai 1998 vollzogen, als sich der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers mit seinen KollegInnen aus Frankreich, Italien und Großbritannien traf und die sogenannte Sorbonne-Erklärung abgab. Darin betonten die UnterzeichnerInnen ihre Absicht, einen europäischen Rahmen für die höhere Bildung zu schaffen. Ein Jahr später, auf der Konferenz in Bologna, waren dann bereits VertreterInnen aus fast allen europäischen Staaten anwesend und verabschiedeten die Bologna-Erklärung, die von der Aussage her schwächer ist. Inhaltlich geht es in beiden Dokumenten vor allem um die Schaffung eines gesamteuropäischen Bildungsraumes zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Neben den üblichen Floskeln (Austauschprogramme etc.) finden sich darin aber auch heikle politische Punkte.

Heikle politische Punkte

Innerhalb der nächsten zehn Jahre, so die UnterzeichnerInnen, sollen gewisse Ziele erreicht sein, z.B. die Umstellung auf ein System gestufter Abschlüsse a la drei Jahre erster Abschluß, fünf Jahre zweiter Abschluß, 8 Jahre Doktor... Die Diskussion um Bachelor und Master erscheint dann auf einmal in einem anderen Licht. Wie selbstverständlich finden sich dort auch Passagen über das lebenslange Lernen, welche den vom Europäischen Industriekreis (ERT) und Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann-Stiftung, die zum gleichnamigen Medienkonzern aus Gütersloh gehört, vertretenen neoliberalen Konzeptionen recht ähnlich sind.

Die neue Kommissarin der EU für Bildung und Kultur, Viviane Reding aus Luxemburg, vertritt das Konzept des lebenslangen Lernens mit bisher unbekannter Vehemenz als “die offensichtliche Bildungsantwort auf die Anforderungen einer wissensbasierten Wirtschaft”. Das alles passierte weitgehend unbemerkt von der studentischen Öffentlichkeit, die nicht zur Kenntnis nimmt, daß auf europäischer Ebene Entscheidungen getroffen werden, die bindend sind. Natürlich ist eine Erklärung keine bindende Entscheidung im engeren Sinne und eigentlich darf sich die EU laut Amsterdamer Vertrag auch gar nicht in die Bildungspolitik der Mitgliedsstaaten einmischen; trotzdem ist natürlich eine Erklärung von Bildungsministerien ganz Europas eine (nicht nur aber auch) EU Position, wenn auch eine inoffizielle.

Der Prozeß ist in vollem Gange und immer noch herrscht von Seiten der meisten hochschulpolitischen Verbände Schweigen im Walde der europäischen Bildungslandschaft.

Der Trend

Wohin der Trend geht, läßt sich allerdings sehen, wenn die Bildungssysteme in Europa verglichen werden. Das angloamerikanische Modell gilt gemeinhin als Vorbild. In Großbrittanien hat es die Labour Regierung geschafft, die staatliche Unterstützung für StudentInnen auf null zurückzufahren und gleichzeitig flächendeckend Studiengebühren einzuführen. In den Ländern, die noch keine Studiengebühren haben, wird über die Einführung diskutiert, in denen, wo sie bereits existieren, werden sie erhöht. Gleichzeitig werden die sozialen Unterstützungen für StudentInnen (Zuschüsse, Krankenversicherung etc.) zunehmend beschnitten. Der soziale Verteilungskampf wird härter. Damit einher geht die europaweite Umstrukturierung der Hochschulen nach Managementkonzepten und ein verstärkter, in vielen Ländern institutionalisierter Einfluß der Wirtschaft. Ericsson hat in Norwegen bereits eine eigene Hochschule, in anderen Ländern, wird dies folgen. Die Umstellung auf Bachelor/Master ist in den meisten Ländern bereits abgeschlossen, in Dänemark gibt es beispielsweise gar keine anderen Abschlüsse mehr. Die Trends sind klar, und so greifen die Rädchen an verschiedenen Stellen ineinander. Wer ursprünglich Verursacher war ist dabei nicht mehr entscheidend, da sich eine Eigendynamik entwickelt, in der verschiedene nationale und europäische Prozesse zusammenkommen. Was definitiv klar sein sollte, ist, daß multilaterale Vereinbarungen natürlich nationale Prozesse einer bestimmten Richtung beschleunigen. Sicher haben die Bestrebungen zur Harmonisierung auch positive Effekte (vereinfachte Anerkennung von Auslandssemestern etc.), der Prozeß zeitigt aber eben auch kritische Entwicklungen, derer sich die deutschen StudentInnen und ihre VertreterInnen bewußt werden müssen. Es ist ein relativ hoffnungsloser Kampf, wenn man in Deutschland gegen Bachelor/Master oder Studiengebühren angeht, dabei aber außer Acht läßt, daß auf europäischer Ebene auch ein Teil der Entscheidungen über die Bildungspolitik getroffen wird.

Europäische Vernetzung?

Allerdings eröffnet dies theoretisch auch die Perspektive, sich zu vernetzen und einen gemeinsamen Kampf mit anderen StudentInnenverbänden aus Europa zu führen, die ähnlich gelagerte Probleme haben und zu versuchen, gemeinsam Einfluß auf den Prozeß der Harmonisierung zu nehmen, was auf europäischer Ebene durchaus möglich ist. ESIB, the national Unions of Students in Europe (der europäische Dachverband der StudentInnenorganisationen in Europa), versucht genau das und hat auch zum Prozeß der Harmonisierung Positionen entwickelt, allerdings mit ziemlich schwammigen Formulierungen und Forderungen. Diese Forderungen gehen allerdings noch lange nicht weit genug. Das liegt daran, dass ESIB ein Verband mit sehr großen internen Meinungsverschiedenheiten in den politischen Positionen ist.

Natürlich gibt es trotzdem auf diesen Treffen die Möglichkeit, sich unter den Ländern zu vernetzen, die da etwas progressivere Positionen vertreten. Dies beginnt langsam, das nächste größere Ereignis zu dem StudentInnen Präsenz zeigen müssen, wird das follow-up Treffen der Bologna Konferenz im Juni 2001 in Prag sein. ESIB hat eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eingesetzt hat, die eine studentische Parallekonferenz zum Regierungstreffen plant. Zudem ist es möglich, zumindest auf dem Feld der Privatisierung von Bildung international zu kooperieren (von Harmonisierung kann hier wohl kaum die Rede sein). Der fzs (Dachverband von ca. 60 deutschen ASten) arbeitet an diesem Thema und bemüht sich um die Vernetzung.

überarbeitet von Carsten Schäfer

Mehr Infos zum Thema (Reader, Texte, Untersuchungen) gibt es beim fzs
mailto:fzs@studis.de